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Miguel und seine Freunde stiegen in den Wagen. Wie beim letzten Mal setzte sich José nach vorne. Miguel nahm auf dem Rücksitz Platz, drehte sich nach hinten und steckte seine Hand zwischen den Gitterstäben hindurch in den Käfig, um Tamon unter dem Kinn zu kraulen.

»Wir haben wieder den Schutzgott dabei, es kann gar nichts schieflaufen«, sagte Miguel an Kazumasa gewandt.

»Sie scheinen Gefallen an Tamon gefunden zu haben«, meinte Kazumasa, während er aufs Gaspedal trat.

»Tamon? Was bedeutet das?«

»Gute Frage.« Kazumasa zuckte mit den Achseln. »Er war ein Streuner. Auf seinem Halsband stand ›Tamon‹, also gehe ich davon aus, dass er so heißt.«

»Ein Streuner … Hat er seinen Besitzer bei dem Tsunami verloren?«

»Vermutlich. Entweder er hat sich nur verlaufen, oder sein Besitzer ist tot.«

Miguel drehte sich wieder um und sagte etwas zu Tamon. »Armer Hund«, glaubte Kazumasa zu verstehen, obwohl ihm Miguels Sprache völlig fremd war. Miguel schien Hunde zu mögen.

Heute hatte Kazumasa von Numaguchi die Anweisung bekommen, die Gruppe zur Bahnstation Nagamachiminami an der Nanboku-Linie zu fahren.

Er ließ sie in der Nähe des U-Bahn-Eingangs heraus.

»In dreißig Minuten wieder hier«, sagte Miguel und verschwand mit seinen Kollegen in der nächtlichen Stadt.

Wie zuletzt fuhr Kazumasa ziellos durch die Straßen und kehrte nach einer halben Stunde zum Treffpunkt zurück. Sofort tauchten die drei auf, wieder wirkten sie ganz gelassen.

Auch Kazumasa war nicht mehr so nervös wie beim ersten Mal. Der Mensch gewöhnt sich an alles, dachte er.

Wortlos lenkte er seinen Wagen an den Überwachungskameras vorbei. In der Ferne hörte er die Sirene eines Polizeiautos, doch das Geräusch kam nicht näher.

Die drei sind Profis, dachte Kazumasa. Ihre Überfälle gehen schnell und routiniert über die Bühne. Bevor die Polizei kommt, sind sie längst über alle Berge.

Vermutlich hatten sie sich die Juwelierläden im Voraus genau angesehen. Erst wenn sie wussten, wo sich was befand, gingen sie zur eigentlichen Arbeit über.

Wie beim letzten Mal parkte Kazumasa ein gutes Stück vor dem Wohngebäude. José und Ricky stiegen sofort aus und gingen davon. Miguel blieb sitzen.

»Gibt es noch etwas?«, fragte Kazumasa.

Er bekam ein mulmiges Gefühl.

»Ihren Schutzgott, würden Sie mir den überlassen?«, fragte Miguel.

»Tamon? Unmöglich. Er ist mein Hund.«

»Fünfhunderttausend Yen.«

Jetzt steigen Sie endlich aus, hatte Kazumasa sagen wollen, schluckte die Worte aber herunter, als er den Betrag hörte.

»Fünfhunderttausend Yen?«

»Das würde ich für Ihren Hund zahlen.«

»Warum so viel?«

»Er ist nicht nur ein guter Hund, sondern auch ein Schutzgott, ein Glücksbringer. Ich will ihn mitnehmen. Mit ihm kriegen mich die Bullen nie. Reichen fünfhunderttausend nicht? Und das Doppelte?«

Kazumasas Entschlossenheit geriet ins Wanken. Er hatte die Möglichkeit, auf einen Schlag mehr zu verdienen als in vielen Monaten harter Arbeit. Dafür müsste er sich bloß von Tamon trennen. Mit einer Million Yen könnte er Mayumi eine Verschnaufpause gönnen. Sein Herz hing an dem Hund, aber er war ihm erst vor kurzem begegnet. Für das Wohlergehen seiner Familie wäre es ein kleines Opfer. Und Miguel schien Hunde zu mögen, sicher würde er ihn gut behandeln.

Kazumasa fing Tamons Blick auf. Der Hund beobachtete ihn ganz ruhig. Seine Augen schienen direkt in Kazumasas Herz zu sehen.

»Nein.« Kazumasa schüttelte den Kopf. »Tamon ist Teil meiner Familie. Ich würde ihn für kein Geld der Welt verkaufen.«

»Das ist schade, aber ich verstehe Sie. Hunde sind wirklich ein wichtiger Teil der Familie.«

Miguel stieg aus. Er sagte noch etwas zu Tamon, was Kazumasa nicht verstand.

»Bis zum nächsten Mal«, verabschiedete er sich dann von Kazumasa. »Bringen Sie den Schutzgott unbedingt wieder mit.«

Kazumasa nickte. Miguel drehte sich um und ging davon.

