Читать книгу Herzinfarkt - Eine wahre Geschichte von Ohnmacht, Hoffnung und Weiterleben - Sonnhardt Pecksen - Страница 7

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Volltreffer

Da oben, über allen Wolken, über uns, über mir, ausgestreckt auf einem blassen Teppich langer Weile, lag der liebe GOtt. So muss es gewesen sein. ER drehte wohl Däumchen in einem trüben Januar, tat nichts, dachte nichts, sagte nichts. So verging die Zeit. SEine Zeit. Meine Zeit. Alle Zeit. Da war ein so großes Nichts in SEinem Handeln gewesen, und ein noch größeres Nichts in SEinem Denken, dass das sogar die Langeweile, die Einiges von ihrem Meister gewöhnt war, erstaunte. Sie hob zu sprechen an: »Wenn du etwas zum Spielen brauchst, GOtt, etwas, das dich auf andere Gedanken bringt, strecke nur den Arm aus, lass ihn auf die Suche gehen, freue dich auf eine Überraschung, du weißt doch, wie das geht.«

Da lächelte GOtt, erfreut über die Anteilnahme, dachte jedoch: Was erlaubt sich überhaupt die Langeweile? Natürlich wusste ER, wie das geht, selbstverständlich wusste ER, wie ER sich selbst und andere verwirren konnte. Oft genug hatte ER es probiert, wenn es auch inzwischen schon sehr lange her war, damals, zu einer Zeit, als die Hoffnung mit guten Taten die Menschheit ein bisschen besser machen zu können noch lebendig gewesen war.

Von diesen Gedanken beflügelt, machte ER sich umgehend zu schaffen, krempelte einen SEiner Lichtärmel hoch, bedachte eine Strategie, und steckte SEinen Arm durch die Wolken hindurch in die von IHm geschaffene Welt. Ohne hinunterzusehen, tat ER das, denn was dort unten passierte, interessierte IHn schon lange nicht mehr. Einen intensiven Blick war das alles nicht wert. ER ließ seine Finger durch die Menschheit tanzen, behielt die Augen geschlossen, um sich besser konzentrieren zu können, befühlte einiges Unwesentliche nach Grad des Interessantseins, stupste es beiseite, griff erneut um sich, ließ wieder davon ab, pflückte Gedanken, studierte Schicksale, und entschied sich nach einiger Zeit für etwas durchschnittlich Lebendiges, das sich jedoch unterhaltsam anfühlte. ER entschied sich für MICH.

Es war ein trüber Januarabend gewesen. Der Himmel, der in unansehnlichem Nebelblaugrau über mir hing, der die Sicht ins klärende, beruhigende Universum versperrte, hatte alles, was nötig ist, um bedrohlich zu wirken. Unberechenbar sah er aus, Angst machend, nichts Gutes verheißend. Widerlich anzusehende, graue Geschwüre, jeden Augenblick bereit, nasses Januargift in die Welt, in meine Welt zu versprühen, baumelten dort oben. Wie Gespenster sahen die Wolken aus, wie Körperteile, wie Gliedmaßen, wie übergroße, riesige Finger, die sich bewegten. Angst! Kalte Schauer jagten mir über den Rücken, heiße über die Brust. Eiswasserbäche flossen an mir hinab. Irgendetwas war anders, Mächtiges spielte mit mir, hatte mir meinen Willen genommen. Ein panischer Blick nach oben hatte genügt, um mir das zu sagen. Flammenwerfer schossen ihre todbringende Fracht in meine Brust, trafen mein Herz, setzten es in Flammen, zwangen mich in die Knie. Ein Singsang umtänzelte mich, sprach Sprachen, die ich nie zuvor hörte und trotzdem verstand: »Denke nicht«, fauchte das Feuer, »handele nicht«, säuselte mein Verstand, »lass los«, befahl eine fremde Stimme.

Nichts von allem tat ich.

Stürme tobten mir aus dem Mund, Worttaifune, Schreivulkane und Erdbebenstöhnen – all das brach, donnerte, floss wie Lava aus mir heraus, versuchte, mich mitzuteilen; Flammenbänder umtanzten mich, schnürten mich ein, ließen mich nicht los, verbrannten meinen Willen, erstickten meine Worte, zerstückelten meine Gedanken. Ich musste Hand anlegen, wollte die brodelnde Hitze auf der Brust festhalten, krallte sie mir, probierte, sie mir vom Leibe zu reißen, schrie sie an, mühte mich, sie zu vertreiben, aber ach – alles vergebens. Nur eine ablandige, schäumende Gedankenwelle blieb, das Widerspiel aller Antworten: 'Habe ich alles getan, was für mich zu tun war?'

Dann Talfahrt, Tunnel und kein Licht am Ende.

Alles legte sich, hielt inne.

Aus Feuerstürmen wurden Winde, wurden leichte Brisen, wurden laue Lüfte, die in einem großen, finalen Ausatmen versiegten. Endlich, alle Ängste passé.

GOttes Hand hatte mich erreicht.

Sie hob mich an, trennte mich von der Welt, auf deren Haut Schlachten zwischen Wesentlichem und Unwesentlichem gefochten wurden, zog mich aus dem Meer der Fragen, in dem ich so gern badete heraus, und riss mich aus den Armen meiner Liebe, der ein gestammeltes 'Geh' nicht!' aus den Salzwasserlippen perlte. Dann wurde es still.

