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Sie hatte es zufällig mitbekommen, ausgerechnet auf dem WC, auf das sie sich geflüchtet hatte, um ein paar Minuten niemanden um sich zu haben.

Es war nach der Session im Auditorium gewesen, die sie zugleich angestrengt und amüsiert hatte. Den ganzen Tag waren zu viele Gaianer um sie gewesen, hatten sie bedrängt, ihre Meinung wissen wollen. Gleichzeitig war es spaßig zu sehen, mit welcher Ernsthaftigkeit die Gaianer Steine, Echsen und Flechten untersuchen wollten. Wenn sie überhaupt noch dazu kommen würden.

Sie hatte die Tür des WCs geschlossen, als Putzleute, begleitet von einer Wolke penetranten künstlichen Zitronendufts und dem Surren eines Putzroboters, hereingekommen waren. Die Frau und der Mann hatten sie nicht bemerkt. Sie regten sich über die Demonstranten auf. Der Mann nannte die Demonstranten ‚arbeitsfaules Pack‘. Die Frau mutmaßte, dass es sich um Kinder von Reichen handelte, die wohl noch nie ihren Lebensunterhalt verdienen mussten. So ging es eine Weile weiter und war augenscheinlich wichtiger, als mit der Reinigung der Waschbecken oder Toilettenschüsseln zu beginnen.

Morrigu hatte kurz zugehört und verächtlich über die beiden Dummköpfe gelächelt. Dann drifteten ihre Gedanken ab zu Nyx und Haagenti. Bis die Frau sagte: „... arbeiten können sie nicht! Aber unsere Jobs kaputtmachen, das können sie!“

„Was meinst du?“, fragte der Mann. Etwas schepperte und er fluchte über den Putzroboter, dessen Surren abrupt aufgehört hatte.

In dem Moment der Stille, der folgte, konnte Morrigu förmlich spüren, wie die Frau sich umsah, bevor sie sagte: „Ich hab' gehört, dass die wen hier auf dem Gelände haben. Der was Größeres plant.“

„Wie, was Größeres?“

„Na ja, ich hab' gehört, dass die Demonstranten sagen, dass Demonstrieren nichts nützt. Man muss zu rabiateren Mitteln greifen. Der in der Anlage kümmert sich angeblich darum.“

Morrigu erstarrte. Sie hielt den Atem an, um ja nichst zu verpassen.

„Ja, wenn man kein Geld verdienen muss, kann man sich so einen Scheiß ausdenken!“, regte sich der Mann auf. „Komm, wir gehen eine rauchen, dann kannst du mir mehr erzählen. Dieser Scheißroboter ist sowieso hinüber, den können wir auf dem Weg bei Facilities zur Reparatur abgeben.“

„Na ja, mehr ...“ Das Zischen der sich öffnenden und schließenden Tür übertönte die Antwort der Frau.

Morrigu war hinterhergeeilt, hatte sich das Aussehen der Frau gemerkt. Es war ein Einfaches, sie einen Tag später abzufangen und zu überzeugen, ihr alles zu erzählen, bevor sie sie gehen ließ, natürlich nicht ohne ihre Erinnerung an das Zusammentreffen zu löschen. Die Frau rückte mit dem Namen Louis heraus. Ein Chemiker, der im Labor arbeite.

Von dem, was die Frau wusste, war unklar, ob die Demonstranten tatsächlich einen Anschlag planten oder es sich nur um kriegerische Rhetorik handelte. Aber Morrigu konnte es nicht darauf ankommen lassen. Es war schon zu viel schiefgegangen. Wenn die Möglichkeit bestand, dass die Wurmlochtechnologie beschädigt wurde, musste sie das verhindern. Sie musste herausfinden, was es war, das die Demonstranten planten, und ob dieser Louis Mittäter hatte. Notfalls musste Louis sterben.

Sie kannte Louis Flechet, den Geochemiker. Ein Einbruch in die Personaldatenbank bestätigte ihr, dass er der einzige Louis in der Anlage war. Er war kein Gegner für sie. Aber sein etwaiger Tod wollte gut geplant sein. Das Ziel war die unauffällige Eliminierung eines Faktors, der ihre Pläne stören konnte. Es musste so vonstattengehen, dass niemand unbequeme Fragen stellte. Falls nötig, würde Louis eines natürlichen Todes sterben.

