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Kapitel 5 - Nadeya

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May love and laughter light your days,

and warm your heart and home.

May good and faithful friends be yours,

wherever you may roam.

May peace and plenty bless your world

with joy that long endures.

May all life‘s passing seasons

bring the best to you and yours!

- Irish Blessing -

»Nadeya, schön dich zu sehen.« Joe schob sich zwischen zwei dieser typisch aufgetakelten Tussis hindurch und kam direkt auf sie zu. Sie lächelte ihn an, als er sich zu ihr hinab beugte und ihr einen flüchtigen Kuss an der Wange vorbei hauchte.

»Frag mich bloß nicht, ob ich zum Arbeiten hier bin. Ich bin mit meiner Schwester da.«

Joe grinste zerknirscht.

»Ich bitte dich, Darling. Suzanne ist krank geworden. Ich habe schon versucht, dich anzurufen.«

»Mein Handy ist ins Klo gefallen«, gab Nadeya ungerührt zurück. Tatsächlich hatte sie es ausgeschaltet in ihrer Nachttischschublade verschwinden lassen, nachdem Alan noch dreimal versucht hatte, sie zu erreichen.

»Wie dem auch sei. Ich bitte dich inständig. Colin ist alleine hinter der Theke total überfordert.«

Nadeya blickte sich nach ihrer Schwester um. Die stand bei drei anderen jungen Frauen, die sie in ein Gespräch verwickelt hatten. Nadeya seufzte resigniert.

»Na gut. Dafür will ich die doppelte Bezahlung.«

Joe gluckste vergnügt, umarmte sie und gab ihr diesmal einen richtigen Kuss auf die Wange.

»Du bist die Beste.«

Sie verdrehte die Augen, und als Joe sich abgewandt hatte, wischte sich mit der Hand über die Wange.

»Ja, bis du die nächste am Start hast«, murmelte sie.

Heute wäre ihr einziger freier Tag in dieser Woche gewesen. Warum hatte sie mit Khyra auch hierher kommen müssen? - Weil sie die Drinks günstiger bekam...

Nadeya schob sich zwischen zwei zu jung aussehenden Kerlen hindurch, die ihr interessierte Blicke zuwarfen, und trat neben Khyra.

»Oh, hey. Das ist Nadeya. Meine Schwester. Und das sind Beatrice, Lauren und Olivia. Kolleginnen von mir.«

»Reizend«, gab Nadeya trocken zurück, musterte kurz die brav aussehenden Gestalten, die sie misstrauisch taxierten, und nahm ihre Schwester bei Seite, um ihr die Planänderung mitzuteilen. Khyra wirkte ehrlich enttäuscht.

»Das kann er doch nicht von dir verlangen«, beschwerte sie sich.

»Er ist der Boss.«

Khyra seufzte.

»Na schön. Obwohl ich keine große Lust habe, mir Olives Geplapper den ganzen Abend anzuhören. Morgen Abend hab ich zusammen mit ihr Dienst. Das reicht mir schon.«

Nadeya grinste ihre Schwester an.

»Ich lad dich morgen zur Entschädigung auf einen Kaffee ein. Joe bezahlt mir das doppelte.«

»Das klingt schon besser«, antwortete sie und lachte. Es war so schön, dieses Geräusch wieder zu hören. Seit Wochen war sie so in sich gekehrt. Hatte Nadeya ihre geliebte Schwester endlich wieder?

»Bis nachher, Süße.«

Khyra nickte und gesellte sich zurück zu ihren Kolleginnen. Nadeya hatte sich nie sonderlich wohl unter den Freundinnen ihrer Schwester gefühlt. Unter ihnen war sie sich immer zu... mittelmäßig vorgekommen. Sie waren so perfekt mit ihren großen Plänen. Studiert hatten sie alle oder übten zumindest Berufe aus, bei dessen Einstellungsgesprächen Nadeya aufgrund ihres Äußeren schon ausgemustert worden wäre.

Deshalb hatten Nadeya früher nicht viel mit Khyra unternommen. Sie war sowieso nie ein großer Fan von wilden Feiern gewesen. Nicht mehr, seit sie mit sechzehn Jahren auf dieser verhängnisvollen Privat-Party gewesen war...

