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3. Teilgebiete der kulturhistorischen Forschung

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Wenn wir in der Annäherung an das Thema dieses Bandes den Blick nunmehr von der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte zur Systematik des kulturhistorischen Feldes wenden, dann fallen als erstes diverse Teilgebiete ins Auge, die gelegentlich sogar den Charakter von Teilfächern anzunehmen im Begriff scheinen. Diese Teilgebiete ergeben sich aus diversen zentralen Fragestellungen, welche die Vertreter der Kulturgeschichte in ihrem Erkenntnishorizont entwickeln und entsprechend umsetzen (vgl. die frühe programmatische Zusammenstellung dieser Teilgebiete in 11).

Historische Anthropologie

Von im wahrsten Sinne des Wortes fundamentaler Bedeutung ist zunächst die Historische Anthropologie (95). Auch hier gibt es allerdings zunächst Definitionsschwierigkeiten; Jakob Tanner spricht von einem „schillernden Begriff, der ein zerklüftetes Feld und auseinanderdriftende Forschungszugänge abdeckt“ (95, S. 13). Dennoch lässt sich immerhin ein fachlicher Kern beschreiben. Im Gegensatz zu den biologischen, philosophischen, pädagogischen und theologischen Wissenschaften von Menschen, die alle von der Existenz einer überzeitlichen, im Kern festgelegten conditio humana ausgehen und deren Merkmale und Konsequenzen für das menschliche Verhalten herauszuarbeiten suchen, interessiert sich die Historische Anthropologie in ihren diversen Varianten für den Zusammenhang von Kultur als Komplex von Symbolen und Bedeutungen sowie menschlichem Lebensvollzug. Anders ausgedrückt, sie begreift die wechselnden kulturellen Konstellationen, in denen sich Menschen bewegen, als Ermöglichungsgründe menschlichen Verhaltens, jedoch unter Betonung jeweiliger Interpretations- und Optionsfreiheit, nicht als wie immer gearteten Determinismus. „Die Praxis der historischen Akteure mit ihren Ungleichzeitigkeiten und Brüchen“ soll „im Zentrum stehen; es geht um Pluralität ebenso wie um Widersprüchlichkeit ihrer Aneignung von ,Welt‘“ (55, S. 570).

Ihre entscheidenden Impulse hat diese Perspektive aus der Ethnologie erhalten, die wie oben skizziert seit den ausgehenden 1960er Jahren wachsende Beachtung erfuhr. Von ihr lernte die Kulturgeschichte einerseits die schon sprichwörtlich gewordene Verfremdung des Blicks, die zu einer Wahrnehmung des eigentlich Vertrauten wie einer fremden Welt führt und damit vorher übersehene Verhaltensformen und Bedeutungszuschreibungen hervortreten lässt. Andererseits wurde sie in die Fülle von Lebensformen eingeführt, welche vom hegemonialen europäischen Modell völlig abweichen, und dadurch dazu gebracht, Symbole und Praktiken in ihrem Eigenwert sowie den Eigen-Sinn von Menschen in ihrer Lebensgestaltung jenseits aller funktionalen Festlegungen ernst zu nehmen. Und nicht zuletzt lehrte die Historische Anthropologie, von der Modellierung der Geschichte als Modernisierung Abschied zu nehmen und stattdessen auch Regression, Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen und zirkuläre Bewegungen wahrzunehmen sowie die Kosten der Modernisierung genauer herauszuarbeiten. Selbst die Sprache wurde bei dieser Gelegenheit ihrer einseitigen Bedeutungszuschreibung als Mittel des bloßen Austauschs von Information entkleidet und als Kommunikationsmedium auch für Gefühle und Bedeutungen wiederentdeckt. Das Ritual und die Selbstdarstellung mittels Körpersprache, die tragenden Elemente des unten (siehe Kapitel II. 4. c) vorgestellten ,performative turn‘ kamen fast völlig neu hinzu. Dass auch die Objekte und die materielle Kultur insgesamt in neuer Weise einbezogen wurden und seither etwa die Erforschung der modernen Massenkultur unter ganz neuen Vorzeichen vonstatten geht, versteht sich fast von selbst. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die neue Abgrenzung des Menschen vom Tier (64).

