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2|1 Keine Kunst ohne Künstler

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Sie sind gefragt: Welche Künstler kennen Sie (ankreuzen) und von welchem haben Sie auch schon einmal ein Werk gesehen? (Buchstabe ins passende Kästchen setzen.)


❑ Andy Warhol (A)

❑ Leonardo da Vinci (B)

❑ Claude Monet (C)

❑ Pablo Picasso (D)

Antwort: B, C, A, D.

Kennen Sie einen, zwei oder alle? Leonardo da Vinci, das Universalgenie des 15. Jahrhunderts, Maler der Mona Lisa? Claude Monet, dessen Ausstellungen jeweils Rekordbesucherzahlen erzielen und dessen berühmte Seerosen- und Blumenbilder beliebte Kalendermotive sind? Pablo Picasso, der Maler des 20. Jahrhunderts schlechthin, oder Andy Warhol, der Mitbegründer der Pop-Art, dessen Porträt Marilyn Monroe zum Status einer Pop-Ikone verhalf? Bei allen genannten Malern sind sich Fachkreise und Laien einig: Es handelt sich zweifelsfrei um Künstler. Niemand käme auf die Idee, ihr Können oder ihre Leistungen infrage zu stellen. Was aber unterscheidet sie von anderen Malenden, die diesen Titel nicht für sich beanspruchen können? Was genau macht einen Künstler aus?

„Er ist eben ein Künstlertyp.“ Ein oft gehörter Satz. Eine Mischung aus Bewunderung und Entschuldigung, aus der man nicht ganz klug wird. Ein Satz, der vieles offen lässt, anderes ausschließt, aber mit Sicherheit bestimmte Vorstellungen in Ihnen weckt. Natürlich gibt es nicht den Künstler, ebenso wenig wie es den Pfarrer, den Lehrer oder den Arzt gibt, und doch scheinen sich gewisse Eigenschaften, Erwartungen und Ansprüche unter dem Begriff Künstler zu subsumieren.

Sie sind gefragt: Mit welchen positiven oder negativen Eigenschaften charakterisieren Sie den „Künstlertyp“?

Antwort: Wie wär’s mit: außergewöhnlich, genial, begabt, verrückt, voller Ideen, ein Könner, ein Einzelgänger, ein Individualist, ein Außenseiter, schräg, würde ihm meine Buchhaltung nicht anvertrauen etc.?

Die wohl früheste Beschreibung von Künstlern findet sich im 2. Buch Moses im Alten Testament der Bibel. Verfasst im 5. Jahrhundert v. Chr. nimmt das Zeugnis Bezug auf die Erbauung der Stiftshütte, des transportablen Heiligtums der Israeliten.

Hintergrund zum Thema: Die Geschichte berichtet, wie Gott die beiden Künstler Bezalel und Oholiab mit den Arbeiten für das Heiligtum betraut. Dabei geht es um mehr als um die Erteilung eines Auftrages an zwei Begabte. Es ist von göttlicher Inspiration der beiden Beauftragten die Rede, die sich nicht nur auf die auszuführende Arbeit, sondern auch auf die Anleitung weiterer Helfer erstreckt. Von Bezalel wird gesagt, Gott habe ihn mit seinem Geist erfüllt, ihm Können und Umsicht gegeben und ihn zu jeder künstlerischen Tätigkeit befähigt. So könne er Bilder und Gegenstände entwerfen (Idee) und sie in Gold, Silber oder Bronze ausführen, Edelsteine schneiden und fassen und Holz kunstvoll bearbeiten (Fertigkeit), und er sei auch in der Lage, andere zu solchen Arbeiten anzuleiten (Vermittlung). Welche Bedeutung dieser künstlerischen Tätigkeit zukommt, zeigt sich in der umfangreichen Beschreibung, die fünf Kapitel (von vierzig) des ganzen Buches einnimmt. Immer wieder werden dabei die Namen der Künstler genannt und ihr Werk – das im eigentlichen Sinne ein Gesamtkunstwerk ist – bis ins Detail beschrieben. Die Geschichte endet mit dem Segen Mose – also einer Einweihung, in deren Verlauf die Künstler aber nicht mehr genannt werden.8

Bereits in diesem frühen Text werden gewisse Voraussetzungen des Künstlerseins genannt. So etwa die Aufteilung künstlerischer Tätigkeit in die drei wichtigen Bereiche, Planung/​Idee, Ausführung/​Fertigkeit und Anweisung/​Vermittlung an Dritte. Unabdingbare Grundvoraussetzung für dieses Tun aber ist hier die göttliche Inspiration. Erst durch sie wurden Bezalel und Oholiab zur Ausführung des Auftrages befähigt. Nach Abschluss der Arbeiten verliert die Geschichte dann jegliches Interesse an den Künstlern. Bei der Einweihung des Kunstwerks sind bereits andere „Fachkräfte“ am Werk, während der Kult alleine der Verherrlichung Gottes gilt.

