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Alocas, Soldat der Schwadronen, war von einer Erkundung zurückgekehrt, als sein Kommandant ihn zu sich rief.

Er hatte am Tag zuvor eine Gelehrte, die sich weigerte, nach Nyx zurückzukehren, auf der Wasserwelt Pontos aufgespürt. Es war eine einfache Erkundung gewesen. Die Gelehrte ließ sich durch ihren Kommunikator leicht orten. Sie war mit einem der Nicors, der Wassermänner, zusammen und beschwor Alocas sie laufen zu lassen. „Bitte, Soldat, er ist mein Seelengefährte!“, hatte sie unter Tränen gefleht. Alocas hatte den Kopf geschüttelt. Das Dekret besagte, dass alle zurückkehren mussten, ohne Ausnahme. Er löschte die Erinnerung des Wassermanns und brachte die Gelehrte zurück. Was er den Gefängniswärtern übergab, war eine gebrochene Frau, aber es war ein Auftrag gewesen. Er erledigte Aufträge ohne Wenn und Aber.

„Hubur, der Vorsitzende des Hohen Rats, hat eine neue Erkundung für dich“, informierte ihn der Kommandant.

Sie standen auf der Galerie einer der Trainingshallen und beobachteten den Drill der Rekruten auf der weiten Fläche unter ihnen. Sie übten Verteidigungstechniken des Nahkampfs, warfen mit lautem Brüllen ihre Trainingsgegner zu Boden. „Es geht um Gaia. Er möchte mehr Informationen über die Portaltechnologie, die sie dort entwickeln.“

Alocas war überrascht. Nicht so sehr, dass man ihn für eine Erkundung auf Gaia ausgewählt hatte. Er kannte sich mit gaianischen Gepflogenheiten bestens aus, sprach die notwendigen Sprachen und musste sich als Angehöriger des Volks der Syd nicht wandeln, sein Aussehen nicht verändern. „Aber wäre das nicht etwas für einen Gelehrten? Gut, ich habe die Vorbildung, um die Gaianer zu täuschen, könnte aber nicht die Forschungen über die Technologie anstellen, die der Hohe Rat erwartet.“

„Es geht um die Sammlung von Informationen, nicht um Forschungen. Hubur vermutet, dass es bei der Entwicklung der Technologie nicht mit rechten Dingen zugeht. Falls diese Vermutung zutrifft, möchte er einen Soldaten vor Ort wissen. Er erwartet dich im Portalraum.“

Damit begab Alocas sich zum Portalraum, der in der sechzehnten und untersten Ebene Sakallas, der Hauptstadt von Nyx, lag. Man erreichte den Raum nur über die Säle des Hohen Rats. Hubur und seine langjährigen Weggefährten, die drei anderen Ältesten, hatten so volle Kontrolle über diesen Raum und über die Schlüssel, mit denen man temporäre Portale schaffen konnte.

Bis auf ein gelegentliches leises Wummern, das die Ankunft eines Transports in der zwei Ebenen höher gelegenen nördlichen Station ankündigte, war es still. Die Wände des Raums, der im Kontrast zu seiner gewichtigen Rolle als Durchgang zu den Sphären klein und unscheinbar erschien, bestanden aus grauschwarzem Gestein, in dem Mineralkörner funkelten. Die beiden Portalwächter hielten sich diskret im Hintergrund. Orange und rot glühende Lichtpunkte neben der Tür zeigten, dass die Kraftfelder aktiv waren. Wäre Alocas Biosignatur nicht als für den Portalraum autorisiert geführt worden, hätten ihn die Kraftfelder in ein Stück gegrilltes Fleisch verwandelt.

An Mobiliar gab es einen Eisentisch, an ihm eine Bank aus verschlungenem Drahtgeflecht. Ein kleiner Metallkasten befand sich auf dem Tisch. Die Gasleuchte an der niedrigen Decke warf ein schummriges gelbes Licht und die reihum an den Wänden montierten mannshohen Portale waren, bis auf das, vor dem sie standen, schwarz. Der Tunnel nach Gaia warf eine blendende Lichtspur auf den felsigen Boden.

