Читать книгу Projekt Oblivion - Geister am Polarkreis - Simak Büchel - Страница 14

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8. Kapitel

„Fenja, hörst du mich? Fenja!“ Jorin rüttelte das Mädchen leicht an den Schultern, schloss dann aber kurz seine Au­­gen, da auf der Netzhaut immer noch das Nachbild des blau­­­­en Kugelblitzes flackerte.

Fenjas linkes Augenlid sprang auf und ruckelte wieder herunter, wie ein verhakter Rollladen. Anschließend zuckte das rechte Augenlid empor und schloss sich erneut.

„Sag doch was!“, fluchte Jorin.

Besorgt beugten sich auch die anderen über das iKID-Mädchen, dessen Finger immer noch die Reste der bizzeln­den Schleuderkugel umklammerten.

Smuts schob Jorin beiseite und versuchte Fenjas Finger aus­­einanderzubiegen. „Die Pellets sind elektroaktive Stör­munition. Sie wirken bei Mensch und Maschine, verursachen eine anhaltende Betäubung oder einen Kurzschluss und legen sämtliche Leitungsbahnen lahm. Ich hoffe aller­dings stark, dass wir sie gar nicht erst einsetzen müssen.“ Er kniete sich auf Fenjas Unterarm und zwang ihren Zeigefinger so weit zurück, dass Annabel das Projektil aus den leicht berußten Fingerballen puhlen konnte.

Sofort schlug Fenja die Augen auf und sagte: „Blimnup puddel-dööö ...“

„Shit, ist sie jetzt kaputt?“ Erschrocken starrte Njeri auf das iKID. Da setzte sich Fenja so abrupt auf, dass Smuts eine Kopfnuss bekam und stöhnend zu Boden ging. Orientierungslos blickte sie sich um, fixierte Jorin, der immer noch ihre Hand hielt, und lächelte. Aber nur mit der linken Gesichtshälfte.

„Die Dinger sind ja der Hammer!“, stieß Fenja mit doppelter Sprechgeschwindigkeit hervor und versuchte ihren rechten Arm anzuheben. „Mensch, Leute, die hauen einen echt um, von den Socken, aus den Latschen, knipsen dir die Lampen aus. Uiuiui, Blauauge, du solltest dich besser nicht auf so ein Ding setzen.“ Sie grinste, doch das Lächeln erstarrte auf ihrem Gesicht. „Ist es eigentlich normal, dass ich meinen Arm nicht bewegen kann? Er ist ganz taub, fühlt sich an wie zerkochte Makkaroni. Oder Wackelpudding. Oder Quallenmatsch. Guck mal, Jo!“ Fenja drehte ihren Oberkörper und schleifte die leblose rechte Hand über den Boden. „Uiuiui, ob das mal gesund ist. Was meinst du, Blauauge?“

„Weiß nicht“, murmelte Jorin und sah aus dem Augen­winkel, wie sich Smuts aufrappelte und dabei eine Hand an die Stirn presste. „Vielleicht solltest du erst mal ruhig sitzen bleiben, Fenja.“

„Sitzen?“, fragte sie mit verzerrtem Lächeln. „Hocken, kauern, lungern, thronen ...“ Plötzlich zogen sich ihre Pupillen bis auf Stecknadelkopfgröße zusammen. Ein Zittern lief über ihr sommersprossiges Gesicht und hörte so abrupt auf, wie es eingesetzt hatte. Anschließend öffneten sich ihre Pupillen wieder bis auf normale Größe und das Mädchen schüttelte den Kopf. „Oh“, stöhnte sie benommen, „das war heftig.“

Erleichtert stieß Jorin die angehaltene Luft aus und lachte.

„Geht’s wieder?“, fragte Njeri, während sie abschätzig die Brauen hochzog. „Ich dachte schon, bei dir ist ’ne Si­cherung durchgebrannt.“

„Sicherung?“ Das iKID löste vorsichtig ihre Hand aus Jorins und kniff die Lippen zusammen. „Ich bin doch kein Toaster, Njeri!“

„Lasst es uns mal positiv sehen“, ging Annabel beschwichtigend dazwischen, „zumindest wissen wir jetzt, dass die Munition funktioniert. Wollen wir hoffen, dass sie auch Geister außer Gefecht setzt. Meinst du, du kannst gehen, Fenja?“

Das iKID machte ein entrüstetes Gesicht, rollte sich auf den Rücken, drückte ihre Schultern durch und schnellte in einer einzigen fließenden Bewegung in den Stand hoch. „Ich hab mir die Bewegungsabläufe von Kampfsportarten aus Computerspielen runtergeladen“, erklärte sie, als sie Jorins staunenden Blick bemerkte. „Scheint zu funktionieren.“

