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Vorwort

Der Mensch ist das Tier, das sich in seiner Umgebung durch Sprache orientiert. Mit sprachlichen Zeichen ordnet er die Fülle und das Chaos der Sinneseindrücke, schließt bestimmte Phänomene zu einem zusammen, differenziert es von anderen. Die Einteilung des Lichtspektrums in Farben ist das in der Sprachwissenschaft hierzu immer wieder zitierte Beispiel. Die Ordnung ist willkürlich, aber sozial tradierbar.

Diese Technik der Gruppenbildung durch Bezeichnung funktioniert auch im kulturellen Bereich. Die Fülle der Texte, Bilder, Filme etc., die uns zur Verfügung steht, verlangt nach Ordnung. Sie ist zwar willkürlich, aber sowohl für das Sprechen über Texte („Texte“ wird hier semiotisch für alle kulturellen Manifestationen verwendet) als auch für die eigene Orientierung im potentiell unendlichen Textkosmos notwendig.

Gattungseinteilungen und geschichtliche Darstellungen, Morphologie und Historie, sind die privilegierten Formen, die im 19. Jahrhundert in den Naturwissenschaften als Ordnungsmöglichkeiten entwickelt worden sind und die, wie Linné und Darwin zeigen, interferieren. Sie sind auf die kulturellen Produktionen übertragen worden.

Die Zuordnung zu einer Gattung, die Positionierung auf einer bestimmten historischen Ebene sagen nur wenig über ein Phänomen aus. Sie sind im Prinzip neutral, dennoch zeigt z. B. die heute wieder aufflackernde Kontroverse über Darwins Entwicklungsmodell, wie stark Wertvorstellungen auch scheinbar neutrale Deskriptionen kodeterminieren. Diese Wertvorstellungen sind im Bereich der kulturellen Manifestationen noch wichtiger, da Literaturgeschichten und Gattungseinteilungen primär dazu dienen, einen Kanon des Wissens- und des Bewahrenswerten für eine Gesellschaft zu erstellen. Umso notwendiger ist daher in diesem Bereich die dauernde Problematisierung dieses Kanons, seine ständige Revision.

Das Bewusstsein um die Manipulierbarkeit von Wertvorstellungen, wie sie der Nationalsozialismus vorgeführt hat, und die immer weiter wachsende Menge des Materials haben dazu geführt, dass literaturgeschichtliche Gesamtdarstellungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zugunsten von exemplarischen Studien aufgegeben worden sind. Auch dort, wo der Terminus „Literaturgeschichte“ beibehalten worden ist, handelt es sich praktisch ausschließlich um eine Sammlung von Einzelstudien verschiedener Verfasser/innen.

Ich bin mit der Skepsis gegenüber simplifizierenden und normierenden Überblicken, gegenüber dem Kanon, aufgewachsen, habe aber im Laufe meiner universitären Lehrtätigkeit feststellen müssen, dass eine Problematisierung dieses Kanons und seiner Werte nur dann möglich ist, wenn das Wissen um die Normen noch existiert. Existiert dieses literaturgeschichtliche Basiswissen nicht mehr, geht auch die Problematisierung ins Leere. Was bleibt, ist ein scheinbar wertneutrales beliebiges Nebeneinander von Einzelphänomenen.

Da die Schulen den Kanon nicht mehr tradieren (können?/wollen?), muss hier das Buch diese Vermittlungsfunktion übernehmen. Das Verfassen entsprechender Literaturgeschichten als Orientierungshilfe wird dabei durch drei Faktoren erschwert:

1 Die zu überblickende und zu selektierende Materialmenge hat seit der klassischen Zeit der Literaturgeschichten im 19. Jahrhundert enorm zugenommen, und zwar nicht nur linear durch die Addition von neu entstandenen Texten, sondern auch durch die wissenschaftliche Erschließung von Texten aus früheren Epochen.

2 Die Problematisierung des Kanons hat zur Erschließung von neuen Bereichen und Perspektiven geführt: Literatur als Sozialwissenschaft, Trivialliteratur, Kinderliteratur, Arbeiterliteratur, black und (post-)colonial literature, Frauenliteratur etc.

