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Historische Romane

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Betrachten wir unter den Gesichtspunkten „weibliche Perspektive“ und „Haltung zum Katholizismus“ einen ihrer bekanntesten Romane, Die Belagerung von Wien aus dem Jahr 1828, etwas genauer.

Die Rettung des christlichen Abendlandes vor dem Ansturm der Türken im Jahr 1683 ist eines der markanten Daten der österreichischen Geschichte, quasi eine raison d’être dieses Staates als „Bollwerk gegen den Osten“, und ist zur Zeit Pichlers noch viel stärker im kollektiven Bewusstsein präsent als heute. Die von diesem Sieg eingeleitete katholische „reconquista“ (sowohl extern gegen den Islam als auch intern gegen den Protestantismus) findet durch die ganz Österreich durchdringende barocke Architektur ihren sichtbaren Ausdruck. Die literarische Gestaltung der Belagerung und Befreiung Wiens wird von Schriftstellerinnen mehrmals aufgegriffen, unter anderem auch von Enrica von Handel-Mazzetti im 20. Jahrhundert.

Pichlers dreibändiger Roman verwendet historische Quellen, die er auch – für die damalige Zeit sehr genau – in Anmerkungen angibt; die Abweichungen von den historischen Geschehnissen werden klar markiert und kommentiert – so z. B. die für den Handlungsablauf notwendige Raffung des Schicksals des ungarischen Verräters Zriny, der nicht nach realen 15, sondern fiktional bereits nach einem Jahr Festungshaft in Kufstein stirbt. Auch die Einführung von historisch nicht belegten Personen, die für die Einbettung der familiären Geschichte in die historischen Geschehnisse nötig sind, wird erklärt. Wir finden also ein für die Periode – man denke an die historischen Romane der Romantiker – eher überraschendes Bewusstsein vom Verhältnis von Fiktion und Realität/Historie, die Leser/innen werden nicht in ein scheinbar unmittelbar zugängliches historisches Geschehen verstrickt, sondern sind – neben aller gewünschten Identifikation – auch zur Distanz aufgerufen.

Pichler versucht in diesem Roman – und in ihren anderen – die Verbindung von Unterhaltung und Belehrung, die für den historischen Roman des späteren 19. Jahrhunderts so typisch ist, als dessen Vertreter/innen wir neben den Professoren wieder viele Autorinnen finden werden. Die für diesen Romantypus angeführte Erklärung, dass er Frauen, die von der institutionellen Wissenschaft ausgeschlossen waren, historische Forschung und Darstellung ermöglicht hat, gilt für Pichler noch nicht, da die Historikerschaft zu dieser Zeit noch nicht voll etabliert war.

In inzwischen bewährter, damals aber noch innovativer Manier wird das historische Geschehen personalisiert, am Schicksal einer Familie, der von Wolkersdorf, dargestellt. Auffällig ist, dass in dieser Familie die Männer quasi nur Nebenrollen spielen, das Interesse des Romans gilt den Frauen, der Mutter und den zwei Töchtern, Ludmilla und Katharina; der Vater stirbt früh, der Bruder, ein Offizier, wird nach kurzer Erwähnung vergessen. Diese Konzentration auf die weiblichen Hauptfiguren setzt sich auch über die Familie hinaus fort. Auch in Wien spielt die Handlung im Haus einer verwitweten Generalin von Preysing, deren Tochter ebenfalls mit einem – abwesenden – Militär verheiratet ist. Die männlichen Figuren sind durchwegs Repräsentanten der öffentlichen Sphäre – Staat, Militär, Religion.

Im Zentrum des Geschehens steht weniger die Belagerung Wiens als die Familiengeschichte. Frau von Wolkersdorf, lange kinderlos, leistet das Gelübde, eines ihrer zukünftigen Kinder dem Kloster zu weihen. Die Opposition zwischen den beiden Schwestern prägt den Roman: Ludmilla ist schön, hochmütig, intelligent, leidenschaftlich, selbstbewusst und selbstsüchtig, Katharina hingegen, die jüngere und von der Mutter eher vernachlässigte, ist nett, hübsch, folgsam, hingebungsfähig, von praktischer Intelligenz, natürlich, ohne die Strahlkraft ihrer Schwester – wir finden hier eine späte, etwas verblasste Variation des aufklärerischen Gegensatzes von höfischer intellektueller Dame/Maitresse und naiver bürgerlicher Natürlichkeit.