Unwirsch schob sie die Gedanken daran bei Seite. Sie kannte sich zu gut. Würde sie dort verweilen, die Erinnerung zulassen, saß sie letztendlich mit vor der Brust verschränkten Armen in irgendeiner Ecke und weinte.

Langsam kämpfte Nadeya sich zwischen den Gästen hindurch. Das Gedränge wurde allmählich zu viel für sie und sie war froh, als sie die Theke erreicht hatte. Mit einem Satz sprang sie hinauf und schwang die Beine über den Tresen.

»Oh, Nadeya«, stieß Colin erleichtert aus, der gerade aus der Küche gestürzt kam, »gut, dass du da bist. Ich bin am verzweifeln. Kannst du den vorderen Teil der Bar übernehmen?«

»Klar. Entspann dich. Kesha und Letty sind an den Tischen, oder?«

»Ja, die kommen klar. Aber hier ist die Hölle los. Ich glaube, der Typ da hinten wartet schon seit fünfzehn Minuten.«

Colin deutete mit einem Spültuch auf die andere Seite der Bar.

Nadeya stockte der Atem. Sie erkannte ihn sofort. Das war er. Der Makler... Konnte es ein Zufall sein, dass sie ihn heute schon zum zweiten Mal sah?

»Okay, ich kümmere mich drum«, gab sie nur zurück und hörte selbst, dass sie ein wenig atemlos klang. Colin schien das nicht zu registrieren. Er wandte sich schon den nächsten Gästen zu.

Nadeya bewegte sich ein wenig zu langsam auf dem Fremden zu. Er beobachtete gerade irgendetwas hinter sich, während er, mit auf dem Tresen verschränkten Händen, da saß. Fieberhaft überlegte sie, was sie sagen sollte. Einfach »Was darf‘s sein?« Oder gab es etwas Ausgefalleneres, das vielleicht sein Interesse weckte?

Im nächsten Augenblick schalt sie sich für ihre Dummheit. Gute Güte, sie hatte einen Freund. Der war zwar manchmal ein Idiot, doch das gab ihr noch lange nicht das Recht, mit wildfremden Typen zu flirten.

»Bitte sag mir, dass diese aufgeblasene Tussi nicht meine Nachbarin wird«, rutschte es ihr heraus, als sie sich mit beiden Händen vor ihm auf dem Tresen abstützte. Der Blonde zuckte zusammen und blickte sie erstaunt an. Er schien einen Moment zu brauchen, um sie einzuordnen.

»Du arbeitest hier?«

»Zum Spaß stehe ich nicht hinter der Theke. Was darf‘s sein?«

»Ein Wasser mit Kohlensäure, bitte.«

»Ein Wasser?« Sie starrte ihn ungläubig an. War das sein Ernst oder machte er sich über sie lustig? Er lachte tatsächlich.

»Ich fürchte ich muss dich enttäuschen. Die nette Dame hat vor etwa einer Stunde angerufen und mir mitgeteilt, dass sie die Wohnung nehmen wird.«

Nadeya verzog das Gesicht. Wenigstens wusste er noch, wo sie sich getroffen hatten.

»Ich hab aber auch nie Glück«, beschwerte sie sich. Wieder lachte der Fremde.

»Ich kann gerne nach einer neuen Wohnung für dich Ausschau halten, wenn du mir sagst, was du für Vorstellungen hast.«

Nadeya musste lächeln.

»Nein danke. Ich fühle mich dort eigentlich ganz wohl. Und wenn mir Eier oder Milch fehlen, frage ich Misses Counter und füttere dafür ab und zu ihre Katzen, wenn sie ihre Tochter in Dublin besucht.«

Er lachte herzlich und plötzlich wurde Nadeya ganz warm. Sein Lachen war so ehrlich. Da war absolut nichts Geheucheltes dran. Alan lachte manchmal so... unecht. Halbherzig. Und dann hatte sie das Gefühl, er tat das nur, damit sie mit ihm schlief.

»Was ist? Bekomme ich jetzt mein Wasser?«, fragte der Fremde schließlich. Sie sah ihn ungläubig an.

»Im Ernst jetzt? Ich dachte das wäre ein Scherz.«

Wieder lachte er und nickte.

»Ganz im Ernst.«

Nadeya schoss aus irgendeinem Grund das Blut in die Wangen. Sie holte rasch ein Glas unter der Theke hervor und öffnete eine frische Sprudelflasche.