Irgendwie bedauerte sie das, genoss sie es doch, mit ihrer Beute zu spielen. Die Momente, in denen der Beute klar wurde, dass sie in Kürze starb, waren die aufregendsten. Die Todesangst in den sich weitenden Augen, das kaum noch unterdrückte Zittern des Körpers, ein letzter erfolgloser Fluchtversuch.

Vielleicht gelänge es ihr, trotzdem etwas Spaß mit ihm zu haben. Seine Personalakte hatte ihr verraten, dass Louis unter Herzrhythmusstörungen litt, gegen die er Betablocker einnahm. Da wäre es nicht verwunderlich, wenn sein Herz aufhörte zu schlagen, oder?

Der Geochemiker arbeitete gerne nachts, was es ihr einfach machte, ihn allein abzupassen. Also ging sie eine Nacht später ins Labor. Außer Louis würde niemand mehr da sein.

Die Kameras vor und in den Laboratorien stellten kein Problem dar. Nachdem sie sie mit ihren Geisteskräften manipuliert hatte, zeigten sie Standbilder von leeren Fluren und einem leeren Labor. Es würde etwas dauern, bis jemandem das auffiel.

Der Öffnungsmechanismus der Tür war leicht zu überwinden. Sie war für das Labor autorisiert, also ließ der Retinascanner sie durch. Dann befahl sie dem elektronischen Gehirn, ihre Zugangsdaten zu löschen. Sie hatte viel Zeit damit verbracht, ihre Fertigkeiten zu perfektionieren, Überwachungsgeräte zu verstehen und herauszufinden, wie sie sie überlisten konnte. Das zahlte sich nun aus. Einem Wachroboter, der ihr auf dem Weg begegnet war, hatte sie ebenfalls den Speicher gelöscht und ihn ans andere Ende des Gebäudes geschickt. Das Wachpersonal patrouillierte nur alle paar Stunden. Sie würde genug Zeit haben.

Das Labor war, bis auf den an seinem hinteren Ende über einen Bildschirm gebeugten Louis Flechet, menschenleer. Die hellen Lampen erleuchteten die Rechenanlage, Terminalplätze, lange Schrankreihen mit Laborgeräten und blitzsauber polierte Metalltische.

Ihre Schritte klangen auf dem grauen PVC-Boden dumpf. Louis fuhr hoch und drückte eine Taste. Auf dem Bildschirm erschien die Aufnahme einer Gesteinsformation. Wenn sie nicht alles täuschte, hatte er vorher auf eine technische Zeichnung gestarrt.

Interessant.

„Ach, Sie sind es“, sagte er und wandte sich wieder dem Bildschirm zu. „So spät noch hier?“

„Da scheine ich ja nicht die Einzige zu sein. An was arbeiten Sie?“

„Der Rover ist an der freistehenden Felsformation zwischen den Dünen angekommen und hat neue Bilder geschickt.“ Louis deutete auf den Monitor. „Ich schaue mir die Sedimentschichten an.“

„Und, gibt es schon etwas Interessantes?“

„Von der Korngröße her ist es eine Art Schotter, der mit Glimmer durchsetzt ist.“ Sein entnervter Blick gab ihr deutlich zu verstehen, dass er mit den Sedimenten allein sein wollte. „Was treibt Sie her?“

„Ich? Ich bin auf der Suche nach Spaß.“ Sie lehnte sich gegen die Kante des Tisches. Seine Smartwatch war neben dem Bildschirm abgelegt. Das wurde wirklich immer einfacher.

„Spaß?“

„Ja.“ Morrigu hob die Hand und strich ihm mit der Rückseite der Finger leicht über die Wange. Sie fühlte sich kratzig an, die letzte Rasur war wohl schon länger her. „Spaß.“

Louis lief feuerrot an. Er schob hastig den Stuhl zurück. „Ähem“, krächzte er. „Also, äh, nichts für ungut, aber-“

„Oh nein, nicht die Art von Spaß. Ich habe etwas anderes im Sinn. Aber bevor wir dazu kommen, Louis: Was hast du mit den Gegnern des GSA-Centers zu tun?“

Seine Gesichtsfarbe wechselte innerhalb von Sekunden von rot zu weiß. „Geg ... Gegner des Centers? Was meinen Sie?“

„Ich habe dich gefragt, was du mit den Gegnern des GSA-Centers zu tun hast. Ist das so schwer zu verstehen?“

„Ich habe nichts mit denen zu tun ... nichts!“ Seine Stimme war nach oben geklettert.