»Tut mir leid, dass ich für einen Moment in Versuchung geraten bin, Tamon. Dabei hast du meine ganze Familie in den Himmel geführt.«

Kazumasa steuerte auf die Tōhoku-Autobahn zu, die im Westen, also in entgegengesetzter Richtung zu seiner Wohnung lag. Er hatte keine Lust, schon nach Hause zu fahren und ins Bett zu gehen. Stattdessen wollte er eine Spritztour machen, die erste seit langem.

Im Rückspiegel sah er Tamon, der seinen Blick wie immer nach Süden gerichtet hatte.

***

Auf der Sendai-Tōbu-Autobahn nahm Kazumasa die Ausfahrt in Richtung des Flughafens Sendai und steuerte auf die Küste zu. Seit der Katastrophe hatte er sich dem Ozean nicht mehr genähert, wenn es nicht sein musste. Überall hatte der Tsunami seine Spuren hinterlassen, und das Meer machte ihm Angst.

Jetzt verspürte er aber den Drang, es zu sehen. Ein halbes Jahr war seit der Katastrophe vergangen, und Kazumasa hatte mit Tamon ein neues Familienmitglied dazugewonnen. Langsam schien es ihm an der Zeit, seine Gefühle zu ordnen.

Er erreichte die Küstengegend. Die Häuser und Lagerhallen, die hier früher gestanden hatten, waren alle verschwunden. Selbst den Windschutzstreifen am Straßenrand hatte der Tsunami verschluckt. Kazumasa parkte. Er ließ Tamon aus dem Wagen und ging mit ihm zur Küste. Bald würde die Sonne aufgehen. Am Meereshorizont war bereits ein Hauch von Rot zu erkennen. Der Wind, der sich mittags noch angenehm frisch angefühlt hatte, war jetzt eiskalt. Der Herbst stand vor der Tür.

An einem mondlosen Himmel funkelten Sterne. Das Geräusch der Brandung löste in Kazumasa ein Einsamkeitsgefühl aus. Stumm lief er die Küste entlang in Richtung Norden. Tamon folgte ihm gehorsam.

Nach einer Weile machte Kazumasa kehrt. Auf einmal beschleunigte Tamon seine Schritte. Der Süden schien ihn magisch anzuziehen, und Kazumasa wusste nicht, warum.

Er nahm dem Hund die Leine ab. Tamon blieb stehen und drehte sich zu ihm um.

»Geh«, sagte Kazumasa. »Du willst nach Süden, oder? Wartet dort jemand auf dich? Wenn ja, muss dir diese Person wirklich wichtig sein. Also geh. Du bist frei.«

Kazumasa wusste selbst nicht, warum er das sagte.

Er liebte Tamon. Nicht nur er, auch seine Mutter wäre traurig, wenn der Hund sie verlassen würde. Vielleicht würde sich ihr Zustand wieder verschlechtern. Und doch war es, als flüsterte eine Stimme Kazumasa ein, er müsse Tamons Wunsch respektieren.

»Jetzt geh endlich«, sagte Kazumasa.

Tamon sah ihn an, dann verengte er die Augen und blickte nach Süden. Er schnupperte in der Luft. Seine Beine spannten sich an. Er sah aus, als würde er jeden Moment lospreschen.

Obwohl Kazumasa ihn dazu aufgefordert hatte, versetzte ihm der Gedanke, Tamon könne ihn wirklich verlassen, einen Stich in der Brust.

Tamon hatte schon eine Familie. Er war von ihr getrennt worden und suchte nach ihr. Auf dieser Suche war er zufällig Kazumasa begegnet und hatte sich ihm vorübergehend angeschlossen.

Das meinte Kazumasa nun zu verstehen. Er durfte den Hund nicht dazu zwingen, bei ihm zu bleiben. Es käme ihm wie Verrat vor, während Tamon seiner ganzen Familie doch so viel Zuneigung entgegengebracht hatte.

Plötzlich entspannte sich Tamon. Er hörte auf zu schnüffeln, lief auf Kazumasa zu und schmiegte sich an seine Beine.

»Du willst nicht weg?«, fragte Kazumasa.

Tamon wedelte mit dem Schwanz.

»Sicher? Vermisst du deine Familie nicht unheimlich?«

Tamon drückte seinen Körper noch immer an Kazumasas Beine und machte keine Anstalten wegzulaufen.

»Danke«, sagte Kazumasa.

Er meinte es von ganzem Herzen. Nie hatte er sich einem anderen Lebewesen gegenüber so dankbar gefühlt.

»Danke, Tamon.«

Kazumasa ging in die Hocke und schlang seine Arme um Tamons Hals. Der Hund drückte seine Schnauze gegen Kazumasas Wange. Sie war eiskalt.

Tamons Geschichte

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