»Vielen Dank«, sagte er und reichte ihr einen Fünfer. Verlegen gab sie ihm sein Wechselgeld und zuckte zusammen, als seine warmen Finger die Ihren streiften.

»Hey Miss. Dauert das noch lange?«

Ein bulliger Typ mit harten, kantigen Gesichtszügen hatte sie angesprochen.

»Tut mir leid«, antwortete Nadeya rasch und wandte sich den anderen Gästen zu, die darauf warteten, ihre Bestellungen aufzugeben. Rasch füllte sie Gläser mit diversen Alkoholsorten und zwang sich, nicht zu dem merkwürdigen Fremden hinüber zu blicken, der alleine in eine Bar ging, bloß, um ein Wasser zu trinken.

Nadeya ließ jeglichen Schwung vermissen, den sie sonst an den Tag legte, wenn sie mit den Gästen sprach und über ihre Scherze lachte. Heute war sie nicht bei der Sache, denn sie hörte die ganze Zeit nur den schwachen Abklatsch des Lachens in ihrem Kopf, das von dem ungewöhnlichen Mann an der Theke gekommen war. Sie sehnte sich danach, es noch einmal zu hören, um es sich besser in Erinnerung rufen zu können und verfluchte ihre Dummheit. Was war nur in sie gefahren?

Doch sie kam nicht drum herum, sich ihm noch einmal zuzuwenden.

»Darf‘s noch was sein?« Sie nahm das leere Glas und stellte es zu dem anderen schmutzigen Geschirr, das die Küchenmädchen regelmäßig abholten.

Er blickte auf, fast ein wenig überrascht, als hätte sie ihn aus tiefen Gedanken gerissen.

»Ähm«, machte er, einen Augenblick verwirrt, »ein alkoholfreier Cocktail?«

»Klar«, gab Nadeya zurück und musterte ihn interessiert, während sie ihm die Cocktailauswahl auf der Karte aufschlug. Er schien wahllos einen auszusuchen, und während sie ihm einen Früchtecocktail zubereitete, schielte er hinüber zur Bühne.

»Wann startet denn bei euch die Live-Musik? Ich war ewig nicht mehr hier.«

»Um zehn«, antwortete sie automatisch.

»Noch zwei Minuten«, sagte er mehr zu sich selbst, während er einen Blick auf sein Handy warf.

»Bitte sehr.« Sie stellte den Cocktail vor ihm ab.

»Vielen Dank. Sieht klasse aus«, gab er zurück und lächelte sie an. Einen Moment zögerte er, bevor er die Hand ausstreckte.

»Ich bin übrigens Christian... Oder Chris.«

Einen winzigen Augenblick starrte sie irritiert auf die kleinen, keltischen Symbole, die in die Innenseite seines Unterarms eintätowiert waren, bevor sie seine große, warme Hand ergriff. Von seiner Arbeit als Makler waren seine Finger bestimmt nicht so rau geworden.

»Nadeya«, antwortete sie und stieß nervös mit der Zunge gegen ihre Piercings. Geistesabwesend spielte sie daran herum.

»Freut mich, Nadeya. Ich hab übrigens auch mal da gestanden, wo du jetzt stehst.«

Überrascht sah sie ihn an. Er schien keinen Witz zu machen.

»Du hast im Underground gearbeitet?«

Er nickte.

»Joe ist ein guter Chef. Er bezahlt ganz anständig.«

Nadeya zuckte ausweichend mit den Schultern.

»Es gibt sicher Schlimmere.«

»Was machst du sonst? Außer hier zu arbeiten, meine ich.«

Sie blickte ihn irritiert an.

»Nichts.«

»So gar nichts?« Da war es wieder. Sein Lachen. Nadeya musste selbst ein Lächeln unterdrücken.

»Naja, ich studiere nicht, oder so. Ich arbeite hier und verdiene genug, um davon zu leben.«

Chris musterte sie einen Augenblick, doch das Lächeln verschwand nicht aus seinen markanten Zügen.

In diesem Moment setzte die Musik ein. Einfach so, ohne dass jemand den Neuling angekündigt hätte. Der erste Gitarrenschlag ließ Nadeya leicht zusammenzucken. Sie kannte dieses Lied. Heute Morgen hatte sie es zuletzt gehört. Automatisch wanderte ihr Blick zur Bühne.

