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II. Die Neuregelung der Selbstanzeige 2015

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Die Selbstanzeige ist seit fast 100 Jahren ein bewährtes Instrument zur Aufdeckung bislang unbekannter Steuerquellen und zur Rückkehr des Steuerpflichtigen in die Steuerehrlichkeit. Nachdem das Recht der Selbstanzeige im Jahr 2011 bereits erheblich verschärft worden war, hat die Novellierung zum 1.1.2015 die Möglichkeit, Strafbefreiung durch eine Selbstanzeige zu erlangen, nochmals erschwert. Der Beratungsbedarf ist, selbst wenn die Selbstanzeigewellen zunächst abklingen sollten, enorm, gilt doch eine Selbstanzeige ohne professionelle Beratung als „kaum noch erfolgversprechend“.[1]

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Ein Eckpunkt der Neuregelung ist die Verteuerung der Selbstanzeige. Die im Jahr 2011 eingeführte Betragsgrenze, bis zu der eine Steuerhinterziehung ohne Zahlung eines zusätzlichen Geldbetrages bei Selbstanzeige straffrei bleiben kann, halbiert sich von 50.000 € auf 25.000 €. Gleichzeitig erhöht sich der Zuschlag für Selbstanzeigen, die aufgrund der Höhe der hinterzogenen Steuern keine strafaufhebende Wirkung haben, bei denen aber die Strafverfolgung ausgeschlossen werden kann (§ 398a AO), deutlich. Nach der bis zum 31.12.2014 geltenden Rechtslage betrug der Zuschlag bei Überschreiten der 50.000 €-Grenze einheitlich 5 %. Seit dem 1.1.2015 gilt ein Stufentarif: von 25.000 bis 100.000 € beträgt der Zuschlag 10 % der hinterzogenen Steuern, zwischen 100.000 und einer Million € sind es 15 %. Bei einem Hinterziehungsbetrag von über einer Million € ist ein Zuschlag von 20 % zu zahlen, um die Strafverfolgung auszuschließen. Außerdem ist die fristgerechte Zahlung von Hinterziehungszinsen und Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf Hinterziehungszinsen angerechnet werden, seit dem 1.1.2015 Voraussetzung, um Straffreiheit zu erlangen bzw. das Absehen von Strafverfolgung zu erreichen, vgl. §§ 371 Abs. 3 S. 1, 398a Abs. 1 Nr. 1 AO.

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Die Selbstanzeige verlangt darüber hinaus seit dem 1.1.2015 auch eine erhöhte Offenbarung steuerunehrlichen Verhaltens. Kernpunkt der Verschärfung ist die generelle Ausdehnung des Berichtigungszeitraums auf zehn Jahre.[2] Bislang bestand diese Verpflichtung nur in Fällen einer besonders schweren Steuerhinterziehung. Für eine wirksame Selbstanzeige sind aufgrund der Neuregelung nunmehr auch strafrechtlich bereits verjährte Steuerhinterziehungen anzuzeigen. Der Gesetzgeber umschreibt dies mit einem erhöhten „Erfüllungsaufwand“. Die Literatur bezeichnet die Verschärfungen dagegen als „kontraproduktiv“.[3]

Diese Regelung ist ausschließlich steuerrechtlich motiviert. Über die Angaben des Steuerpflichtigen in der Selbstanzeige sollen die Finanzämter Steuern verlässlicher festsetzen können und nicht mehr auf Schätzungen für steuerlich noch offene Altjahre angewiesen sein. Hintergrund ist der Umstand, dass für das Eingreifen der auf zehn Jahre verlängerten steuerlichen Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 S. 2 AO das Vorliegen einer Steuerhinterziehung dem Grunde nach mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachzuweisen ist.[4] Schätzungen sind nur bei der Höhe der verkürzten Beträge zulässig.[5] In der Praxis liegt die Ursache für eine notwendige Schätzung der Besteuerungsgrundlagen jedoch häufig nicht in dem Unwillen des Steuerpflichtigen, die erforderlichen Unterlagen vorzulegen, sondern in der praktischen Unmöglichkeit, solche Dokumente zu beschaffen.[6]

