Читать книгу Lux und Umbra 2 - Silke M. Meyer - Страница 15
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In Einigkeit werden wir überleben,
getrennt werden wir untergehen.
Aesop
Sage entdeckte die Hütte und wurde langsamer. Die Striemen in seinem Gesicht, die ihm sein rücksichtsloser Lauf eingebracht hatte, heilten bereits und würden verschwunden sein, wenn er dort ankam. Sein Ziel war selbst für ihn ein ungewöhnlicher Anblick. Direkt um den Stamm eines alten, knorrigen Baumes war eine Behausung aus Holz, Ästen und Laub gebaut. Rauch stieg aus einer Öffnung im Dach. Um den chaotisch angelegten Garten herum zog sich ein Zaun, der aus einzelnen Feldern Korbgeflecht bestand. Niedrig und wacklig. Der Zaun würde weder Mensch noch Tier davon abhalten, einzudringen.
Sage öffnete die ebenso instabile Eingangstür der Hütte und betrat den dämmrigen Raum. Eine junge Frau, vielleicht Anfang zwanzig, schreckte auf und machte automatisch ein paar Schritte rückwärts, bis sie an ein Regal stieß. „Wer seid Ihr? Und was wollt Ihr?“ Obwohl ihre Körpersprache Angst verriet, war ihre Stimme erstaunlich fest.
„Ich benötige dringend ein paar Kräuter. Carly … meine Gefährtin ist krank und wird es ohne die Zutaten nicht schaffen.“ Barsch brachte Sage sein Anliegen hervor. Er war angespannt und wollte schnellstmöglich zurückkehren, denn er konnte spüren, dass es Carly schlechter ging. Ihr Fieber stieg unaufhaltsam. Wenn er nicht rechtzeitig wiederkam, würde sie innerlich verbrennen.
Gedanklich verfluchte er sich, dass er nicht daran gedacht hatte, sich einige der Kräuter der alten Welt einzustecken. Jetzt allerdings konnte er unmöglich in der Zeit springen. Ohne Carly würde er nicht wieder hier ankommen und sie wäre verloren. Entsprechend ungeduldig reagierte er, als er den prüfenden Blick der jungen Frau gewahrte.
„Worauf wartet Ihr? Ich brauche Arnika, Beinwell, Eisenhut, Thymian und Weidenrinde. Von allem so viel ihr habt!“
Nicht weniger ungehalten gab sie zurück: „Warum sollte ich Euch das geben? Ihr platzt hier herein, grüßt nicht, sondern fordert nur. Ich denke gar nicht daran, Euch in irgendeiner Weise zu helfen. Besorgt Euch die Dinge, die ihr benötigt, anderswo.“ Ihr ganzes Auftreten war von Stolz durchzogen.
Sages Augen verengten sich und er bleckte seine Zähne. Unwillkürlich wich die Frau erschrocken zurück. Doch er war mit wenigen Sätzen bei ihr und packte sie am Hals. Er konnte die Ader an seiner Stirn spüren. Sie musste stark angeschwollen sein, ein sicheres Zeichen, dass er sich kaum bändigen konnte. Mit Leichtigkeit schob er die nun angsterstarrte Frau mit einer Hand an dem Regal nach oben. Zischend forderte er sie ein weiteres Mal auf. „Ihr gebt mir sofort, wonach ich verlangt habe, oder ich nehme es mir. Wenn Euch euer Leben lieb ist, dann stimmt zu! Gebt einen Laut von Euch, wenn ihr einverstanden seid.“
Die junge Frau ächzte mühsam und ein gurgelndes Geräusch trat zwischen ihren Lippen hervor. Sage drückte ihren Hals mit solcher Wut, dass sie kurz vor einer Ohnmacht oder dem sicheren Tod stand. Irgendwie drang es aber zu ihm durch, was sie antworten wollte, und unvermittelt ließ er sie los. Schlaff fiel sie auf den Boden, rappelte sich jedoch sofort auf. Ein wenig humpelnd des Sturzes wegen, suchte sie eilig die verlangten Kräuter zusammen. „Ihr könnt es lesen, wenn ich es beschrifte, mein Herr?“, piepste sie vollkommen eingeschüchtert.