»Oh Scheiße!«

Chris lachte wieder.

»Lass ihn das bloß nicht hören. Das würde mächtig an seinem Ego kratzen.«

Nadeya schüttelte ungläubig den Kopf, während genau derselbe Mann dort auf der Bühne saß, der am Morgen noch aus ihrem PC-Bildschirm herausgelächelt hatte. Er war es. Ohne Zweifel. Es waren dieselben braunen Locken, die er in seinen Videos fast immer im Nacken zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden hatte. Heute trug er sie offen. Sie fielen ihm über die Schultern und ins Gesicht.

Nadeya kannte die Art, wie er Gitarre spielte und wie seine Stimme in den niedrigen Tonlagen besonders voll und rau klang. Sie kannte jede einzelne Note dieses Songs, hatte sie sie doch selbst zu singen geübt.

Verdammt! Ausgerechnet heute, wo Khyra hier war.

»So ein Mist«, murmelte Nadeya und starrte den Sänger ungläubig an.

»So schlecht ist er nun auch wieder nicht.«

»Nein! Nein... oh verdammt...«

»Na Chris, hältst du meine Bedienung vom Arbeiten ab?« Joe war an ihrer Seite aufgetaucht und legte locker den Arm um ihre Schulter.

»Ich weiß nicht recht. Ich glaube sie hält sich gerade erfolgreich selbst davon ab. Kians Stimme scheint ihr nicht sonderlich zu gefallen.«

»Soll das ein Scherz sein? Dein Bruder singt unglaublich.«

Joe musterte Nadeya anklagend. Ihr schlug das Herz in doppelter Geschwindigkeit. Bruder? Das war einfach nicht möglich. Solche großen Zufälle konnte es nicht geben. Wahrscheinlich hatte Khyra sich den Kuss nur ausgedacht und gemeinsam mit Joe diesen Plan ausgeheckt, um sie auf die Schippe zu nehmen. Das hätte sie vielleicht geglaubt, wenn Joe und ihre Schwester einander gekannt hätten und Khyra der Typ für solche Späße gewesen wäre.

»Khyra...«, murmelte sie und machte sich von Joe los. Ohne Zeit zu verlieren, sprang sie auf den Tresen, schwang die Beine über die Kante und landete neben Chris auf dem Boden.

»Was zum...«, stieß der aus und Nadeya konnte seinen Blick spüren, als sie sich durch den immer voller werdenden Pub kämpfte. Menschen rempelten sie an, stießen sie bei Seite und beleidigten sie, weil sie sich so unwirsch vorbei drängte. Sie musste zu Khyra und ihre kleine Schwester vor Dummheiten bewahren.

»Hey!«, blaffte sie jemand an, als sie gegen ihn stieß. Der stämmige, kleine Typ schubste sie zurück. Sie taumelte und stieß gegen den nächsten Körper.

»Nein...«, keuchte sie, während Hände sie berührten. Grobe Hände, raue, unwirsche Finger, die ihr die Kleider vom Leib rissen... Nein... Das war nicht echt. Das waren bloß... Erinnerungen!

Nadeya rang nach Atem, griff sich an die Kehle und keuchte. Sofort schossen ihr die Tränen in die Augen und sie spürte, wie sie in sich zusammensackte. Ihre Knie schlugen hart auf dem Boden auf.

Nur undeutlich nahm sie wahr, dass dieser Kian aufgehört hatte zu singen. Er sprach in das Mikrofon, stellte sich vor und redete irgendetwas, das nicht richtig zu ihr durchdrang. Verzweifelt schlang sie die Arme um den Oberkörper und spürte das unkontrollierbare Zittern. Füße von Menschen, die sie nicht sahen, stießen gegen sie. Niemand half ihr auf. Sie spürte die Tränen über ihre Wangen laufen, heiß und unaufhaltsam. Es gab nichts, was sie dagegen tun konnte. Sie würde einfach hier sitzen bleiben, bis sich der Pub leerte und niemand mehr hier war, der sie bedrängen konnte. Sie machte sich klein, schlang die Arme um ihren Kopf, wollte Geräusche und Menschen ausblenden und nicht mehr sie selbst sein...

