Читать книгу Herzinfarkt - Eine wahre Geschichte von Ohnmacht, Hoffnung und Weiterleben - Sonnhardt Pecksen - Страница 11
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Immer noch auf der Intensivstation.
Eine Nacht, eine komische, hatte ich bereits hinter mir. Die Schockwelle war noch nicht vorüber, ein klares Denken, ein Sichabfinden auch nicht. Da war es ganz egal, was die Ärzte sagten. Klarheit erfordert ja immer Distanz. Ein bisschen Zeit war inzwischen nach dem »... vollständig gesund« des Arztes vergangen.
Meine Frau kam mich besuchen und brachte meinen Sohn mit. Ich weiß gar nicht, was ich geantwortet hätte, wie ich mich entschieden hätte, wenn man mich vorher gefragt hätte, ob der Junge mich so sehen soll. Ich hab ihm den Schock angesehen, als er um die Ecke bog. Ich weiß noch, wie es bei mir einst war, als ich meinen Vater im Krankenhaus besuchte und mitkriegte, dass er von Maschinen, Automaten und Geräten abhängig war. Mein Vater! Der Übervater, der, den ich so geliebt habe, der mich geliebt hat, und, den ich noch heute sehr vermisse.
Was bei meinem Junior im Inneren vonstattengegangen war, als er seinen Vater, also mich da liegen sah, angeschlossen an Maschinen, fast bewegungslos und sehr, sehr wortkarg weiß ich so ganz genau bis heute nicht. Aber er war da, er war verstört und ebenfalls still.
Meine Frau hat am Abend zuvor, als sie bei mir zu Besuch war, von den Schwestern einen Haufen Papier zum Ausfüllen mitbekommen. Formulare über Formulare. Ob die Leute im Krankenhaus so ganz genau wissen, was sie einer Frau oder einem Mann zumuten, die im Prinzip, nur Minuten vorher, fast ihren Partner für immer verloren haben? Es galt in diesem Papierkrieg zu klären, welche Krankenkasse die Behandlung bezahlt, auch darum, ob ich Medikamente einnehme, ob ich eine Krankenaktenvorgeschichte habe, dann noch der Datenschutz und was weiß ich noch alles. All das hatte sie am Tresen ausgefüllt und anschließend bei den Krankenschwestern abgegeben. So war ich einige Augenblicke mit meinem Junior allein.
Ich weiß nicht mehr, welche Art von Kommunikation wir führten, mein Junior und ich, aber wir unterhielten uns sicher. Ganz bestimmt hab ich ihm eingeredet, dass alles wieder gut wird. Der Arzt hatte es ja gerade gesagt und das hatte ich wohl weitergegeben. Ob mein Kind mir geglaubt hat? Ich weiß nicht, aber ich schätze eher nicht.
Als die Beiden später wieder gingen, gaben ihnen die Schwestern eine Tüte mit meinen Sachen mit: Bekleidung, Brieftasche, Portemonnaie. Der Inhalt der Geldbörse wurde ihnen in Einzelteilen übergeben. Es hatte den Anschein, als wären die Papiere durchsucht und der Besitzer ausgeraubt worden. In diesem Fall war das ja ich. Aber so war das nicht. Die Schwestern hatten, kurz, nachdem ich kollabiert war, meine Papiere durchsucht, um einen Hinweis auf Medikamente zu finden, die ich dauerhaft einnahm. Wahrscheinlich galt ihre besondere Aufmerksamkeit auch einem Organspendeausweis, falls die ganze Lebenserhaltung per Defibrillator um die Ecke gehen würde. Später fand ich das toll, also die Aktion der Krankenschwestern. Deren Voraussicht zeugte tatsächlich von Professionalität. Ich selbst hätte niemals an so was gedacht. Da man bezüglich der Medikamente nichts fand, konnte man mir Arzneien jeder Art verpassen, ohne Bedenken zu haben, was sich womit verträgt. Gut war auch, dass ich meine Leber, die Augenhornhaut, Milz und das Gehirn behalten durfte, sonst könnte ich das alles hier gar nicht aufschreiben und nebenher einen Likör trinken. Später, auch heute noch, trage ich immer einen Zettel bei mir, auf dem das, was ich an Medikamenten dauerhaft einnehme, aufgedruckt ist. Man weiß ja nie ...
Ein halbes Jahr danach erfuhr ich dies: Zuhause angekommen kippte meine Frau ohne besondere Aufmerksamkeit die Tüte mit meinen Klamotten im heimischen Bad aus, um sie später zu waschen. Aber erst einmal waren Telefonate zu erledigen und so weiter. Als die Beiden da saßen, meine Frau und mein Junior, als sie Kaffee tranken, fragte mein Spross behutsam, was denn seine Mutter mit den Sachen seines Vaters vorhätte, mit den Kleidungsstücken, die sie im Bad hingekippt hat. Offenbar war er kurz zuvor dort gewesen und hatte gesehen, was seine Mutter da aus dem Krankenhaus mitgebracht hatte. Waschen, bekam er zur Antwort. Ganz leise, fast flüsternd, meinte Junior daraufhin, dass die Hose, die Jacke, die Unterwäsche, das Hemd, dass das doch alles kaputt wäre und man das nicht waschen müsste ...
Das Rettungsteam vor Ort hatte mir all meine Sachen vom Leib geschnitten, um besser den Defibrillator ansetzen/auflegen/ankleben, was weiß ich, zu können. (Man hat also meiner Frau meine zerschnittene, zerrissene Garderobe mitgegeben, ohne ein Wort darüber zu verlieren.) Niemandem ist das in der Aufregung aufgefallen.
Wenn ich darüber nachdenke, darüber, was bei dem Anblick in meinem Junior vorgegangen sein muss, wird mir schon wieder ganz mulmig.
Hab ich schon davon berichtet, dass ich, während ich dort lag, nicht Lachen konnte, nicht husten und kaum meinen Oberkörper anheben konnte, ohne vor Schmerzen laut loszuschreien? Sternumfraktur ist ein Wort dafür, ein anderes wäre Rippenbruch. So was kriegt man, wenn einem der Brustkorb zwischen sechs und acht Zentimeter eingedrückt wird, um dem Herzen damit kundzutun, dass es gefälligst seine Arbeit wieder aufzunehmen hat. Herzdruckmassage wird das genannt, oder: Lass knacken, Kumpel.