Читать книгу Projekt Oblivion - Geister am Polarkreis - Simak Büchel - Страница 8
Оглавление2. Kapitel
Der Triumph des Jägers hielt bei Jorin gerade einmal zwei Minuten an, denn plötzlich breitete sich ein warmes Gefühl auf seiner Brust aus.
Der Junge stutzte, kratzte sich durch den Stoff des T-Shirts, doch die Wärme strahlte weiter, nicht in seiner Brust, sondern tatsächlich auf ihr.
Verdutzt lupfte er den Bund des Shirts und schaute an seinem Oberkörper hinab. Da war nichts, nur Speckröllchen und der Kommunikator in Gestalt eines muschelförmigen Anhängers, der wie eh und je über seinem Brustbein baumelte. Mit ihm hatte sich Jorin auf der Eidechseninsel mit der A.KI.A. in Verbindung setzen können. Aber wie der Rest der Welt hatte seitdem auch dieses Meisterwerk der Spionagetechnik keinen Mucks mehr von sich gegeben. Argwöhnisch zog Jorin den Anhänger hervor und spürte dessen Wärme in der Handfläche.
„Was soll denn das jetzt?“ Seine Finger zitterten, als er den Kommunikator aus der Halterung löste, ihn einschaltete und sich die Keramik ins Ohr stopfte. Angenehm warm schmiegte sich die Muschelform in seinen Gehörgang, ein Knistern ertönte.
„Hallo Junge“, meldete sich sofort eine vertraute Männerstimme zu Wort, sodass Jorin vor Schreck einen Satz machte. Hilflos ruderte er mit beiden Armen und umklammerte im letzten Moment einen dürren Ast.
„He!“, schnaubte er. „Verdammt noch mal, finden Sie das etwa witzig? Ich sitz grade in einem Baum und wäre fast runtergefallen. Hätten Sie sich nicht mal zwischendurch melden können? Neun Monate tote Hose – nichts! Funkstille!“ Mit einem Mal brach der angestaute Frust aus Jorin hervor. „Ich dachte, ihr haltet eure Agenten besser bei Laune. Mit ’nem klitzekleinen Observierungs-Auftrag oder so. Aber was ist?! Ich krepiere hier vor Langeweile! Die Hälfte der Sommerferien ist rum. Hier gibt’s nicht mal ’ne Spielkonsole und Smuts redet mit Toma–“
Unwirsch unterbrach ihn die Stimme am anderen Ende.„Junge, wir haben keine Zeit für Plaudereien. Deine zweite Spionage-Mission startet in zehn, neun, acht, sieben ...“
Ein Knistern in Jorins Ohrmuschel verriet, dass die Verbindung gekappt worden war. Unwillkürlich zählte er weiter, bewegte dabei stumm die Lippen und blickte hektisch um sich.
„... sechs, fünf, vier ...“
Bei drei hörte Jorin Schritte auf dem Kiesweg.
„... zwei, eins ...“
Wie auf ein geheimes Zeichen hin bog in diesem Moment ein Mädchen um die von Faltern umtaumelte Ligusterhecke. Jorin traute seinen Augen nicht.
