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Kapitel 4
ОглавлениеLandsitz des Viscounts of Badwell Avebury, in der Grafschaft Wiltshire Ende März 1814
Im Kamin prasselte ein loderndes Feuer und tauchte die ledernen Buchrücken in den hohen Regalen in ein warmes, einladendes Licht. Zahlreiche Kerzen erhellten den Spieltisch, an dem sich vier junge Männer bereits zu ihrer zweiten Partie Whist niedergelassen hatten. Der Viscount of Badwell, seit Tagen der Gastgeber dieser feuchtfröhlichen Runde, beugte sich zum Beistelltisch hinüber, auf dem der Butler diverse Karaffen bereitgestellt hatte, und schenkte dann seinen Freunden großzügig nach. Das Kerzenlicht brach sich tausendfach im Schliff der edlen Kristallgläser.
„Herz ist Trumpf“, verkündete sein Gegenüber und drehte die letzte Karte des Stapels um.
Badwell stellte die Karaffe zurück und nahm seine Karten wieder auf. Bis auf eine Acht hatte er kein Herz in der Hand, doch das bekümmerte ihn wenig. Zum einen war Hugh, mit dem er diese Partie spielte, ein wahrer Könner, und zum zweiten hieß es doch immer: Pech im Spiel – Glück in der Liebe. Und er schien derzeit geradezu unverschämtes Glück in der Liebe zu haben.
„Ach übrigens“, begann er und legte alle Karten offen auf den Tisch, da das Lizitieren ergeben hatte, dass sein Partner diese Partie spielen würde. „Für morgen Abend müsst ihr eine andere Beschäftigung finden, denn es wird euch der vierte Mann zum Kartenspielen fehlen. Morgen bin ich nämlich … verhindert.“
Er grinste zufrieden, nahm einen Schluck und lehnte sich in seinem Sessel zurück, gespannt auf die neugierigen Fragen der anderen. Diese ließen nicht lange auf sich warten. Schon schnappte Gregory, sein Freund zur Linken, hörbar nach Luft.
„Nein! Heißt das … du hast doch erst kürzlich die schöne Babette … und jetzt … also, nein!“, war alles, was er herausbrachte. Badwell liebte es, seine Freunde sprachlos zu machen. Das zufriedene Grinsen vertiefte sich.
Lester zu seiner Rechten war weit davon entfernt, beeindruckt zu sein. Badwell hörte ihn zuerst unwillig schnaufen, bevor er, ohne von seinen Karten aufzublicken, sagte: „Beabsichtigen wir hier ernsthaft Whist zu spielen, oder ziehen Eure Lordschaft es vor, eine Plauderstunde einzulegen, um mit Euren amourösen Abenteuern zu prahlen?“
Badwell lachte auf. Er mochte Lester. Sein Freund aus Kindertagen hatte sich zu einem ernsthaften Mann entwickelt, der sich mit Geschichte und Philosophie beschäftigte. Seine Ausführungen darüber interessierten Badwell mehr, als er zuzugeben bereit war. Schließlich galt er gemeinhin als jemand, der in den Tag hineinlebte und sich über nichts und niemanden Gedanken machte außer über sich selbst. Man nannte ihn nicht umsonst den Teufel, da hatte er einen Ruf zu verlieren. Kein Mensch wäre je auf die Idee gekommen, Lester mit einem solch diabolischen Beinamen zu bedenken. Er war ein Musterbeispiel an Tugend, bekannt dafür, dass er sich an Regeln und gesellschaftliche Konventionen hielt. Und die Regel bei diesem Kartenspiel lautete: Es war verboten zu sprechen.
„Ach, Les, so sei doch nicht so steif! Wir spielen hier weder ein Turnier, noch geht es um große Summen. Also schieß los, Justin. Was ahnt Gregory bereits, was wir nicht wissen?“, meldete sich nun Hugh, der Vierte im Bunde, zu Wort und spielte die erste Karte aus.
Lester stach sie und warf ihm einen Blick zu, der Habe ich dich nicht gewarnt? Du sollst konzentriert spielen und nicht reden! besagte. Zu Hughs Überraschung war es dann aber auch er, der seine Frage beantwortete: „Die schöne Daphne ist offensichtlich bereit, sich auf ein Stelldichein mit dem Teufel einzulassen.“
Es klang nicht so, als würde ihn diese Tatsache überraschen, und auch nicht so, als würde sie ihn interessieren. Hugh MacMillan spielte die nächste Karte aus und ärgerte sich über seine Wahl, noch bevor sie auf der Tischplatte gelandet war. Ihm war das Privatleben seines Gastgebers alles andere als egal. Er selbst war seit zwei Jahren glücklich verheiratet und vermisste Rose, die nach Reading gefahren war, um ihre Schwester zu besuchen, jeden Tag mehr. Die Ehe war ihm heilig. War es da ein Wunder, dass er mit den verheirateten Liebschaften seines Freundes nicht einverstanden war? Mit einem schnellen Blick sah er zu Badwell hinüber, der in seinem Sessel lümmelte, an seinem Portwein nippte und das Geschehen am Spieltisch mit trägem Blick verfolgte. Anscheinend wollte er die Spannung erhöhen, bevor er die Katze vollständig aus dem Sack ließ.
