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1. Der laizistische und liberale Islam

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Der laizistische Islam erkennt eine klare Trennung zwischen weltlicher und geistlicher Macht an. Mustafa Kemal Atatürk (1881–1938), der erste Präsident der Republik Türkei, war ein berühmter und glühender Verteidiger dieser Linie.

„Atatürk [war] nicht zufrieden damit, das Sultanat abzuschaffen, das im kollektiven Bewusstsein in den heiligen Rang des Kalifats erhoben worden war (woraus sich der Protest der Ulema der Al-Azhar-Universität in Kairo und die Erschütterung, die die Aktion Atatürks im muslimischen Bewusstsein auslöste, erklären), [er] griff [sogar] das semiologische Universum der Muslime an, indem er das arabische Alphabet durch das lateinische Alphabet, den Turban und den Fes durch den Hut und die Schari’a durch das Schweizer Zivilrecht ersetzte.“

Mohammed Arkoun4

Seit einigen Jahrzehnten gibt es zahlreiche muslimische Denker, die sich bemühen, Abstand von einem buchstabengläubigen, traditionalistischen Islam zu nehmen, der die Grundlagentexte nicht in ihrem historischen Zusammenhang auslegt. Sie versuchen einen „liberalen“ oder „reformierten“ Islam zu fördern, in dem die Werte der modernen Welt voll integriert sind. In seinem Buch Islam et liberté. Le malentendu historique [Islam und Freiheit. Ein historisches Missverständnis] hält Mohamed Charfi fest:

„[…] in der muslimischen Welt hat der religiöse Fanatismus in den letzten Jahren mehr Leiden und Opfer versursacht als anderswo […] Die Scharia ist ein Musterbeispiel für Frauenfeindlichkeit, ihr Strafrecht unmenschlich und ihre Regeln eine grobe Verletzung der Gewissensfreiheit. […] Gott ist nicht fanatisch, aber die Ulemas (Religionsgelehrten) von gestern und heute sind es […] Die Juden und Christen haben diese schändliche Regel einer Ein-Weg-Wahl abgeschafft [wonach man die Religion zwar annehmen, aber nicht mehr verlassen kann], während der Islam sie wegen seiner Theologen und Fundamentalisten immer noch aufrechterhält.“5

Viele andere Muslime haben es ebenfalls gewagt, die verkrusteten Strukturen des Islam zu kritisieren. Manche sind sogar so weit gegangen, dem Islam den Rücken zu kehren (z. B. Ibn Warraq). Andere, wie Abdelwahab Meddeb, haben den Finger auf die „kranken Stellen“ des Islam gelegt. Oder Wafa Sultan, der sich zwar dazu bekennt, muslimisch zu sein, aber es gleichzeitig wagt, den Islam als eine Religion der Angst und des Hasses, vor allem auf Frauen, zu kritisieren. Und noch andere wie Mohammed Arkoun, Muhammad Said al-Ashmawi, Rachid Benzine, Soheib Bencheikh, Hamadi Redissi, Hechmi Dhaoui, Fuad Zakariya, Abdennour Bidar oder Abdelmajid Charfi haben einen neuen geläuterten, überdachten, mehr oder weniger „modernisierten“ Islam vorgeschlagen.6

Für die Autoren, die muslimisch und gläubig geblieben sind (denn ein immer größerer Teil von Muslimen, die „atheistisch“ geworden sind, definieren sich gerne als „laizistische“ Muslime, um keine Besorgnis zu erregen), sind es die schönen Texte der islamischen Tradition und Geschichte, die weiterhin die Überbringer einer „Sinnschuld“ sind (Mohammed Arkoun)7.

Dieser laizistische und liberale Islam stellt für den Westen und die Anhänger anderer religiöser Traditionen kein Problem dar.

Dasselbe gilt für den esoterischen und fortschrittlichen Islam der ismailitischen Schiiten*, die den Prinzen Karim Aga Khan IV. als ihren 49. Imam anerkennen.

Leider ist die Stimme dieser „liberalen“ oder „fortschrittlichen“ Muslime kaum hörbar, da die ihrer Gegner lauter und drohender ist.

Eine weitere große Schwierigkeit besteht darin, dass es den meisten Autoren schwerfällt, auf die gewaltverherrlichenden Texte im Koran, den Hadithen und der Sîra hinzuweisen. Und diese „Verdrängung“ oder „Vernachlässigung“ pflanzt sich im Leben der muslimischen und nicht-muslimischen Gesellschaften weiter fort durch die wortwörtliche Umsetzung der Lehren durch Muslime, die sich weigern, „eine humanistische Reform des Islam vorzunehmen“ (wie diese reformerischen Muslime) und entschlossen sind, „die gesamte Menschheit durch den Islam zu reformieren“.

Der erobernde Islam

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