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Am Rande des Parkplatzes saß ein Hund. Er trug ein Halsband, war aber nicht angeleint. Vielleicht wartete er darauf, dass sein Herrchen oder Frauchen vom Einkaufen zurückkam. Der Hund hatte ein kluges Gesicht, machte jedoch einen ausgezehrten Eindruck.

Ob er einem der Menschen gehört, die bei dem Tsunami ihr Haus verloren haben, fragte sich Kazumasa Nakagaki, während er einparkte.

Ein halbes Jahr war seit dem großen Erdbeben und der Tsunamikatastrophe im Norden Japans vergangen. Viele Menschen lebten noch immer in Notunterkünften. Manche schliefen mit ihren Hunden oder Katzen in Autos, da in den Unterkünften ein Haustierverbot galt, wie Kazumasa gehört hatte.

Er stieg aus und betrat den Convenience Store, wo er sich ein süßes Brötchen und eine Schachtel Zigaretten kaufte. Im Automaten neben der Kasse ließ er sich einen Kaffee aufbrühen, dann zündete er sich bei den Aschenbechern vor dem Laden eine Zigarette an. Er riss die Plastikverpackung des Brötchens auf und biss zwischen den Zügen davon ab.

Der Hund war noch immer da. Reglos blickte er Kazumasa an.

»Moment mal …«

Nachdenklich zog Kazumasa die Augenbrauen zusammen. Im Convenience Store war er der einzige Kunde gewesen, und auf dem Parkplatz stand auch nur sein Auto.

»Ist dein Herrchen auf der Toilette?«, rief er dem Hund zu. Der reagierte sofort und kam langsam näher.

Er ähnelte einem Schäferhund, war aber etwas kleiner, hatte längere Ohren und eine längere Nase. Wahrscheinlich ein Schäferhundmischling, dachte Kazumasa.

Der Hund blieb direkt vor ihm stehen, streckte seine Schnauze in die Luft und schnupperte. Der Zigarettenqualm war es mit Sicherheit nicht, der ihn so interessierte.

»Meinst du das hier?«

Kazumasa streckte dem Hund das Brötchen entgegen. Sofort tropfte ihm Speichel aus dem Maul.

»Bist hungrig, was?«

Kazumasa riss ein Stück Brötchen ab und hielt es dem Hund vor die Schnauze. Eifrig schnupperte dieser daran, bevor er vorsichtig zu fressen begann.

»Du scheinst richtig ausgehungert zu sein. Warte mal.«

Kazumasa drückte seine Zigarette aus, stellte den Kaffeebecher auf dem Aschenbecher ab und betrat erneut den Laden, wobei er sich den Rest des Brötchens in den Mund stopfte.

Er kaufte eine Packung Hähnchenstreifen. Der Hund folgte ihm durch die Schaufensterscheibe hindurch mit seinem Blick.

»Wissen Sie, wo sein Besitzer ist?«, fragte Kazumasa den Verkäufer.

Dieser warf einen kurzen gelangweilten Blick nach draußen. »Keine Ahnung«, meinte er. »Der ist schon seit heute Morgen hier. Ich rufe später beim Gesundheitsamt an.«

»Verstehe.«

Mit den Hundesnacks in der Hand ging Kazumasa zurück zu den Aschenbechern. Der Hund wedelte mit dem Schwanz.

»Hier, friss!«

Kazumasa gab ihm einen der Hähnchenstreifen. Der Hund fraß ihn in Windeseile auf.

Kazumasa gab ihm noch einen und noch einen und noch einen. In weniger als fünf Minuten war die Packung leer.

»Du hattest mächtig Kohldampf, was?«

Kazumasa streichelte den Hund am Kopf. Er zeigte weder Freude noch Angst, sondern beobachtete Kazumasa bloß stumm.

»Lass mal sehen.«

Kazumasa griff nach dem Halsband des Hundes. Es war aus Leder, und ein Schild war daran befestigt.

»Tamon«, las er. »Du heißt Tamon? Seltsamer Name.«

Eigentlich hatte er gehofft, die Adresse oder Telefonnummer des Besitzers herauszufinden, aber außer dem Namen des Hundes stand dort nichts.

Kazumasa zündete sich eine zweite Zigarette an und nippte an seinem Kaffee. Tamon wich ihm nicht von der Seite. Er saß ganz ruhig neben ihm, ohne um mehr Essen zu betteln oder weitere Streicheleinheiten einzufordern.