Was war Justin Rawling, der jetzige Viscount of Badwell, mit Anfang zwanzig doch für ein fröhlicher junger Mann gewesen!, dachte Hugh, während er weiterspielte. Voller Pläne, wie er seine Zukunft gestalten wollte. Bei Männern und Frauen gleichermaßen beliebt und als Gesprächspartner geschätzt, ein aufgehender Stern der Londoner Gesellschaft. Nichts, womit er seinem sittenstrengen, ja bigotten Vater eine Freude hätte machen können. Dazu kam, dass der junge Gentleman aufgrund des Erbes seiner früh verstorbenen Mama seit seiner Großjährigkeit über ausreichend finanzielle Mittel verfügt hatte, sich in der Hauptstadt eine Wohnung zu mieten. Der alte Viscount hatte die Unabhängigkeit seines zweiten Sohnes ebenso gehasst wie den Mangel an Sparsamkeit, den er ihm immer wieder vorwarf. Hugh versuchte sich aufs Spiel zu konzentrieren. Sollte er den Karo-Buben ausspielen? Eine höhere Karte, um ihn zu stechen, war doch nicht mehr im Spiel, oder etwa doch? Er beschloss es zu riskieren, und schnapp, schon machte Lester mit der Karo-Dame den nächsten Stich.
Gregory lachte laut auf. Badwell zog eine Augenbraue nach oben: „Unkonzentriert, mein Guter?“, wollte er wissen.
Lester spielte die nächsten Karten und Hugh brauchte sich nicht länger zu konzentrieren, weil er keine Chance mehr hatte, zum Stich zu kommen. Er sah zu Badwell hinüber, der mit Gleichmut hinnahm, dass sie verloren. Früher hatte er viel mehr Gefühle an den Tag gelegt. Früher konnte er sich noch freuen, aus reinem Herzen lachen, aber auch toben und lieben. Heute war er eine Mischung aus Resignation, Verantwortungslosigkeit und Sarkasmus. Hugh warf die letzte Karte auf den Tisch.
„Ich brauche eine Pause“, sagte er, stand auf und ging zum Fenster hinüber. Badwell hatte mit Lady Glostershire geschlafen, um sich an ihr zu rächen. Hugh wusste nicht, was er davon halten sollte. Ja, gut, sie hatte ihm das Herz gebrochen. Aber das war doch schon Jahre her! Und Justin war schließlich nicht nur ihretwegen auf den Kontinent gereist, um für König und Vaterland zu kämpfen. Daran trug wohl sein sittenstrenger Vater die Hauptschuld. Jener Vater, den alle gefürchtet hatten und dem es sein Zweitältester nie hatte recht machen können. Zum Unterschied von seinem Ältesten, der immer bevorzugt behandelt worden war. Und der die Kutsche lenkte, die vor einem knappen Jahr in die Hochwasser führende Wylye gestürzt war und die beiden Männer und die Pferde in den Tod gerissen hatte. Justin war mit einem Schlag der Viscount of Badwell geworden. Er kehrte dem Militär den Rücken, kam nach England zurück und begann ein wildes Leben, das zuerst so gar nicht zu ihm zu passen schien. Was hatte ihn bloß so verändert? War es der Krieg, der ihn genusssüchtig, ja geradezu verantwortungslos gemacht hatte? Oder konnte er doch, trotz all seiner gegenteiligen Beteuerungen, den Tod von Vater und Bruder nicht überwinden? Der Justin Rawling, den Hugh von früher kannte, hätte ohne zu zögern die Pflichten übernommen, die seine neue Rolle mit sich brachte, mochten sie ihm noch so überraschend zugekommen sein. Er hätte sich nicht mit Alkohol, Kartenspiel und riskanten amourösen Abenteuern die wertvolle Zeit vertrieben. Wie oft hatten Lester und er an sein Pflichtgefühl appelliert! Doch Justin hatte nur gelacht und etwas, das wie „Mein Vater soll sich im Grab umdrehen“ klang, gemurmelt. Darum hielt er, Hugh, sich inzwischen mit guten Ratschlägen zurück, wenn er auch fand, dass Justin ein denkbar schlechtes Vorbild für seinen um sechs Jahre jüngeren Freund Gregory Saville darstellte. Dieser bewunderte ihn für alles, was er tat. So anscheinend auch für das amouröse Abenteuer, das unmittelbar bevorzustehen schien und das ein noch bedeutend größeres Risiko barg als sein letztes. Hugh MacMillan beschloss, nicht länger zu schweigen.