Ein kurzes Nicken musste ihr reichen, zu mehr war Sage nicht in der Lage, die Wut brodelte immer noch in ihm. Er riss ihr das Tuch, in das sie die verlangte Arznei verpackt hatte, aus den Händen und wandte sich ab. Mit einem Tritt beförderte er die Tür aus ihrer Halterung und krachend flog sie durch den Vorgarten. Ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, ob die junge Frau ihn sehen konnte oder nicht, raste er in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Am Waldrand bremste er ab, um in menschlicher Geschwindigkeit zum Haus von Antonio zurückzukehren. Wie ein Magnet zog Carlys Überlebenskampf an ihm. Es kostete ihn alle Überwindung, nicht erneut loszurasen.
Antonio riss die Tür auf und starrte auf das Bündel in Sages Hand. „Wie konntet Ihr ...?“ Weiter kam er nicht. Sage schob ihn energisch zur Seite und eilte die Treppe hinauf, mit jedem Schritt zwei Stufen auf einmal nehmend. Marietta sprang erschrocken auf, als er in das Gästezimmer stürzte.
Carly lag mit bleichen Lippen und hochrotem Gesicht regungslos auf dem Bett. Eine kurze Kontrolle bestätigte ihm das, was er fühlte. Carlys Blut kochte förmlich vor Fieber.
„Schnee. Könnt ihr eine große Menge Schnee hier rauf schaffen, Marietta? Bitte beeilt euch! Und heizt Wasser an. Ich hole den Badezuber.“
Marietta kam gar nicht auf die Idee nachzufragen, hatte sie doch Sage beobachtet, wie er eine Tote zu den Lebenden zurückholte. Sie eilte hinunter. Wenige Sekunden später hörte Sage, wie sie ihren Mann und den Knecht anwies, Schnee in Eimer zu schaufeln und nach oben zu tragen. Sie selbst hantierte in der Küche und erschien wenige Minuten danach mit einem Arm voller frischer Tücher im Raum. Sage hatte den Zuber bereits im Raum aufgestellt.
„Womit kann ich Euch weiterhelfen?“
„Zunächst mit heißem Wasser“, gab Sage zurück. „Wir müssen sie bis auf die Verbände entkleiden und dann steige ich mit ihr in den Zuber. Wir werden heiß beginnen und durch den Schnee und eiskaltes Wasser, das wir nachfüllen, hoffen, dass wir ihre Temperatur senken können.“
Mit gekonnten Griffen packte Marietta gemeinsam mit Sage an. Vorsichtig, jedoch zügig wurde Carly entkleidet. Sage lief nach unten und hob mit Leichtigkeit den großen Kessel an, in dem das Wasser glücklicherweise kochte. Er rannte nach oben, ohne darauf zu achten, dass er auffällig schnell war. Noch dazu mit der Last in seinen Armen, die er ja kaum spürte.
Marietta zog nur kurz die Brauen fragend hoch, sagte jedoch nichts. Sage war sehr dankbar dafür. Er wusste, dass er ihr später Einiges würde erklären müssen. Er nahm Carly hoch, während Marietta das Tuch auf dem Bett ausbreitete. Dann legte er sie sanft darauf ab und Marietta bedeckte die intimsten Stellen mit kleinen Tüchern.
Antonio und sein Knecht marschierten ohne Vorwarnung in den Raum hinein und standen mit vier Eimern Schnee bei ihnen.
„Habt Ihr mehr Eimer, mein Herr?“
Antonio nickte und wollte losgehen, um sie zu holen, doch Sage hielt ihn zurück. „Bitte sagt mir einfach, wo ich sie finde. Und was Ihr gleich seht, hinterfragt nicht jetzt. Ich werde es Euch erklären, wenn meine Gattin das Fieber besiegt hat. Wir haben keine Zeit mehr.“
Schnell erklärte Antonio ihm, wo er weitere Eimer fand, und sah verblüfft, wie Sage im nächsten Moment einfach verschwand.
Es war nicht der Augenblick, in dem Zurückhaltung gefragt war. Ungeachtet dessen, dass die Anwesenden jetzt Bescheid wissen würden, raste Sage davon, die Eimer zu holen, befüllte sie mit kaltem Wasser und setzte noch einmal den Kessel auf den Herd auf.
Als er im nächsten Moment mit befüllten Eimern und zwei Eisplatten aus dem Weiher hinter dem Haus wieder im Raum stand, bekreuzigten sich die Hauseigentümer, und der schreckensbleiche Knecht betete lautstark ein Ave-Maria dazu. Sage riskierte viel, doch nichts war wichtiger als Carlys Leben.