Erstaunlicherweise pflegte auch die griechische Antike, ausgerechnet jene Epoche also, die wegen ihrer künstlerischen Produktivität jahrhundertelang verehrt und als Maßstab künstlerischen Schaffens betrachtet wurde, einen sehr prosaischen Umgang mit „ihren“ Künstlern. Zwar galten sie als inspirierte Ausführende einer von Gott gegebenen Idee, aber ihnen selbst wurde kaum Ehre zuteil. Im Gegenteil: Der griechische Philosoph Platon (4./​5. Jh. v. Chr.) vergleicht sie mit Banausen, Schiffsbauern und Handwerkern. Der römische Philosoph Seneca (1. Jh. n. Chr.) berichtet: „Die Götterbilder verehrt man, man betet sie an und opfert ihnen, aber die Bildhauer, die sie verfertigt haben, verachtet man.“9 Diesen abwertenden Zeugnissen stehen freilich zahlreiche Anekdoten gegenüber, die von der Meisterschaft gewisser Maler berichten und von ihrer Wertschätzung durch die jeweiligen Herrscher. Eine Geschichte, die von Plinius d. Ä. (1. Jh. n. Chr.) überliefert ist, bringt beide Aspekte des Künstlertums zum Ausdruck, sowohl die Wertschätzung als auch die soziale Kluft, die zwischen Herrscher und Künstler bestand.

Die Anekdote zum Thema: Als Alexander [der Große] veranlasst hatte, dass eine von ihm ganz besonders geliebte Nebenfrau, Pankaspe, wegen ihrer Schönheit von Apelles gemalt werde, und dabei beobachtete, dass dieser, indem er gehorchte, selbst in Liebe entbrannte, gab er sie ihm zum Geschenk – groß durch seine Selbstbeherrschung und durch diese Tat nicht weniger bedeutend als durch irgendeinen Sieg. Denn er hat sich selbst besiegt und schenkte nicht nur seine Lagergenossin, sondern auch seine Neigung dem Künstler, wobei er sich nicht einmal durch Rücksicht auf seine Geliebte abhalten ließ, die erst einem König angehört hatte und nun einem Maler gehören sollte.10

Nicht viel besser erging es den Künstlern des Mittelalters. Kunstwerke entstanden damals meist im Kollektiv einer Werkstatt, einer klösterlichen Schreibstube oder einer Bauhütte, die für eine Kathedrale tätig war. Der Künstler war ein begabter Handwerker oder Mönch, der überwiegend im Auftrag der Kirche arbeitete und weitgehend anonym blieb. Erst gegen Ende des Mittelalters wuchs das Bedürfnis einzelner Ausführender, ihr Werk zu signieren oder sich in Form eines Porträts darin zu verewigen. Zu diesen frühesten signierten Kunstwerken, die uns überliefert sind, zählt der Klosterneuburger Altar des Nikolaus von Verdun.


Abb. 5: Nikolaus von Verdun Samson kämpft mit dem Löwen 1181, Email und Goldschmiedearbeit (eine der 51 Bildplatten des Verduner Altars im Stift Klosterneuburg bei Wien)

Hintergrund zum Bild: Der unter dem Namen Nikolaus von Verdun bekannte Goldschmied und Emailkünstler schuf 1181 51 Emailbilder, in denen er Darstellungen des Alten Testaments solchen aus dem Neuen gegenüberstellte. Signiert ist das Werk mit den lateinischen Worten QVOD NICOLAVS OPVS VIRDVNENSIS FABRICAVIT (was Nikolaus von Verdun herstellte).

Erst in der Renaissance erfuhr die Stellung des Künstlers eine grundlegende Änderung. Leonardo da Vinci war Maler, Bildhauer, Architekt, Kunsttheoretiker, Anatom, Ingenieur und Erfinder; Albrecht Dürer Maler, Grafiker, Mathematiker und Kunsttheoretiker. Beide waren also Maler und Wissenschafter und verbanden ihr „Handwerk“ mit theoretischen Erkenntnissen. Sie betrachteten die Malerei nicht mehr als handwerkliche Fertigkeit, sondern betrieben sie als Wissenschaft. Dadurch gewannen sie und ihre Kunst nicht nur ein neues Selbstverständnis, sondern auch an gesellschaftlichem Ansehen.

