Читать книгу Türke - Aber trotzdem intelligent - Selcuk Cara - Страница 17
MANN MIT GEWEHR
ОглавлениеIch saß gemeinsam mit meinem Großvater an unserem Bach, als sich uns ein Mann mit einem Gewehr über der Schulter näherte.
„Erkennst du mich noch?“, fragte er mit einem Lächeln, das sich vom Lächeln der übrigen Dörfler erheblich unterschied.
„Wie geht es deinem Vater und deiner Mutter?“, erkundigte er sich betont freundlich. Als er sich zu uns setzen wollte, sagte mein Großvater sehr ernst: „Was läufst du am helllichten Tag mit dem Gewehr durch die Gegend? Stell es weg!“
„Warst du schon einmal auf der Jagd?“, fragte mich der Mann, meinen Großvater ignorierend.
„Nein“, antwortete ich, eingeschüchtert von seiner Respektlosigkeit meinem dede gegenüber.
„Dann ist es an der Zeit, dass wir das nachholen!“
Als er nach meiner Hand greifen wollte, packte mein Großvater seinen Arm, ohne ihn eines Blickes zu würdigen: „Das Gewehr bleibt hier!“
Der Mann lächelte süffisant und lehnte das Gewehr an einen Baum, dann machte er mir ein Zeichen, und wir brachen auf.
Nachdem wir eine Weile dem Bachbett gefolgt waren, blieb er plötzlich stehen: „Sei still! Duck dich!“
Er zog eine Steinschleuder aus dem Gürtel, nahm vorsichtig einen Stein vom Boden auf, zielte auf eine Baumkrone und schoss. Nichts passierte. Als ich aufstehen wollte, packte er mich am Genick und drückte mich schroff herunter: „Sei still, da oben sitzen sie!“
Ich versuchte, etwas in der Baumkrone zu entdecken, aber es gelang mir nicht. Er schlich noch einige Meter an den Baum heran, bis ein Vogelpaar unvermittelt von einer Baumkrone zur anderen flog. Er gab mir seine Steinschleuder und griff nach einer weiteren Schleuder, die er hinten in seinem Gürtel stecken hatte. Er flüsterte, angestrengt nach oben in die Baumkronen spähend: „Schleich dich leise an die Vögel heran! Ich versuche, sie von der anderen Seite zu erwischen.“
Er verschwand hinter einem Baum, und eine undefinierbare Angst überkam mich. Ich ging aufgeregt in die Knie und suchte hastig nach Steinen, die ich in meine Hosentaschen stopfte.
Ein Vogel gab einen Laut von sich, mir stockte der Atem, ich ging tiefer in die Knie und suchte die Baumkronen ab.
Da war das Vogelpaar! Ich schlich mich näher heran und zielte auf den bunteren der beiden. Ich schoss. Der Vogel fiel flatternd zwischen den Ästen zu Boden. Erregt und überwältigt von meiner Tat rannte ich zu meinem Opfer, verfing mich in einer Wurzel, stolperte und fiel. Vor mir lag der Vogel, er lebte und schlug mit seinen Flügeln auf die Erde. Ich war wie gelähmt, ließ die Steinschleuder fallen und nahm den Vogel behutsam in die Hand. Ich spürte seine Wärme. Er schaute mich mit müden Augen an und starb.
Aus der Baumkrone waren die Klagelaute seines Partners zu hören. Ich fühlte eine unendliche Schuld und schloss meine Augen, bis die Rufe des Vogels über mir endlich verstummten. Ich weinte bitterlich.
Als ich meine Augen wieder öffnete, stand mein Großvater neben mir. Er weinte ebenfalls, nahm mir den Vogel aus der Hand und küsste mich auf die Stirn.
„Mein kleiner Selcuk, du musst ihre Sprache lernen, dann wird alles wieder gut! Mein kleiner Vogel, dann wird alles wieder gut!“