Welche Dimensionen eine derartige systematische kollektive Historische Anthropologie – oder in diesem Fall: Kulturanthropologie – abzudecken vermag, zeigt beispielsweise die einschlägige Darstellung von Wolfgang Reinhard zum europäischen Modell (77): Der Bogen der Aspekte spannt sich vom Körper (Geschlecht, Sinne und Emotionen, Kleidung und Hygiene, Ernährung und Hunger, Gesundheit, Krankheit und Heilung, Lebensalter und Tod) über die Mitmenschen (Partnerschaft, Kindheit und Jugend, Erziehung und Bildung, Individuen und Gruppen, Politik und Recht, Schichtung und Mobilität, Randgruppen, Devianz und Strafe, Gewalt und Krieg, Kulturkontakte) bis zu den Umwelten in Form von Raum und Natur, Wirtschaft und Disziplin, Lebensqualität, Bauen und Wohnen, Kommunikation, Transzendenz und Rationalität sowie Zeit und Geschichte. Noch bedeutsamer erscheint indessen, dass die Erforschung der Konstellationen und des Wandels kollektiver Anthropologien mit einer Inflation von aktualisierten alten und neuen „Bindestrichbezeichnungen“ für anthropologische Spezialphänomene einhergeht, die auch historisch analysiert werden. Die Bandbreite dieser Ansätze ist enorm; die Anthropologie der Erkenntnis steht neben der ,Medien‘- oder ,Bildanthropologie‘, die ,Anthropologie der Intersubjektivität‘ neben der ,Anthropologie des Cyberspace‘, der ,psychiatrischen Anthropologie‘ und der ,anthropologie politique‘. Jakob Tanner resümiert: „Anthropologie ist also heute dabei, die Wissenschaft quer durch die Disziplinen hindurch zu infiltrieren. Dank des subversiven Adjektivs ,historisch‘ gibt es mittlerweile fast keinen Forschungsbereich mehr, in dem sich die Figur des anthropos nicht diskursiv hätte reproduzieren können“ (95, S. 19).

Gendergeschichte

Einen mit deutlichen Horizontverschiebungen verbundenen Sonderfall Historischer Anthropologie bildet die Geschlechtergeschichte (Gendergeschichte) (59; 68). Entstanden vor allem aus der feministisch-emanzipatorischen Kritik an hegemonialen männlichen Wahrnehmungen, Bedeutungszuschreibungen und Rollenstiftungen, hat sie mittlerweile einerseits nachgewiesen, dass aus der biologischen Geschlechtervorgabe keineswegs automatisch die soziokulturelle Geschlechterauffassung und Rollenstiftung nach westlichem Muster folgt, und andererseits selbst die Wahrnehmung und das Verständnis des biologischen Geschlechts massivem soziokulturellem Wandel unterliegen (88). Das soziokulturelle Geschlecht (gender) ist also keinesfalls angeboren, sondern wird in den wechselnden historischen Kontexten kulturell erzeugt, woraus sich wiederum die Möglichkeit der historischen Erforschung dieser Prägungen und ihrer Ergebnisse, aber auch die Möglichkeit einer bewussten Steuerung derartiger Konstruktionen ergibt, die unter Umständen auch auf historischen Erkenntnissen basieren kann. Mittlerweile hat sich der Zugang über die bewusste Geschlechterkonstruktion allerdings etwas abgeschwächt; stattdessen richtet sich der aktuelle Fokus auf das alltägliche ,doing gender‘ (vgl. 35, S. 183 –202). Dass diese Perspektive für die Untersuchung zumal der ,stillen‘ Mechanismen der Geschlechtererzeugung höchst fruchtbar ist, hat sich bereits insbesondere in der neuen Männergeschichte gezeigt. Überzeugend erscheint im Übrigen der Tatbestand, dass die beiden anfänglichen Konzeptionen ,Weiblichkeit‘ und ,Männlichkeit‘, an denen sich die jeweilige kritische Forschung so sehr rieb, nunmehr durch eine hoch differenzierte Pluralität von Konzeptionen und Rollen abgelöst worden sind. Wiewohl mit ,Männlichkeiten‘ in der Regel Machtansprüche verbunden waren und sich zahllose machtfunktionale Zusammenhänge und Dynamiken nachweisen lassen (vgl. 21), erschöpft sich die Entstehung, Existenz und Wirkung derartiger Rollen doch nicht in ihrem Bezug auf Macht. Vielmehr spielen auch hier Symbole, Deutungen und Bedeutungen in je eigener Weise mit, und erneut sind massive Widersprüche, Brüche und Spannungslagen zu verzeichnen. Nachdem sich besondere Auffassungen von Ehre als Hauptkomponenten von Männlichkeit zumindest in den mittelalterlichen und frühneuzeitlichen, aber auch in modernen Gesellschaften erwiesen, und sich auf der Gegenseite Auffassungen von Frauenehre als fast ebenso bedeutsam herausgestellt haben, hat sich die kulturhistorische Geschlechterforschung auch der Ehreforschung angenähert (20).