3 Die Universitäten, privilegierte Arbeitsorte möglicher Verfasser/innen, fordern und fördern Spezialist/inn/en, wissenschaftliche Exaktheit und „Tiefe“ und verurteilen „Breite“ a priori als populär und unwissenschaftlich, i. e. abzulehnen. Sie praktizieren damit ein Beurteilungspositiv, dem wir im Bereich der Literatur wieder begegnen werden.

Dass hier trotzdem versucht wird, eine Gesamtdarstellung eines Stranges der Literatur zu geben, ist in der Erfahrung der Notwendigkeit von Literaturgeschichten begründet. Es ist auch darin begründet, dass sich in gut 30 Jahren Lese- und Forschungsarbeit zahlreiche Einzelstudien angesammelt haben, die eine Zusammenfassung geradezu erfordern. Die Versuche, sie als Einzelstudien zu ordnen, haben Verbindungen und Lücken aufgezeigt, die darzustellen bzw. zu schließen eine Herausforderung bedeutet haben. Schon die bloße Ordnung des Materials hat neue Aspekte des bereits Dargestellten eröffnet. Die Addition hat Auswirkungen auf das System.

Eine derartige zusammenhängende literarhistorische Darstellung der Werke von Frauen aus einem bestimmten kulturellen Raum gehört seit langem zu den Desideraten der Frauenforschung – und der schreibenden Frauen, die immer wieder darüber Klage geführt haben, dass sie auf keine Tradition zurückblicken können. Jede einzelne muss sich immer wieder nicht nur mit den allgemeinen Problemen der literarischen Kreativität auseinandersetzen, sondern auch mit dem (Vor-)Urteil, dass Frau und künstlerische Kreativität Widersprüche seien.

Die ersten Versuche von derartigen Zusammenfassungen für den deutschsprachigen Raum stammen bereits aus den Anfängen der Frauenforschung in den 70er Jahren (Brinker-Gabler, Gnüg), doch handelt es sich dabei um typische Sammelbände von Essays verschiedener Verfasserinnen.1

In den inzwischen vergangenen 30 Jahren hat sich die literaturwissenschaftliche Frauen- und gender-Forschung zu einem respektablen Feld entwickelt, in dem eine große Zahl von Einzelstudien vorgelegt worden ist.2 Diese Arbeiten haben die Absenz von Autorinnen in den Literaturgeschichten als Verfälschung der historischen Tatsachen entlarvt. Der Vorwurf, die vorhandenen Werke seien von mangelnder Qualität, erweist sich als A-priori-Verurteilung.

Die methodologische Frage, ob eine Darstellung der Literatur von Frauen allein sinnvoll sei, hat ebenfalls hemmend gewirkt. Eine Gesamtdarstellung der Literatur, in der die Literatur von Frauen selbstverständlich mit berücksichtigt ist, würde zu nicht unerheblichen Dezentrierungen des bisherigen Blickwinkels und damit zu völlig neuen Zusammenhängen führen – allerdings würden sich dadurch die angeführten Schwierigkeiten der Materialfülle und des Spezialist/inn/entums noch vervielfachen.

So berechtigt die Forderung nach einer Integration der Literatur von Frauen in eine Gesamtdarstellung der Literatur prinzipiell erscheint, so habe ich mich dennoch fürs erste für die der Kompensationstheorie verpflichtete Variante der zusammenhängenden Darstellung der Literatur von Frauen – mit entsprechenden Querverweisen auf die „allgemeine“ Literaturgeschichte – entschieden. Nicht nur soll damit der eindrucksvolle Anteil von Frauen an der Literatur demonstriert werden, sondern die Vorgehensweise scheint auch dadurch berechtigt, dass Frauen unter anderen Bedingungen geschrieben haben als ihre männlichen Kollegen. Darüber hinaus nimmt diese Darstellungsweise ein Verhaltensmuster vieler Schriftstellerinnen auf, die sich immer wieder – sei es im persönlichen Verkehr, in Briefen, in Rezensionen, in Vereinen – auf die Arbeiten ihrer Kolleginnen bezogen haben. Im „außerwissenschaftlichen“ Raum ist so eine Art Ariadne-Faden der Kontinuität etabliert worden. Die vorliegende Studie wird zeigen, dass der „weiße Rabe“ nicht erst in den 70er Jahren „fliegen gelernt hat“3, sondern dass er diese Fähigkeit schon lange besitzt.

Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000

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