Читать книгу Schienengüterverkehr in der Schweiz - Simon Lieb - Страница 6
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4.2 Wie wird der Schienengüterverkehr durchgeführt?
Im letzten Kapitel wurde die Aufteilung des Güterverkehrsmarktes genauer betrachtet. Doch wie wird der Güterverkehr auf der Schiene überhaupt durchgeführt? Dieses Kapitel soll diese Frage beantworten. Zuerst werden die verschiedenen SGV-Transportarten (Produktgruppen) erklärt. Dann geht es um die verschiedenen Produktionsformen, also darum, wie diese Produktgruppen transportiert werden. Die Informationen in diesem Kapitel stammen von folgenden Quellen.19
4.2.1 Produktgruppen
Abbildung 6: Kombinierter Verkehr (KV)20 | Abbildung 7: Wagenladungsverkehr (WLV)21 |
Der SGV lässt sich in die Produktgruppen Wagenladungsverkehr (WLV), Kombinierter Verkehr (KV) und den Stückgutverkehr unterteilen. Unter KV wird der Transport von Gütern über mehrere Verkehrsträger ohne Wechsel des Transportgefässes verstanden (vgl. Abbildung 6). Dabei wird nicht das Transportgut, sondern das Transportgefäss als Ganzes umgeladen. Dieses kann z. B. ein Container oder Wechselbehälter sein. Im WLV werden an das Transportgut angepasste, konventionelle Güterwagen verwendet. Beispiele wären offene Güterwagen für Bauschutt oder Schiebewandwagen (vgl. Abbildung 7). Auch im WLV kann das Transportgut umgeschlagen werden, nicht aber das Transportgefäss. Stückgutverkehre schliesslich umfassen alle Gütersendungen, die kleiner als eine Wagenladung sind.
In den folgenden Kapiteln wird nun beschrieben, wie die Gütertransporte auf der Schiene in der Schweiz durchgeführt werden.
4.2.2 Einzelwagenladungsverkehr (EWLV)
Im EWLV werden einzelne Wagen oder Wagengruppen transportiert. Dabei werden die Wagen verschiedener Kunden eingesammelt und in Rangierbahnhöfen zu Zügen mit dem gleichen Bestimmungsort zusammengestellt. Am Bestimmungsbahnhof werden die Züge zerlegt und die einzelnen Wagen auf die jeweiligen Kunden verteilt (vgl. Abbildung 8).
Abbildung 8: EWLV - Schematische Darstellung22
Die Kunden des SGVs, die sogenannten Verlader, werden dabei entweder über private Anschlussgleise (ca. 1`500), oder öffentliche Verladeanlagen und KV-Umschlaganlagen (ca. 200) an diesen angeschlossen.23 Zuerst werden die Güterwagen aus den Anschlussgleisen in den Teambahnhöfen gesammelt und zu Zügen zusammengestellt. Von dort aus werden sie zu den Rangierbahnhöfen (z. B. Limmattal) gefahren, wo sie nach Bestimmungsort neu formiert werden. In der Zielregion verläuft der Prozess in umgekehrter Reihenfolge bis zum Anschlussgleis.
In der Schweiz wird das EWLV-System von der SBB Cargo als alleinigem Anbieter betrieben. Dabei werden heute 154 Bedienpunkte bzw. Annahmebahnhöfe nach einem festen Fahrplan wie im Personenverkehr bedient, unabhängig von der nachgefragten Wagenzahl.24 Ausserdem können diese nicht einfach geschlossen werden, sondern benötigen dafür die Zustimmung des Bundes. Daneben bestehen 131 weitere Bedienpunkte, die aber nur bedient werden, wenn eine ausreichende Nachfrage besteht, worüber jährlich neu entschieden wird. Es gibt das Standardangebot Cargo Rail und das Über-Nachtangebot Cargo Express für zeitempfindliche Güter. Heute werden rund 55% des SGVs in der Fläche im EWLV durchgeführt, doch ist er seit Jahren von einem stetigen Rückgang betroffen (vgl. Kapitel 5.4.3).
Der EWLV hat verschiedene Besonderheiten und systemspezifische Vor- und Nachteile. Da die Fixkosten mit Bereitstellung von Rollmaterial und Infrastruktur sehr hoch sind, dafür die Betriebskosten relativ niedrig, wird das EWLV-System bei geringen Transportmengen unrentabel und braucht daher eine hohe Auslastung. Man spricht von einem natürlichen Monopol, da in der Schweiz nur für einen Anbieter ein rentables Auftragsvolumen vorhanden ist (vgl. Interview mit Peter Füglistaler und Kapitel 10.7.1). Doch dies bedeutet nicht, dass keine Konkurrenz bestehen würde: Es herrscht einerseits starker intermodaler Wettbewerb25, andererseits bei grösseren Mengen mit Ganzzügen (vgl. Kapitel 4.2.3).
Der wesentlichste Vorteil des EWLV-Systems liegt in der Bündelung grosser Mengen auf dem längsten Transportstreckenteil und dem direkten, fahrplanmässigen Versand bzw. Empfang von Sendungen bei einer Vielzahl von Kunden.26 So machen zwar die 25 grössten Kunden 70% des Volumens aus, doch können viele kleine Kunden davon profitieren. Auf der anderen Seite ist der Rangieraufwand im EWLV vergleichsweise hoch und der EWLV generell relativ komplex. Besonders die Bedienung der letzten Meile27 ist sehr aufwändig.
