Читать книгу Der Tartuffe - Sigrid Behrens - Страница 8

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Szene V

ORGON. CLÉANTE.

CLÉANTE Da lacht sie Euch, mein Bruder, einfach mitten ins Gesicht … Nicht, dass ich Euch vergrätzen will, doch muss ich Euch leider sagen: Sie tut es mit Recht. Hat man denn jemals von einer solchen Einfalt gehört? Ist es wirklich möglich, dass Ihr dem Zauber eines solchen Mannes gänzlich verfallen seid und darüber alles andere vergesst? Dass Ihr, nachdem Ihr ihn aus seiner Misere befreit habt, so weit geht, ihn tatsächlich –

ORGON Haltet ein, mein Schwager – Ihr wisst nicht, über wen Ihr da sprecht.

CLÉANTE Ich mag ihn nicht kennen, wie Ihr sagt, und doch: Um zu wissen, um was für einen Menschen es sich handelt –

ORGON Mein Bruder, Ihr wäret begeistert, wenn Ihr ihn kennenlerntet, und Eure Begeisterung nähme gar kein Ende. Er ist ein Mann, der – ach!, ein Mann – Ein Mann eben! Wer seinen Ratschlägen folgt, der kommt in den Genuss des allertiefsten Seelenfriedens – für den ist die ganze Welt nur noch ein Misthaufen. Tatsächlich, der Umgang mit ihm macht mich zu einem anderen Menschen; er lehrt mich, mein Herz an nichts mehr zu hängen, er befreit meine Seele von jeder Freundschaft, und müsste ich meinem Bruder, meinen Kindern, der Mutter und meiner Frau beim Sterben zusehen, es würde mich nicht weiter bekümmern.

CLÉANTE Das, mein Bruder, nenne ich menschliche Gefühle!

ORGON Wenn Ihr nur gesehen hättet, wie ich seine Bekanntschaft gemacht habe, Ihr brächtet ihm genau dieselbe Freundschaft entgegen wie ich. Jeden Tag kam er mit sanfter Miene in die Kirche und fiel gleich mir gegenüber auf die Knie. Die Blicke der gesamten Gemeinde zog er auf sich, so inbrünstig sandte er seine Gebete gen Himmel; er stieß Seufzer aus, ein großes Stöhnen, und küsste währenddessen immer wieder demütig den Boden. Und sobald ich mich erhob, um die Kirche zu verlassen, da überholte er mich rasch, um mir an der Tür das Weihwasser zu reichen! Einem Hinweis seines Gehilfen folgend, welcher ihm in allem – seinem Verhalten wie auch seiner Bedürftigkeit – nacheiferte, machte ich ihm Geschenke; doch er, bescheiden wie er war, bestand stets darauf, mir einen Teil zurückzugeben! „Das ist zu viel“, sagte er, „Die Hälfte muss reichen, denn ich verdiene Euer Mitleid nicht …“ Und wenn ich mich weigerte, die Spende zurückzunehmen, begann er vor meinen Augen, sie unter den Armen aufzuteilen. Schließlich nahm ich ihn, der Himmel sei gepriesen, bei mir auf, und seitdem scheint mir hier alles zu wachsen und gedeihen. Ich sehe täglich, wie er sich aller Dinge annimmt; selbst für meine Frau, und das gereicht mir besonders zur Ehre, interessiert er sich ungemein: Sobald ihr jemand schöne Augen macht, lässt er es mich wissen und zeigt sich dabei zehnmal so eifersüchtig wie ich selbst. Doch werdet Ihr kaum glauben, wie weit sein Eifer reicht: Die kleinste Kleinigkeit ist ihm eine Beichte wert, nichts ist gering genug, ihn nicht aus der Fassung zu bringen – das geht sogar so weit, dass er sich neulich selbst anklagte, beim Beten einen Floh gefangen und vor Wut getötet zu haben …

CLÉANTE Teufel auch! Ich glaube wirklich, Bruder, Ihr seid verrückt. Wollt Ihr mich mit solchen Berichten für dumm verkaufen? Was glaubt Ihr denn, was dieses ganze Gefasel –

ORGON Mein Bruder, Eure Rede riecht verdammt nach Freidenkerei – mir scheint wirklich, Eure Seele ist ganz davon ganz besessen, und wie ich es Euch schon zigmal vorausgesagt habe: Ihr halst Euch damit nur Ärger auf.

