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1|3 Kunst kommt (nicht) von Können

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„Das könnte ich auch!“ Eine häufig geäußerte Reaktion von Menschen, die sich mit moderner Kunst konfrontiert sehen. Mit dieser Bemerkung meinen sie nicht etwa, dass sie selbst künstlerisch tätig sind. Nein, sie wollen damit andeuten, dass unmöglich Kunst sein kann, was sie als Laien auch zustande bringen würden. Kunst ist für sie etwas, das nicht jeder kann, etwas, das eine überragende Fertigkeit erfordert. Kunst kommt für sie von Können. Und tatsächlich haben sie recht!

Kunst hatte ursprünglich die Bedeutung von Können. Das lateinische Wort ars, das wir gemeinhin mit Kunst übersetzen, bezeichnete nämlich in der Antike ganz allgemein eine Fähigkeit, Fertigkeit oder gar eine Wissenschaft. Das galt auch im Mittelalter. So meinte das mittelhochdeutsche Wort kunst ein Wissen, eine Geschicklichkeit oder aber eine Erleuchtung. Im engeren Sinne wurde also die Vervollkommnung eines Handwerks, wie beispielsweise der Buchmalkunst, aber auch einer Fähigkeit, etwa der, Reden zu halten (Redekunst oder Rhetorik), oder sogar die Kriegführung als Kunst aufgefasst. Bezeichnenderweise konnotiert der Begriff nun aber auch die Bedeutung von Wissenschaft und Erleuchtung. Das sind zwei interessante Aspekte, die im Kapitel Keine Kunst ohne Künstler noch aufgegriffen werden.


Abb. 3: Hans Holbein d. J., Heinrich VIII. ca. 1539/​40, 88,2 x 75 cm Tempera auf Holz Palazzo Barberini, Rom

Notabene: Seit dem Altertum kannte man die sieben freien Künste, also die septem artes liberales, bestehend aus Rhetorik, Grammatik, Dialektik, Arithmetik, Astrologie, Geometrie und Musik. Sie ermöglichten dem freien Mann (deshalb freie Künste) den Zugang zum eigentlichen Studium. Malerei und Bildhauerei sind nicht aufgeführt. Sie gehörten zu den praktischen Künsten, den sogenannten artes mechanicae. Sie dienten dem direkten Broterwerb und wurden deshalb als niederer als die freien Künste eingestuft.

Im Mittelalter wurden Malerei, Bildhauerei und Architektur in der Regel vom Kollektiv einer Bauhütte oder einer Malschule ausgeführt. Eine zentrale Rolle kam den Skriptorien, den Schreibstuben der Klöster, zu, wo in Gemeinschaftsarbeit großartige Kunstwerke der Buchmalkunst geschaffen wurden. Mit dem Aufstieg der Städte im ausgehenden Mittelalter entwickelten sich dann die „praktischen Künste“ zunehmend im Rahmen des Zunftwesens. Obwohl die Zünfte und ihre Mitglieder gesellschaftlich angesehen waren, war man dann in der Renaissance bemüht, die Malerei gegenüber den freien Künsten intellektuell aufzuwerten. Bildnerisches Schaffen sollte fortan der Musik oder Dichtkunst ebenbürtig als freie Kunst wahrgenommen werden. (vgl. Kapitel Der Künstler).

Notabene: Der deutsche Maler Hans Holbein d. J. (1498 – 1543) erhielt 1520 durch Heirat die Gelegenheit, der Basler Malerzunft „Zum Himmel“ beizutreten. Das verschaffte ihm so lukrative Aufträge wie die Ausmalung des Großratssaales im Basler Rathaus (1521) und indirekt eine Karriere im Ausland. 1523/​24 arbeitete er für den französischen König, 1532 verließ er Basel für immer, um Hofmaler Heinrichs VIII. von England zu werden. Dort porträtierte er nicht nur den König und drei seiner insgesamt sechs Ehefrauen, sondern auch zahlreiche andere Prominente aus Adel und Wissenschaft.

Eine weitere Facette des Kunstbegriffs erschließt sich aus der Bedeutung des mittelhochdeutschen Wortes künstlich, das zunächst klug, geschickt oder kenntnisreich meinte. Bald aber wurde künstlich auch im Sinne von „von Menschenhand geschaffen“ verwendet und dem Begriff natürlich gegenübergestellt. So übernahm das Gemälde als geschicktes Abbild der Natur eine wichtige Informationsfunktion in einer Zeit, als es noch keinen Fotoapparat gab. Kunstwerke entstanden also etwa, um der Welt oder Nachwelt Macht und Aussehen Heinrichs VIII. zu demonstrieren, um das Vergnügen spielender Kinder festzuhalten (vgl. Brueghel, Kapitel Genremalerei), sie entstanden beim Versuch, ein besonders dekoratives Arrangement von Früchten oder Blumen möglichst naturnah abzubilden (vgl. Kapitel Stillleben) oder eine schöne Landschaft wiederzugeben (vgl. Meindert Hobbema, Kapitel Landschaft), aber auch, um die Bombardierung der Stadt Guernica 1937 im Spanischen Bürgerkrieg zu dokumentieren (vgl. Picasso, Kapitel Historienmalerei). Aus diesen verschiedenen Bedürfnissen des Abbildens entwickelten sich im Lauf der Zeit die Kunstgattungen Porträt, Genre, Landschaft, Stillleben und Historie.

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