„Dein Kommandant wird dir gesagt haben, dass es um die Portaltechnologie auf Gaia geht“, begann Hubur, nachdem sie sich grüßend zugenickt hatten. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken. Sein Umhang raschelte auf dem Steinboden. „Sie haben vor mehr als zehn Sonnenumrundungen mit der Entwicklung angefangen, es aber bis vor kurzem nicht weit gebracht. Gelehrte, die wir über die Jahre eingeschleust hatten, berichteten von Problemen mit der Energieversorgung und der Stabilisierung der Tunnel, die die Gaianer nicht in den Griff bekamen. Wir waren der Meinung, dass es mindestens noch zwei Generationen dauern würde, bis sie Portale zu den Sphären erschaffen können. Es sah sogar so aus, als würden sie die Entwicklung der Portaltechnologie ganz aufgeben. Also zogen wir unsere Beobachter ab.“ Er krauste die Stirn. „Nun, es hat sich gezeigt, dass wir uns geirrt haben. Vor knapp einer Sonnenumrundung konnten sie plötzlich einen stabilen Tunnel erzeugen. Und haben jetzt eines ihrer Raumschiffe zu der Welt am anderen Ende des Tunnels geschickt.“

Alocas hob die Augenbrauen. Das war tatsächlich ein rasanter Fortschritt.

„Wie du weißt, haben wir, als wir von den stabilen Tunneln erfahren haben, das Reisen zu den anderen Sphären erst einmal verboten. Zu allen Sphären, um sicherzugehen. Diese schnelle Entwicklung war uns nicht geheuer.“

„Du vermutest, dass jemand ihnen geholfen hat.“

„Ja“, bestätigte Hubur düster. „Wieso und warum, kann ich nicht sagen, aber die Gaianer haben von einem Tag auf den anderen fundamentale Änderungen an ihrer Technologie vorgenommen, die die gewünschten Resultate erbrachten. Technologie entwickelt sich von alleine nicht so schnell.“

„Jemand von Nyx, ein Gelehrter, hat geholfen?“

„Ja.“

„Weißt du, wer?“

„Nein.“

Alocas musterte den Ratsvorsitzenden verwirrt. „Aber du bist sicher, es war ein Nyxaner?“

„Soweit wir bei den jetzigen Erkenntnissen sicher sein können. Das Raumschiff, das den Tunnel durchquert hat, ist auf der Welt, die sie entdeckt haben, gelandet. Es war unbemannt. Sie setzen dort ein Fahrzeug ein, das Bilder macht. Ein paar von denen sind jetzt veröffentlicht worden, der Portalwächter auf Gaia hat sie geschickt. Eines zeigt die drei Monde.“

Alocas runzelte die Stirn. Die besondere Form der Monde von Nyx – drei unregelmäßige Kugeln umgeben von Ringen aus grauem Eis und Gesteinsbrocken – war unverwechselbar. Die Gaianer hatten Nyx entdeckt. Oder eine Sphäre, die Nyx sehr ähnlich war.

Hubur fuhr fort: „Die Bilder reichen nicht, um mit Sicherheit zu sagen, ob es sich um Nyx handelt. Oder um den Ort, an dem sich der Tunnel öffnet, zu bestimmen. Auf keinem sind Sternbilder zu erkennen. Die Bilder zeigen eine Wüste. Wir suchen mit Gleitern nach dem Raumschiff und dem Fahrzeug, aber das Gebiet, wo sie sein könnten, ist riesig.“ Nyx hatte einen Kontinent, Rydinia, der etwa ein Drittel des Planeten ausmachte. Zwei Drittel waren von Wasser bedeckt. Die Küstenregionen waren bevölkert und fruchtbar. Im Innern des Kontinents lagen gigantische Trockengebiete. Diese Gebiete, meist Steinwüsten, waren unbewohnt, wenn man von verstreuten Erzminen und Eremiten, die sich einem Leben in der Wildnis verschrieben hatten, absah. Es gab Bergketten, deren Aussehen sich unter dem Einfluss von Wind und Wetter ständig veränderte. Felszinnen wurden innerhalb weniger Sonnenumrundungen zu flachen Hügeln, während anderswo der Sturm neue Felsformationen vom Sand befreite. So boten die Wüsten kaum Anhaltspunkte für Ortsbestimmungen, es sei denn, man hatte einen klaren Himmel mit freier Sicht auf Sternbilder.

