Читать книгу Grundfragen der Kulturgeschichte - Silvia Serena Tschopp - Страница 14
1. Überblick
ОглавлениеAngesichts der Ubiquität des Begriffs ,Kultur‘, dessen Faszination sich mittlerweile offenbar kaum ein Bereich menschlicher Erfahrung zu entziehen vermag, und angesichts der Tatsache, dass auch die davon abgeleiteten Termini ,Kulturwissenschaft‘ beziehungsweise ,Kulturgeschichte‘ in unterschiedlichsten Kontexten Anwendung finden und entsprechend Verschiedenartiges bezeichnen können, ist es keine leichte Aufgabe, das unter dem Begriff ,Kulturgeschichte‘ subsumierbare Forschungsfeld einzugrenzen und zu strukturieren. Es scheint uns deshalb notwendig, vorab eine begriffliche Klärung vorzunehmen und die gewählte Vorgehensweise kurz zu begründen.
Kulturwissenschaft und Kulturgeschichte
Zuallererst gilt es zu betonen, dass der vorliegende Band sein Augenmerk nicht auf die Kulturwissenschaft richtet, verstanden als Gesamtheit jener zunehmend zahlreichen Fächer, die sich als ,kulturwissenschaftlich‘ definieren (110), sondern auf die Kulturgeschichte und damit auf eine sich spezifischen disziplinären Zusammenhängen verdankende Diskursformation innerhalb der Geistes- beziehungsweise Kulturwissenschaften. Im Zentrum des Interesses stehen Problemstellungen und die daraus hervorgegangenen Kontroversen, die primär die Geschichtswissenschaft beschäftigt haben und immer noch beschäftigen; ,kulturwissenschaftlich‘ ist unser Unterfangen allenfalls in dem Sinne, dass es ins Zentrum rückt, was in der Forschung etwa auch mit dem Begriff ,historische Kulturwissenschaft‘ bezeichnet wird. Die hier vorgenommene terminologische Präzisierung ist insofern von Bedeutung, als ,Kulturwissenschaft‘ potentiell für all jene äußerst heterogenen und überdies kaum mehr überschaubaren Fachdiskussionen steht, deren Echo bisweilen durchaus auch in fachfremden Zusammenhängen vernehmbar ist, die jedoch nur aus einer genauen Kenntnis der jeweiligen disziplinären Konstellationen und Traditionen verständlich werden. Es war demnach nicht nur die durch die Reihenherausgeber geforderte Fokussierung auf geschichtswissenschaftliche Kontroversen, sondern auch die Einsicht in den tendenziell fachgebundenen Charakter wissenschaftlicher Auseinandersetzung, der uns bewogen hat, uns auf jene Diskussionen zu beschränken, die innerhalb der Geschichtswissenschaft geführt wurden und werden. Dies heißt nun aber keinesfalls, dass jene Anregungen aus der Philosophie, Soziologie, Ethnologie oder Philologie – um nur einige Disziplinen zu nennen –, denen die Kulturgeschichte Entscheidendes verdankt, völlig ausgeblendet würden. Positionen, die außerhalb der Geschichtswissenschaft entwickelt wurden, fanden allerdings nur insoweit Eingang in unsere Darstellung, als sie für die Diskussion innerhalb der (kultur)historischen Forschung Relevanz erlangt haben. Dabei wurden vor allem theoretische und methodische Denkanstöße aus den oben genannten Wissenschaften berücksichtigt, von untergeordneter Bedeutung waren demgegenüber thematisch ausgerichtete Studien.
Schwerpunkt: Die deutsche Diskussion
Eine weitere Eingrenzung betrifft weniger die Interdisziplinarität als vielmehr die Internationalität des zu behandelnden Gegenstands. ,Kulturgeschichte‘ ist keine deutsche Erfindung, sie ist im Gegenteil eine Forschungsperspektive, deren Reiz und deren Schwierigkeit nicht zuletzt darin besteht, dass sie in besonderem Maße das Ergebnis nationale Grenzen überschreitender Reflexion darstellt. Dennoch rekonstruiert der zentrale Teil zu den sich mit dem Phänomen ,Kulturgeschichte‘ verbindenden Debatten schwerpunktmäßig die Auseinandersetzung im deutschsprachigen Raum und geht nicht näher auf die im Kontext der außerdeutschen Kulturgeschichte ausgetragenen Kontroversen ein, wie sie etwa von Philippe Poirrier für Frankreich aufgearbeitet wurden (108). Angesichts der Bedeutung, die beispielsweise die französische Mentalitätengeschichte oder die anglo-amerikanischen Cultural Studies für die Kulturgeschichte gewonnen haben, ist es unabdingbar, wichtigen Positionen, die außerhalb Deutschlands entstanden sind, breiten Raum zu gewähren; zentral geht es jedoch nicht um kulturhistorische Selbstvergewisserungsbemühungen in verschiedenen europäischen Ländern oder in den USA, sondern um die kontroversen Auseinandersetzungen innerhalb des deutschen Forschungsdiskurses, der seine Erkenntnisse oftmals diesen internationalen Bemühungen verdankt. Dass diese Auseinandersetzung gerade im deutschsprachigen Raum mit besonderer Vehemenz erfolgte, dass die deutschen Historiker sich auch und vor allem mit Blick auf die Kulturgeschichte als „zankende Zunft“ (106) erwiesen haben, sei hier nur am Rande bemerkt.
