Читать книгу Dämonenstern - S.C. Keidner - Страница 10
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ОглавлениеNachdem Mac das Briefing für beendet erklärt hatte, war es dunkel. Rio war sofort aufgesprungen, um seine Familie anzurufen. Neo, Teresa und Jian steckten die Köpfe zusammen und besprachen ihre Ausrüstung. Brooklyn und Mac debattierten die Biosuits. Gennady und Anders diskutierten Computerplatinen in der Steuerung der Raumfähre.
Lissa verließ den Raum. Sie hatte Hunger, aber für das Abendessen war es zu früh. An einem Snackautomaten zog sie sich eine Tüte Gummibärchen, stand eine Weile an einem Fenster, von wo aus sie auf die schneebedeckte Taiga starrte, und schlenderte schließlich den Gang hinunter, um den Aufzug zur E-Bahn zu nehmen. Sie dachte über die Ausrüstung nach, die sie mitnehmen mussten. Eine ausreichende Anzahl an Probenkästen, das war klar. Die benötigten Analysegeräte musste sie mit Rio besprechen. In jedem Fall brauchten sie genügend Kühlschrankraum. Und eine Sonde zur Gewässeruntersuchung. Sie würden zwar eine Steinwüste erforschen, aber die Daten des Rovers wiesen auf Wasservorkommen hin.
So vertieft war sie in ihre Überlegungen, dass sie nicht aufpasste, als sie um eine Ecke bog und in jemanden prallte, ihr Blickfeld ausgefüllt von einem weißen Wollpullover, in dem ein sehniger Oberkörper steckte. Verwirrt hob sie den Kopf. Es war Anders, der sie angrinste.
„Entschuldige, ich habe dich nicht gesehen.“
„Nichts passiert.“ Er deutete auf die Packung Gummibärchen. „Das ist reiner Zucker!“
„Klingt, als hättest du schon zu viel Zeit mit Rio verbracht.“
„Stimmt, seine Vorträge über die richtige Ernährung färben ab.“
Lissa lachte und bot ihm die Tüte an, aber er schüttelte den Kopf. „Nein, danke. Kennst du Rio schon lange?“
„Schon einige Jahre. Er war mein Dozent an der Uni.“
„Und die anderen? Hast du die vorher schon einmal getroffen?“
„Nein, bis auf Mac nicht. Er war einer meiner Trainer bei der Astronautenausbildung. Und du?“
„Auch nicht. Das heißt, ich glaube, ich habe mal einen Artikel von Jian gelesen. Aber das war’s dann auch schon.“
Während sie sprachen, waren sie zum Aufzug gegangen und hineingestiegen. „Wohin?“, fragte Anders.
„Zu E-Bahn. Ich will vor den Abendessen nochmal in mein Zimmer.“
„Hm. Vorschlag: Bis zum Abendessen spielen wir eine Runde Billard. Damit du mal gegen jemanden spielst, der das kann.“
Rio hatte also von ihrem Wettkampf am Billardtisch, den er so häufig verlor, erzählt. „Dass Rio das bloß nicht hört. Aber gerne. Und bereite dich darauf vor, zu verlieren.“
Ein leichtes Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Um was spielen wir?“
„Wie wäre es mit dem Abendessen? Ich habe Hunger, trotz der Gummibärchen.“
„Einverstanden. Ein Spiel, der Gewinner bekommt das Abendessen in der Kantine seiner Wahl spendiert.“
Es war ein hartes Match, das Lissa nur knapp verlor. Und es dauerte sehr viel länger als die fünfzehn Minuten, die er, so hatte Anders großspurig erklärt, brauchen würde, um sie zu besiegen.
„Du hast nur gewonnen, weil die eine Kugel vorhin so komisch gelaufen ist! Bestimmt bist du an den Tisch gestoßen! Vorsätzlich!“, beschwerte sie sich, nachdem er den schwarzen Spielball versenkt hatte.
„Alles Ausreden. Ich habe gewonnen. Also, mir ist nach Thai. Große Kantine?“
Sie seufzte tief. „Du hast geschummelt und ich werde rausfinden, wie, das glaub mir.“
Anders grinste und deutete eine Verbeugung Richtung Tür an. „Nach dir, meine Liebe.“
Lissa versöhnte sich rasch mit ihrem Schicksal. Anders war ein guter Gesellschafter. Als sie mit Nudeln und im Wok gebratenen Fleisch vor sich in der Kantine saßen, erfuhr sie, dass er in den USA geforscht und keine Familie hatte. Er schob sich ein Stück Fleisch in den Mund. „Und du? Familie? Mann?“
„Nein. Ich habe keine direkte Familie.“ Sie wollte nicht weiter ins Detail gehen. Sobald sie sagte, dass sie bei einer Pflegemutter aufgewachsen war, herrschte normalerweise betroffenes Schweigen. Anni hatte einmal böse gesagt, dass die Leute sofort an schwer erziehbare Kinder oder drogenabhängige Jugendliche dachten, wenn sie das Wort ‚Pflegeeltern‘ hörten. „Und was Männer angeht: Ich bin einfach zuviel unterwegs. Es kommt nicht gut an, wenn man statt des Urlaubs am Meer an seinen Forschungsprojekten arbeitet.“
Es war Ben gewesen, der sie mit einem Flug nach Nizza hatte überraschen wollen, nur, um von ihr gesagt zu bekommen, dass das genau das Wochenende war, an dem sie endlich einen der Reinräume für ihre Experimente nutzen konnte. Er wollte nicht verstehen, warum sie ein Wochenende angetan mit Schutzanzug und Atemmaske ein paar Tagen mit ihm in Nizza vorzog. Sie warf Ben vor, ihre Forschungskarriere nicht ernst zu nehmen. Es war der Anfang vom Ende ihrer Beziehung gewesen.