Zwei starke Hände packten sie plötzlich und zogen sie auf die Füße. Ihr erster Impuls war zu schreien, doch aus dem Augenwinkel sah sie die keltische Tätowierung auf der Innenseite des Unterarms und der Schrei blieb ihr in der Kehle stecken. Im nächsten Moment blickte sie in diese unendlich blauen Augen. Sie glänzten im gedämpften Licht des Pubs.

»Chris«, stieß sie atemlos aus.

Einen Augenblick waren sie sich so nah, dass sie seinen warmen Atem auf ihrem Gesicht spüren konnte. Dann trat er einen kleinen Schritt zurück, doch seine rauen Hände umfassten noch immer ihre Oberarme.

»Oh Mann, du weinst ja«, sagte er leise. Sie musste aussehen wie ein verflixtes Streifenhörnchen. Wer hätte schon damit rechnen können, dass sie wasserfestes Make-up benötigen würde?

»Brauchst du frische Luft?«

Sie nickte langsam. Ohne zu zögern, nahm er ihre Hand in die seine und bahnte ihnen einen Weg zum Ausgang. Hinter ihm zu gehen war leichter, als sich selbst durchzukämpfen. Chris schien so etwas wie eine natürliche Autorität zu besitzen, denn Nadeya war sich sicher, dass die Leute ihm nicht nur wegen seiner muskulösen Statur Platz machten. Er war ohnehin nicht überdurchschnittlich breit gebaut. Muskulös ja, doch er sah nicht aus, wie einer dieser übertriebenen Bodybuilder.

Ihr wurde jäh bewusst, was sie hier tat. Sie hielt die Hand eines Typen, den sie kaum... nein, eigentlich überhaupt nicht... kannte und ging mit ihm zum Ausgang. Er könnte wie diese Kerle von damals sein, nur nett verpackt. Doch stattdessen fühlte Nadeya sich vollkommen sicher mit ihm. Das Zittern ihrer Knie war verschwunden und es liefen keine Tränen mehr über ihre Wangen. Wie machte er das mit seiner bloßen Anwesenheit?

Am Ausgang drängten sie sich an Terry vorbei, der ihr einen fragenden Blick zuwarf. Der Türsteher griff unwirsch nach Chris Schulter.

»Hey! Lass sie los!«

Nadeya musste einfach lächeln. Es sah bestimmt kläglich aus, unter dem verschmierten Make-up. Chris blickte den großen, massigen Typen irritiert an.

»Schon gut, Terry«, beschwichtigte sie ihn rasch, doch ihre Stimme klang rau und ein wenig hilflos. Der Türsteher war in seinem Innern wohl eher ein Riesenteddy, als alles andere. Er war ein herzensguter Mensch und nur seines Studiums wegen verdiente er sich bei Joe ein wenig Geld.

»Alles okay bei dir?«, fragte er gerade und Nadeya spürte, dass Chris ihre Hand loslassen wollte. Sie griff nur umso fester danach und er tat ihr den Gefallen. Der leichte, angenehme Druck seiner Finger ließ sie ein wenig schaudern. Sie waren so warm...

»Ja, mach dir keine Gedanken«, gab sie zurück und lächelte Terry an. Chris zog sie weiter und sie folgte ihm durch die Tür nach draußen. Die kühle, angenehme Nachtluft roch nach Regen, doch kein Tropfen fiel vom Himmel.

»Dachte er, ich entführe dich, oder so?«

Sie lachte leise.

»Wahrscheinlich.«

Einen Moment standen sie schweigend voreinander. Nadeya lehnte sich an die Wand des Pubs und ignorierte die Blicke der Neuankömmlinge. Immer wieder wischte sie sich über das Gesicht und versuchte verzweifelt, die Make-up Streifen zu entfernen. Chris lächelte entschuldigend.

»Ich hab leider kein Taschentuch.« Er blickte sich kurz um, dann sprach er zwei Mädchen an, die gerade mit ihren High Heels über das unebene Pflaster staksten. Nadeya konnte nicht verstehen, was sie sagten. Kians Gesang erklang laut und voll aus der geöffneten Tür. Als Chris sich ihr wieder zuwandte, hielt er eine Packung Taschentücher in der Hand. Sein Lächeln, als er sie ihr reichte, war fast schüchtern. Ein wenig verlegen schnäuzte sie sich die Nase und wischte sich die Make-up Spuren vom Gesicht.