Vielleicht war das seine Art, sich für das Futter zu bedanken.

»Ich muss langsam mal weiter«, sagte Kazumasa, als er zu Ende geraucht hatte.

Dieser Abstecher zum Convenience Store hatte nur eine kurze Pause sein sollen, um seinen Hunger zu stillen. Kazumasas Arbeitstag als Lieferfahrer war noch nicht zu Ende. Vor dem Erdbeben hatte er bei einem Fischverarbeitungsbetrieb gearbeitet, doch das Unternehmen war durch die Katastrophe bankrottgegangen. Danach hatte er eine Zeit lang von seinen mageren Ersparnissen leben müssen, bis er endlich diese neue Anstellung gefunden hatte. Er durfte sie auf keinen Fall wieder verlieren.

Kazumasa stieg zurück in seinen Wagen und stellte den Kaffeebecher in den Getränkehalter. Er ließ den Motor an und schaltete in den Rückwärtsgang.

Noch immer saß Tamon bei den Aschenbechern und beobachtete ihn.

Kazumasa gingen die Worte des Verkäufers durch den Kopf. »Ich rufe später beim Gesundheitsamt an«, hatte er gesagt.

Was würde mit dem Hund passieren, wenn das Amt ihn mitnähme? Wenn sich niemand seiner annehmen würde, würde man ihn bestimmt einschläfern lassen.

Kurz entschlossen lehnte sich Kazumasa vor und öffnete die Tür auf der Beifahrerseite.

»Spring rein!«, rief er Tamon zu. Der Hund stürmte zum Auto und sprang hinein.

»Aber bloß nicht in meinen Wagen pinkeln«, warnte ihn Kazumasa.

Tamon nahm seelenruhig den Platz auf dem Beifahrersitz ein, als gehörte er schon immer hierher.

***

»Was ist das für ein Köter?«

Numaguchi warf einen kritischen Blick auf Kazumasas Wagen, während er seine Scheine zählte. Tamon, der noch immer auf dem Beifahrersitz saß, beobachtete die beiden Männer durch die Fensterscheibe. Sie standen am Rande eines Lagerhausviertels in der Nähe des Sendaier Flughafens.

»Mein neues Haustier«, gab Kazumasa zurück.

»Du hast genug Kohle, um einen Köter durchzufüttern?«

Numaguchi stopfte die Scheine in den Umschlag zurück und steckte sich eine Zigarette in den Mund. Wie selbstverständlich holte Kazumasa ein Feuerzeug hervor und zündete sie ihm an.

Die beiden kannten sich noch aus Schulzeiten. Numaguchi war im Jahrgang über Kazumasa gewesen und hatte sich schon damals einen Namen als Raufbold und Kleinkrimineller gemacht. Diese Laufbahn hatte er nach der Schulzeit fortgeführt, indem er in die Unterwelt Sendais eingetaucht war. Auch wenn er nie offiziell einer der Yakuza-Gruppen beigetreten war, tat er faktisch dasselbe wie die Mafiosi.

Aktuell war er in den Handel mit Diebesgut verwickelt.

Als Kazumasas Ersparnisse nach seinem Arbeitsplatzverlust restlos erschöpft gewesen waren, hatte er sich aus Verzweiflung an Numaguchi gewandt und von ihm seine jetzige Stelle als Lieferfahrer erhalten.

»Ich muss auf den Hund aufpassen, geht nicht anders«, sagte Kazumasa vage.

Wenn er zugeben würde, dass er Tamon während seiner Arbeitszeit aufgelesen hatte, würde Numaguchis Faust in seinem Gesicht landen, da war er sich sicher.

»Ein Verwandter von dir kann ihn nicht mehr halten, was?«, meinte Numaguchi. »Na, wundern tut es mich nicht. Die Katastrophe ist ja noch nicht einmal ein halbes Jahr her.«

Numaguchi blies Rauch in die Luft und ließ dabei seinen Blick schweifen.

Im Osten des Lagerhausviertels war der Pazifische Ozean zu sehen. Vor der Katastrophe hatten sich in dieser Gegend Gebäude jedweder Größe dicht aneinandergereiht, doch der Tsunami hatte sie weggespült oder stark beschädigt.

