Читать книгу Tamons Geschichte - Seishu Hase - Страница 10
Der Dieb und der Hund 1
ОглавлениеMiguel klappte sein Messer ein und steckte es in die Gesäßtasche seiner Jeans.
Immer wenn der Hund an der Leine zog, wies er ihn in scharfem Ton zurecht. Er schien nach seinem Herrchen zu suchen. Das tat Miguel leid, aber ihr Fahrer hatte bestimmt nicht überlebt. Die Kollision war zu heftig gewesen.
Noch immer hörte Miguel wütende Schreie hinter sich. Die Yakuza suchten ihn.
»Komm.«
Miguel zog leicht an der Leine, damit sich der Hund auf ihn konzentrierte, und rannte los.
Er lief durch finstere enge Gassen, darauf bedacht, das Licht zu meiden. Dunkle Ecken fand Miguel mit Leichtigkeit, selbst an Orten, die er nicht gut kannte. Schon immer war die Dunkelheit sein Zuhause gewesen.
Nach einer Weile drehte sich der Hund nicht mehr um. Ein schlaues Tier. Er hatte begriffen, dass sein bisheriger Boss verschwunden war und jetzt Miguel die Befehle gab. Seinen Herrn hatte er nicht vergessen, aber er hatte seine Loyalitäten wechseln müssen, um zu überleben.
»Guter Hund.«
Miguel streichelte ihn am Kopf. Er war sein Schutzgott. Solange Miguel ihn bei sich hatte, würde ihm nichts passieren.
»Tamon?« So hatte der Fahrer ihn genannt.
Der Hund hob den Kopf.
»Tamon, ab heute gehörst du mir«, teilte Miguel ihm mit.
***
Das Auto stand noch auf dem Parkplatz, auf dem Miguel es am Tag zuvor abgestellt hatte. Er hatte es für den Notfall als Fluchtwagen angeschafft.
Es war ein alter VW mit Allradantrieb. Nicht einmal Takahashi wusste davon. Miguel setzte Tamon in den Kofferraum, zahlte die Parkgebühr und ließ den Motor an. Langsam fuhr er los.
Tamon verhielt sich ruhig.
Er war nicht nur schlau, starke Nerven hatte er auch. In der Wildnis wäre er der Anführer seines Rudels gewesen, er hatte die Veranlagung dazu.
Miguel fuhr auf kleinen Straßen in Richtung Süden. Er wusste, wo sich Blitzer und Kameras der Verkehrsüberwachung befanden, da er sich diese Orte immer einprägte, wenn er in eine neue Stadt kam. Er musste sich den Augen der Polizei entziehen.
Als Miguel Sendai verlassen und die Stadt Natori erreicht hatte, fuhr er auf die Autobahn. Er hielt sich streng an das Tempolimit und blickte regelmäßig in den Rückspiegel. Niemand verfolgte ihn.
Miguel ging davon aus, dass die Yakuza José und Ricky erwischt hatten. Wenn sie noch lebten, würde man sie foltern.
»Sorry, meine beiden Partner.«
Miguel zündete sich eine Zigarette an. Er ließ das Fenster herunter, der Qualm sollte nicht in den Kofferraum ziehen. Zigaretten waren ein menschliches Laster, mit dem er den Hund verschonen wollte.
»Vermisst du dein altes Herrchen?«, fragte Miguel Tamon in seiner Muttersprache.
Tamon blickte stur geradeaus.
Bei ihren vorherigen Fahrten hatte er auch immer in Richtung Süden geschaut. Anscheinend zog es Tamon dorthin.
»Wartet dort jemand auf dich? War dieser Japaner gar nicht deine echte Familie?«
Tamon reagierte nicht.
***
Miguel stellte seinen Wagen auf dem Parkplatz eines Convenience Stores ab, auf dem schon mehrere Lastwagen standen.
Er kaufte ein Brötchen, Saft und Hundefutter. Nachdem er seine Einkäufe auf den Rücksitz geworfen hatte, zündete er sich im Raucherbereich vor dem Laden eine Zigarette an und tätigte einen Anruf.
»Takahashi hat uns hintergangen. José und Ricky sind entweder tot oder wurden von den Kerlen geschnappt«, sagte Miguel auf Englisch, als sein Gesprächspartner abnahm.
»Wie viel Geld habt ihr in Japan gemacht?«
»Tja. Wir kriegen ja nur eine Provision pro Auftrag.«
»Diese Provision wollten sich die Kerle wohl zurückholen. Es wird gemunkelt, Takahashis Organisation sei in Geldnot.«
Miguel schnalzte wütend mit der Zunge. So etwas hatte er schon vermutet, aber es machte das schmutzige Vorgehen der Kerle nicht besser.
»Ich will raus aus Japan, nach Hause. Hilf mir«, sagte Miguel.
»Unmöglich. Setz erst mal nach Korea oder Russland über. Von dort aus kann ich dir helfen, nach Hause zu kommen.«
»Wenn ich es aus Japan herausschaffe, schaffe ich es auch allein weiter.«
»Tut mir leid, aber bei der Flucht aus Japan sind mir die Hände gebunden.«
»Okay, verstehe. Ich melde mich wieder.«
Miguel legte auf und zündete sich die nächste Zigarette an. Während er den Rauch ausstieß, rief er sich die Landkarte Japans ins Gedächtnis. Er erinnerte sich an die Ratschläge der verschiedenen Personen, mit denen er hier zusammengearbeitet hatte.
Die Hafenstadt Niigata eignete sich am besten, um aus dem Land zu fliehen. Von dort aus käme er sowohl nach Korea als auch nach Russland.
»Niigata …«
Miguel drückte seine Zigarette aus und kehrte zum Wagen zurück. Er setzte sich auf den Rücksitz. Tamon streckte seinen Kopf über die Sitzlehne.
»Hast du Hunger?«
Tamon schnüffelte. Miguel riss die Tüte mit dem Hundefutter auf und schüttete den Inhalt in einen tiefen Pappteller, den er auf den Boden des Kofferraums stellte.
Tamon verschlang gierig das Futter, war dabei aber noch immer wachsam.
Der Hund hatte sich Miguel angeschlossen, weil es die Umstände erfordert hatten, aber er betrachtete ihn nicht als Teil seines Rudels. Zumindest schien das sein leicht gesträubtes Fell auszudrücken.
»Du bist schlau, tapfer und voller Liebe«, murmelte Miguel.
Er wollte unbedingt, dass Tamon ihm gehörte. Er wollte seine Liebe für sich gewinnen. Er musste Tamon mitnehmen, unbedingt. Das bedeutete, er würde Japan nicht im Flugzeug, sondern auf einem Schiff verlassen müssen.
»Niigata …«
Miguel setzte sich auf den Fahrersitz und ließ den Motor an.