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Auf allen Sendern lief dieselbe Nachricht: »Heute vor Tagesanbruch wurde in einen Juwelierladen in Kokubunchō eingebrochen. Die drei Täter, die noch auf freiem Fuß sind, stahlen Schmuck und Luxusuhren im Wert von etwa einhundert Millionen Yen.«

Es folgten Aufnahmen von den Überwachungskameras aus dem Laden. Sie zeigten den Einbruch von Miguel und seinen Freunden von Anfang bis Ende.

Die drei trugen Sturmhauben. Sie zertrümmerten mit Brechstangen das Schaufenster, drangen in das Geschäft ein, zerstörten seelenruhig die Vitrinen und füllten ihre Tasche mit Schmuck und Uhren. Nur etwa fünf Minuten, und sie hatten den Laden wieder verlassen.

Aufgrund des professionellen Vorgehens gehe die Polizei von organisierter Kriminalität aus, sagte die Nachrichtensprecherin.

»Ich glaub’s nicht …«

Während er auf den Bildschirm starrte, begann Kazumasa am ganzen Körper zu zittern. Beim Fahren hatte er sich noch einreden können, der Einbruch habe nichts mit ihm zu tun, aber jetzt, nachdem sich alles vor seinen Augen abgespielt hatte, fühlte er sich eindeutig wie ein Mittäter.

Nicht einmal die zweihunderttausend Yen konnten ihn trösten. Wenn Mayumi jemals erfahren sollte, wie er an dieses Geld gekommen war, würde sie in Tränen ausbrechen.

»Trotzdem, Geld ist Geld«, sagte Kazumasa laut zu sich selbst.

Um zu überleben, brauchte man Geld. Kazumasa dachte an seine Mutter mit voranschreitender Demenz und seine Schwester, die sich für ihre Pflege aufopferte. Die beiden brauchten auch Geld. Er hätte jeden Job angenommen, bei dem er etwas verdienen konnte, seit der Katastrophe fand er aber keine Arbeit mehr.

Er musste nach jedem Strohhalm greifen. Und der Strohhalm, den er zu fassen bekommen hatte, war dieser Job mit Miguel gewesen. Es handelte sich um ein Verbrechen, aber was blieb ihm denn anderes übrig? Hätte er es nicht getan, hätten seine Mutter und Mayumi bald nicht mehr genug zum Leben.

»Komm, wir gehen spazieren«, sagte Kazumasa zu Tamon, der ausgestreckt auf dem Boden lag.

Sofort sprang der Hund auf und lief zur Haustür. Er wirkte, als hätte er schon immer in dieser Wohnung gelebt. In Kazumasas Apartmentkomplex galt ein Haustierverbot, aber da seine Nachbarn fast ausschließlich alleinstehend waren und um diese Zeit arbeiteten, konnte er mit Tamon unbemerkt das Haus verlassen.

Ziellos wanderten sie durch die Straßen. Im Internet hatte Kazumasa sich über das Halten von Hunden informiert. In einem Artikel hatte er gelesen, man solle täglich ein- bis zweimal für jeweils dreißig Minuten Gassi gehen.

Tamon passte sich Kazumasas Schritten an und zog nie an der Leine. Er lief immer links von Kazumasa. Manchmal hielt er bei Strommasten und Verkehrsschildern an, um sie zu markieren, aber das waren die einzigen Unterbrechungen.

»Dein früherer Besitzer hat dich gut erzogen.«

Kazumasa war beeindruckt. Die kleinen Kläffer, die er häufig in der Stadt sah, zogen ständig an ihren Leinen, rannten, wohin sie wollten, und bellten hysterisch alles an, was ihnen über den Weg lief.

Tamon war ganz anders. Er vertraute dem Menschen, der seine Leine hielt, verließ sich aber nicht blind auf ihn. Selbstbewusst ging er an seiner Seite, wie ein guter Partner.

Doch als Kazumasa an einer Straßenecke nach links abbiegen wollte, prallte er beinahe mit Tamon zusammen. Tamon wollte nach rechts.

