Читать книгу Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000 - Sigrid Schmid-Bortenschlager - Страница 16
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2.
Situation
Obwohl im habsburgischen Reich mit seiner langen Tradition und seinen beiden weitgehend deutschsprachigen historischen Metropolen Prag und Wien1 die Voraussetzungen für die Entwicklung einer bedeutenden Literatur vorhanden gewesen wären, muss festgestellt werden, dass sich die deutschsprachige Literatur2 hier erst sehr spät, ja, im Vergleich mit den anderen deutschsprachigen Ländern, verspätet entwickelt hat. Was für die Literatur im Allgemeinen gilt, gilt auch für die Literatur von Frauen. Während sich im nördlichen deutschsprachigen Bereich Schriftstellerinnen in respektabler Zahl und in respektabler Qualität seit der Aufklärung nachweisen lassen,3 setzt diese Entwicklung in Österreich4 erst ein halbes Jahrhundert später ein. Die oft genannten und allgemein anerkannten Gründe dafür werden in den unterschiedlichen Religionen und ihrem Verhältnis zum Text, zur Bibel gefunden: protestantischer Norden vs. katholischer Süden, ein Dispositiv, das durch die Herkunft zahlreicher Schriftsteller aus Pastorenfamilien anscheinend bestätigt wird.5 Diese Erklärung hat sicherlich einiges für sich, es lassen sich jedoch auch gewichtige Gegenargumente anführen: So finden sich z. B. im katholischen Sachsen und Schlesien ähnliche Tendenzen wie in den protestantischen Ländern, und blickt man über den deutschsprachigen Bereich hinaus, so sind die Literaturen im katholischen Frankreich und in Italien weitaus „fortgeschrittener“ oder „fortschrittlicher“ als selbst im protestantischen nördlichen deutschen Sprachraum.
Die Erklärungen müssen wohl noch differenziert werden, was hier aus naheliegenden Gründen nicht in der nötigen Ausführlichkeit geschehen kann. Offensichtlich waren die kreativen Talente im sog. süddeutschen Raum – denn Bayern weist ähnliche Merkmale wie Österreich auf – im 18. Jahrhundert wesentlich durch Architektur, bildende Kunst, Musik und Theater gebunden. Selbst eine kurze Reise durch Österreich oder Bayern zeigt die Intensität dieser kulturellen Manifestationen, die bis in die kleinste Dorfkapelle reichen. Auch monströse Prachtbauten sowohl weltlicher als auch kirchlicher Provenienz (z. B. Schönbrunn, Stift Melk – die Beispiele ließen sich vielfach vermehren) erweisen die Unterschiedlichkeit der Schwerpunktsetzung. Haydn, Mozart, die Oper und das Wiener Volkstheater sind die kulturellen Phänomene, die in Österreich das 18. Jahrhundert prägen, neben denen die aufgeklärten Intellektuellen rund um Joseph II. nur eine verschwindende Außenseiterrolle einnehmen. Dass diese Öffentlichkeit der Kunst mit der ecclesia triumphans, mit dem Sieg über die Türken, aber auch mit der Unterwerfung bzw. Vertreibung der Protestanten zusammenhängt, bindet diese Erklärung wieder zurück in das religiöse Muster, setzt die Akzente allerdings anders.