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Kapitel 4 - Chris

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Chris fluchte laut.

»Verdammt Kian, das kann nicht dein Ernst sein.«

Sein Bruder ließ sich über die Seitenlehne der Couch fallen und schloss die Augen. Das lange, braune Haar hing ihm im Gesicht.

»Willst du nicht mal wissen, warum er mich gefeuert hat? Ich glaube dann muss ich dich davon abhalten, persönlich bei ihm vorbeizufahren und Hackfleisch aus ihm zu machen.«

Chris zog eine Augenbraue nach oben. Was hatte das wieder zu bedeuten?

»Hau raus!«

»Connors kleine, blonde Schnecke hat versucht, mich anzubaggern. Daraufhin hab ich ihr höflich zu verstehen gegeben, dass ich nicht interessiert bin, und habe vielleicht auch erwähnt, dass sie gerade mal... wie alt? Keine Ahnung. Fünfzehn ist? Sie fand das jedenfalls nicht so klasse, dass ich ihr einen Korb gegeben habe. Also ist sie zu Connor gegangen und hat behauptet, ich hätte sie angegrabscht.«

Chris atmete hörbar aus, drehte die Fernbedienung zwischen den Fingern und betrachtete seinen kleinen Bruder.

»Mann, Kian.«

»Was denn?«, fuhr er ihn an. »Nenn mir eine Lösung, die besser gewesen wäre. Ich bin froh, dass ich da nicht mehr hin muss. Payla hat mich wahnsinnig gemacht.«

»Hör zu, Kian. Vielleicht... vielleicht ist das der Wink mit dem Zaunpfahl, dass du endlich was Vernünftiges machen solltest.«

Kian schnaubte und blickte ihn ungläubig an.

»Du willst jetzt nicht ernsthaft den großen Bruder raushängen lassen, oder?«

Chris grinste entschuldigend.

»Ich mein ja nur.«

»Ich habe schon was anderes gefunden«, sagte Kian und schloss die Augen. Er schien ein Grinsen unterdrücken zu müssen.

»Im Ernst?« Das war ja schnell gegangen. Chris betete inständig, dass »was anderes« nicht noch ein schlecht bezahlter Job in einem Pub war.

»Ich hab einen Gig.«

Er öffnete ungläubig den Mund und starrte seinen Bruder an. Als er begriff, dass der keinen Scherz gemacht hatte, strahlte er ihn an. Der Jüngere öffnete die Augen wieder und grinste leicht.

»Im Ernst? Hey, das ist ja super. Wann? Vielleicht kann ich mitkommen.«

Kian senkte ein wenig verlegen den Blick, richtete sich auf und knetete die Finger.

»Heute Abend schon. Die Band, die eigentlich im Underground auftreten sollte, hat kurzfristig abgesagt. Joe hat gemeint, ich würde ihm den Arsch retten, wenn ich einspringe. Und wenn ich bei den Leuten ankomme, krieg ich vielleicht einen Vertrag.«

»Hey Wahnsinn!«, stieß Chris aus. Das waren wirklich super Neuigkeiten. Auftritte im Pub waren vielleicht nicht das, was ihr Dad als einen angemessenen Beruf bezeichnen würde, doch das war allemal besser, als jeder Kellnerjob. Und Chris wusste, wie viel Talent sein Bruder hatte.

»Kommst du mit?«, fragte Kian und Chris hörte aus seiner Stimme heraus, wie viel Angst er vor dem Abend hatte.

»Klar. Als ob ich mir das entgehen lassen würde.« Er grinste erneut. Natürlich musste er Kian beistehen. Er würde schrecklich nervös sein.

Doch das war immer sein Traum gewesen. Seine eigenen Songs präsentieren. Sein YouTube-Kanal hatte längst nicht so viele Abonnenten, wie Kian seiner Meinung nach verdient hätte. Heute Abend würde er zum ersten Mal vor größerem Publikum auftreten. Er fand es super, dass Joe ihm diese Chance bot. Immerhin war es für den Barbesitzer ein großes Risiko. Fanden die Leute keinen Gefallen an Kians Musik, würden sie vielleicht nicht wieder kommen. Doch Chris hatte Vertrauen in seinen Bruder. Er wusste, dass er die Bühne rocken würde.