»Wie? Du willst dorthin?«

Kazumasa hatte kein bestimmtes Ziel im Sinn, also ließ er Tamon entscheiden.

An der nächsten Ecke wollte Kazumasa nach rechts abbiegen, doch Tamon sträubte sich wieder. Er wollte weiter geradeaus.

»Nein, Tamon, da kommt gleich eine große Straße mit vielen Menschen und Autos, auf der es sich nicht gut laufen lässt«, sagte Kazumasa.

Tamon blieb, stur nach vorne gewandt, stehen.

»Jetzt komm schon!«

Kazumasa zog an der Leine. Dann fiel es ihm auf: Tamon wollte nach Süden.

»Was willst du denn im Süden? Wohnt dort dein früherer Besitzer, oder hast du da gelebt?«

Tamon blickte Kazumasa an.

»Ich würde dir ja gern deinen Wunsch erfüllen, aber wenn ich nicht einmal weiß, wohin du genau willst, kann ich dir nicht helfen. Sorry, Tamon.«

Kazumasa zog noch einmal sanft an der Leine. Diesmal gehorchte Tamon. Sie bogen nach rechts ab und setzten ihren Spaziergang fort.

Tamon wollte nach Süden. Dessen war sich Kazumasa jetzt sicher.

***

Während er Tamons Fressnapf reinigte, bekam Kazumasa einen Anruf von Numaguchi.

»Hast du die Nachrichten gesehen?«, wollte dieser wissen.

»Ja«, gab Kazumasa zurück.

»Die Kerle haben es echt drauf, was?«

»Wer waren diese Typen überhaupt?«

»Das weiß ich auch nicht so genau«, meinte Numaguchi. »Mir wurde nur gesagt, dass sie von Tokio über Osaka das ganze Land durchstreifen. Solange sie bei uns in Sendai sind, soll ich mich um sie kümmern. Als Gegenleistung kriege ich einen Anteil ihres Gewinns.«

»Verstehe«, sagte Kazumasa.

Im Fernsehen hatte es geheißen, Waren im Wert von einhundert Millionen Yen seien gestohlen worden. Wenn Numaguchi anteilsmäßig daran beteiligt wurde, waren mehrere Millionen in seine Taschen gewandert. Nachdem er Kazumasa die zweihunderttausend Yen ausgezahlt hatte, musste er trotzdem noch einen beträchtlichen Gewinn gemacht haben.

»Nächste Woche bist du wieder gefragt«, sagte Numaguchi.

»Schon nächste Woche? Im Ernst? Aber die Polizei ist jetzt in Alarmbereitschaft.«

»Das ist die Masche dieser Typen. Sie sahnen in kurzer Zeit ordentlich ab, dann ziehen sie in die nächste Stadt weiter.«

Kazumasa unterdrückte einen Seufzer. Miguel und seine Kumpane waren also nur noch für kurze Zeit in Sendai. Einerseits hatte ihm die ganze Sache Unbehagen bereitet, andererseits hatte er heimlich gehofft, regelmäßig zweihunderttausend Yen kassieren zu können. Das konnte er sich jetzt abschminken.

»Der eine von ihnen, dieser Miguel, hat gesagt, er hätte Gefallen an deinem Schutzgott gefunden. Was sollte das denn heißen?«, fragte Numaguchi.

»Er meinte den Hund.«

»Ach, der von letztens? Und wieso nennt er ihn Schutzgott? Komischer Kerl. Aber wie auch immer … Ich melde mich, wenn ich die Einzelheiten für den nächsten Job habe.«

»Ja danke.«

Kazumasa legte auf.

»Das große Geld zu machen, ist eben doch nicht so einfach«, meinte Kazumasa zu Tamon, der ihm sein Gesicht zuwandte.

So ist das Leben, schien er ihm sagen zu wollen.

***

Kazumasas Mutter hatte ihren Sohn schon wieder vergessen, doch an Tamon erinnerte sie sich.

Übers ganze Gesicht strahlend, winkte sie den Hund zu sich, rief »Kaito, Kaito« und streichelte ihn pausenlos.