„Du lügst.“

„Hören Sie, ich weiß nicht, was Sie von mir wollen! Ich-“

„Louis, sieh mich an.“

Es war so einfach, einen Gaianer zu beeinflussen. Louis saß da wie das Kaninchen vor der Schlange, die Augen weit aufgerissen. Eigentlich wollte er aus dem Labor fliehen, aber sie ließ nicht zu, dass er sich bewegte. Auf seiner Stirn standen trotz der angenehmen Kühle im Raum Schweißtropfen. Sie sah durch seine Augen, die Fenster der Seele, in sein tiefstes Innerstes.

Nowosibirsk. Ein Café. Männer, die zu den Demonstranten gehören. Streitgespräche. Der Sabotageplan. Der Wachmann, der die Bombe platzieren wird, die Louis in seinem Zimmer baut.

Sie kappte die Verbindung.

„Eine Bombe, Louis? In der Energiegewinnung?“

Er gab ein Ächzen von sich.

„Das kann ich nicht zulassen. Sag mir, wovor hast du die größte Angst?“

Louis brachte ein „Was?“ hervor.

Sie drang wieder in seinen Kopf ein. Wovor hast du die größte Angst?

Ein Bild formte sich. Louis starrte sie hilflos an. Seine Augen waren blutunterlaufen und seine Halsschlagader pochte hektisch. „Langweilig, aber gut, wenn’s das ist. Vielleicht kann ich es ein wenig aufpeppen.“

Er verstand nicht, warum er sich in diesem düsteren Gang wiederfand. War er nicht im Labor gewesen ? Jetzt hielt er eine Fackel. Die Flamme zischte und warf Schatten an die Wand. Wieso war er hier?

Kaum hatte er die Frage gedacht, erinnerte er sich. Ja, natürlich. Am Ende des Gangs würde er etwas finden, das seine Forschungen mit einem Quantensprung voranbrachte. Seltsamerweise konnte er sich nicht daran erinnern, was das sein würde, aber das war jetzt egal. Eifrig schritt er aus. Der Gang war sandig und grob in rotes Gestein geschlagen. Auf den Wänden hatte jemand runenartige Schriftzeichen hinterlassen. Der Gang wurde schmaler und niedriger. Louis musste den Kopf einziehen, aber er beachtete diese Unbequemlichkeit nicht. Sein Herz klopfte in Erwartung eines sensationellen Fundes. Sein Atem ging flach. Die Flamme flackerte. Er blieb stehen. Da hörte er es vor sich in der Finsternis. Ein Kichern, dann ein Wispern.

Wer ... wer ist da?“

Das Kichern und Wispern hörte abrupt auf.

Hallo?“

Erneutes Wispern . Plötzliche Schritte , die näherkamen.

Wer -“ Sein Herz schlug im Stakkato. Die Schritte waren schwer, als ob sich jemand Großes in seine Richtung bewegte. Ihm kam der unwillkommene Gedanke, dass es dumm gewesen war, diesen Jemand auf sich aufmerksam gemacht zu haben. Er schluckte, versuchte, absolut still zu sein.

Die Schritte hielten inne. Wieder ein Wispern. Ein Kichern. Direkt hinter ihm. Er fuhr herum. Spürte einen kalten Luftzug an den Beinen. Der Schatten an der Wand! Eine Fratze mit hochgezogenen Lefzen und spitzen Zähnen! Sie kämpfte gegen den Felsen, als wolle sie aus ihm entkommen! Er keuchte und wich zurück. Erkannte, dass der Schatten nur ein Schatten war .

Scheiße“, flüsterte er. Sein Herz raste und stolperte. Der Schweiß lief ihm am Hals hinunter in den Kragen seines Hemds. „Was geht hier vor?“

Kichern aus der Dunkelheit.

Bestimmt nur ein Loch im Felsen, durch das der Wind strich. Ja, das würde es sein.

Jemand flüsterte in sein Ohr.

Er schrie auf und wirbelte herum.

Der Gang war leer .

