Читать книгу Der erobernde Islam - Shafique Keshavjee - Страница 12

Einleitung

Оглавление

Wir leben in einer erbarmungslosen Welt:

„Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf.“

Plautus, Rabelais, Montaigne, Hobbes, Freud

Im Laufe der Menschheitsgeschichte gab es über die Jahrhunderte hinweg immer Gruppen von Menschen, die gegen andere gekämpft haben. Von den Stammeskriegen bis zu den Weltkriegen zwischen Kolonialreichen, imperialistischen oder totalitären Staaten haben die Eroberungsgelüste nie aufgehört, das menschliche Bewusstsein zu beflügeln.

Manche Gemeinschaften haben gegen ihre Angreifer vor allem Verteidigungssysteme entwickelt. Andere haben sich Eroberungssysteme ausgedacht, um in die Gebiete ihrer Nachbarn einzufallen. Wieder andere haben „übergeordnete Systeme“ ausgearbeitet, um die Welt zu erobern.

Ein „übergeordnetes System“ ist eine „Weltanschauung“, die versucht, alle anderen Weltanschauungen zu beherrschen, einzuschränken, zu neutralisieren oder zu erklären.

Die großen religiösen Traditionen der Menschheit sind „übergeordnete Systeme“. Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum, Islam … alle versuchen, dem Leben ihrer Gläubigen einen Sinn zu geben. Sie versuchen außerdem Gründe anzuführen, warum ihre Wahrheit umfassender, differenzierter und relevanter ist als die der anderen Traditionen.

Auch der Atheismus ist ein „übergeordnetes System“. Er verleugnet nicht nur die Existenz des Göttlichen in den religiösen Traditionen, sondern behauptet auch, dass seine materialistische Erklärung der Welt die einzig maßgebende ist.

Jeder Mensch trägt, ohne sich dessen bewusst zu sein, den Traum von einer höheren Ordnung, einem „übergeordneten System“ in sich.

Das gilt für alle, die Anhänger einer starken Wahrheit sind, die für alle gilt, ganz gleich, ob sie nun metaphysischer Natur (Spiritualismus oder Atheismus) oder politischer Art (Liberalismus oder Sozialismus, Nationalismus oder Multikulturalismus) ist.

Das gilt ebenso für alle, die behaupten, es gäbe keine absolute Wahrheit und alle Wahrheiten seien individuell, relativ und provisorisch. So wird die Behauptung „Es gibt keine absoluten Wahrheiten!“ selbst zur absoluten Wahrheit. Den Anhängern dieses Weltbildes zufolge muss das säkularistische, laizistische und agnostische System alle anderen religiösen oder atheistischen Systeme dominieren und neutralisieren. Während dieses System die absoluten Wahrheiten der anderen kritisiert, verkennt es häufig den absoluten Wahrheitsanspruch des Relativismus, den es selbst propagiert.

Von all den metaphysischen „übergeordneten Systemen“, die sich im Lauf der Geschichte herausgebildet haben, war und ist der Islam ein besonders effizientes und expansives. Und nicht nur er.

Unter den großen religiösen Traditionen der Menschheit erheben drei universelle Ansprüche. Die Rede ist vom Buddhismus, Christentum und Islam. Alle drei haben wirksame missionarische Strategien entwickelt, um ihre Botschaft universal zu verbreiten.

Während sich der Buddhismus in hohem Maße an die Kulturen angepasst hat, in denen er Verbreitung fand, und das Christentum in seinen Grundlagentexten zwischen Religion und Politik unterscheidet, hat der Islam ein System verbreitet, das alle Dimensionen des Daseins einschließt – die spirituellen, gesellschaftlichen, politischen, rechtlichen, militärischen, wirtschaftlichen etc. Der Islam ist das System, das weltweit am schnellsten wächst. Ziel dieses Buchs ist es zu verstehen, wie dieses System es mit seinen Vormachtansprüchen geschafft hat, viele Orte, an denen es Fuß gefasst hat, zu beherrschen und zu erobern.

