Читать книгу Herzinfarkt - Eine wahre Geschichte von Ohnmacht, Hoffnung und Weiterleben - Sonnhardt Pecksen - Страница 10

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Neben mir, hinter dem Paravent, war es in der Nacht ruhiger geworden. Vielleicht war der Patient eingeschlafen, verlegt worden oder es war Schlimmeres passiert, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich die Nacht hindurch mal wach war, mal schlief, mal dachte und meistens überprüfte, ob das alles nicht doch nur ein Albtraum war. Das hatte ich mir so sehr gewünscht.

Der Morgen kam. Mein Bett wurde aufgeschüttelt, eine Schwester tupfte mich mit einem feuchten Tuch ab. Ab da war klar, ich träumte nicht.

Endlich, es kam ein Arzt. Im Schlepptau seine Entourage. Ich wurde begutachtet, man tuschelte. Der Arzt musterte mich. Ich musterte ihn. Wir belauerten uns. Als er mich fragte, wie es mir geht, hab ich geantwortet: »Dreimal dürfen Sie raten.« Er grinste und erklärte mir, was passiert war. Einen Herzinfarkt hätte ich gehabt, meinte er. Ich sei in der Rettungsstelle besinnungslos geworden, man hätte mich wiederbeleben müssen und es hätte bereits eine Operation stattgefunden.

Zu viel Information.

Was? Ich sah den Arzt hilflos an und fragte: »Werde ich wieder gesund?« Der Doktor schwatzte, über ein Papier gebeugt, mit einem seiner Begleiter. Ich hakte nach, ganz gegen meine Art, ohne höflich das Ende ihres Gespräches abzuwarten, wurde sogar etwas lauter: »Werde ich wieder gesund?« Wie wichtig mir eine positive Antwort gewesen war, kann sich kein Mensch vorstellen. Ich hatte eine riesen Angst, niemals wieder lebendig aus dem Krankenhaus herauszukommen. Was bedeutet denn ein Herzinfarkt? Ich hatte doch keine Ahnung. Was soll denn das sein? Ich wusste nichts darüber. Und dann eine Herzoperation? Das auch noch? Wie war die denn verlaufen? Was weiß ich. Keine Ahnung, was man mir am Herzen angetan hatte. Und vor allen Dingen wusste ich nicht, da sie mich ja offensichtlich operiert hatten, wie sie das denn gemacht hatten. Narben katte ich keine, nur Einstiche und überall Aufkleber auf der Haut. Kann man das Herz durch den Mund operieren? Durch den Hintern vielleicht? Endoskopische Operationen sind ja heutzutage gang und gäbe. Unsicherer als ich konnte kein Mensch sein. Dem Mediziner schien meine Angst aufgefallen zu sein. Mein Tunnelblick hatte sich in sein Gesicht gekrallt. Ich wartete auf Worte, auf eine Erklärung, auf irgendwas Positives. Der Arzt trat etwas näher an mich heran, seine Leute waren schon wieder im Flur draußen, als er sagte: »Sie werden wieder vollständig gesund werden, junger Mann, mit ein paar »unwesentlichen Einschränkungen« vielleicht. Hören Sie jetzt ein halbes Jahr lang darauf, was Ihnen die Ärzte sagen und dann leben Sie ihr Leben.«

Er zwinkerte und ging seiner Wege. Mein geflüstertes »Danke«, konnte er nicht mehr hören. Ob Ärzte tatsächlich wissen, wie wichtig dem Patienten jedes Wort von ihnen ist? Nein, sie wissen es nicht. Nicht immer.

Selig kippte ich nach hinten in die Kissen. Nach einem Blick auf mich hastete der Arzt lächelnd seiner Mannschaft hinterher. Vollständig gesund hatte der Arzt gesagt, vollständig gesund, vollständig gesund.

Das war ein Moment zum Augenschließen. Ich hatte eine Richtung, ich hatte etwas, an das ich mich festhalten konnte. Endlich eine Nachricht, der ich vertraute, ein Arzt, dem ich vertraute. Ein Stein fiel mir vom Herzen. In meinem Kopf überschlug sich alles, ich war so durcheinander.

Mein Gott, warum ist mir das nur passiert. Manchmal denk ich, dass meine Biografie für eine ganze Fußballmannschaft reichen würde. Ich hab mal Gitarrespielen gelernt und praktiziert, hab an der Musikschule Klavier und Querflöte beigebracht bekommen, kann ein bisschen Schlagzeug spielen, war diesbezüglich schon einmal Aushilfsdrummer in einer Rockband, die im Ausland tourte; ich hab musikalische Konzeptionen für ein Varieté entworfen, hab mit einem Riesenerfolg Kabarett gespielt, war Schauspieler in einem Kinderstück, hab Werbespots getextet und eingesprochen, kann Jonglieren, Zaubern und Einradfahren, habe ein paar Bücher geschrieben und diverse CDs aufgenommen, hab Musik für andere komponiert, bin immer noch Moderator auch bei Sportveranstaltungen und reise mit Musik, Wort und Entertainment bis heute erfolgreich durch das Land. Kurz: Ich bin ein toller Hecht, nur haben die meisten meiner Mitbürger davon keine Kenntnis.

Kann es vielleicht sein, dass der liebe Gott schludert? Kann das sein? Hätte er nicht all das, was er mir auferlegte, ein bisschen aufteilen können, zersplittern auf all seine Kinder? Nun ja, er hat menschliches Denken, wie man lesen kann und er hat auch menschliches Handeln, auch davon hab ich gehört, da kann er wohl auch mal Fehler machen. Da ist nur eine einzige winzige Frage zu klären: Warum ich?! Verdammt noch mal.

Wenn man, wie ich, damals auf der Intensivstation, nichts Ordentliches mehr denken kann, nichts mehr fühlt, nichts Gutes und nichts Schlechtes, nichts Durchschnittliches, nichts Warmes, nichts Kaltes, wenn einem alles gleichgültig ist, dann ist irgendeine Scheiße passiert.

Man taumelt durch den Tag, ertrinkt fast in der Dunkelheit der Nächte, fürchtet sich, heult den Mond an, wimmert den Sternen hinterher und zweifelt an sich selbst.

Doch wer ist schuld an allem? Kann man wirklich Gott herbeizitieren und ihm aufbürden, dass schließlich er es war, der sich ausdachte, uns eine Existenz und somit auch den Jahrtausendkummer überzuhelfen? Selbstverständlich kann man das! Man kann ihm ja auch für alles Gute auf der Welt danken. Diesen Dank nehmen seine Vertreter auf Erden, auch seine Jünger, doch immer gern entgegen. Aber es ist ja scheißegal, wer schuld ist, das ändert am Nichtsmehrfühlen überhaupt nichts. Vollständig gesund hatte der Arzt gesagt, vollständig gesund, vollständig gesund.

Herzinfarkt - Eine wahre Geschichte von Ohnmacht, Hoffnung und Weiterleben

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