Epochenübergreifende Kulturgeschichte
In Zusammenhang mit der Rezeption kulturhistorischer Ansätze innerhalb der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft ist darauf hinzuweisen, dass derjenige, der den Begriff ,Geschichtswissenschaft‘ im Munde führt, nicht vergessen sollte, dass die deutsche Geschichtswissenschaft sich in historische Teilfächer aufgliedert. Dies ist im hier interessierenden Zusammenhang insofern bedeutsam, als die Auseinandersetzung mit dem kulturhistorischen Paradigma in der Alten, der Mittelalterlichen, der Frühneuzeitlichen und der Neuesten Geschichte oder auch der Landesgeschichte unterschiedliche Rhythmen und Formen annahm. So kann etwa die Frühneuzeithistorie eine Vorreiterrolle beanspruchen, während die sich mit dem 19. und 20. Jahrhundert befassenden Geschichtsforscher die der Kulturgeschichte zu verdankenden methodischen Anregungen zunächst eher zögerlich aufgegriffen haben. Die Mediävistik hat wichtige Impulse für einen methodisch bewussten Umgang mit historischen Bildquellen vermittelt, die Alte Geschichte wiederum verfügt über besondere Kompetenz in der Bearbeitung und Deutung von Sachüberlieferung, der innerhalb der kulturgeschichtlichen Forschung bereits im 19. Jahrhundert Bedeutung zukam. Grundsätzlich gilt jedoch, dass Kulturgeschichte sich seit jeher als Forschungsansatz definiert, der epochenübergreifend funktioniert und sowohl in universal-, national- als auch regionalhistorischen Zusammenhängen Anwendung finden kann. Wir haben uns deshalb mit Blick auf die Konzeption des Bandes bemüht, die sich in den historischen Teilfächern ausbildenden für unsere Belange relevanten Positionen zu berücksichtigen, dennoch ist nicht auszuschließen, dass unsere Verankerung in der neuzeitlichen europäischen Geschichte stellenweise erkennbar bleibt.
Schwerpunkt: Methodenfragen
Der Gegenstand der vorliegenden Publikation lässt es sinnvoll erscheinen, den Fokus in erster Linie auf jene Forschungsbeiträge zu richten, die den Anspruch erheben, Methodenfragen der Kulturgeschichte einer systematischen Reflexion zu unterziehen. Kulturgeschichte konkretisiert sich nicht nur im Modus eines theoretisch und methodisch ausgerichteten Diskurses, sondern auch und ganz wesentlich in zahlreichen Fallstudien. Methodendiskussion und Forschungspraxis lassen sich, dies ist uns durchaus bewusst, nicht trennscharf voneinander abgrenzen; wichtige Überlegungen wurden und werden im größeren Kontext einer thematisch orientierten Untersuchung formuliert. Dessen ungeachtet konzentriert sich der nachfolgende Forschungsbericht– angesichts der riesigen Zahl an in Frage kommenden Untersuchungen zu unterschiedlichsten Fragestellungen nicht zuletzt aus ökonomischen Gründen – im Wesentlichen auf Monographien und, häufiger, Aufsätze, in welchen zentrale methodische Probleme kulturhistorischer Forschung diskutiert werden. Dabei, soviel soll hier vorweggenommen werden, dürfte sich sehr schnell zeigen, dass die Beschäftigung mit Kulturgeschichte direkt in grundlegende Probleme der Geschichtswissenschaft überhaupt hineinführt. Zu den bedeutendsten Leistungen der Kulturgeschichte gehört denn auch, dass sie die epistemologische Grundsatzreflexion beflügelt und die Historiker immer wieder dazu provoziert hat, ihr eigenes wissenschaftliches Tun einer (selbst)kritischen Analyse zu unterziehen.
