Читать книгу Die stürmische Braut - Sophia Farago - Страница 15
Kapitel 9
Оглавление„Unter einer Bedingung“, sagte er und führte die Stute zum Eingang der Hütte, wo er stehen blieb und sich zu ihr umdrehte. „Sie vergessen die Idee, Ihren Ritt heute noch fortsetzen zu wollen.“
Nichts hätte sie lieber getan, als ihm dies ohne weitere Widerrede zu versprechen. Doch dann schob sich Miss Goodhews besorgtes Gesicht vor ihr geistiges Auge und sie hörte eine Litanei an Vorwürfen, die alles übertreffen würde, was sie je gehört hatte.
„Ja, aber, ich könnte doch …“ Der Einwand klang selbst in ihren eigenen Ohren nicht überzeugend. Kein Wunder, dass er sie sofort unterbrach: „Es widerspricht dem gesunden Menschenverstand, sich nach Einbruch der Dämmerung auf unbekanntem Gelände fortbewegen zu wollen. Ich hätte Ihnen genügend Intelligenz zugetraut, dies selbst realistisch einschätzen zu können.“
„Diese Intelligenz habe ich sicherlich!“, fuhr sie ihn empört an.
Er grinste und riss die Tür auf, die in den Angeln quietschte: „Dann ist ja alles geklärt.“ Eine großartige Geste folgte. „Wenn ich Sie in meine bescheidene Hütte bitten dürfte. Das Essen steht bereit.“
Vivians nächster Impuls war, erleichtert aufzuatmen und ihm freudig ins Innere zu folgen. Ihr übernächster jedoch dämpfte diesen Impuls im Keim. Er hatte von gesundem Menschenverstand gesprochen. Es entsprach diesem noch viel weniger, sich als unverheiratetes Mädchen mit einem Fremden hinter verschlossene Türen zu begeben. Allein, ohne Begleitung, ohne jeden Schutz. Vivian hatte noch selten ihr impulsives Handeln so sehr bereut wie in diesem Augenblick. Wäre Miss Goodhew hier gewesen, so hätte ihr die zwar auch nicht den besten Schutz bieten können, aber sie hätte sich doch um einiges sicherer gefühlt. Andererseits wäre sie in Begleitung ihrer Lehrerin nie und nimmer in diese Situation geraten. Und sie hätte auch nie und nimmer diesen ungewöhnlichen Stallburschen kennengelernt, und das wäre, wie sie freimütig vor sich selbst zugab, doch ein wenig schade gewesen.
„Also?“, fragte er sichtlich irritiert. Sie hatte ihn nachdenklich angestarrt, war ihm aber keinen Schritt näher gekommen. „Wollen Sie noch weiter in der Kälte stehen oder sind Sie bereit, mir zu vertrauen und in das warme Innere der Hütte zu kommen? Ich verspreche hoch und heilig, die Situation in keiner Weise auszunutzen.“
Wie zum Beweis legte er seine Linke ans Herz, während das Pferd an seiner Rechten nervös zu tänzeln begann. Sie zögerte immer noch.
„Im Kamin prasselt ein wärmendes Feuer und es ist auch genug zu essen da, um Ihren Hunger zu stillen. Außerdem muss Ihr Pferd schleunigst abgerieben werden, damit es nicht Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu nehmen.“
Ohne eine weitere Antwort abzuwarten, führte er die Stute in die Hütte hinein.
Nun denn, dachte Vivian, nun bleibt mir gar nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Ohne Blue Moon könnte ich nicht weiterreiten, selbst wenn ich wollte. Sie atmete tief durch und schlüpfte ins Innere, stemmte sich gegen die Tür, die der Wind immer wieder aufzureißen drohte, und schob den Riegel vor. Als sie sich umdrehte, entdeckte sie den Rappen, neben den der Stallbursche ihre Stute führte.
„Was für ein edles Tier!“, rief sie aus und ging nach vorne, um seinen Hals zu tätscheln. „Dieser Hengst gehört bestimmt Ihrem Herrn. Ist er damit einverstanden, dass Sie ihn hierhergebracht haben?“
„Aber gewiss doch“, lautete die Antwort, während der Mann mit einem Schwung Vivians Tier vom Sattel befreite. „Wenn Sie mir helfen, Ihr Pferd abzureiben, sind wir schneller fertig und können uns zu Tisch begeben.“
Sie griff zu einem Büschel Heu.