Geschichte der Sexualität

Ein weiterer, in die Historische Anthropologie integrierter Sonderschwerpunkt ist die Geschichte der Sexualität, insbesondere der Homosexualität (10; 72). Auch dort zeichnet sich eine fortschreitende Differenzierung, Zerlegung und möglicherweise sogar Dekonstruktion der bisher maßgebenden Begriffe und Vorstellungen ab. Die Kritik richtet sich zumeist einerseits gegen die Behauptung, dass von einer biologischen Determinierung der Geschlechter letztlich gar nicht mehr gesprochen werden könne, oder man möchte andererseits an der strukturbildenden oder gar offen: gesellschaftsstabilisierenden Funktion fester Geschlechterbilder und -rollen festhalten.

Körpergeschichte

Mit dem Hinweis auf die biologischen Grundlagen der Geschlechterwahrnehmung und -zuschreibung ist bereits die Brücke zur Körpergeschichte als einem weiteren, derzeit blühenden Zweig der Historischen Anthropologie geschlagen. Bei ihr geht es einerseits „um die gesellschaftliche Formierung des Körpers vor allem über Sozialisationsprozesse und um die Herausbildung von Körpertechniken, zum anderen um den Symbolgehalt des Körpers, sowohl als Ausdrucksmedium für gesellschaftliche Phänomene wie als Objekt symbolischer Zuschreibungen“ (13, S. 16; vgl. grundlegend 54). Die zuvor eher nicht hinterfragte biologische Materialität des physisch unmittelbarsten Trägers von Menschlichkeit wird also hinsichtlich ihrer kulturellen Konstruktivität, ihrer historisch erwiesenen Formbarkeit und Formung, näher unter die Lupe genommen. Untersucht werden eigene und fremde Körperwahrnehmungen im Allgemeinen oder in besonderen Situationen, Körper- und Körperfunktionsdefinitionen (darunter besonders wichtig die Unterscheidung von Krankheit und Gesundheit), die Auffassung und die Konsequenzen von Angriffen auf und Eingriffen in den Körper (hier insbesondere von Gewaltzufügungen zum Beispiel in Form der Folter), die wechselnden Definitionen und Verarbeitungen von Schmerz oder Lust, Körpermodellierungen (von der Tätowierung bis zur Schönheitschirurgie), die Bedeutung kulturell vorherrschender Körperkonzepte für den Umgang mit dem Körper in den verschiedenen Gesellschaften und so weiter. Nachhaltiges Interesse findet insbesondere die Frage, wie Körper soziokulturell verfügbar gemacht werden können, sei es beispielsweise im Zusammenhang mit Prostitution, mit Militär und Krieg oder eben mit Kriminalität beziehungsweise Strafrecht. Auch hier wird davon ausgegangen, dass jedes Phänomen – in diesem Fall das des Körpers – in ein Geflecht soziokultureller Bestimmungen eingebunden ist, „die eine direkte Annäherung unmöglich machen“, und insofern „eine Codierung oder ein ,mapping‘ des Körpers […] nicht allein ,eine Repräsentation, sondern die Produktion wirklicher Körper‘“ sei (81, S. 446f.). Nichtsdestoweniger gehen Forscher wie eben Philipp Sarasin noch einen Schritt weiter, indem sie postulieren, dass die Sinnstiftung oder Bedeutungszuschreibung für den eigenen Körper, die ein Subjekt oder auch eine Gruppe durch Vermittlung von einer übergeordneten Gruppe übernimmt, jedoch nicht vollständig ist. „Für das Subjekt sei der Körper vielmehr zu komplex und zu undurchsichtig, als dass dessen Symbolisierung und Regulation vollständig sein könnte; das ,Schutzschild‘“ dieser Symbolisierung „weise“ vielmehr „,Löcher‘ auf, so dass ,immer wieder andere Teile und Bereiche der physischen Realität unmarkiert bleiben‘. Gerade im Schmerz breche die ,Unmittelbarkeit des Körpers‘ durch, aber nicht bei jedem Akteur in gleicher Weise‘“ (14, S. 31f.).