Aktuelle Bestandsaufnahme
Eine letzte zu bedenkende Kautele betrifft die Tatsache, dass der Begriff ,Kulturgeschichte‘ kein in sich konsistentes Forschungsaxiom von dauerhafter Geltung bezeichnet, sondern ein facettenreiches und in stetigem historischem Wandel begriffenes Ensemble von Fragestellungen und Lösungsansätzen bildet. Die problematische Unterscheidung zwischen einer ,Älteren Kulturgeschichte‘ und der in Anlehnung an den von der amerikanischen Historikerin Lynn Hunt Ende der 1980er Jahre geprägten Begriff ,New Cultural History‘ (107) als ,Neue Kulturgeschichte‘ bezeichneten gegenwärtigen kulturhistorischen Forschung macht immerhin deutlich, dass Letztere auf eine lange Tradition zurückblicken kann, eine Tradition, die sich aus immer neuen und bisweilen widersprüchlichen Bemühungen um Begriff, Gegenstand und Methode der Kulturgeschichte konstituiert. Die Kulturgeschichte ist weiter im Fluss, die sich damit verbindenden Kontroversen sind keinesfalls an ihr Ende gelangt, und so können die nun folgenden Ausführungen nicht mehr sein als eine aktuelle Bestandsaufnahme. Dass diese Bestandsaufnahme ungeachtet ihres Anspruchs auf Repräsentativität auch den spezifischen Interessen und Vorlieben ihrer Urheberin und ihres Urhebers geschuldet ist, mögen die Leser und Leserinnen verzeihen.
„Begriff“, „Gegenstand“ und „Methode“ – damit sind zugleich Leitfragen benannt, die der Rekonstruktion der um das kulturhistorische Paradigma kreisenden Forschungskontroversen zugrunde gelegt wurden. In einem ersten Teil wird es darum gehen, den Terminus ,Kultur‘ und die damit verbundenen kontroversen definitorischen Bemühungen darzulegen und in diesem Zusammenhang sowohl dessen historische Variabilität, als auch dessen internationale Geltung, dessen fachspezifische Ausformungen sowie die ihm eignende erkenntnistheoretische Problematik herauszustellen.
Im zweiten Teil stehen Gegenstandsbereich und Methoden der Kulturgeschichte im Mittelpunkt der Erörterungen. Die nicht selten äußerst polemisch geführten Kontroversen um die Legitimität der Kulturgeschichte und ihr spannungsreiches Verhältnis zur sich seit dem 19. Jahrhundert an den deutschen Universitäten etablierenden Politik- und später Sozialgeschichte, das im Rahmen eines wissenschaftsgeschichtlich ausgerichteten Abrisses vorgestellt werden soll, kreisen zentral um die Bestimmung dessen, was den genuinen Gegenstand geschichtswissenschaftlicher Forschungsbemühungen zu bilden habe. Mit der Frage nach dem Gegenstand kulturhistorischer Analyse verbinden sich allerdings auch komplexe methodische Problemstellungen. Die Privilegierung strukturgeschichtlicher beziehungsweise handlungsorientierter Ansätze, die Forderung nach einer erklärend beziehungsweise narrativ verfahrenden Historiographie und das Postulat, den Blick weniger auf realhistorische Ereignisketten als vielmehr auf die Geschichte als kollektiven Sinnzusammenhang zu richten, zogen und ziehen methodische Konsequenzen nach sich, die nachfolgend konkretisiert und diskutiert werden sollen.
Die für die Kulturgeschichte kennzeichnende Erweiterung des Gegenstandsbereichs historischer Forschung schließlich zeitigte Folgen auch für den Umgang mit historischen Quellen. In einem ausführlichen dritten Teil werden deshalb einerseits methodische Probleme im Umgang mit historischer Überlieferung (namentlich Texten, Bildern und Darstellungen performativer Praktiken) thematisiert und andererseits die sich mit den genannten Quellen verbindenden Diskussionen um den ,linguistic turn‘, den ,iconic turn‘ sowie den ,performative turn‘ rekonstruiert und kommentiert.
Absicht des vorliegenden Bandes ist es, die von der Kulturgeschichte zur Diskussion gestellten Fragestellungen auf möglichst prägnante Weise zu vermitteln und damit einem Phänomen, dessen Umrisse nicht nur in den Augen der Skeptiker bisweilen ungenügend konturiert erscheinen, konkretere Gestalt zu verleihen. Eine „eigene Disziplin historischer Forschung mit eigenen Methoden und eigenem Erkenntnisziel“ (109, S. 300 f.) soll damit nicht postuliert werden; wie der eben zitierte Gerhard Ritter sind wir vielmehr der Ansicht, dass Kulturgeschichte eine Perspektive darstellt, die innerhalb der bestehenden historischen Teilfächer fruchtbar gemacht werden kann. Sie stellt dem Geschichtsforscher ein Füllhorn an innovativen Fragestellungen sowie ein umfangreiches methodisches Instrumentarium zur Verfügung und konfrontiert ihn immer neu mit jener Herausforderung, die darin besteht, wissenschaftliche Erkenntnis beziehungsweise die Wege, die zu ihr führen, differenziert und kritisch zu reflektieren.