„Ich werde es später erklären, doch jetzt benötige ich Eure Hilfe. Bitte sagt mir, dass ich auf Euch zählen kann!“ Flehend wartete Sage auf eine Antwort. Sie kam von Marietta, die sich am schnellsten wieder fing. „Natürlich. Wir würden es uns nie verzeihen, wenn sie stirbt, weil wir unsere Hilfe verweigert haben. Was können wir noch tun?“
„Ihr müsst Wasser nachfüllen. Wir müssen das Badewasser im Zuber runterkühlen. Ich hole, sobald es kocht, noch einmal den Topf mit heißem Wasser, dann ist es voll genug. Wir gehen zu zweit hinein, es wird reichen.“
Kaum hatte Marietta genickt, jagte Sage ein zweites Mal die Treppe hinunter. Das Wasser kochte noch nicht ganz, doch es würde genügen müssen. Er goss es in die Holzwanne. Dann nahm er Carly vorsichtig wieder auf und bestieg behutsam mit ihr den Badezuber. Das heiße Wasser, das unangenehm auf seiner Haut brannte, blendete er einfach aus. Sanft ließ er Carly in das Wasser gleiten, wartete einen Moment und forderte dann Antonio, der noch immer an derselben Stelle verharrte, auf, einen Eimer Schnee und einen des kalten Wassers einzufüllen.
Antonio schüttelte sich kurz, folgte dann jedoch der Aufforderung. Langsam kühlten sie gemeinsam das Wasser im Zuber herunter. Nach dem vierten Nachfüllen ertastete Marietta, was Sage längst bemerkt hatte. „Es funktioniert gut. Sie fühlt sich kühler an. Ich denke, das Fieber ist gebrochen!“ Freudestrahlend verkündete sie das Ergebnis. Alle atmeten auf. Während Sage mit Carly auf dem Arm aufstand, hüllte Marietta bereits ein trockenes Tuch um die Frau. Der Knecht trug die leeren Eimer an ihren Platz zurück, nachdem Sage ihm gesagt hatte, dass er sich um den Inhalt des Zubers kümmern würde. Nachdem Antonio ebenfalls den Raum verlassen hatte, trat Sage nah an Marietta heran und räusperte sich. „Marietta, ich habe eine eher ungewöhnliche Bitte. Könntet Ihr vielleicht den Urin einer Kuh auffangen? Ich würde ihn gern für ihre Wunden benutzen.“ Er deutete auf Carly.
„Urin?“ Marietta betrachtete den sonderbaren Mann mit den übermenschlichen Fähigkeiten, nickte dann jedoch.
„Danke. Ich bereite einige Kräuterpasten zu. Geht Ihr danach wieder zu ihr, ja?“
Die Frage war eher rhetorischer Natur, denn augenscheinlich hatte die Hausherrin es sich längst zur persönlichen Aufgabe gemacht, alles dafür zu tun, Carly zu retten.
Sage öffnete in der Küche das Tuch mit den darin enthaltenen Kräutern. Die junge Frau hatte wesentlich mehr eingepackt, als er verlangt hatte. ›Mädesüß - fiebersenkend‹ stand auf einem der Päckchen. Sofort tat es ihm leid, dass er sie so grob behandelt hatte. Er zerrieb die Kräuter und mixte sie mit Honig. Als Marietta wieder nach oben ging, einen Krug in der Hand, schmunzelte Sage. Er wollte gar nicht wissen, wie sie der Kuh so schnell Urin abgezapft hatte. Mit seinen Tiegeln und der Kanne heißen Tee folgte er ihr.
Sorgfältig spülte er Carlys Wunden mit dem Kuhurin, trug die Paste mit Arnika auf und flößte ihr so viel Tee ein, wie sie annahm. Das war das schwierigste Unterfangen, denn Carly schluckte nicht von alleine, er musste ihren Kehlkopf massieren, um den Schluckreflex auszulösen. Er würde also stündlich versuchen, ihr so viel einzuflößen, wie nach seinem Ermessen nötig war. Durch ihr Band spürte er, wie friedlich und sehr viel ruhiger sie jetzt schlief. Das war kein Kampf um Leben und Tod mehr, das war ein Genesungsschlaf. Emotional erschöpft fiel er auf den Sessel am Kamin. Marietta kam zu ihm. „Darf ich mich zu Euch setzen?“
„Es ist mir eine Ehre. Natürlich, setzt Euch!“ Sage wusste, dass nun Antworten erwartet wurden. Doch Mariette schwieg vorerst. Als sich die Tür öffnete und Antonio mit drei Tassen Tee zu ihnen kam, wusste Sage, worauf sie gewartet hatte.