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ОглавлениеDrei Männer verließen das Wohngebäude. Sie waren gebräunt und alle eher klein.
Einer näherte sich Kazumasas Auto und klopfte an die Scheibe auf der Fahrerseite. Kazumasa ließ das Fenster herunter.
»Sind Sie Herr Kimura?«, fragte der Mann.
Das war der Deckname, den sich Kazumasa zugelegt hatte.
»Ja, der bin ich.«
»Ich heiße Miguel«, sagte der Mann in fließendem Japanisch. »Und die beiden hier sind José und Ricky.«
Kazumasa nickte. Mit Sicherheit waren auch das nur Decknamen.
»Steigen Sie ein«, sagte Kazumasa.
Miguel winkte seine Kollegen heran. José setzte sich auf den Beifahrersitz, Miguel und Ricky auf die Rücksitze.
In einer Sprache, die Kazumasa nicht verstand, sagte Miguel etwas zu den beiden anderen. Anscheinend hatte er Tamon bemerkt, der im Kofferraum in einem Käfig saß, den Kazumasa besorgt hatte.
»Was macht dieser Hund hier?«, fragte Miguel.
»Das ist mein Mamorigami«, meinte Kazumasa.
Miguel zog fragend die Augenbrauen hoch.
»My guardian angel«, erklärte Kazumasa.
»Ah, verstehe.« Miguel nickte und sagte schnell etwas zu seinen Kollegen.
»Keine Sorge, er bellt nicht und macht auch sonst keinen Lärm«, versicherte Kazumasa.
»Einen Schutzgott können wir alle gut gebrauchen«, sagte Miguel. »Wie haben Sie das noch mal auf Japanisch genannt?«
»Mamorigami«, wiederholte Kazumasa.
Miguel sprach das Wort zwei-, dreimal leise nach.
»Gut, fahren Sie los«, sagte er dann.
Kazumasa löste die Handbremse.
Für diesen Job hatte Numaguchi ihm einen Subaru Legacy bereitgestellt, der in gutem Zustand war. Das Auto fuhr mit Halbautomatik, besaß also einen Schalthebel und eine automatische Kupplung.
»Soll ich Sie direkt nach Kokubunchō bringen?«, fragte Kazumasa. Kokubunchō war das größte Vergnügungsviertel Sendais.
Miguel nickte.
Es war halb drei Uhr nachts, und die Straßen waren menschenleer. Kazumasa machte sich auf den Weg ins Zentrum, wobei er die Videokameras zur automatischen Nummernschilderkennung mied. Als er anfing, für Numaguchi zu arbeiten, hatte er sich die Orte der Überwachungskameras genau eingeprägt.
»Sie sind ein guter Fahrer«, bemerkte Miguel, obwohl Kazumasa nur ganz langsam durch die Stadt fuhr.
Im Vergnügungsviertel leuchteten auch zu dieser Uhrzeit noch die Neonschilder, und es waren viele Menschen unterwegs. Kazumasa bog in eine ruhigere Seitenstraße mit Bürogebäuden ein und hielt an.
»Seien Sie in dreißig Minuten wieder genau hier«, sagte Miguel und stieg zusammen mit seinen Kumpanen aus.
Tamon saß noch immer in seinem Käfig.
Als die drei außer Sicht waren, ließ Kazumasa den Wagen wieder an. Trotz eingeschalteter Klimaanlage schwitzte er. Durst hatte er auch. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er nicht bemerkt, wie nervös er war.
Ziellos fuhr er durch die Gegend. Jedes Mal wenn er auf der Gegenfahrbahn die Scheinwerfer eines Autos sah, fing sein Herz an, wild zu pochen. Um sich zu beruhigen, blickte er immer wieder in den Rückspiegel zu Tamon. Dabei fiel ihm auf, dass der Hund seinen Kopf jedes Mal in eine andere Richtung gedreht hatte. Mal sah er aus dem rechten, mal aus dem linken Fenster, dann wiederum aus der Front- oder Heckscheibe.
Nach einer Weile verstand Kazumasa, was Tamon da tat. Er hatte den Blick immer nach Süden gerichtet.
»Suchst du etwas im Süden?«
Tamon reagierte nicht. Er schaute weiter stumm nach Süden.
Es war Zeit zurückzufahren.
Kazumasa parkte genau dort, wo die drei Männer ausgestiegen waren. Um jederzeit losfahren zu können, ließ er bei laufendem Motor den Fuß auf der Bremse. Seine Hände auf dem Lenkrad waren schweißnass. Er wischte sie sich an seiner Jeans ab, begann aber sofort wieder zu schwitzen.