Ich möchte an dieser Stelle klar betonen, dass das „übergeordnete System“, welches der erobernde Islam darstellt, nur eines unter vielen ist. Das „übergeordnete System“ des westlichen indoeuropäischen Imperialismus* war mindestens genauso stark von Gewalt geprägt. Die europäische Kultur kann in diesem Zusammenhang als eine Nebeneinanderstellung der jüdisch-christlichen Ideologie und der indoeuropäischen ideologischen Strukturen1 definiert werden.

Dabei war die Expansion der Indoeuropäer* vom 3. Jahrtausend vor Christus bis zu unseren Tagen in erster Linie durch extreme Gewalt gekennzeichnet. Hier die Einschätzung des großen Religionshistorikers Mircea Eliade zu diesem Thema:

„Der Einbruch der Indoeuropäer in die Geschichte ist von schrecklichen Verwüstungen gekennzeichnet. In der Zeit zwischen 2300 und 1900 werden in Griechenland, Kleinasien und Mesopotamien zahlreiche Städte geplündert und in Brand gesteckt. […] Dieser charakteristische Vorgang – Wanderung, Eroberung neuer Gebiete; Unterwerfung der Bewohner, gefolgt von der Assimilation – kam erst im 19. Jahrhundert unserer Zeitrechnung zum Stillstand. Diese weitgreifende sprachliche und kulturelle Expansion hat in der Geschichte nicht Ihresgleichen.“2

Die praktische Umsetzung des Evangeliums konnte diese Gewalt manchmal einschränken. Häufig gab sie ihr aber nur einen anderen Anstrich und veränderte das System nicht wirklich tiefgreifend. Die von der westlichen Welt bisweilen mit dem stillschweigenden Einverständnis der Kirchen verübten Gewalttaten waren ungeheuerlich. Und sie sind es immer noch.

Oder wie es ein berühmter Rabbiner namens Jesus von Nazareth ausdrückte:

„Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und nimmst nicht wahr den Balken in deinem Auge? […]

Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; danach kannst du sehen und den Splitter aus deines Bruders Auge ziehen.“ (Matthäus 7,3-5)

Kreuzzüge, Inquisition, Kriege zwischen Protestanten und Katholiken, Antisemitismus, Kolonialismus, Marxismus, Nationalsozialismus, Imperialismus oder Eroberungskriege, um sich die Gebiete und Ressourcen unseres Planeten zu sichern – dies alles brachte und bringt noch heute unsagbares Leid über die Menschen.

Wenn wir uns einmal die schlimmsten Massaker und Gewalttaten des 20. Jahrhunderts anschauen, wurden diese weder „im Namen des Islam“ begangen (mit Ausnahme des Völkermords an den Armeniern und christlichen Assyrern, bei dem der ideologische Unterbau des Islam die Ideologie der Jungtürken des osmanischen Reichs stark beeinflusst hat) noch „im Namen Gottes“. Sie gingen auf das Konto der neopaganen, materialistischen oder atheistischen totalitären Systeme: Nationalismus, Nationalsozialismus, Maoismus, Marxismus-Leninismus, Stalinismus … (siehe Kasten).

Die Welt ist ein Schlachtfeld, auf dem die „übergeordneten Systeme“ miteinander im Wettstreit stehen, um Einfluss zu gewinnen.

Im 20. Jahrhundert waren der Nationalsozialismus, Stalinismus und Maoismus die „übergeordneten Systeme“, die extrem destruktiv waren. Als Widerstand dagegen und zu ihrer Neutralisierung hat sich ihnen das „übergeordnete System“ der humanistischen, liberalen und sozialen Demokratie entgegengestellt. Die Verteidiger der „Menschenrechte“ und der Demokratie möchten, dass das „höhere Ziel“ ihres „Systems“ überall auf der Welt gilt und damit die Welt beherrscht. Keine Region der Erde kann und darf sich der Umsetzung dieser Grundwerte entziehen, die die „Menschenrechte“ fördern.

Der erobernde Islam

Подняться наверх