Die leidenschaftliche Ludmilla, seit ihrer Geburt auf ein vornehmes Klosterleben vorbereitet, verliebt sich in den ungarischen Verschwörer Zriny. Sie geht mit ihm zuerst nach Paris und pflegt ihn, der inzwischen den Kaiser verraten hat und darüber wahnsinnig geworden ist, nach seiner Verhaftung bis zu seinem Tod in der Festung Kufstein.

Katharina, die gegen ihren Willen die Rolle der zukünftigen Nonne hat übernehmen müssen, bewährt sich im belagerten Wien – sie arbeitet als Krankenschwester und erweist sich ihres Verlobten Sandor, des Adjutanten von König Sobieski, würdig. Am Ende ist es doch wieder Ludmilla, die in ein adeliges, kontemplatives Kloster geht, wodurch dem Glück von Sandor und Katharina nichts mehr im Wege steht.

Bemerkenswert ist das Bemühen um Korrektheit in den historischen Darstellungen bzw. die klare Markierung von Abweichungen; klar ist der Österreichpatriotismus mit der positiven, und auch sehr privaten, Schilderung des Kaisers (seine Frau ist schwanger, was die Flucht so problematisch macht; sein väterliches Verhältnis zu Zriny). Die Türken werden relativ pauschal negativ als mordende und brennende Heiden gestaltet; problematisch und verräterisch sind vor allem die Ungarn, die mit ihnen paktieren. Frankreich erscheint ambivalent, Paris als elegante und geistreiche, aber zutiefst verderbte Metropole, die moralische Ablehnung wird durch eine auffällige Faszination konterkariert. Überraschend klar ist die Haltung gegenüber der katholischen Kirche: Ganz josephinistisch wird ihr nur dort Wert zugeschrieben, wo sie sich der tätigen Nächstenliebe widmet – im konkreten Fall der Krankenpflege. Die Mutter Wolkersdorf verkörpert in ihrer verbohrten engstirnigen Gläubigkeit die negativen Seiten des Christentums, die Beschreibung der Ausstattung für Ludmillas Eintritt in ein vornehmes Damenkloster zeigt die Hohlheit dieser Art von Frömmigkeit auf einer anderen Ebene. Während der aktive, kämpfende und helfende Kardinal Kollowitz positiv gezeigt wird und Katharina in ihrem Kampf gegen den erzwungenen Klostereintritt voll unterstützt, ist der Jesuit Pater Isidor zu Beginn und zu Ende des Buchs völlig unterschiedlich gezeichnet, es sind fast zwei Personen, die nur durch den Namen zusammengehalten sind – eine Schwäche des Buches. Am Beginn ist er der fanatische und engstirnige Eiferer, am Ende der zwar strenge, aber mitleidige Helfer, der Ludmilla findet und heimbringt.

Der Roman verkörpert ein noch der Aufklärung verpflichtetes Ideal der Vernunft und der Mäßigung, er ist ein Werk eines österreichischen Patriotismus, der bei aller Oppositionsstruktur versucht, allzu klare Schwarz-Weiß-Zeichnungen zu vermeiden: Auch der Bösewicht Zriny ist nicht nur eine faszinierende Person, sondern zerbricht auch an seinem Verrat; auch der ideale Sandor gefährdet durch sein Duell aus Eifersucht seine politische Mission. Das Happy End bescheidet beiden unterschiedlichen Schwestern ein ihnen entsprechendes unterschiedliches Lebensmuster. Durch die Darstellungsweise wird allerdings Ludmillas Klosterexistenz aufgrund der mangelnden sozialen Relevanz eindeutig negativ konnotiert.

Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000

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