Das Licht im Underground war angenehm. Es war nicht so schummrig, dass man nach einem harten Arbeitstag müde wurde, aber auch nicht zu hell. Musik spielte im Hintergrund. Doch noch keine Live-Musik. Die kam erst später.

»Hey Jungs«, rief ein hochgewachsener Mann mit verschlagenem Grinsen. Er kam zu ihnen hinüber und reichte zuerst Kian, dann Chris die Hand.

»Ey, Chris! Wo hast du nur gesteckt? Tut gut, dich mal zu sehen, Mann.«

»Freut mich auch, Joe«, antwortete Chris und schlug in die ausgestreckte Hand seines ehemaligen Chefs ein.

»Kian! Super, dass das geklappt hat. Du willst dich sicher einsingen. Direkt neben der Bühne ist eine Tür, die führt in den Keller. Da kannst du dich aufwärmen.«

Kian grinste nervös. Chris schlug ihm aufmunternd auf die Schulter.

»Wir sehen uns nachher, Bruder. Du machst das schon.«

Kian wirkte etwas verloren, während er sich zwischen den Gästen hindurch schlängelte. Irgendwie kam es Chris falsch vor, seinen Bruder ganz allein zu lassen. Er würde furchtbare Angst haben. Doch andererseits, vielleicht brauchte er die paar Minuten für sich.

»Ganz schön voll heute, oder?«

»Ja«, antwortete Joe und grinste selbstgefällig, »Umso erleichterter bin ich, dass Kian Zeit hat.«

Chris musste lachen.

»Ich hoffe, er macht sich nicht in die Hose.«

Joe grinste erneut und winkte ein paar Neuankömmlingen zu.

»Soll ich dich mit ein paar Leuten bekannt machen oder siehst du schon jemanden, den du kennst?«

»Ach, ich komm schon klar. Danke Joe. Ich setz mich ein wenig an die Bar.«

»Alles klar. Oh, da kommt meine Rettung«, sagte Joe und ohne ein weiteres Wort drängte er sich zwischen zwei Mädchen mit hochhackigen Schuhen und überschminkten Gesichtern hindurch. Kurz folgte Chris ihm mit dem Blick, bevor er stutzte. Der Mittdreißiger blieb vor einer jungen Frau stehen, die ihm bekannt vorkam. Er brauchte nur einen Augenblick, um sie einzuordnen. Ihr Gesicht war glatt und ebenmäßig und die azurblauen Augen schwarz umrandet. Jede Seite ihrer Unterlippe zierten zwei Ringe und in der Mitte ihrer Oberlippe steckte eine silberfarbene Perle. Heute Morgen hatte er sie gesehen, in dem altmodischen Haus am Shannon, in dem er eine Wohnung zu vermitteln hatte. Da hatte sie zwar ihre Piercings getragen, war jedoch noch nicht geschminkt gewesen. Sie hatte sich in einem weiten T-Shirt in den Eingang einer Wohnung gedrängt, um ihn und seine Kundin vorbei zu lassen. Ihre dichten, roten Locken hatte sie mittlerweile gebändigt. Jetzt waren sie auf einer Seite zu einer wilden Frisur zusammengefasst und ihr schwarz gefärbter Sidecut kam darunter zum Vorschein.

Joe sprach sie an und Chris wandte sich ab. Er wollte nicht dabei ertappt werden, wie er die beiden beobachtete.

Langsam schlenderte er zur Bar hinüber und ließ sich auf einem der hohen Lederstühle nieder. Er sah sich nach einer Bedienung um, doch es kam niemand. Der Laden hatte echt nachgelassen, seit er nach seinem Studium hier gekündigt hatte.

Unequally Love

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