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Literatur und Politik

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Diese Verteidigung der künstlerischen Potenz und Schaffenskraft als männliche Domäne wird im deutschsprachigen Bereich noch weiter verstärkt. Literatur hat hier – aufgrund der fehlenden nationalstaatlichen Einheit – eine eminent politische Funktion. Die „deutsche Literaturgeschichte“ ist nicht identisch mit der englischen oder französischen, wo sich Sprach- und Staatsgebiet weitgehend decken.6 Lange Zeit bleibt „deutsche Literatur“ eine Schimäre oder Utopie; Deutschland existiert noch nicht, es ist nicht zuletzt die Literatur, die als Beweis für die mögliche/nötige politische Staatsgründung dient bzw. sie herbeizuführen hat. Literatur und Literaturgeschichte erlegen sich die gleiche Verpflichtung für eine „deutsche Nation“ auf.

Darüber hinaus befindet sich die deutschsprachige Literaturgeschichtsschreibung von ihrem Beginn in der Romantik bis weit ins 19. Jahrhundert hinein in einer Position der Minderwertigkeit: Sie glaubt, ihren Gegenstandsbereich nicht nur vis-à-vis der griechischen und lateinischen Klassik konstruieren zu müssen, sondern sie muss ihn auch vis-à-vis der hochentwickelten englischen, französischen und italienischen Literatur behaupten. Nicht zuletzt aus diesem – schon bald nicht mehr offen ausgesprochenen, sondern internalisierten – Gefühl der Minderwertigkeit lässt sich der Kompensationsgestus verstehen, der – unter implizitem Rückgriff auf das Heilige Römische Reich Deutscher Nation – aus „deutsch“ „europäisch“ zu machen versucht, wie zum Beispiel Schlegel in seinen Wiener Vorlesungen:

Wenn wir also wie billig diese östlicher wohnenden slavischen Völkerschaften […] und die asiatischen immer noch nicht einheimisch gewordenen Fremdlinge abrechnen: so behalten wir für unser Europa, die kleineren Ausnahmen abgerechnet, nur eine einzige durch Sprache und Abstammung durchgängig verwandte, große Völkermasse übrig.

Deutsche Stämme waren es, welche durch den Umsturz des abendländischen Römischen Reiches im Süden, dann durch Ausbreitung im Norden das neuere Europa gründeten und erfüllten. Auf dieser Seite des Erdbodens waren die Deutschen nach den Römern die zweiten großen Welteroberer […]. Übrigens sind in dem soeben beschriebenen Europa die sämtlichen Sprachen entweder rein deutsche Mundarten, oder aus der Vermischung des Deutschen mit dem in den Provinzen vorgefundenen Lateinischen entstanden. Nimmt man noch die nahe Verwandtschaft des Deutschen mit dem Lateinischen und Griechischen hinzu, die keinem Sprachforscher zweifelhaft sein kann: so erscheinen die verschiedenen Sprachen Europas fast nur als Dialekte einer einzigen, welche in zwei Hauptklassen zerfallen, wovon in der einen der größte Teil der Masse lateinisch, in der anderen deutsch ist.7

Die unbedeutenden deutschen Kleinstaaten werden zu „Welteroberern“ erhöht (im Zeitalter Napoleons!), ihre Insignifikanz durch die Identifikation mit dem gesamten Kontinent kompensiert, dessen Sprachenvielfalt quasi auf das Niveau „deutscher Dialekte“ reduziert wird. Die (gemeinsame) deutsche Sprache und Literatur wird hiermit Medium einer nicht nur nationalen, sondern europäischen Einheitsstiftung, die Wissenschaft von dieser Sprache und Literatur zu einer Königsdisziplin.

Dass die Funktion der Frauen in den romantischen Zirkeln, in denen die Literaturgeschichtsschreibung ihren Anfang hat, wichtig gewesen ist, haben die Forschungen der letzten Jahrzehnte deutlich gemacht. Dass Bettina von Arnim, Rahel Varnhagen von Ense und Dorothea Schlegel nicht nur den Großteil der berühmten Schlegel-Tieck’schen Übersetzungen geleistet haben, sondern dass sie auch selber produktive und erfolgreiche Schriftstellerinnen waren, ist inzwischen wieder bekannt. Die Größe ihrer Bedeutung entspricht dabei der Intensität der Verdrängung.

Im Anschluss an die von den Romantikern initiierte Aufwertung einer deutschen Literaturgeschichte findet sich in der deutschsprachigen Literaturgeschichtsschreibung (z. B. bei Hettner) eine weitere Politisierung ihrer Aufgabe in Richtung Nationalstaatlichkeit und Bürgertum. Die Bindung der Literatur und der Literaturwissenschaft an die politische Funktion der deutschen Einheitsstiftung beeinflusst den Blick auf die Literatur entscheidend. Alles, was einem feudalistischen Kontext zugeschrieben werden kann, wird negativ beurteilt (z. B. Barock, Wieland). Ausgeschieden wird, was nicht – wie im positiv akzentuierten Bildungsroman – die Integration des Individuums in die politische Gemeinschaft thematisiert. Da Frauen, aufgrund des neuen bürgerlichen Familienideals, für das Innere des Hauses und die „Rekreation“8 zuständig sind und nicht für den öffentlichen, politischen Bereich, können sie auch keine (politische) Literatur schreiben. Da ihre Texte aber nicht mehr übersehen werden können, werden sie in den Bereich der Trivialliteratur abgeschoben, die aus dem Kanon ausgeschieden werden kann.

Die Dichotomisierung der Geschlechterrollen (nach dem Scheitern des Egalitätsmodells in der Aufklärung) hat auch eine Dichotomisierung der Literatur zur Folge: „männlich“ entspricht hoher Literatur, „weiblich“ der Trivialliteratur. Dass diese Trennung im deutschen Raum bis auf den heutigen Tag weitaus stringenter als im angelsächsischen, aber auch im französischen Bereich ist, in denen Verkaufserfolg mit literarischer Qualität einhergehen kann, ist nicht zuletzt auch auf den politischen deutschen „Sonderweg“ und auf die damit verbundene spezielle Bedeutung von Literatur zurückzuführen.

Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000

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