Schon eine Generation später kennzeichnete den Maler, Bildhauer und Architekten Michelangelo Buonarroti (1475 – 1564) eine ganz andere Persönlichkeit. Mit seinem ausgeprägten Willen und seiner schöpferischen Kraft, seiner technischen Meisterschaft und dem eigenwilligen Temperament verkörperte er den Künstler-„Typ“ schlechthin. Er war, was man postum auch gerne als Genie bezeichnet, ein Exzentriker im Sinne eines das Normale überragenden Individuums. Als solches schwankte er zwischen Melancholie und Inspiration, Leiden und Schöpferkraft, als einer, der sein Leben ganz der Kunst und die Kunst Gott widmete.


Abb. 6: Michelangelo Buonarroti Die Erschaffung Adams (Detail aus dem Deckenfresko), 1508 – 1512 Vatikan, Sixtinische Kapelle

Auch der Norden hatte seine überragenden Meister: Allen voran Peter Paul Rubens und Rembrandt van Rijn. Während der eine weltmännisch von sich sagte, er erachte die ganze Welt als seine Heimat11 (in einer Zeit, als man darunter noch vorwiegend Europa verstand), und nicht nur sein malerisches, sondern auch sein diplomatisches Können in den Dienst der spanischen Krone stellte12, fühlte sich der andere zeitlebens den Armen und Ausgestoßenen verbunden. Während der eine seine Doppelrolle geschäftstüchtig auszunutzen verstand, sah sich der andere am Lebensende mit dem finanziellen Ruin konfrontiert. Während die Kunst von Rubens durch Licht und Farbe besticht, zeichnet sich die Malerei Rembrandts durch dramatisches Hell und Dunkel aus. Eines aber hatten die beiden gemeinsam: In ihren Ateliers gaben sie ihr Wissen an viele Schüler weiter, denn die Lehrtätigkeit war ein wichtiger Bestandteil ihres Künstlerberufes. Diese wurde allerdings erst im Lauf des 17. und 18. Jahrhunderts mit der Gründung von Kunstschulen und Akademien zu einem lukrativen und prestigeträchtigen Amt.

Ab dem 18. Jahrhundert schlüpfte der Künstler vermehrt in eine neue Rolle. Maler wie William Hogarth (1697 – 1764), der Spanier Francisco de Goya (1746 – 1828), die Franzosen Honoré Daumier (1808 – 1879) und Gustave Courbet (1819 – 1877) wurden zu eigentlichen Gesellschaftskritikern, indem sie in ihren Werken Missstände aufzeigten.

Hintergrund zum Bild: Nachdem seit der Mitte des 17. Jahrhunderts die englische Bevölkerung ermutigt worden war, Gin zu brennen und zu verkaufen, um so die Kornpreise und die Exporte in die Kolonien hochzuhalten, zeigten sich ein Jahrhundert später die negativen Auswirkungen im eigenen Lande. Sozialer Abstieg, Verzweiflung und Tod vieler waren die Folgen. Hogarth prangerte mit seinem Kupferstich die desolaten Zustände an und stellte ihnen in einer zweiten Illustration, der Beer Lane, die Alternative eines prosperierenden, auf Bierproduktion gegründeten Alltags gegenüber (vgl. auch Kapitel Genremalerei).


Abb. 7: William Hogarth Gin Lane

Solche und ähnliche Bilder entstanden immer häufiger aus dem Mitteilungsbedürfnis der Maler, das mehr und mehr zur treibenden Kraft ihres Schaffens wurde. Während sich der Künstler allmählich von seinen traditionellen Auftraggebern und Mäzenen emanzipierte, gewannen künstlerische Freiheit und Unabhängigkeit die Oberhand über Kunstfertigkeit und naturalistische Darstellung. Ein Prozess, der nicht selten auf Kosten sozialer Anerkennung ging. So zeugen die zu Ende des 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts entstehenden „Ismen“, wie Impressionismus oder Symbolismus, von jenem Aufbruch in der Malerei, der von der Gesellschaft vorerst mehrheitlich nicht verstanden wurde und Künstler ins gesellschaftliche Abseits manövrierte. Viele führten deshalb mehr oder weniger freiwillig ein Leben als Bohemiens. Dieses Außenseitertum ging vermehrt mit einer dezidiert antibürgerlichen Haltung einher. Der unverstandene Künstler, der an sich und der Welt leidet, der um seiner Kunst willen Entbehrung und Krankheit auf sich nimmt, der geradezu zum Märtyrer wird, wurde bald zum Inbegriff wahren Künstlertums. Gerade dieses Leben außerhalb der Konventionen scheint den Künstler seit dem 19. Jahrhundert und bis weit ins 20. Jahrhundert hinein zu charakterisieren. Künstlerische, oft auch moralische Freiheit und gesellschaftliche Ungebundenheit garantierten aber noch lange keine Unabhängigkeit. Denn im gleichen Maß, wie sich der Künstler von seinen Auftraggebern löste, wurde er vom freien Markt abhängig.