CLÉANTE Leute wir Ihr sprecht doch immer gleich: Ein jeder soll so blind sein wie Ihr selbst! Kaum hat einer gute Augen, so wird er schon als Freidenker beschimpft, und wer nicht gleich vor wilder Spiegelfechterei in die Knie geht, dem mangelt es prompt an Glauben und Ehrfurcht vor den heiligen Dingen! Ehrlich, Euer Reden macht mir keine Angst: Ich weiß, was ich sage, und der Himmel kennt mein Herz – wir lassen uns von Euch Umstandskrämern nicht zu Sklaven machen. Denn genau so, wie es Schein-Helden gibt, so gibt es auch Schein-Heilige, und so, wie man beobachten kann, dass die wahren Helden selten die wären, die, wohin auch immer die Ehre sie verschlagen mag, viel Lärm verbreiten, so sind es auch nicht die wahren Heiligen, jene, deren Spuren man nur mühsam verfolgen kann, die viel Aufhebens um sich machen. Ja, was! Wollt Ihr etwa keinen Unterschied machen zwischen Heuchelei und wahrer Hingabe? Ihr wollt sie über einen Kamm scheren und der Maske wie dem Antlitz die gleiche Ehre erweisen, die Behauptung mit der Aufrichtigkeit gleichsetzen, Schein und Sein miteinander verwechseln, das Gespenst gleich viel achten wie die lebende Person und Falschgeld für bare Münze nehmen? Was sind die Menschen nicht sonderbar mitunter! Selten sieht man sie sich natürlich verhalten, die Grenzen der Vernunft sind ihnen zu eng, pausenlos drängen sie darüber hinaus; das Edelste noch verhöhnen sie, indem sie es übersteigern und allzu stark in den Vordergrund stellen! Dies nur mal nebenbei, mein Schwager.

ORGON Nun, Ihr seid gewiss ein ausnehmend kluger Kopf; die Weisheit der großen weiten Welt scheint es sich dort oben bei Euch gemütlich gemacht zu haben, Ihr seid der einzig Weise und Erleuchtete, ein Orakel, der Cato unseres Jahrhunderts – neben Euch sind alle Menschen die reinsten Narren.