„Daphne?“, unterbrach er das heitere Zwiegespräch, das die beiden Freunde soeben begonnen hatten, während Lester schweigend die Münzen vor sich zählte. „Wir sprechen doch hoffentlich nicht von Ihrer Ladyschaft, der Countess of Mildenhall.“
„Oh, seht nur, unser tugendsamer schottischer Freund hat Einwände“, bemerkte Badwell spöttisch.
„Und ob ich die habe“, fuhr Hugh auf, „die Countess ist schließlich verheiratet.“
„Da erzählst du mir nichts, was ich nicht schon wüsste.“ Badwell grinste über den Rand seines Glases hinweg.
„Wie hat sie denn Kontakt zu dir aufgenommen? Ist ihr Gatte verreist?“, wollte Gregory wissen. Er hatte sich im Stuhl vorgebeugt und konnte es gar nicht erwarten, nähere Einzelheiten zu erfahren.
Bevor Badwell noch antworten konnte, verlieh Hugh seinen Bedenken noch mehr Nachdruck: „Der Earl ist ein verdammt guter Schütze. Man sagt, er habe bereits drei Männer im Duell erschossen.“
„Ich würde es vorziehen, wenn du dich wieder setzen würdest, damit wir weiterspielen können“, lautete Lesters trockene Reaktion, „anstatt uns Dinge zu erzählen, die den von uns, den es betrifft, ohnehin nicht interessieren.“
„Schön gesprochen, mein Teuerster.“ Badwell war sichtlich amüsiert.
Mit einem lauten Knall landete Hughs Faust auf der Tischplatte.
„Mir ist die Lust auf dieses Spiel vergangen! Justin Rawling, ich muss ernsthaft an deinem Verstand zweifeln. Du bist jetzt, wenn ich daran erinnern darf, der Viscount of Badwell. Benimm dich entsprechend! Du bist fast dreißig Jahre alt. Du hast Verantwortung. Es liegt an dir, deine Familie zu repräsentieren …“
„Meine Worte“, warf Lester ein und nickte, während er das gewonnene Geld einstrich und in der Tasche seines Rocks verstaute.
„Stattdessen benimmst du dich immer noch wie ein … wie ein … unreifer …“ Der passende Ausdruck schien ihm nicht einzufallen. „Mildenhall war ein Freund deines Vaters“, trumpfte er stattdessen auf.
„Was denkst du denn, was das Ganze für mich so besonders vergnüglich macht?“, fragte Badwell mit einem Lachen, das Hugh nicht gefiel. „Mein Vater wird schäumen, wenn er das von oben sieht. Doch Pech für ihn, dass er nichts mehr dagegen unternehmen kann.“
Gregory lachte auf.
Hugh versuchte es auf eine andere Weise: „Mildenhall ist dein nächster Nachbar. Wenn euer … euer Getändel herauskommt, dann kannst du dich in Avebury nicht mehr blicken lassen! Zumindest nicht in den nächsten Jahren, bis Gras über die Sache gewachsen ist.“
„Hat er wirklich schon drei Männer im Duell getötet?“, wollte Gregory wissen, der sich, bei aller Verehrung, auch Sorgen um seinen Freund machte. Doch diesem war das nur eine wegwerfende Handbewegung wert.
„Das erzählt man von mir auch und wir alle wissen, dass es nicht der Wahrheit entspricht. Und selbst wenn es so wäre: Der Mann ist über siebzig. Der kann keine Pistole mehr halten, ohne zu zittern. Denkt ihr, damit könnte er mich erschrecken?“
„Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib“, hielt es Hugh für angebracht, nun aus den zehn Geboten zu zitieren. „Ist dir denn nicht bewusst, dass du dabei bist, eine Sünde zu begehen?“
„Die einzige Sünde, die ich sehe“, entgegnete Badwell, der nie um eine Antwort verlegen war, „ist die, eine Frau in der Blüte ihrer Jugend mit einem Greis zu vermählen, dessen Alter dem meines Vaters entspricht. Da ist es doch kein Wunder, dass sie sich anderweitig nach Vergnügungen umsieht.“
„Aber doch nicht drei Monate nach der Hochzeit!“, entrüstete sich Hugh. Gerade so, als wären drei Jahrzehnte nach der Hochzeit weniger Sünde gewesen.