Alles, was sie für einen mehrtägigen Einsatz in unwegsamem Gelände brauchten, verteilten die Freunde auf ihre Rucksäcke: Proviant, Wasserbeutel, Thermounterwäsche, Überlebenspakete mit Erste-Hilfe-Utensilien, Klappspaten und Axt, Biwaksäcke, zwei Satellitenhandys, Kartenmaterial, Notfallmedikamente und für Fenja eine Photovoltaikplane, die sie über den Rucksack spannen konnte, um ihre Bat­­terien aufzuladen. Bei der Bewaffnung entschieden sich Annabel und Smuts für Pistolen mit aufsteckbaren Ma­­gazinen, in denen zahllose Kügelchen elektroaktiver Be­­­täu­­­bungsmunition steckten; außerdem verstauten sie Wurf­­scheiben mit Magnetfunktion, die sich wie Mini-Fris­­bees schleudern ließen und eine ähnlich verheerende Wirkung entfalten konnten wie Jorins Pellets. Um sie zu aktivieren, musste man in der Mitte der Scheibe einen Schalter eindrücken und zur Seite schieben. Auch Njeri deckte sich damit ein und jauchzte kurz auf, als sie ein Paar schwarze metallverstärkte Handschuhe entdeckte, die ihr wie angegossen passten.

„Liebes, mach keinen Unsinn mit den Dingern, die sind für den elektrischen Nahkampf konstruiert worden“, er­­mahnte Annabel das Mädchen. „Pro Handschuh hast du zehn Kugelblitz-Entladungen, danach ist Schluss mit Ge­­wittern.“

„Wow“, sagte Njeri andächtig und musterte ihre ausgestreckten Hände. „Ich pass schon auf, versprochen. Wie funk­­tionieren sie?“

„Auf der Innenseite sind Kontaktsensoren angebracht, die erkennen, dass du die Handschuhe gerade trägst“, er­­klärte Annabel. „Um sie zu aktivieren, musst du die Hand­rücken wie beim Morsen aneinanderschlagen. Einmal lang, zweimal rasch hintereinander und wieder einmal lang. Bei Kontakt mit einem Fremdkörper geht dann der Blitz los.“

Jorin war mit seiner neuen Schleuder hochzufrieden, während Fenja mit einem teleskopierbaren Kampfstab lieb­äugelte. Zusammengeschoben hatte er die Länge einer Taschenlampe und ruhte in einem Holster an ihrer Hüfte, ausgefahren wirbelte er zwei Meter lang um ihren Kopf und schoss Kugelblitze aus beiden Enden.

Mini-Frisbees, Munition und Pelletschläuche landeten schließlich dick eingewickelt und vor Stößen geschützt in eigens dafür vorgesehenen Polstermappen mit zahllosen Ein­­zelfächern, damit sie nicht versehentlich losgingen.

Sprachlos sah Jorin sich um. Unverhofft hatte dieser Frei­­tagnachmittag eine Wendung genommen, die ihn aus den Gezeitentümpeln der Langeweile hinausschleuderte ins tosende Abenteuer, hinauf in den eisigen Norden. Und das Wichtigste an der Sache war, dass sie die Fährte von Borax Dosch aufgenommen hatten, dem Mörder seiner Eltern.

„Zieh dich warm an, Dosch, wir kommen!“, raunte er und rückte seine Ausrüstung am Gürtel zurecht.

Kaum, dass die fünf schwer bepackt mit den Rucksäcken die Metallsprossen des Geheimschachts hochgeklettert waren und das Schrebergartenhäuschen in seinen Normal­zustand zurückverwandelt hatten, holte Jorin seine privaten Schätze aus der Kammer, den blauen Plastikstreifen mit seinem Namen darauf und das Dietrichset, welches ihm bereits auf der Eidechseninsel gute Dienste geleistet hatte. Beides verstaute er in seiner Hosentasche und trat als Erster in den Nachmittag hinaus.

Bienen schwirrten über Samuels Tomatenstauden, Grill­duft waberte durch die Hecken, Lachen und Radiomusik waren zu hören. In der Schrebergartensiedlung Zum kleinen Glück stimmte man sich aufs Wochenende ein. Niemand ahnte von den Gefahren. Weder von Projekt Oblivion noch von den Heerscharen an Geistern und Dämonen, die sich in den weißen Nächten am Polarkreis zu regen begannen.

Njeri schob sich mit ihrem Rucksack an Jorin vorbei und zwinkerte ihm zu; Fenja glühte förmlich vor Tatendrang, als sie auf den Kiesweg stürmte. Annabel folgte ihr etwas langsamer und war dabei bemüht, ihre Bewaffnung vor neugierigen Blicken zu verbergen.

Als Letzter verließ Smuts das Haus, nachdem er in seinen wadenlangen schwarzen Ledermantel geschlüpft war, dessen Ärmel er mit einem wohligen Seufzen ausgeschüttelt hatte. Es knarzte leise, als er sich zu seinen Mitstreitern umdrehte und seine Sonnenbrille zückte. „Und? Bereit für die Geisterjagd?“

Projekt Oblivion - Geister am Polarkreis

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