„Könnten wir die Fahrzeuge oder den Tunnel nicht über Radiowellen orten?“

„Wir versuchen es, bisher aber ohne Erfolg. Der Tunnel wurde verkleinert, um Energie zu sparen und ist daher nicht zu orten. Was das Fahrzeug angeht, hat der Portalwächter herausgefunden, dass es in unregelmäßigen Abständen und nur sehr kurz Daten sendet, auf wechselnden Frequenzen und mit einem Verschleierungssignal. So können wir es nicht finden. Oder wir finden es nicht, weil sich das Fahrzeug nicht in unserer Sphäre befindet. Das wäre der beste Fall.“

„Also ist meine Aufgabe, festzustellen, wo sich der Tunnel öffnet. Beziehungsweise, ob sie tatsächlich Nyx gefunden haben.“

„Ja, das ist dein dringlichster Auftrag.“ Hubur seufzte. „Aber es gibt eine weitere Komplikation: Die Gaianer haben angekündigt, eine Expedition zu schicken. In etwas weniger als einer Sonnenumrundung.“

Alocas zischte einen Fluch und Hubur nickte. „Wir werden dich in die Anlage der Gaianer einschleusen. Und in das Expeditionsteam. Wie gesagt, dein dringlichster Auftrag ist, festzustellen, ob sie tatsächlich Nyx gefunden haben. Falls nicht, kannst du zurückkehren. Falls doch, nimmst du an der Expedition teil. Deine Aufgabe wird dann sein, uns Informationen über die Portaltechnologie und ihre schnelle Entwicklung zu beschaffen. Mit Fokus auf die Identifizierung desjenigen, der das alles ermöglicht hat. Es ist anzunehmen, dass er an der Expedition teilnimmt. Warum hätte er helfen sollen, den Tunnel zu bilden, wenn er ihn nicht nutzt?“

„Du glaubst, dass er sich noch in der Anlage befindet?“

„Es wäre möglich. Trotz des Dekrets gibt es immer noch Gelehrte, die nicht zurückgekommen sind. Du selbst hast ja gerade erst jemanden zurückgeholt. Die Liste derjenigen, die auf Gaia verschollen sind, und alle anderen Informationen zu deiner Erkundung findest du da.“ Er deutete auf den auf dem Tisch stehenden Metallkasten. „Es sind insgesamt vierzehn Nyxaner, zwölf Gelehrte und zwei Soldaten, die noch unter Davdrut auf Gaia verschwunden sind. Vielleicht sind die beiden Soldaten tot, wer weiß. Aber wir haben keine Wahl, wir müssen sie finden. Bei unserer Langlebigkeit besteht die Chance, dass sie noch nicht gestorben sind. Kameraden von dir befinden sich auf Gaia, um sie zu suchen. Wir sagen dir Bescheid, sobald sie jemanden gefunden haben, das reduziert die Anzahl der Verdächtigen. Es sind Bilder der Gelehrten dabei, aber verlasse dich nicht darauf. Derjenige, den wir suchen, wird sich wahrscheinlich gewandelt haben. Er wird sich schon länger auf Gaia aufhalten.“

Das machte Sinn. Eine Wandlung, das Suggerieren eines anderen Aussehens mithilfe von Geisteskräften, war normalerweise nicht zu durchschauen. Als es gelungen war, Biosignaturen, die einzigartige chemische und biologische Zusammensetzung jedes Lebewesens, zu identifizieren, hatte man die Kraftfelder um den Portalraum entsprechend eingerichtet. Biosignaturen änderten sich durch Wandlung nicht. Auch waren sie zu komplex, um den Kraftfeldern mit Geisteskräften suggerieren zu können, dass man die Signatur einer autorisierten Person hatte. So reisten nur die, die der Rat dazu ermächtigt hatte. Allerdings war dieser Durchbruch erst vor wenigen Sonnenumrundungen gelungen. Davor hatte man gewandelt durch die Portale reisen können, ohne dass es auffiel.

„Warum sollte jemand von Nyx den Gaianern helfen wollen?“ Alocas nahm den Metallkasten an sich. „Wenn, dann war es ein Gelehrter, der so und so zu den Sphären und zurück reisen durfte. Warum sollte so jemand einen derartigen Aufwand treiben wollen, um einen Tunnel nach Nyx zu bekommen?“

„Das ist es, was wir nicht verstehen. Wenn der Tunnel nach Nyx führt, macht es, wie du richtig sagst, keinen Sinn. Und wenn er zu einer Nyx ähnlichen Sphäre führt? Keine Ahnung. Wir hoffen, dass deine Erkenntnisse uns weiterhelfen werden.“