»Im letzten halben Jahr wurde hier einiges wiederaufgebaut, aber so wie früher ist es noch lange nicht«, bemerkte Numaguchi.

Die Straße, die aufgebrochen und mit Schutt überhäuft gewesen war, war wieder instand gesetzt worden, doch die Reparaturen an den Gebäuden gingen nur schleppend voran. Numaguchi hatte die Lagerhalle einer Spedition angemietet, die nach der Katastrophe in Geldnot geraten war. Man hatte ihm das Gebäude zu einem spottbilligen Preis überlassen, wie Kazumasa gehört hatte.

»Bring dem Köter wenigstens bei zu bellen, wenn Bullen im Anmarsch sind«, sagte Numaguchi.

»Ob das geht?«

»Klar. Diese Viecher sind ziemlich schlau.«

»Na gut, ich versuche es.«

»Und noch was«, sagte Numaguchi, »ich habe eine Bitte.«

»Eine Bitte?«

»Beziehungsweise einen Vorschlag. Ich hätte einen Job für dich, der mehr Kohle bringt als diese Lieferfahrten. Du hast früher auf einer großen Rennstrecke bei Gokart-Rennen mitgemacht, oder?«, fragte Numaguchi.

»Das ist aber schon eine Ewigkeit her.«

Als Jugendlicher hatte Kazumasa davon geträumt, Formel-1-Pilot zu werden, doch der Traum war zerplatzt, als ihm im dritten Jahr der Mittelschule klargeworden war, dass er zu wenig Talent besaß. Seitdem hatte er nicht mehr in einem Kart gesessen.

»Es heißt doch, was man als Jugendlicher lernt, bleibt hängen«, entgegnete Numaguchi. »Jedenfalls hat Suzuki letztens Bauklötze gestaunt. Du hast ihn gefahren, stimmt’s?«

»Ja, warum?«, fragte Kazumasa.

Suzuki war so etwas wie Numaguchis Lehrling und Laufbursche. Vor zwei Wochen hatte Kazumasa ihn vom Lagerhausviertel in die Innenstadt von Sendai gefahren.

»Er meinte, du hättest total geschmeidig beschleunigt und abgebremst und jede Kurve mit solcher Präzision genommen, dass ihm die olle Karre wie ein Rolls-Royce vorgekommen sei.«

Kazumasa wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er kratzte sich verlegen am Kopf.

»Ob es an deiner Erfahrung auf der Rennstrecke liegt, weiß ich nicht, aber du bist ein guter Autofahrer«, bekräftigte Numaguchi.

»Kann schon sein, dass ich besser als der Durchschnitt fahre«, sagte Kazumasa.

»Ganz genau! Und diese Fahrkünste sollst du in meine Dienste stellen.«

»Worum geht es denn genau?«

Numaguchi schnippte seinen Zigarettenstummel weg.

»Ich wurde gebeten, einer ausländischen Gang bei ein paar Diebeszügen zur Hand zu gehen«, meinte Numaguchi.

»Diebeszüge?«

»Nicht so laut, du Idiot!«

Ein Klaps auf den Hinterkopf ließ Kazumasa verstummen.

»Wenn sie mit ihrer Arbeit fertig sind, sollst du sie zu ihrem Nachtlager zurückbringen.«

Kazumasa fuhr sich nervös mit der Zunge über die Lippen. Diebesgut auszuliefern und Geld zu überbringen, war eine Sache, mit den Dieben direkt nach der Tat im selben Auto zu sitzen, eine ganz andere. Bei den Lieferfahrten konnte er im Notfall behaupten, er habe nicht gewusst, was er da transportierte. Doch bei dieser Art von Arbeit würde die Polizei ihn zweifellos als Mittäter einstufen.

»Ich sage dir, es wird Münzen regnen.«

Mit Daumen und Zeigefinger formte Numaguchi einen Kreis, doch Kazumasa sah darin keine Münze, sondern die Gesichter seiner Mutter und seiner Schwester.

»Kann ich mir das noch mal überlegen?«, fragte er.

»Okay, aber beeil dich. Ich will noch diese Woche eine Antwort.«

»Alles klar.«

Kazumasa ließ den Blick zu seinem Auto schweifen. Noch immer saß Tamon reglos wie eine Statue auf dem Beifahrersitz und blickte ihn an.

Tamons Geschichte

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