Notabene: Der Versuch einer Rückbindung des Künstlers an die Gesellschaft findet sich wieder in den totalitären Regimes des Kommunismus und des Nationalsozialismus. Ersterer betrachtete die Kunst, wie jede andere Arbeit auch, als einen Sektor der Planwirtschaft. Ziel war das Kunstwerk als Produkt einer rationalisierten Gemeinschaftsarbeit unter Einbezug der neuesten technischen Entwicklungen. Stilwille und individueller Ausdruck – die als künstlerische Eitelkeit verpönt waren – wurden dagegen für die Entfremdung zwischen der Kunst und dem Volk verantwortlich gemacht. Es galt das Primat des Inhalts über die Form. Beliebt waren in beiden Ideologien Arbeitersujets.

Seit Beginn des 20. Jahrhunderts schlossen sich einzelne Künstler vermehrt auch in Gruppen zusammen, um so einer Kunstauffassung mehr Gewicht zu verleihen. Die Brücke, Der Blaue Reiter, De Stijl, aber auch die Dada-Bewegung (vgl. Kapitel Die Moderne) machten ihr Kunstverständnis durch Gemeinschaftsausstellungen oder -veranstaltungen und theoretische Schriften publik. Eine solche Bewegung jüngeren Datums war in den 1960er-Jahren die Fluxus-Bewegung. Diese Kollektivkunstbewegung wollte den Kunstbetrieb anonymisieren und zugunsten des Kollektivs auf das Signieren der Werke verzichten. Hand in Hand mit der Forderung nach Entpersonalisierung des Künstlers ging der Wunsch, das Gefälle zwischen Künstler und Kunstpublikum zu überwinden. Bestrebungen dieser Art finden sich bis heute in der Kunstszene. Mittlerweile zeichnen zahlreiche Künstlerkollektive oder -paare gemeinschaftlich für ihre Werke (Christo und Jeanne Claude, Gilbert & George, Fischli/​Weiss). Nicht selten sind sie auch selber nicht mehr Ausführende ihrer Kunst, sondern lediglich Ideengeber, Konzepter oder, um einen Begriff aus der Wirtschaft zu verwenden, Manager.13

Die Nähe von Kunst und Wirtschaft hat selbstverständlich auch ihre Wirkung auf die Künstlerlaufbahn. So scheint gegenwärtig der Karriereerfolg in erster Linie von der Marktnische oder vom Trend abzuhängen, die sich Kunstschaffende zunutze machen können. Das heißt, ob es ihnen gelingt, durch etwas ganz Neues oder durch die originelle Umsetzung einer bereits bestehenden Idee auf sich aufmerksam zu machen. Ist ein Künstler dann erst einmal etabliert, wird alles zum Kunstwerk, was den Weg ins Museum schafft oder seine Unterschrift trägt. Was so eine Signatur für eine Bedeutung haben kann, zeigt ein Tagebucheintrag von Andy Warhol vom 8. März 1981:

Die Anekdote zum Thema: „Wir frühstückten mit Joseph Beuys. Er bestand darauf, dass ich in sein Haus komme und mir sein Atelier anschaue. Ich sollte sehen, wie er lebt, mit ihm Tee trinken und Kuchen essen. Es war sehr nett. Er schenkte mir ein Kunstwerk, das aus zwei Flaschen mit Sprudelwasser bestand. Sie explodierten in meinem Koffer und zerstörten alles, was ich mithatte. Ich kann den Koffer nicht aufmachen, weil ich nicht weiß, ob es sich noch um ein Kunstwerk handelt oder nur um zerbrochene Flaschen. Wenn er nach New York kommt, muss ich ihn dazu bringen, den Koffer zu signieren, denn sonst ist er zu nichts mehr zu gebrauchen.“14

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