„Und dass niemand den Gaianern geholfen hat, ist nicht wahrscheinlich?“

„Möglich wäre es. Einige der Gelehrten sind der Meinung, dass die Gaianer die Portaltechnologie selbst entwickeln können. Und durchaus auch schnell. Dass sie ausgerechnet einen Tunnel nach Nyx öffnen, liegt auch im Rahmen des Möglichen, sagen sie. Man kann theoretisch zwar Tunnel zu jeder Sphäre öffnen, aber stabile Tunnel, durch die man reisen kann, gibt es nur zu wenigen. Wir selbst haben ja sechzehn, was in Anbetracht der unendlich vielen Sphären vergleichsweise lächerlich ist. Ein Gelehrter meint, dass unser Tunnel nach Gaia zu einer Anomalie führt, die den Gaianern bei der Suche nach stabilen Tunneln die Sphären liefert, zu der es schon welche gibt. Also Nyx.“

„Verstehe. Es ist also alles möglich.“ Das machte seine Erkundung nicht einfacher. Jemanden zu suchen, von dem man nicht wusste, ob es ihn überhaupt gab und wie er aussah, würde schwierig werden. Aber eins nach dem anderen: Zunächst musste er feststellen, ob die Gaianer tatsächlich Nyx gefunden hatten. Vielleicht löste sich das Ganze so in Wohlgefallen auf.

„Ja, du darfst nichts ausschließen. Im besten Fall haben sie alles selbst entwickelt und nur eine Sphäre, die Nyx ähnlich ist, gefunden. Im schlechtesten Fall-“ Er stockte. „Wir müssen gegebenenfalls Maßnahmen gegen die Gaianertechnologie ergreifen. Deswegen wollte ich einen Soldaten dort einschleusen und keinen Gelehrten.“

Alocas nickte. Notfalls musste die Gaianertechnologie zerstört werden. „Verstanden. Wie kommunizieren wir?“

„Durch den Tunnel“, sagte Hubur. „Der Schlüssel, den du in dem Kasten findest, lenkt ihn auf deinen jeweiligen Aufenthaltsort auf Gaia. Du kannst ihn nutzen, um zu kommunizieren und im Notfall schnell zurückzukehren. Das aber wirklich nur im Notfall. Nimm das permanente Portal für Reisen.“ Um einen Tunnel passieren zu können, musste man ihn vergrößern. Dazu benötigte man ungeheure Mengen an Energie, was wegen des daraus entstehenden Lärms und Bebens der Erde nicht unbemerkt bleiben würde. In den Sphären waren permanente Portale daher in einsamen Gegenden eingerichtet. Die Kommunikation hatte diese Auswirkungen nicht.

Hubur räusperte sich. „Noch etwas: Nur wenige wissen von dieser Erkundung. Neben mir und deinem Kommandanten auch meine Stellvertreterin Jeqon, die drei anderen Ältesten und ein paar Gelehrte, denen ich vertraue. Sprich also mit niemandem darüber. Solange wir nicht wissen, ob und warum den Gaianern geholfen wurde, will ich es bei diesem kleinen Kreis belassen.“

„Verstanden“, wiederholte Alocas.

„Wir haben den Tunnel zu der Gegend, in der du tätig wirst, umgelenkt, damit du dir ein erstes Bild machen kannst.“ Hubur deutete auf das erleuchtete Portal, in dem sich ein Bild von Gaia in einer Kugel zeigte, die umrahmt war von dem verzerrten Spiegelbild des Portalraums. Flaches Land mit weit auseinanderstehenden Bäumen auf dicken Teppichen aus niedrigen mit Schnee überstäubten Sträuchern, Gräsern und Moosen, aus denen vermodertes Holz ragte. Ein blassblauer wolkenloser Himmel darüber. Grelles Sonnenlicht. Zwischen den Bäumen der Ausblick auf eine große Ansammlung von Bauwerken, die umgeben waren von einer doppelten Zaunreihe, hinter der Wachposten in dunklen Uniformen patrouillierten.

„Du wirst morgen reisen. Finde dich beim ersten Tageslicht hier ein, ich werde das Portal öffnen. Der Portalwächter wird dich auf Gaia erwarten, ausstatten und unterweisen.“ Hubur sah Alocas scharf an. „Es versteht sich von selbst, Soldat, aber ich sage es trotzdem: Sei vorsichtig. Wir müssen auf Gaia jedes Aufsehen vermeiden. Es ist aufwändig, dich einzuschleusen, da die Gaianer hohe Sicherheitsvorkehrungen haben. Ist das klar?“

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