„Ich kann es nachvollziehen. Bei Frauen kommt es übrigens nicht gut an, wenn man während eines romantischen Dinners laut über Plasmatriebwerke nachdenkt.“
„Das glaube ich unbesehen“, erwiderte sie trocken.
Anders lachte. „Wie bist du eigentlich Astrobiologin geworden?“
Lissa erzählte ihm von ihrem Studium, dann von Anni und Carl und ihrer gemeinsamen Wohnung in Frankfurt.
„Hast du schon immer da gelebt?“
„Erst seit ein paar Jahren. Meine erste Stelle war an der Universität in Frankfurt. Und die Uni arbeitet an Forschungsaufträgen mit der GSA. So konnte ich nach meinem Wechsel zur GSA erst einmal da wohnen bleiben.“
„Und vorher?“
„Ich komme ursprünglich aus der Nähe von Hamburg. Studiert habe ich in Berlin und in Kanada, in Toronto, und promoviert in Heidelberg.“
„Und jetzt wurde es dir langweilig und du bist Astronautin geworden.“
„Stimmt wohl.“ Sie lächelte und sagte versonnen: „Für mich erfüllt sich mit dieser Mission ein großer Traum. Schon als Kind habe ich mich gefragt, wie es auf anderen Planeten aussieht und mich zu den Sternen gewünscht.“
Seine Miene war unergründlich, als er sie mit diesen dunklen Augen musterte, die sie an tiefe Seen erinnerte. Waren sie braun oder schwarz? Sie konnte es nicht sagen.
„Mond und Mars haben nicht gereicht?“, fragte er.
„Der Mars wäre meine zweite Wahl gewesen. Für Astrobiologen ist Welt 001 aber viel interessanter. Ich bin gespannt, wie das wird. Die Erde in einem anderen Universum. Die eine ganz andere Entwicklung durchlaufen hat.“ Sie erinnerte sich an Carls Kommentare und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Mein Mitbewohner hat mich gewarnt. Er befürchtet, dass ich dort einer Doppelgängerin begegne.“
„Nun, die Gefahr scheint nicht zu bestehen. So, wie es aussieht, werden wir vier Wochen lang Wüste, Fels, Staub und Sturm erleben.“
„Gut zusammengefasst. Aber es gibt auch tierisches und pflanzliches Leben, vergiss das nicht!“
„Das ist dein Job. Meiner ist sicherzustellen, dass die Technik funktioniert. Den Rest überlasse ich euch.“
„Komm schon, das ist doch auch für dich spannend! Wer weiß, vielleicht finden wir so etwas wie einen Yeti! Oder Bigfoot!“
„Yeti oder Bigfoot?“ Jetzt sah er verwirrt aus.
„Du weißt schon, geheimnisvolle menschenähnliche Wesen, von denen es nur verwackelte Fotos gibt und die man nie findet.“
Anders lachte lauthals auf. „Da bin ich ja mal gespannt! Aber, wie gesagt, das ist euer Bier, deins und Rios.“
Sie tranken noch einen Kaffee und kehrten zu den Quartieren zurück, wo Anders sich verabschiedete. „Ich will noch ein wenig auf dem Laufband trainieren.“
„Gut, dann vertage ich meine Revanche am Billardtisch auf morgen.“
„Es wird eine weitere Niederlage für dich werden“, prophezeite er und verschwand die Treppe hinauf, bevor sie protestieren konnte.
Sie lächelte, als sie ihr Zimmer betrat und Max anwies, ihr ein Bad einzulassen. Es war ein guter Tag gewesen. Das Team war in Ordnung und das Essen mit Anders hatte Spaß gemacht. Billard auch, obwohl Anders ganz bestimmt gemogelt hatte. Doch dann runzelte sie die Stirn. Erst jetzt fiel ihr auf, dass er kaum etwas über sich erzählt hatte, sie aber umso mehr über sich. Sie würde das nächste Billardspiel nutzen, um das zu ändern, denn der große Schwede mit den dunklen Augen interessierte sie. Sehr sogar.