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Besonderheiten gelten für die Umsatzsteuer und die Lohnsteuer. Hervorzuheben ist die Ausnahme vom Grundsatz der Vollständigkeit. Insoweit feiert die Teilselbstanzeige, von der sich der Gesetzgeber 2011 verabschiedet hatte, eine Wiedergeburt.[7] Wird eine Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung korrigiert oder verspätet abgegeben, führt sie nun wieder in dem nacherklärten Umfang als Selbstanzeige zur Straffreiheit und sperrt nicht – wie nach der bis zum 31.12.2014 geltenden Rechtslage – eine weitere Selbstanzeige für denselben Zeitraum. Mit der Rückkehr zur Teilselbstanzeige trägt der Gesetzgeber der Fehleranfälligkeit dieses „Massengeschäfts“ Rechnung. Ebenso gilt in diesem Bereich keine Betragsgrenze, ab der eine strafbefreiende Selbstanzeige ausgeschlossen ist. Auch Tatentdeckung sperrt die Selbstanzeige in Bezug auf Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen nicht, § 371 Abs. 2a S. 2 AO. Dem Wortlaut der Norm ist aber nicht eindeutig zu entnehmen, ob eine korrigierte oder nachgereichte Lohnsteueranmeldung oder Umsatzsteuervoranmeldung nicht zum Eingreifen des Sperrgrunds der Tatentdeckung lediglich der auf diese Steuerarten bezogenen Taten führt, oder ob eine Tatentdeckung auch in Bezug auf andere Steuerarten hierdurch ausgeschlossen ist.

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Zu erwähnen ist zuletzt noch die verlängerte Anlaufhemmung bei der Verjährung der steuerrechtlichen Festsetzung für den Fall, dass unversteuerte Kapitalerträge aus Nicht-EU-Staaten stammen, die nicht am automatischen Datenaustauschverfahren teilnehmen (§ 170 Abs. 6 AO),[8] näher hierzu im 5. Kap. Rn. 370.

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Auf die Neuregelungen sowie auf weitere Besonderheiten ist im Einzelnen noch im „materiellen“ 4. Kapitel einzugehen. Zur Verdeutlichung der Änderungen ab 2015 vgl. die nachfolgende Synopse.

§ 371 AO ab 1.1.2015 § 371 AO bis 31.12.2014
(1) Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft. Die Angaben müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen. (1) Wer gegenüber der Finanzbehörde zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt, wird wegen dieser Steuerstraftaten nicht nach § 370 bestraft.
(2) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn 1. bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung (2) Straffreiheit tritt nicht ein, wenn 1. bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung
a) dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten im Sinne des § 370 Absatz 1 oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der angekündigten Außenprüfung, oder a) dem Täter oder seinem Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 bekannt gegeben worden ist oder
b) dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist, oder b) dem Täter oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist oder
c) ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung erschienen ist, beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung, oder c) ein Amtsträger der Finanzbehörde zur steuerlichen Prüfung, zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist oder
d) ein Amtsträger zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist, oder
e) ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b des Umsatzsteuergesetzes, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g des Einkommensteuergesetzes oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat, oder
2. eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste, 2. eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste oder
3. die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 25 000 € je Tat übersteigt, oder 3. die nach § 370 Absatz 1 verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil einen Betrag von 50 000 € je Tat übersteigt.
4. ein in § 370 Absatz 3 Satz 2 Nummer 2 bis 5 genannter besonders schwerer Fall vorliegt. Der Ausschluss der Straffreiheit nach Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c hindert nicht die Abgabe einer Berichtigung nach Absatz 1 für die nicht unter Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a und c fallenden Steuerstraftaten einer Steuerart.
(2a) Soweit die Steuerhinterziehung durch Verletzung der Pflicht zur rechtzeitigen Abgabe einer vollständigen und richtigen Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung begangen worden ist, tritt Straffreiheit abweichend von den Absätzen 1 und 2 Nummer 3 bei Selbstanzeigen in dem Umfang ein, in dem der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Absatz 2 Nummer 2 gilt nicht, wenn die Entdeckung der Tat darauf beruht, dass eine Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung nachgeholt oder berichtigt wurde. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Steueranmeldungen, die sich auf das Kalenderjahr beziehen. Für die Vollständigkeit der Selbstanzeige hinsichtlich einer auf das Kalenderjahr bezogenen Steueranmeldung ist die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Voranmeldungen, die dem Kalenderjahr nachfolgende Zeiträume betreffen, nicht erforderlich.
(3) Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, so tritt für den an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Absatz 4 angerechnet werden, innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet. In den Fällen des Absatzes 2a Satz 1 gilt Satz 1 mit der Maßgabe, dass die fristgerechte Entrichtung von Zinsen nach § 233a oder § 235 unerheblich ist. (3) Sind Steuerverkürzungen bereits eingetreten oder Steuervorteile erlangt, so tritt für den an der Tat Beteiligten Straffreiheit nur ein, wenn er die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet.
(4) Wird die in § 153 vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsmäßig erstattet, so wird ein Dritter, der die in § 153 bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. Hat der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt, so gilt Absatz 3 entsprechend. (4) Wird die in § 153 vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsmäßig erstattet, so wird ein Dritter, der die in § 153 bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist. Hat der Dritte zum eigenen Vorteil gehandelt, so gilt Absatz 3 entsprechend.