Mentalitätengeschichte

An Attraktivität verloren hat seit längerem die in den 1970er Jahren in Frankreich entwickelte Mentalitätengeschichte. Sie richtete sich ursprünglich gegen die Annahme der Wirtschafts- und Sozialgeschichte marxistischer Prägung, menschliches Verhalten ließe sich aus wirtschaftlich-sozialen Interessen ableiten. Ihr wurde, insbesondere im Hinblick auf religiöse Überzeugungen und Dispositionen, das Konzept entgegengestellt, menschliches Verhalten sei auf Mentalitäten, also individuelle und kollektive Formen, Muster und Gewohnheiten des Denkens und Sichorientierens, zurückzuführen. „Mentalitätsgeschichte“, so formulierte es 1993 der Herausgeber eines einschlägigen Sammelbandes, „konzentriert sich auf die bewussten und besonders die unbewussten Leitlinien, nach denen Menschen in epochenspezifischer Weise Vorstellungen entwickeln, nach denen sie empfinden, nach denen sie handeln“ (22, S. IX). Um diese epochenspezifischen Zeitmuster und Vorstellungen analytisch erfassen zu können, schien allerdings eine seriell-quantitative Vorgehensweise sinnvoll. Der Klassiker des Genres, Michel Vovelles Piété baroque et déchristianisation (1973), geriet jedoch bald in die Kritik. Die statistische Zusammenstellung und Auswertung höchst unterschiedlich entstandener Daten – hier: Schlüsselformulierungen in Testamenten – überdecke die tatsächliche Unterschiedlichkeit des Einzelfalls. Darüber hinaus belege der statistische Befund nicht unbedingt die Existenz der angenommenen Mentalität als Epochenmerkmal, weil die Testamente auch eigenen Gestaltungszwängen und Verwertungszusammenhängen unterworfen seien. Die Vorstellung einer mentalitären ,Superstruktur‘ werde außerdem der Möglichkeit nicht gerecht, dass mehr oder weniger deutliche Abweichungen oder sogar Alternativen bestanden haben könnten. Ebenso seien die Unterscheidung von Mentalität und Ideologie und die Annahme einer historischen Festigkeit von Mentalitäten problematisch. Viele Kulturhistoriker bevorzugen deshalb heute andere analytische Zugänge zur Erfassung kollektiver Orientierungen und Dispositionen. Nach Rudolf Schlögl verspricht vor allem eine kommunikationstheoretisch orientierte Systemtheorie plausible Lösungen des Grundproblems, „die Spannungen zwischen sozialen Strukturmustern, gesellschaftlichen Semantiken sowie individuellen Handlungs- und Orientierungsmustern zu erfassen“ (83). Dennoch hält etwa der Wiener Neuzeithistoriker Wolfgang Schmale an dieser Perspektive fest und hat dazu eine erweiterte Konzeption vorgelegt (85, S. 167– 181).

Medien- und Kommunikationsgeschichte

Demgegenüber erst unlängst erschlossen worden und derzeit noch im Ausbau begriffen ist die kulturhistorische Medien- und Kommunikationsgeschichte. Dass ihre Entstehung mit dem Siegeszug der Kommunikations-und Medienforschung in der modernen Kommunikations- und Informationsgesellschaft zusammenhängt, steht außer Zweifel. Dass sie eine andere Erkenntnisperspektive vertritt, allerdings ebenso. Als Grundprämisse ist namhaft zu machen, dass jenes Geflecht von Wahrnehmung, Orientierung, Sinnstiftung, Symbolik und Handlungsdispositionen, welches Kultur ausmacht, kommunikativ und damit gegebenenfalls auch medial zustande kommt, sich erhält und fortentwickelt. Kommunikation und Medien werden mithin als Sphäre und Formen des Austauschs und der Stiftung von Sinn und Handlung betrachtet und erscheinen in dieser Hinsicht kulturhistorisch relevant, während technische oder positivistisch-empirische Kommunikations- und Mediengeschichte zu den Bedingungen oder auch Determinanten, also eher in das Vorfeld der eigentlichen Kulturgeschichte gehören. Anders ausgedrückt: „Die Kulturgeschichte stellt die Frage nach der gegenseitigen Beeinflussung von medialen und kulturellen Praktiken, nach den gesellschaftlichen Wirkungs- und Bedeutungszusammenhängen von Medien und Kultur: Wie formen Kulturen ihre Medien und wie werden sie durch ihre Medien geformt?“ (53, S. 130). Moderne Technik- und Fortschrittsbegeisterung, wie sie die anderen kommunikations- und medienwissenschaftlichen Ansätze prägen, werden in der Kulturgeschichte auf diese Weise hinterfragt oder sogar stillgelegt, mit – im besten Fall – der Folge, dass historisch angemessenere, der Vielfalt und dem Eigenwert der Phänomene gerechter werdende Interpretationen erarbeitet werden. Einschlägige Studien befassen sich beispielsweise mit der kommunikativen und medialen Konstruktion von Räumen, mit den Kommunikationsprozessen, die der Wahrnehmung und Bedeutungszuschreibung eines bestimmten Objekts zugrunde liegen, oder mit der unterschiedlichen Bedeutung des Bildmediums für die Weltbilder verschiedener Kulturen (28; 40; 45).

