Читать книгу Grundfragen der Kulturgeschichte - Silvia Serena Tschopp - Страница 15
2. Der Kulturbegriff der Kulturgeschichte
ОглавлениеKomplexität des Kulturbegriffs
Einer der es wissen muss, nämlich Raymond Williams, dessen 1958 erschienene Studie Culture and Society 1780–1950 [dt. Gesellschaftstheorie als Begriffsgeschichte. Studien zur historischen Semantik von ,Kultur‘ (1972) (206)] zu den Gründungstexten der britischen ,Cultural Studies‘ zählt, hat das Wort ,culture‘ einmal als einen der zwei oder drei komplexesten Begriffe in der englischen Sprache bezeichnet (207, S. 87), und auch der amerikanische Historiker und Soziologe William H. Sewell spricht in seinem 1999 veröffentlichten Aufsatz The Concept(s) of Culture von einer „cacophony of contemporary discourse about culture“ (192, S. 35). In der Tat stellt der Begriff ,Kultur‘ jeden, der sich ihm in definitorischer Absicht zu nähern versucht, vor kaum zu bewältigende Probleme – und dies aus mehreren Gründen: Zum einen reicht der Begriff ,Kultur‘ etymologisch in die Antike zurück und hat im Lauf seiner langen Geschichte wechselnde Bedeutungen angenommen. Zweitens hat er sich in unterschiedlichen Sprach- und Kulturräumen etabliert und dort jeweils eine je eigene Semantik entwickelt. Drittens kommt ihm in mehreren wissenschaftlichen Disziplinen die Funktion eines Schlüsselbegriffs zu und er ist demzufolge vielfältig und unter wechselnden fachlichen Perspektiven reflektiert worden. Viertens bezeichnet er ein Phänomen, das allein schon aufgrund seines zum Totalen neigenden Anspruchs und seiner unbestrittenen Komplexität ohnehin nur schwer zu erfassen ist und außerdem den Kulturhistoriker mit der Herausforderung konfrontiert, aus der Warte des objektiven Betrachters zu beschreiben, wovon er selber Teil ist.
Wenn im Folgenden der Terminus ,Kultur‘ und die damit verbundenen, durchaus kontroversen Begriffsbestimmungen dargelegt werden, gilt es seinen hier zunächst nur angedeuteten historischen Wandel, seine internationale Valenz, seine fachspezifischen Ausformungen und die ihm eignende erkenntnistheoretische Problematik zu berücksichtigen. In einem ersten Schritt sollen deshalb die historische Semantik des Begriffs ,Kultur‘ und, daraus abgeleitet, dessen unterschiedliche Bedeutungsfelder rekonstruiert werden, bevor in einem zweiten Schritt systematische Klärungsversuche in den Blick geraten. In einem dritten Schritt gilt es, ausgewählte, sich unterschiedlichen disziplinären Traditionen verdankende Kulturtheorien zur Diskussion zu stellen. Der historisch-systematischen wird damit eine wissenschaftsgeschichtliche Perspektive zur Seite gestellt, reflektieren die im Folgenden referierten kulturtheoretischen Ansätze doch zugleich auf exemplarische Weise für den geistes- und sozialwissenschaftlichen Forschungsdiskurs des 20. Jahrhunderts wichtige Positionen und ,Schulen‘. In einem vierten Schritt wird es schließlich darum gehen, grundlegende Aspekte eines zeitgemäßen Verständnisses von ,Kultur‘ zu bündeln und die Umrisse einer, zugegebenermaßen provisorischen Definition des hier interessierenden Begriffs zu skizzieren.