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Kenntnisse des neuen Selbstanzeigerechts sind nicht nur für ab dem 1.1.2015 eingereichte Selbstanzeigen essentiell. Das neue Recht ist auch von Bedeutung, um die Wirksamkeit einer vor dem 1.1.2015 eingereichten Selbstanzeige prüfen zu können. In Ermangelung einer Regelung des zeitlichen Anwendungsbereichs der Neuregelung ist nach § 2 Abs. 3 StGB das im konkreten Einzelfall[9] für den Anzeigenden günstigere Gesetz anzuwenden. Insbesondere im Hinblick auf die wieder eingeführte Wirksamkeit von Teilselbstanzeigen im Zusammenhang mit Lohnsteueranmeldungen und Umsatzsteuervoranmeldungen ist das neue Recht das mildere Gesetz. Gleiches gilt auch für die Fälle einer trotz Prüfungsanordnung eingereichten Selbstanzeige.[10] Nach umstrittener Auffassung sperrte die Prüfungsanordnung die Abgabe einer Selbstanzeige für alle Besteuerungszeiträume im Hinblick auf die geprüften Steuerarten. Die Neuregelung behandelt gleichwohl eingereichte Selbstanzeigen nunmehr als wirksam, soweit sie die nicht von der Prüfungsanordnung umfassten Zeiträume betrifft.

Ganz unstreitig dürfte die Anwendung des § 2 Abs. 3 StGB auf die Selbstanzeige allerdings nicht sein. Denn immerhin folgt diese Regelung aus dem allgemeinen strafrechtlichen Rückwirkungsverbot.[11] Ob dieses aber bei Regelungen wie § 371 AO berührt ist, die ihren eigentlichen Anwendungsbereich überhaupt erst nach Beendigung der Tat haben, darf zumindest bezweifelt werden. Die Literatur bejaht jedoch die Anwendbarkeit der lex mitior (§ 2 Abs. 3 StGB) mit Hinweis auf den materiell-rechtlichen Charakter des § 371 AO.[12] Für diese Auffassung spricht immerhin, dass die Selbstanzeige ihrer Natur nach zu den persönlichen Strafaufhebungsgründen zählt, für die das Milderungsgebot gelten soll.[13] Auch die Rechtsprechung des BGH bestätigt die Anwendbarkeit des § 2 Abs. 3 StGB auf die Selbstanzeige nach § 371 AO.[14] Der Berater muss jedenfalls auf die umstrittene Frage der Geltung des alten oder neuen Rechts hinweisen.

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Hinweis

Dies führt dazu, dass bislang als unwirksam behandelte Selbstanzeigen, solange über sie noch nicht rechtskräftig entschieden ist, auf der Grundlage des neuen Rechts ggf. als wirksam zu behandeln sind. Insofern besteht hier in Einzelfällen (LSt-Anmeldungen, USt-Voranmeldungen, sowie bei Prüfungsanordnungen) Handlungs-, aber sicher auch Argumentationsbedarf.

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Beispiel

Unternehmer U gab für das Jahr 2013 jeweils unrichtige Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Einen Teil dieser korrigierte er mittels der 2014 eingereichten Umsatzsteuerjahreserklärung. Diese wertete das zuständige Finanzamt als Selbstanzeige. Da nicht alle Umsatzsteuervoranmeldungen berichtigt wurden, wurde die Selbstanzeige als unwirksam behandelt und ein Strafverfahren wegen Umsatzsteuerhinterziehung für alle eingereichten Voranmeldezeiträume eingeleitet. Ab dem 1.1.2015 ist für den Bereich der Umsatzsteuervoranmeldungen wieder eine Teilselbstanzeige möglich. Unter Berücksichtigung des § 2 Abs. 3 StGB muss daher im laufenden Verfahren das neue Recht zur Anwendung kommen. Das Verfahren wäre hinsichtlich der zutreffend berichtigten Zeiträume einzustellen. Insoweit würde Straffreiheit nach § 371 AO eintreten.

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