Читать книгу Zwanzig Sekunden Ewigkeit - Siegfried Langer - Страница 10
Оглавление1 7. Kapitel
Warum hatte jemand dem Toten Alex' Kärtchen um den Zeh gebunden?
Und noch wichtiger: Wer hatte das getan?
Allmählich wurde ihr immer klarer, dass sich das, was um sie herum geschah, einer logischen Erklärung verweigerte. Und dennoch musste das alles in einem inneren Zusammenhang stehen. Anders ergab es keinen Sinn.
Aber konnte nicht genau das die entscheidende Fehleinschätzung sein?
Eine falsche Schlussfolgerung?
Musste alles zwangsläufig einen Sinn ergeben?
Was, wenn es nichts gab, was die Ereignisse miteinander verband?
Was, wenn etwas völlig anderes dahinter steckte?
Ihre Gedanken kreisten um sich selbst. Dann dachte sie an Gott.
Die einen glaubten an ihn, die anderen nicht. Mit Logik und Verstand war Religion und Glauben nicht beizukommen. Gott benötigte weder Beweise noch Gegenbeweise, er entzog sich sowohl dem einen als auch dem anderen.
Und was war mit dem Sinn des Lebens?
Worin lag er?
Reichtümer und Prestige anzuhäufen?
Im Glück und in der Zufriedenheit?
Oder war das Leben selbst sein Sinn?
Ihre Überlegungen kehrten zu ihrer persönlichen Situation zurück.
Wo befand sie sich?
In ihrem eigenen Wahn?
Täuschten sie ihre Sinne?
Erneut berührte sie das Gesicht des Jungen in der Schublade; sie weigerte sich, ihn Alex zu nennen.
Seine Wangenknochen und seine Mundpartie kamen ihr bekannt vor.
Sie ging hinüber zu dem Spiegel und verglich.
Ja, da bestand eine Ähnlichkeit.
Ein Zufall oder ein weiteres Rätsel?
Wie sie feststellte, war sie in diesem Spiegel erneut die junge Frau von dreiunddreißig Jahren, die sie glaubte, aktuell zu sein. Kein kleines Mädchen. Kein Teenager.
Da kam ihr ein anderer Gedanke: Wenn der Junge hier unten tot in der Schublade lag, dann konnte er oben nicht mehr an der Treppe stehen, oder?
Sie verließ den Kühlraum und beeilte sich, an der Tür vorbeizukommen, hinter der sie die dicke Frau wusste.
Der Geruch von Erdbeeren stieg in ihre Nase.
Sie hatte keine Ahnung, wo er herkam. Als sie den Treppenabsatz erreichte, war er bereits wieder verflogen.
Hinauf ins Erdgeschoss und weiter in den ersten Stock.
Falsch gedacht! Der Junge stand immer noch dort. Er hielt die Arme verschränkt und lächelte süffisant.
“Aber du bist tot!”, warf sie ihm entgegen.
Zunächst schwieg er, aber schließlich ließ er sich zu einer Antwort herab: “Das bin ich schon seit langer, langer Zeit.”
“Wieso stehst du dann hier?”
Mit langsamen Schritten kam er auf sie zu.
Nein, sie würde keine Angst haben und nicht zurückweichen.
Tapfer blieb sie stehen.
Er streckte seine Hand aus und berührte mit den Fingerspitzen sanft ihre Stirn.
Dabei bemerkte sie, dass er genauso groß war wie sie selbst.
Obwohl er höchstens dreizehn oder vierzehn Jahre alt sein konnte.
Sie hatte sich also erneut in ein Mädchen verwandelt.
“Es steckt alles in dir drin, die komplette Lösung”, sagte er, dann deutete er auf das tanzende Dornröschen auf dem Sweatshirt, in dem sie plötzlich wieder steckte. “Und warte nicht, bis der Prinz kommt, um dich zu befreien.”
“Hilf mir”, flehte sie. “Bitte.”
Aber der Junge ging rückwärts eine Treppenstufe nach oben.
“Komm wieder, wenn du erwachsen bist.”
Dann verschwanden der Junge, die Treppe und das ganze Elternhaus.