Tamon schien nichts dagegen zu haben.

»Hast du einen Moment Zeit?«

Kazumasa lotste seine Schwester in die Küche.

»Was ist los? Alles in Ordnung?«

»Hier. Es ist nicht viel, aber betrachte es als kleinen Beitrag zu deiner Haushaltskasse.«

Kazumasa reichte Mayumi den braunen Umschlag. Es befanden sich noch zehntausend Yen darin, den Rest hatte er erst einmal behalten. Als seine Schwester das Geld sah, weiteten sich ihre Augen.

»Woher hast du so viel Geld?«

»Ein kleines Extraeinkommen. Ich habe zwei Tage in Folge beim Pachinko gewonnen.«

Kazumasa hatte sich diese Lüge zurechtgelegt.

»Du zockst an Spielautomaten? So was machst du?«

»Pachinko ist kein Zocken. Ich habe es zum Spaß mal probiert und hatte Glück.«

»Lass dir das bloß nicht zu Kopf steigen. Spielsucht wäre das Letzte, was wir jetzt noch gebrauchen könnten.«

»Das weiß ich doch.«

»Das Geld nehme ich trotzdem dankend an. Das hilft wirklich sehr.«

Mayumi drückte den braunen Umschlag an ihre Brust und verneigte sich dankbar vor Kazumasa.

»Lass das, Mayumi. Wir sind doch eine Familie«, meinte Kazumasa.

»Ich bin dir wirklich total dankbar. Aber in Ordnung, lassen wir das. Erzähl mir lieber, wie es bei der Arbeit läuft.«

»Ich habe mich gut eingearbeitet. Vielleicht bekomme ich bald meine erste Gehaltserhöhung, auch wenn sie nicht der Rede wert sein wird.«

Seiner Schwester hatte Kazumasa erzählt, er wäre bei einem Logistikunternehmen als Fahrer angestellt. Mayumi kannte Numaguchi und wusste um dessen Ruf. Wenn sie erfahren würde, dass Kazumasa für ihn arbeitete, würde sie sich nur unnötige Sorgen machen. Sie hatte schon genug mit ihrer Mutter zu tun, also wollte Kazumasa sie nicht noch zusätzlich belasten.

»Spar so viel von deinem Gehalt, wie du kannst. Wenn sich Mamas Zustand noch mehr verschlechtert, kann ich irgendwann nicht mehr allein auf sie aufpassen. Dann werden wir Geld brauchen.«

»Wie viel ist von Papas Lebensversicherung noch übrig?«

»Um die drei Millionen Yen.«

»Mehr nicht? Vielleicht sollte ich mir in Tokio eine Arbeit suchen«, sagte Kazumasa.

»Das musst du dir demnächst wirklich überlegen.« Mayumi wirkte ernst.

Aus dem Zimmer ihrer Mutter erklang fröhliches Lachen. Normalerweise hätten sich Mayumi und Kazumasa darüber gefreut, doch der Gedanke an die Krankheit trübte ihre Stimmung.

»Komm, machen wir wieder einen Spaziergang mit Tamon«, schlug Kazumasa vor.

Mayumi nickte.

»Mit Tamon macht Mama das Spazierengehen richtig Spaß. Normalerweise will sie das Haus gar nicht verlassen.«

Mayumi steckte den Umschlag mit dem Geld in die Tasche ihrer Jeans und legte die Schürze ab, die sie getragen hatte.

»Mama, wollen wir mit Kaito Gassi gehen?«, fragte Kazumasa.

»O ja, o ja!«

Seine Mutter klang wieder wie ein Kind.

***

Sie nahmen einen anderen Weg zum Fluss Natori als das letzte Mal. Ein Pfad am Rande eines Reisfelds führte sie bis ans Ufer, wo es einen kleinen Park mit mehreren Bänken gab.

Auf eine davon setzte sich die Familie. Kazumasa stellte eine Plastiktüte mit Sandwichs, Reisbällchen und Getränken, die er auf dem Weg in einem Convenience Store gekauft hatte, in ihre Mitte.