Akkulturation und Kulturtransfer

Was durch Kommunikation in welcher Form auch immer transportiert oder erzeugt wird, kann im umfassenden Sinne als Kultur insgesamt oder in einem spezifischen Verständnis als Wissen aufgefasst werden. Entsprechend haben sich auch in dieser Hinsicht spezifische kulturhistorische Teilgebiete entwickelt. Die Akkulturations- und Kulturtransfergeschichte richtet ihren analytischen Blick nicht auf die Voraussetzungen und Ergebnisse von Kulturaustausch, sondern auf den Vorgang dieses Austauschs selbst. Dabei konzentriert sich die Perspektive der Akkulturation auf die Prozesse des Hineinwachsens von Individuen oder Gruppen in eine bestimmte Kultur, während diejenige des Kulturtransfers die inter- und intrakulturellen Wechselbeziehungen thematisiert. Kulturtransfer wird demnach als dynamischer Prozess betrachtet, „der drei Komponenten miteinander verbindet, und zwar 1. die Ausgangskultur, 2. die Vermittlungsinstanz, und 3. die Zielkultur. Zu hinterfragen sind die Objekte, Praktiken, Texte und Diskurse, die aus der jeweiligen Ausgangskultur übernommen werden“, ferner „die Rolle und Funktion von Vermittlerfiguren und Vermittlungsinstanzen (Übersetzer, Verleger, Wissenschaftler, Universitäten, Medien, Verlage etc.)“, schließlich, im Hinblick auf die Zielkultur „die Selektionsmodi ebenso wie die Formen der Aneignung und der produktiven Rezeption“ (63). Ihr Hauptarbeitsfeld hat diese Perspektive bisher vor allem in der neuzeitlichen Geschichte gefunden. Einem ihrer Hauptbegründer, dem französischen Historiker Michel Espagne, geht es vor allem um die Erforschung intraeuropäischen Kulturtransfers im Hinblick auf die Erfassung der europäischen Kultur (und die Ermöglichung ihrer fortschreitenden Verdichtung). Sein Ansatz war der deutsch-französische Kulturtransfer (29, vgl. auch 37; 84).

Wissens- und Wissenschaftsgeschichte

Zu den Errungenschaften der Kulturgeschichte zählt unzweifelhaft, den Historikern die Bedeutung des Wissens und die Pluralität der Wissensformen in neuer Weise bewusst gemacht zu haben. Die Wissenschaftsgeschichte hatte mit dieser Grundeinsicht im Hinblick auf das wissenschaftlich erzeugte Wissen zwar keine Probleme, tat sich jedoch schwer in der Akzeptanz vorwissenschaftlicher Wissens- und Wissensbefassungsformen. Mit der neuen kulturhistorischen Wissens- und Wissenschaftsgeschichte sind diese Unterschiede überwunden. Sie ist grundlegend auf die Voraussetzungen, Medien, Erscheinungs- und Vermittlungs- wie Generierungsformen und Wirkungen von Information als bereitliegendes, aber mangels entsprechender Nachfrage noch uninteressantes und insofern ,totes‘ Wissen ausgerichtet und sodann auf die Frage, wie Information durch Interesse oder Bedürfnis gefragt, mit Bedeutung geladen, also zu Wissen im eigentlichen Sinne wird. Was sie mittels ihrer Analysen von Sprache oder Bild als Wissensvermittler, von Erfahrung, Hermeneutik und Experiment als Wissensgeneratoren, der Universität als Wissensinstitution, von Auffassungen und Praktiken des Wissens in der Konfiguration spezifischer Wissenskulturen und so weiter bietet, ist damit historisches Grundwissen zur Entstehung, Prozessualität und zum Wandel der heutigen Informations- oder Wissenschaftsgesellschaft (vgl. die fortlaufende Berichterstattung in der Zeitschrift: Nach Feierabend [66] sowie 6; 19).

Grundfragen der Kulturgeschichte

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