Schritte, die sich eilig entfernten. Ein letztes Wispern in einer uralten Sprache. Höhnisches Kichern, das erstarb.

Raus hier!

Er rannte so schnell es nur ging zurück, von wo er gekommen war . Die Schatten an den Wänden rannten mit ihm.

Ein Grollen übertönte das Pfeifen seines Atems. Es wurde lauter. Der Boden bebte. Feiner Sand sprang in die Luft und senkte sich nieder wie glitzernder Staub, seine Spuren verwischend. Steine polterten von den Wänden und der Decke. Vor ihm donnerte ein riesiges Felsstück herunter und blockierte den Gang.

Zurück ! Er musste zurück ! Doch der Sand, der hinter ihm in rasendem Tempo den Gang auffüllte, ließ ihn innehalten. Auch da donnerten Felsen herunter. Ein Ächzen kam aus der Decke des Gangs über ihm. Er warf sich bäuchlings auf den Boden, hielt die Arme schützend über den Kopf, als sie herabstürzte.

Er wurde nicht getroffen. Vorsichtig öffnete er die Augen. Die Fackel lag neben ihm. Die Flamme wurde in dem Staub, der in der Luft tanzte, kleiner . Er wollte aufstehen. Stieß mit dem Rücken gegen einen harten Widerstand, sank zurück auf den Boden.

Er atmete tief ein, versuchte, die Panik zu beherrschen. Drehte sich auf den Rücken und sah Fels nur wenige Zentimeter über sich . Mit panisch scharrenden Füßen drehte er sich weiter . Felsenwände zu seiner Rechten und Linken. Geröll hinter seinem Kopf und zu seinen Füßen .

Ein unheilvolles Scharren. Das Gestein über ihm senkte sich , kam ihm fast zärtlich nahe .

Er keuchte entsetzt. Wimmerte „Nein! Nein!“, immer wieder . Seine Hände stemmten sich gegen die Felsen in dem vergeblichen Versuch, sie aufzuhalten und ihrer kalten Liebkosung zu entkommen. Seine Finger gruben frenetisch in den Stein, rissen auf. Ein Blutstropfen landete auf seinem Gesicht.

Er begriff, dass er qualvoll sterben würde .

Nein! Nein!“

Ein gedämpftes Kichern und Wispern über ihm, von jenseits der Felsendecke. Ein Hoffnungsschimmer. „Hilfe! Helft mir!“

Schritte. Er schloss die Augen , betete darum, dass sie ihn herausholten. Wer auch immer sie waren .

Da hörte er das sanfte Geräusch rieselnden Sands , riss die Augen wieder auf . Der Sand kam durch den Spalt zwischen der Decke und den Wänden. Er war schnell , so schnell wie fließendes Wasser, und schob sich näher , ihm den Platz und die Luft nehmend.

Hilfe!“, kreischte er atemlos. „Hil-“ Er rang japsend nach Luft. Seine Finger kratzten sinnlos und blutig am Stein und seine Füße imitierten mit ihren verzweifelten Bewegungen ein Weglaufen, das nicht möglich war.

Das Kichern und Wispern ging weiter , untermalt vom Scharren von Metall, das in Sand gestoßen wurde . Wie Schaufeln, die mehr und mehr Sand in seine kleine Kammer, sein Grab, schippten. Die Fackel erlosch mit einem leisen Zischen.

Ein fürchterlicher Schmerz zerriss Louis Brust und verhinderte, dass er das Ende der Illusion, seinen qualvollen Erstickungstod, sah.

Morrigu erhob sich.

Louis lag zu ihren Füßen, auf dem Rücken, die Arme in einer grotesken Abwehrbewegung angewinkelt. Seine Finger, mit denen er wie wahnsinnig an der Unterseite seines Bürostuhls gekratzt hatte, waren blutig, sein Gesicht weiß, eine erstarrte Maske des Grauens. In den entsetzt aufgerissenen Augen spiegelten sich die hellen Leuchten des Labors.

Ohne einen weiteren Blick auf ihr Opfer verließ sie den Raum.

Sie musste sich um den Wachmann kümmern. Und die Bombe aus Louis Zimmer verschwinden lassen, damit niemand auf die Idee kam, Louis Tod ganz genau durchleuchten zu wollen und der Expedition weitere Stolpersteine in den Weg legte.

Dämonenstern

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