»Was für ein angenehmes Wetter.«

Mayumi schaute in den wolkenlosen Himmel. Es war weder zu heiß noch zu kalt, und der Wind, der vom Fluss herüberwehte, fühlte sich schön kühl auf Kazumasas vom Spazierengehen verschwitzter Haut an.

»Was willst du essen, Mama?«, fragte Kazumasa.

»Schinkensandwich«, kam es wie aus der Pistole geschossen.

Kazumasa lächelte, als er die Verpackung des Sandwichs aufriss und dann einen Strohhalm in ein Tetrapack mit Orangensaft steckte. Er reichte beides seiner Mutter.

»Darf ich Kaito was abgeben?«, fragte sie Mayumi.

»Nein, Mama. Das Essen von Menschen ist für Hunde Gift.«

Sofort verfinsterte sich ihre Miene. Kazumasa holte eine Packung Hähnchenstreifen aus der Einkaufstüte.

»Die kannst du ihm geben, Mama.«

»Wirklich?«

Seine Mutter nahm die Packung entgegen, und Tamon stellte gleich die Ohren auf. Vielleicht erinnerte er sich an diese Leckerlis von seinem ersten Treffen mit Kazumasa.

Kazumasas Mutter hielt Tamon einen Hähnchenstreifen entgegen. Der Hund wedelte eifrig mit dem Schwanz und biss ab.

»Braver Kaito.« Die Mutter betrachtete Tamon mit einem Lächeln.

»Du musst auch etwas essen, Mama«, drängte Mayumi, woraufhin sich ihre Mutter endlich ihrem Sandwich widmete.

»Auch wir sollten essen. Ich bekomme langsam Hunger.«

Sie nahm sich ein Sandwich mit Kartoffelsalat, und Kazumasa aß ein Reisbällchen mit Seelachsrogenfüllung. Dazu tranken alle drei Oolong-Tee aus Plastikflaschen.

Nach dem Essen rauchte Kazumasa, dabei stand er in einiger Entfernung zur Bank.

Er beobachtete, wie seine Mutter unablässig mit Tamon redete und Mayumi die beiden lächelnd im Auge behielt. Sie gaben ein perfektes Bild von Mutter und Tochter ab. Das milde frühherbstliche Sonnenlicht und Tamons Anwesenheit verlieh all dem Farbe.

Als er zu Ende geraucht hatte und zu der Bank zurückkehrte, sah er, dass Mayumi Tränen in den Augen hatte.

»Was ist los?«

Mayumi hielt sich die Hände vors Gesicht.

»Ich bin einfach nur glücklich. In letzter Zeit ging es mir emotional wirklich nicht gut. Und jetzt sitzen wir hier an so einem schönen Tag zusammen am Flussufer, essen Sandwichs und hören Mama lachen … Ich fühle mich wie im Himmel. Bei dem Gedanken kamen mir die Tränen.«

Kazumasa legte einen Arm um die Schulter seiner Schwester.

»Vielleicht fühlt es sich noch mal schöner an, weil wir vor einem halben Jahr die Hölle durchgemacht haben«, meinte Mayumi.

»Wir haben das alles Tamon zu verdanken«, antwortete Kazumasa.

»Stimmt. Wegen ihm geht es Mama wieder so gut, dass wir alle zusammen spazieren gehen können.«

Tamon starrte Kazumasas Mutter an, wahrscheinlich weil er wusste, dass noch Hähnchenstreifen übrig waren, doch sie deutete es als Zeichen seiner Zuneigung und freute sich. Wie lange war es her, dass Kazumasa seine Mutter so herzhaft lachen gesehen hatte.

Er schloss die Augen, spürte das warme Sonnenlicht auf seinen Lidern und hörte das Lachen seiner Mutter, vermischt mit Mayumis Schniefen. Vielleicht hatte Mayumi recht. So musste es im Himmel sein. Warm, friedlich und voller Glück.

Tamon hatte Kazumasas Familie in den Himmel geführt.

Tamons Geschichte

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