„Njeri?!“ War das wirklich seine Klassenkameradin aus der Mimesis-Schule, die lässige, allseits beliebte Njeri? Das Waisenkind mit kenianischen Wurzeln? Kein Zweifel, der Klamottenstil aus zerschlissener Jeans und pinkem T-Shirt mit schielendem Einhorn darauf kam Jorin sehr bekannt vor. Ebenso die kunstvoll geflochtenen Reihen unterschiedlich breiter Haarzöpfe, Njeris Cornrows, deren Enden im Nacken leicht abstanden. Wie immer umspielte ihre Lippen ein kaum merkliches Lächeln. Gerade drehte Njeri ihren Kopf über die Schulter und wandte sich an eine Person, die noch von der Hecke verdeckt wurde: „Und er weiß wirklich nichts davon? Shit, das wird ihn aus den Socken hauen! Hoffentlich verplapper ich mich nicht.“
„Das hoffe ich auch, Njeri“, antwortete eine Frauenstimme, woraufhin Jorin der Atem stockte. Seine Zunge klebte am Gaumen fest, als im Gefolge von Njeri zwei weitere Gestalten auftauchten: A.KI.A.-Agentin Annabel Biron und –
„Fenja!“
Einem Kometenschweif gleich zog der hellblonde Haarschopf des iKID-Mädchens an der Hecke vorbei und nun verlor Jorin endgültig den Halt. Wie ein betäubter Orang-Utan plumpste er aus dem Blätterdach und landete mit einem dumpfen Schlag zwischen den Wurzeln. Kurz wurde es ihm schwarz vor Augen, dann rollte er sich auf den Rücken und blinzelte heftig. Ächzend zog er den Kommunikator aus seinem Ohr. Er fingerte ihn gerade noch in die Halterung zurück, da erreichten ihn die Neuankömmlinge und schoben ihre Gesichter in sein verschwommenes Blickfeld. Annabel schüttelte missbilligend den Kopf; Njeri hielt sich die Seiten vor Lachen, wobei ihr ein baugleicher Kommunikator in Muschelform aus dem T-Shirt rutschte, um gut sichtbar an einem Silberkettchen über ihrem Schlüsselbein zu baumeln. iKID Fenja lächelte. „Hey, Blauauge, ich dachte, ihr Menschen seid schon ein bisschen länger von den Bäumen runter.“
„Ha ha“, machte Jorin, brachte ansonsten aber nur Grunzlaute zustande. Mit Annabels Hilfe rappelte er sich auf und streifte trockene Blätter von seinen Klamotten. Im nächsten Moment fiel ihm Fenja um den Hals und drückte ihn so fest, dass es Jorin die Luft abschnürte. Ihr Haar duftete nach Vanille und unter der Haut ihrer Arme erahnte er die stahlbiegende Kraft einer Kampfmaschine. Er spürte, wie seine Handflächen schwitzig wurden und ihm die Röte ins Gesicht stieg. Den Zustand kannte Jorin sonst nur, wenn er einen Löffel Cayenne-Pfeffer in seine Tütensuppe mischte. Schnell blinzelte er seine Verlegenheit weg und schluckte.
„Fenja ...“ Sie hatte sich so gar nicht verändert.
„Jetzt ist aber gut, Fenja, wir wollen Jorin auch begrüßen!“ Annabel befreite den überrumpelten Jungen aus der Umklammerung. Njeri blieb verlegen danebenstehen und schob ihre Hände in die Gesäßtaschen der Jeans. Keine von ihnen hatte vergessen, was Jorin auf der explodierenden Insel für ihre Rettung getan hatte. Nicht nur Annabel verdankte ihm ihr Leben.
„Wovon weiß ich noch nichts?“, wollte Jorin wissen, erntete von Njeri jedoch nur einen Stupser gegen den Oberarm, bevor diese einen raschen Blick mit Annabel wechselte.
„Äh …, dass wir da sind, das ist doch Überraschung genug, oder? Es ist so schön, dich zu sehen“, wich die zierliche Agentin aus und drückte dem verblüfften Jorin einen Kuss auf die Stirn. Dazu musste sie sich allerdings auf die Zehen stellen. Seit ihrer letzten Begegnung war Jorin ein gutes Stück gewachsen.
„Leider haben wir nicht viel Zeit zum Reden“, fuhr Annabel fort und sah sich suchend um. „Wir müssen dringend zu Smuts. Es gibt Neuigkeiten, Jorin, Camaphos hat sich bereit erklärt, mit uns zu sprechen – endlich! Wo steckt Sam denn? Hockt der Kerl etwa wieder im Gemüsebeet?“ Kopfschüttelnd ließ die Agentin mit den katzengrünen Augen Jorin unter der Ulme stehen, um den Weg in die Schrebergartensiedlung hinab zu stapfen.
„Jo“, nuschelte Jorin und betastete seine Stirn, „einfach nur Jo, wann kapiert die das endlich?“
Fenja strahlte über das ganze Gesicht. „Mensch, wie geht’s dir? Hattest du auch so eine coole Zeit? Ich sag dir, Blauauge, die Tage haben sich nur so gejagt. Es war der Hammer. Coole Frisur übrigens.“
Verlegen fuhr Jorin sich durch seine strubbeligen Haare.
Njeri verdrehte hinter Fenjas Rücken die Augen, sodass nur Jorin es sehen konnte.
„Ach ... äh ...“ Rasch schob er die Schleuder in seinen Hosenbund, denn just in dem Moment tauchte ein Rentner hinter der Hecke auf und drehte seinen Gartenzwerg in den Händen.
„Tja“, hüstelte Jorin, „hier war auch mächtig was los ...“