CLÉANTE Weder bin ich, mein Bruder, ein ausnehmend kluger Kopf, noch beherbergt dieser die Weisheit der gesamten Welt; meine Wissenschaft besteht, in einem Wort, allein darin, dass ich das Wahre vom Falschen unterscheide. Und da ich auf dieser Welt keine Helden so sehr schätze wie die wahren Frommen, so ist mir hienieden auch nichts edler und schöner als die heilige Inbrunst des wahren Glaubenseifers – genau so wie ich nichts verabscheuungswürdiger finde als die Gipsmaske des vermeintlichen Glaubens, den diese ausgemachten Scharlatane, diese Marktplatzfrömmler, die mit ihrer gottlosen und betrügerischen Fratze das, was den Sterblichen als das Heiligste und Unantastbarste ist, schamlos ausnutzen und sich darüber lustig machen. Diese Leute, die ihre Seele dem Gewinn unterworfen haben und Geschäfte mit dem Glauben machen, die sich Vertrauen und Würde zum Preis ihrer falschen Augenaufschläge und geheuchelter Begeisterung erkaufen wollen, diese Leute, sage ich, die man ihrem Erfolg mit ungewöhnlichem Eifer bis in den Himmel nachlaufen sieht, welche, brennend und betend, doch nur betteln können, Tag für Tag, die im Hof stehend Entsagung predigen und es doch bestens verstehen, ihren Eifer ihren Lastern anzupassen, diese Leute sind gerissen, nachtragend, unverfroren und hinterlistig, und um jemanden ins Unglück zu stürzen, verdecken sie ihre Heimtücke schamlos mit dem Gewand himmlischer Anteilnahme! Sie sind sogar umso gefährlicher, als sie in ihrer bitteren Wut jene Waffen gegen uns richten, die wir doch selbst ins Feld führen – und dass ihre Leidenschaft, deren Anerkennung ihnen sicher ist, nur darauf zielt, uns mit heiligem Schwerte niederzustrecken … Leider sieht man von dieser Art nur allzu viele – welch ein Segen, dass die im Herzen Frommen sich leicht erkennen lassen. Tatsächlich stellt unser Jahrhundert, mein Bruder, uns gleich mehrere glorreiche Beispiele vor Augen: Denkt nur Ariston, an Periander, Orontes, Alkidamas, Polydoros oder Klitander: Niemand, der ihnen ihr Ansehen streitig machen kann, denn sie sind keine jener Tugendprahler, an ihnen ist kein Schimmer dieses unerträglichen Prunks zu sehen, ihre Frömmigkeit ist menschlich, also umgänglich; sie urteilen nicht über jede unserer Handlungen – der Hochmut, der in solchen Zurechtweisungen steckt, ist ihnen völlig fremd – , sie überlassen die stolzen Reden den anderen und tadeln uns lieber dadurch, dass sie ihr Verhalten von dem unseren unterscheiden. Dem bösen Anschein trauen sie selten, denn ihre Seele glaubt immer erst an das Gute im Menschen. In ihnen herrscht keine Kabale, es gibt keine Intrigen zu entdecken; das einzige, wonach sie trachten, das ist das bessere Leben; sie kennen keine Wut beim Anblick eines Sünders, einzig die Sünde selbst vermag ihnen ein Gefühl des Hasses zu entlocken, und sie streben nicht danach, das Anliegen des Himmels eifriger zu verfolgen als dieser selbst. Das sind meine Leute, die wissen, wie man es richtig macht – sie geben ein Beispiel, das einem zeigt, woran man sich zu messen hat. Euer Mann, seien wir ehrlich, ist keiner von diesem Schlage: Zwar rühmt Ihr in gutem Glauben seinen Eifer, doch glaube ich, Ihr seid von falschem Schein geblendet.

ORGON Mein lieber Herr Schwager, seid Ihr nun endlich fertig?

CLÉANTE In der Tat.

ORGON Stets zu Diensten. (im Begriff zu gehen)

CLÉANTE Ich bitte Euch, mein Bruder, noch ein Wort – lassen wir diese Reden beiseite: Ihr erinnert Euch, dass Ihr Valère Euer Wort darauf gegeben habt, dass er Euer Schwiegersohn werden soll?

ORGON Ja.

CLÉANTE Ihr hattet sogar schon einen Tag zur Schließung dieses zarten Bundes festgelegt.

ORGON So ist es.

CLÉANTE Warum also das Fest noch hinausschieben?

ORGON Ich weiß es nicht.

CLÉANTE Habt womöglich anderes im Sinn?

ORGON Mag sein.

CLÉANTE Wollt Ihr Euer Wort brechen?

ORGON Das würde ich so nicht sagen.

CLÉANTE Meiner Ansicht nach hindert Euch nichts daran, Euer Versprechen zu halten.

ORGON Je nachdem.

CLÉANTE Ist es denn so schwer, dieses Wort über die Lippen zu bringen? Valère bittet mich, in dieser Sache mit Euch zu sprechen.

ORGON Dem Himmel sei Dank!

CLÉANTE Was soll ich ihm denn sagen?

ORGON Was immer Euch gefällt.

CLÉANTE Aber dazu muss ich doch wissen, was Eure Pläne sind. Und, welcher Natur sind sie?

ORGON Das zu tun, was der Himmel befielt.

CLÉANTE Dann reden wir offen: Valère hat Euer Wort, werdet Ihr es nun halten oder nicht?

ORGON Adieu.

CLÉANTE Ich befürchte Schlimmstes für seine Liebe – ich werde ihm alles erzählen müssen, was hier geschieht.

Der Tartuffe

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