Wie bereits der Name EWLV sagt, gehört er zur Produktgruppe WLV. Doch grundsätzlich kann auch KV befördert werden, was heute teils gemacht wird, aber eher selten ist.28 Ausserdem werden mit Cargo Express Stückgüter zwischen 11 Standorten transportiert, wo sie auf die Strasse umgeladen und feinverteilt werden (vgl. Kapitel 9.6). Dieses Angebot wird Cargo Domizil genannt und von privaten Camionneuren angeboten (ehemals von der SBB).
4.2.3 Ganzzüge
Ganzzüge verkehren direkt vom Ausgangs- bis zum Zielort als Einheit und werden nicht getrennt oder rangiert. Wie im EWLV werden auch Ganzzüge in Anschlussgleisen, Freiverladen oder KV-Umschlaganlagen beladen.
Im Gegensatz zum EWLV können im Ganzzugsverkehr mit geringem Personal- und Zeitaufwand grosse Gütermengen billig transportiert werden, da der Rangieraufwand sehr gering ist. Doch sie lohnen sie sich erst bei grossen Gütermengen pro Transport. Bei solchen ganzzugsfähigen Transportlosen kann der Strassengüterverkehr kaum konkurrieren.
Während sich EWLV-Systeme erst bei einem ausreichend grossen Bediennetz rentieren und kaum zwei Netze parallel betrieben werden können, ist dies bei Ganzzugsverkehren nicht der Fall. Deshalb gibt es hier auch mehrere Anbieter und somit intramodalen Wettbewerb. Neben der SBB Cargo als grösster Akteurin ist insbesondere die BLS Cargo im Ganzzugsverkehr aktiv. Der Anteil des Ganzzugsverkehr am SGV in der Fläche beträgt etwa 35%.
4.2.4 KV-Liniensysteme
Unter dem KV wird «der Transport von Gütern mit zwei oder mehreren Verkehrsträgern»29 verstanden, wobei das Transportgefäss beim Umladen beibehalten wird. Dabei wird das Sammeln und Verteilen auf der Strasse durchgeführt (Vor- und Nachlauf), während die Transportgefässe auf dem dazwischenliegenden Hauptlauf gebündelt auf der Schiene transportiert werden. KV trifft man vor allem im Transit an, doch gibt es auch im SGV in der Fläche entsprechende Angebote. Der KV bietet sich dann an, wenn der Verlader und Empfänger kein eigenes Anschlussgleis besitzen und um die Verkehrsträger nach ihren systembedingten Stärken einzusetzen. Doch sind die Volumen in der Schweiz für einen effizienten Betrieb relativ klein und die Umschlagkosten verteuern den Transport (vgl. Kapitel 9.5).
Im Binnenverkehr betreibt die SBB Cargo ein KV-Netz (vgl. Abbildung 9). Dabei fahren die Züge von den KV-Terminals über den Hub, wo sie neu formiert werden, zu ihren Zielpunkten. Neben der SBB Cargo betreibt auch die dem Coop gehörende Railcare als Nischenanbieter ein KV-Netz.
Im SGV in der Fläche wird ein Anteil von knapp 10 Prozent im KV transportiert. Der KV macht zwar nur einen geringen Anteil aus, soll aber überproportional wachsen, da er im Wachstumsmarkt der Stück- und Sammelgüter stark ist.
Abbildung 9: KV-Liniennetz SBB Cargo
4.2.5 Import und Export
Ab dem ersten Umschlag der Import- und Exportverkehre werden die Transporte auf die gleichen Arten und Weisen wie im Binnenverkehr durchgeführt. Der Unterschied liegt im davorliegenden Transportteil im Ausland sowie der Integration in die Binnenverkehrssysteme.
Im internationalen EWLV kooperieren sieben Güterbahnen miteinander. Dabei werden die nationalen EWLV-Systeme über die Rangierbahnhöfe miteinander verbunden. Da die Netze in den Nachbarländern sehr stark verkleinert wurden bzw. in Frankreich und Italien praktisch eingestellt wurden, hatte dies aufgrund der abnehmenden Volumen wiederum negative Auswirkungen auf die SBB Cargo.
Im Import nehmen KV-Verkehre, insbesondere von und zu den Meereshäfen, eine wichtige Stellung ein. Sie machen im Import und Export einen Anteil am Aufkommen von über 30% aus, während er im Binnenverkehr bei nur 3% liegt.30 Dabei werden diese Verkehre heute in verschiedenen, dezentralen Terminals in der Nordwestschweiz abgewickelt (vgl. Abbildung 10). Danach werden sie entweder auf die Strasse umgeladen, im sogenannten Swiss Split ins EWLV-System integriert und direkt zu den Anschlussgleisen der Empfänger transportiert oder zu den regionalen Verteilterminals weiterbefördert. Es ist geplant, in Basel das Gateway Basel Nord als zentralen Hub für Import-/Exportverkehre zu bauen, um die an ihre Grenze kommende Terminalkapazität zu vergrössern, worüber am 29.11.2020 in Basel-Stadt abgestimmt wird (vgl. Kapitel 9.6).
Abbildung 10: Gateways für den Import/Export31