»Du also«, konstatierte GOtt, als er mich sah, nachdem er mich durch das graue Schwadengeflecht zu sich nach oben gezerrt hatte. Da lag ich nun in seiner Hand, die sich gar nicht wie eine Hand, eher wie ein Dunst, wie ein Hauch anfühlte.

Die Langeweile verfolgte aufmerksam das Geschehen.

Ich selbst sah nichts, baumelte in einer großen, warmen, hellen rauchfarbenen Wolke, spürte nur, hörte nur.

»Ja, ich«, dachte ich mehr, als dass ich antwortete.

»Erzähl mir, wie war’s bisher?«, dröhnte es.

Was für eine Stimme!

»Mein Leben?«

»Allerdings«, murmelte GOtt.

»Lustig.« Besseres fiel mir nicht ein.

»Und ...? Magst du noch ein bisschen?«

»Hab ich eine Wahl?«

»Schon möglich.«

Scherzte GOtt?

»Dann mag ich noch ein bisschen.«

Das 'Geh' nicht!', von eben gerade, war aus der Ferne zu vernehmen. Wie ein niemals enden wollendes Echo schallte es unter mir, wurde mal lauter, mal leiser.

GOtt sprach:

»Du weißt, was noch zu erledigen ist?«

»Besser als je zuvor.«

»Und wirst du es tun?«

»Wenn die Zeit reicht, die du mir gibst.«

»Das wird sie«, versicherte mir GOtt. Er drehte mich mit seiner Hand in alle Richtungen und begutachtete mich, bis mir schwindelig wurde. Bohrend waren seine Blicke, die durch meine Augen hindurch forschend in mein Inneres hinein leuchteten. War das eine Erleuchtung auf SEinem Gesicht? Er schüttelte den Kopf, als wäre er mit sich im Unreinen, rüttelte mich, drückte mich an seine Brust und streckte dann seinen Arm, mit mir in seiner Hand, weit von sich. Prüfender GOttesblick. Eine Erkenntnis musste in ihm aufgegangen sein, denn seine Verwunderung war einem wissenden Lächeln gewichen.

»Du bist tatsächlich zu früh«, wunderte ER sich.

Ich konnte nicht antworten, meine Sprache war gerade nicht auffindbar, wie auch mein Wille, wie auch meine Neugier. Trotzdem behielt ich die Ruhe. All das Unwirkliche erstaunte mich eigenartigerweise nicht.

»Eines noch mit auf den Weg«, grollte GOtt:

»Wenn du bleibst, wie du bist, wenn du tust, was du immer tatest, wenn du denkst, was du immer dachtest, dann sehen wir uns recht bald wieder. Wenn du aber alles Ehemalige überdenkst, neue Wege findest, wenn der Horizont für dich aller Anfang und nicht das Ende ist, dann werde ich wohl oder übel noch einige Zeit ohne dich auskommen müssen. Hast du verstanden, was ich dir damit sagen will?«

Mir war, als hätte er hinter jedem seiner Worte eine Pause gemacht, die eine Ewigkeit dauerte. Ich hatte alles, was er gesprochen hatte, eingesogen. Ein Bild geisterte mir im Kopf herum: Alles, was er da geredet hatte, jedes einzelne Wort, wurde zu einem Granitstein, der mir vor die Füße geworfen wurde und in der Erde stecken blieb. Einer nach dem anderen stürzte herab, pflasterte vor meinen Augen einen Weg, der mir eine neue Richtung vorgab. Mit großer Wucht polterten diese Brocken zu Boden. Ich erzitterte jedes Mal, denn es fühlte sich an wie Stromstöße, die mir durch den Körper jagten, wie Schläge auf die Brust, wie Einstiche in meinem Körper. »Ja«, schrie ich, »ja, mir sind deine Worte verständlich, ich weiß, was du sagen willst!« – Dann wurde es wieder still, wurde so lautlos, wie es nur bei einem sein kann, der tief unten, auf dem Meeresboden, sein Bett aufgeschlagen hat.

Doch diese Ruhe hielt nicht lange an. Ein Vorhang ging auf. Jemand versuchte, mir den Brustkorb zu zerschmettern. Ein Pflasterstein? Ein weiterer Jemand versetzte mir Stromstöße; eine Frau, in unschuldigem Weiß, riss mir die Garderobe herunter, und was sie nicht schaffte zu zerfetzen, erledigte sie mit einer Schere, bis dass ich nackt dalag. Zwei ebenfalls weiße Geister zerstachen mir die Handgelenke, den Hals und die Beine; Blut floss, Tränen, und einiges andere. Aufruhr herrschte, eine Art von durchgeplantem Chaos, das mit nur drei Worten sein Finale fand und nichts, aber auch nicht im Entferntesten irgendetwas mit langer Weile zu tun hatte. Drei Worte strukturierten Jegliches und hätten – live auf den Bühnen dieser Welt aufgeführt – mit hundertprozentiger Sicherheit zu stehenden Ovationen geführt, drei Worte, die da lauteten: 'Wir haben ihn!' Das 'Geh' nicht!' war verstummt und jemand dankte GOtt, doch der war gegangen. Vorerst.

Herzinfarkt - Eine wahre Geschichte von Ohnmacht, Hoffnung und Weiterleben

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