„Zu Tisch begeben“, wiederholte sie. „Wie vornehm das klingt. Und wie unpassend angesichts dieser einfachen Umgebung.“
Sie begann den Hals ihres Pferdes zu trocknen, das nun neben dem Rappen stand und das Heu in Augenschein nahm. „Sie befleißigen sich überhaupt einer ungewöhnlichen Sprache und sind ein ungewöhnlicher Stallbursche. Wem dienen Sie denn? Einem Mitglied der königlichen Familie?“
Sie musste über ihre eigene Vermutung lachen, und er stimmte in dieses Lachen ein.
„Also erstens“, sagte er schließlich, „bin ich kein Stallbursche, sondern ein Schäfer. Und zweitens werde ich dir auch sonst nichts über mich verraten. Lass mich weiterhin Raphael bleiben.“
Nun war sie wahrhaft erstaunt.
„Ein Schäfer“, rief sie aus. „Darauf wäre ich nie und nimmer gekommen.“ Sie beschloss, bei der informellen Anrede zu bleiben: „Du siehst gar nicht aus wie ein Schäfer.“
Sie dachte an die Burschen auf Lancroft Abbey, die die Tiere hüteten. Ihre zweitälteste Schwester Penelope liebte Schafe, und so gab es sowohl auf Lancroft Abbey als auch auf dem Nachbargut von Lady Stonesdale jede Menge davon. Vivian hielt in ihren Gedanken inne. Das Gut würde in Kürze nicht mehr Lady Stonesdale, sondern Penelope gehören. Daran musste sie sich erst einmal gewöhnen. Ach, sie freute sich so auf zu Hause! Sie konnte es gar nicht erwarten, Ihre Schwestern in die Arme zu schließen und all das zu erfahren, was sich in den letzten Monaten ereignet hatte.
„Ich denke, ich werde dich Rosalind nennen“, hörte sie ihren Begleiter sagen, der sich an den Hufen zu schaffen machte.
„Rosalind? Wie kommst du denn auf diesen Namen?“ Vivian überlegte nur kurz und fuhr fort: „Rosalind? Wegen Rosa wahrscheinlich. Rosa, wie rot.“ Jetzt schnaubte sie empört. „Du machst dich über meine roten Haare lustig? Wie kannst du es nur wagen?“
Er war ganz offensichtlich fassungslos, was sie wiederum einigermaßen beruhigte.
„Wie kommst du denn zu dieser unberechtigten Vermutung?“, lauteten auch schon seine nächsten Worte. „Erstens hast du gar keine roten Haare, ich würde sie eher kastanienbraun nennen. Und zweitens …“
„Aha“, trumpfte sie auf, „dir ist die Farbe meiner Haare also aufgefallen!“
„Selbstverständlich“, sagte er. „Sie wurden dir doch ständig ins Gesicht geweht. Wie hätte ich sie da übersehen können?“
„Und wie kommst du dann auf den Namen Rosalind, wenn nicht wegen meiner Haare?“
„Na, wegen Shakespeare natürlich“, sagte er, geradeso als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass ein Schäfer sich mit hoher Literatur auseinandersetzte. „Wie es euch gefällt. Kennst du dieses Stück?“
Vivian versuchte sich an ihren Schulunterricht zu erinnern und nickte etwas zögerlich.
„In dieser Komödie spielt eine Rosalind die Hauptrolle“, beeilte er ihr zu erklären. „Eine besonders hübsche, mutige junge Frau, die sich nicht scheut, vorzugeben, jemand anderes zu sein, als sie in Wirklichkeit ist.“
Vorzugeben, jemand anderes zu sein, als sie in Wirklichkeit ist, wiederholte Vivian in Gedanken. Der Mann war klüger, als sie angenommen hatte. Aber da war noch etwas anderes, was sie viel mehr interessierte: „Hübsch?“, fragte sie. „Findest du mich etwa auch hübsch?“
Er hielt nicht dabei inne, das Pferd zu striegeln: „Sicherlich.“
„Und mutig?“, fragte sie nach. Ihre Stimme klang etwas außer Atem. Hätte sie gewagt, ihm ins Gesicht zu sehen, hätte sie bemerkt, dass ihn ihr Eifer amüsierte. Sie hatte sich jedoch umgedreht, um das Zaumzeug aufzuhängen.