Kaum, dass sie das Taschentuch in der Hand zerknüllt hatte, stiegen ihr neue Tränen in die Augen. Sie konnte nichts dagegen tun. Ihr Brustkorb fühlte sich an, als würde er bersten. Sie schlang die Arme fest darum, kniff die Augen zu und presste die Kiefer aufeinander. Die Erinnerungen waren da, wie sie es vorhergesehen hatte. Hände, die grob ihren Körper berührten. Lippen, die unerlaubt die ihren küssten...

»Tut mir leid«, hauchte sie irgendwann. Er schüttelte den Kopf und lehnte sich neben ihr an die Wand. Er wirkte ziemlich hilflos und überfordert mit der Situation. Nadeya warf ihm einen flüchtigen Seitenblick zu. Sein Kopf war gesenkt. Ein paar blonde Haarsträhnen hatten sich aus seiner Frisur gelöst und hingen ihm im Gesicht.

»Du bist mir gefolgt«, sagte sie nach einer Weile, ohne ihn anzusehen.

»Joe hat gesagt, ich soll dir nachlaufen. Dabei hatte ich das ohnehin gerade vor.«

Sie hob den Blick und begegnete seinen durchdringend blauen Augen. Er grinste plötzlich.

»Er hat gesagt... und ich zitiere wörtlich, da ist nichts von mir hinzugedichtet... ich soll dir sagen, dass du deinen süßen Arsch sofort wieder hinter die Theke bewegen sollst oder du würdest ihn kennenlernen.«

Ihr wurde übel.

»War er wirklich sauer oder hat er das so nach Joe-Art gesagt?«

»Ich glaube, ein bisschen von beidem.«

Sie stöhnte leise. Das war‘s dann wohl mit der doppelten Bezahlung.

»Also?«

Irritiert blickte sie ihn an. Er musterte sie forschend.

»Was war los?«

Sie presste die Lippen aufeinander. Es war zu schwierig... Wie sollte sie ihm erklären... Aber das musste sie nicht. Vielleicht konnte sie ihn ablenken, wenn sie ihm sagte, weshalb sie so auf Kians Musik reagiert hatte.

»Dieser Kian ist dein Bruder?«, fragte sie, statt seine Frage offen zu beantworten.

»Du findest seine Musik nicht wirklich schlecht, oder?« Er lachte. Rasch schüttelte sie den Kopf.

»Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe seinen YouTube-Channel abonniert«, antwortete sie und grinste verlegen. »Aber ich war einfach geschockt, ihn da zu sehen.«

»Kennst du ihn?«

Abermals schüttelte sie den Kopf.

»Ich nicht. Aber meine Schwester, glaube ich.«

Er schien verwirrt. Und dann erzählte sie ihm die Geschichte von Khyras Unfall und dem Fremden, der sie einfach geküsst hatte. Im nächsten Moment stieß Chris sich von der Wand ab, um sie richtig ansehen zu können. Seine Augen waren geweitet.

»Das Mädchen, das Kian geküsst hat, war deine Schwester?« Er klang fassungslos. Nadeya nickte.

»Er hat es dir erzählt?« Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

»Deine Schwester dir offenbar auch.« Er grinste und sie musste lächeln.

»Aber eines musst du mir noch erklären. Woher wusstest du, dass Kian derjenige war?«

»Khyra war heute Morgen bei mir und hat mehr zufällig gesehen, dass ich ihn in meiner Playlist habe. Ehrlich gesagt dachte ich, er wäre ein ziemlicher Macho, weil er sie einfach geküsst hat. Wer macht sowas bitte schön?«

Chris lachte herzhaft.

»Er ist ja auch ein Idiot. Aber anders, als du denkst. Eigentlich ist er ganz in Ordnung.«

»Ich wollte einfach schnell zu ihr, sehen, wie sie auf ihn reagiert.«

Er nickte.

»Denkst du, sie wird ihn nachher ansprechen?«

»Keine Ahnung. Sie kann ein ziemlicher Feigling sein.« Sie merkte selbst, dass sich ihre Meinung über Kian geändert hatte, seit sie wusste, dass Chris sein Bruder war. Es war absurd. Bis vor nicht einmal einer halben Stunde hatte sie ihre Schwester von ihm fernhalten wollen. Und jetzt hoffte sie sogar, dass Khyra den Mut fand, ihn anzusprechen.

Unequally Love

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