„Worauf soll sie denn warten, mein Lieber? Bis sie selbst alt und grau geworden ist?“
„Wie hast du das bloß geschafft, du Teufelskerl?“ Gregorys Augen glänzten vor Anerkennung. Und wohl auch vom Alkohol, dem er großzügig zugesprochen hatte. „Du hast sie doch erst kürzlich auf dem Ball auf Mildenhall kennengelernt. Gut, es brauchte nicht viel Beobachtungsgabe, um zu erkennen, dass du sie beeindruckt hast. Sie erwies dir zweimal die Ehre, sie zum Tanz zu führen, aber …“
„Sie erwies mir am nächsten Tag auch noch die Ehre eines Spaziergangs“, setzte sein Freund fort. „Irgendjemand musste ihr doch ihre neue Heimat zeigen, nicht wahr?“
Lester lachte auf. Er war zum Kamin getreten, um sich seine Hände am Feuer zu wärmen. „Und dieser Jemand warst natürlich du. Ein wahrer Gentleman, ein hilfsbereiter Nachbar.“
Badwells Lächeln vertiefte sich: „Ganz genau, mein Lieber. Und da unsere Umgebung besonders malerisch ist, haben wir uns gestern auch noch zu einer Ausfahrt getroffen. Ein umfassender Eindruck über Avebury wäre nicht vollkommen ohne den berühmten Steinkreis. Er ist doch schließlich das Heiligtum der britischen Druiden.“
„Das Heiligtum …“ Hughs Backen wurden vor Entrüstung immer größer. „Als wenn dich das Heiligtum der Druiden auch nur im Entferntesten interessierte! Uns hast du weisgemacht, du würdest die Zeit mit deinem Vermögensverwalter verbringen. Schließlich geht das Trauerjahr um deinen Vater in wenigen Tagen zu Ende. Du hast doch versprochen, dass du dich dann um deine Pflichten kümmern wirst.“
„Ich habe lediglich versprochen, es in Erwägung zu ziehen …“, lautete Badwells Kommentar, und er hörte selbst, wie halbherzig, ja geradezu erbärmlich das klang. Seine gute Laune verflog und machte jener Art von Ärger Platz, die ihn immer dann erfasste, wenn er wusste, dass einer seiner Freunde recht hatte, er dies aber nicht zugeben wollte. Nicht einmal vor sich selbst.
„Ich stimme Hugh zu“, sagte Lester. „Kümmere dich lieber um deine Pflichten, statt anderen Männern ihre Frauen abspenstig zu machen!“
„Hör nicht auf die beiden Alten“, forderte Gregory alles andere als taktvoll. „Erzähl mir lieber endlich: Wie kam euer Stelldichein zustande? Hat sie dir eine Nachricht geschickt? Wo möchte sie dich treffen? Du sollst doch nicht etwa nach Mildenhall kommen?“
Die Ermahnungen seiner Freunde waren nicht spurlos an Badwell vorübergegangen, und die vielen Körnchen Wahrheit, die in ihnen steckten, trübten den Glanz des bevorstehenden Abenteuers. Da kam ihm Gregorys Begeisterung gerade recht. Er lachte amüsierter auf, als ihm tatsächlich zumute war.
„Wo denkst du hin, du kleiner Narr!“, rief er aus. „Ich setze doch keinem Mann in seinem eigenen Haus Hörner auf. Nicht einmal einem Greis wie Mildenhall.“
„Äußerst nobel“, konnte es sich Hugh nicht verkneifen, voll Sarkasmus einzuwerfen. „Nur schade, dass dir dieser edle Grundsatz im Anwesen des Barons of Glostershire entfallen war.“
Badwell beschloss, ihn nicht mehr zu beachten.
„Ihre Ladyschaft hat mir die Kammerfrau vorbeigeschickt, mit der sie wohl auf besonders vertrautem Fuß steht. Sie möchte mich unten am Weiher, in unserer alten Fischerhütte, treffen.“
„In der alten Fischerhütte? Das scheint mir ein wenig komfortabler Ort für ein Stelldichein zu sein.“ Gregory war offensichtlich enttäuscht. Das konnte sein älterer Freund natürlich nicht so stehen lassen.
„Ich habe selbstverständlich den Auftrag erteilt, die Hütte in Ordnung zu bringen und mit den nötigen Möbeln auszustatten. Außerdem wird alles für ein Picknick bereitstehen. Ihre Ladyschaft liebt offensichtlich das einfache Landleben. Sie wird sich als Schäferin verkleiden und möchte mich in der Originalkleidung eines Schäfers sehen. Rokley hat daher die Aufgabe, einen Schäfer ausfindig zu machen, der in etwa meine Größe trägt und nichts dagegen hat, mir seine Kleidung für den einen oder anderen Abend gegen bare Münze zu leihen.“
Hugh stand auf, wünschte eine gute Nacht und verließ den Raum. Er hatte nicht die geringste Lust, sich noch mehr von dem anzuhören, was er für einen ausgemachten unmoralischen Schwachsinn hielt.