„Übermütig ist wohl der bessere Ausdruck“, hörte sie ihn sagen.
Dann lachten sie beide.
„Ich weiß immer noch nicht, warum du allein unterwegs bist, Rosalind“, sagte er dann. „Das halte ich für äußerst gefährlich, weißt du? Was ist geschehen, dass du keine andere Wahl gehabt hast?“
Sie wagte es wieder nicht, ihm ins Gesicht zu sehen. Er schien ernsthaft besorgt zu sein, und sie wollte ihn nicht stärker anlügen als unbedingt nötig. Außerdem hatte er sie hübsch genannt. In ihrer Familie hatte nie jemand sie mit diesem Prädikat versehen. Wenn man die Schwester von Penelope Barnett war, die als eine wahre Schönheit galt, dann blieben für einen selbst andere Attribute übrig. Frederica, die Älteste, galt als klug, praktisch veranlagt und als jemand, der für jedes Problem eine Lösung fand. Sie selbst dagegen galt als stürmisch, unbezähmbar und bisweilen tapfer genug, sogar ihrer Mutter zu widersprechen, vor der alle Welt gehörigen Respekt hatte.
„Man hat dich ohne Gepäck losgeschickt, Rosalind. Und dir anscheinend auch nichts zu essen mitgegeben. Hast du dich bei deiner letzten Arbeitsstelle so schlecht benommen, dass du es verdient hast?“
Sie schwieg. Was hätte sie auch antworten sollen?
„Das Einzige, was mich noch mehr irritiert, ist dein Pferd“, setzte er fort. „Das ist ein wunderbares Tier, das im Tattersall eine schöne Stange Geld einbringen würde. Wie bist du an diese Stute gekommen, Rosalind? Hast du sie etwa aus dem Stall mitgehen lassen?“
Der Gedanke schien ihn zu amüsieren.
Vivian amüsierte er weniger. Andererseits: Wenn sie schon wollte, dass er sie für eine Bedienstete hielt, dann brauchte sie sich nicht zu wundern, dass er auf diesen Verdacht kam. Keine Gouvernante ritt so ein Vollblut. Und ein Hausmädchen schon mal gar nicht. Für einen Augenblick war sie nahe daran, ihm ihre wahre Identität zu enthüllen. Er erschien ihr vertrauenerweckend zu sein. Vielleicht würde er ihre Lage nicht ausnutzen, um Kapital aus einem angedrohten Skandal zu ziehen. Andererseits, er hatte sie hübsch und mutig genannt, dabei war ihr Vorgehen nur eines gewesen: undamenhaft, unüberlegt und dumm. Zu ihrem eigenen Erstaunen wollte sie vor diesem seltsamen Schäfer nicht als Dummkopf dastehen. Da schon lieber wie eine Dienerin. Allerdings nicht wie eine diebische Elster.
„Ich habe gar nichts mitgehen lassen“, war daher das Einzige, was sie richtigstellte.
Diese Worte nahm er widerspruchslos zur Kenntnis.
„Was ist denn an deinem bisherigen Arbeitsplatz geschehen?“, fragte er noch einmal. „Warum hat man dich fortgejagt?“
Sein Lächeln war einem besorgten Blick gewichen. Sofort bekam Vivian ein schlechtes Gewissen. Zum Glück knurrte ihr Magen in diesem Augenblick derart laut, dass er lachen musste und sich mit einem wahrheitsgemäßen: „Nichts Besonderes ist geschehen, glaube mir, die Zeit ist einfach zu Ende gewesen“, zufriedengab.
„Ich denke, wir sind hier fertig“, sagte er nur. „Darf ich dich also nun zu Tisch geleiten?“
Das klang so höflich und formell, als würden sie sich bei einer offiziellen Abendeinladung befinden. Vivian kicherte und ergriff seinen dargebotenen Arm.