»Siehst du etwas Verdächtiges, Tamon?«, fragte Kazumasa und drehte sich zu dem Hund um.
Tamon sah ihn ohne eine Spur von Angst an.
Alles okay, beruhig dich, schien er ihm sagen zu wollen.
Hinter einer Reihe von Bürogebäuden tauchten die drei Männer auf und kamen auf Kazumasa zu. Ihre Reisetasche, die vor dreißig Minuten noch leer gewesen war, wölbte sich jetzt nach außen.
Kazumasa hatte von Numaguchi erfahren, dass die Gang einen Juwelierladen ausrauben wollte.
Die drei wirkten so entspannt, als hätten sie nur einen kleinen Absacker in einer Bar getrunken.
»Beeilung«, murmelte Kazumasa. Jede Sekunde rechnete er mit dem Heulen einer Alarmanlage oder Polizeisirene. Vor seinem inneren Auge huschten Bilder wilder Verfolgungsjagden vorbei. Sie werden mich schnappen, ganz egal, wie schnell ich fahre, dachte er.
»Fahren Sie los.«
Miguel setzte sich auf den Beifahrersitz, José und Ricky stiegen hinten ein. Die Türen wurden geschlossen.
Kazumasa beschleunigte.
»Nicht so schnell. Langsam, ganz langsam. Beruhigen Sie sich, okay?«
Miguel berührte leicht Kazumasas linke Hand, die das Lenkrad fest umklammert hielt.
»Ja, Verzeihung.«
Kazumasa drückte das Gaspedal etwas weniger durch. Aufzufallen wäre fatal. Er musste langsam und sicher fahren, damit die Polizei nicht auf sie aufmerksam wurde.
»Dein Schutzgott ist super«, sagte Miguel mit einem Blick nach hinten.
Schon wieder schaute Tamon in den Süden.
Kazumasa fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Beruhig dich, sagte er sich, während er den Wagen durch die Stadt lenkte und den Überwachungskameras auswich. Die Männer unterhielten sich in ihrer eigenen Sprache, lachten und rauchten. Dafür, dass sie gerade einen Juwelierladen ausgeraubt hatten, wirkten sie viel zu gelassen.
Auf Umwegen kehrte Kazumasa zu dem Wohngebäude zurück, vor dem er die Männer am Anfang der Tour aufgelesen hatte, und parkte in etwa einhundert Metern Entfernung davon.
»Danke, Herr Kimura. Bis zum nächsten Mal.«
Miguel stieg mit einem Lächeln aus, und die beiden anderen folgten ihm. Tamon beobachtete sie aufmerksam. Die drei Männer entfernten sich, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Kazumasa rief Numaguchi auf dem Handy an.
»Ich bin fertig.«
»Sehr gut. Dann fahr nach Hause und ruh dich aus.«
»Ja, das mache ich.«
»Und schau mal in deinen Briefkasten.«
»In meinen Briefkasten? Wieso?«, fragte Kazumasa, doch noch während er sprach, legte Numaguchi auf. Verärgert schnalzte Kazumasa mit der Zunge und ließ den Wagen wieder an.
»Tut mir leid, dass ich dich in dieses dreckige Geschäft hineingezogen habe, Tamon. Zu Hause kannst du erst mal ausschlafen.«
Tamon hatte seinen Blick wieder nach Süden gerichtet.
Kazusamsa kehrte zu seiner Wohnung zurück. Bevor er eintrat, öffnete er den Briefkasten. Ein brauner Umschlag lag darin.
Mit ihm in der Hand betrat er hastig die Wohnung. Zuerst schob er den Riegel vor die Tür, dann säuberte er Tamons Füße. Während er das tat, beruhigte sich seine Atmung.
Kazumasa stellte für Tamon einen Napf mit Wasser auf den Boden und nahm auf den Tatamimatten Platz. Er zündete sich eine Zigarette an. Erst als er zu Ende geraucht hatte, widmete er sich dem Umschlag.
Es lagen zwanzig Zehntausend-Yen-Scheine darin.
In einer Nacht hatte er so viel verdient wie in einem Monat mit seinen Lieferfahrten. Wenn er diese Art von Arbeit einmal pro Woche machen würde, hieße das …
»Ich entlaste meine Schwester«, flüsterte Kazumasa und steckte sich eine neue Zigarette an.
Tamon legte sich neben ihn auf den Boden. Der Hund schloss die Augen und atmete sofort tief.
»Du bist auch erschöpft, was?«, sagte Kazumasa in sanftem Ton, bevor er die Scheine noch einmal zählte.