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Kapitel 1
ОглавлениеLandsitz des Barons of Glostershire, Südengland Anfang März 1814
Justin Rawling, der fünfte Viscount of Badwell, strich sich die dunklen Haare aus dem Gesicht und setzte sich dann vorsichtig auf, bemüht, die Lady zu seiner Linken nicht aufzuwecken. Die Dämmerung hatte sich bereits über die ebene Landschaft südlich von Swindon gelegt. Ein Blick aus dem Fenster zeigte, dass es wieder leicht zu schneien begonnen hatte. Eine dünne weiße Decke legte sich über den Rasen der weitläufigen Parkanlage rund um das schlossähnliche Gebäude. Sie würde den Tag etwas länger erhellen und dennoch musste er sich beeilen, wollte er seinen eigenen Landsitz noch vor Einbruch der vollkommenen Dunkelheit erreichen. Die braunen Beinkleider lagen auf dem Lehnsessel neben dem Nachttisch, und er gratulierte sich dazu, sie einer Eingebung zufolge so günstig platziert zu haben. Das mit weinroter Seide bespannte Himmelbett zu verlassen und danach zu greifen war eins. Die Rosshaarmatratze gab ein knirschendes Geräusch von sich.
Oh Gott, hoffentlich wacht sie nicht auf!, dachte er, hielt die Luft an und warf einen schnellen Blick über die Schulter. Er hatte keine Lust auf Vorwürfe, schon gar nicht, da er wusste, dass sie ihm zu Recht gemacht werden würden. Und nach Tränen hatte er noch weniger Verlangen. Bitte, bitte keine Tränen! Er hatte sich diese Minuten ganz anders vorgestellt gehabt. In seinen Tagträumen war er mit höhnischem Grinsen an ihr Bett getreten, hatte sich in voller Größe vor Ihrer Ladyschaft aufgerichtet und ihr all die zynischen Worte entgegengeschleudert, an denen er in den letzten Jahren immer dann gefeilt hatte, wenn er es nicht hatte verhindern können, an sie zu denken. Doch jetzt wäre er am liebsten einfach gegangen. So sang- und klanglos verschwunden, dass sie sich am kommenden Morgen fragen würde, ob er überhaupt da gewesen war oder ob sie das Ganze nur geträumt hatte. Diesen Spätnachmittag im Bett mit einem Mann, der nicht ihr eigener war. Der so viel jünger, kräftiger und vitaler war als ihr Gatte.
Während Badwell in sein gestärktes weißes Hemd schlüpfte, fragte er sich stirnrunzelnd, ob sie ihr Beisammensein wohl genossen hatte. Er war sich dessen nicht sicher. Sie hatte kaum einen Laut von sich gegeben und war stocksteif dagelegen, so als würde sie alles nur gottergeben über sich ergehen lassen. Als er schließlich zumindest körperlich befriedigt von ihr herabgerollt war, hatte sie allerdings ein „So wunderbar kann es also sein. Ich danke Ihnen!“ gemurmelt. Während er noch fassungslos die Augen aufgerissen und sich gefragt hatte, ob er sich nicht vielleicht doch verhört hatte, war sie auch schon in einen tiefen Schlaf gefallen.
Was, so fragte er sich jetzt, musste sich in ihrem ehelichen Gemach abspielen, wenn sie diesen lieblosen, völlig mechanischen Akt bereits als wunderbar bezeichnete?
Er hörte in sich hinein, während er sich die hohen Stiefel schnappte. Hatte ihm dieser Nachmittag die Genugtuung verschafft, die er erwartet hatte? War er das Risiko wert gewesen? Wusste sie nun, welche Freuden ihr dadurch entgangen waren, dass sie ihn vor Jahren so kalt zurückgewiesen hatte? Würde sie das in Zukunft Tag für Tag bereuen? Badwell seufzte. Oh Gott, wie sehr hatte er damals darunter gelitten, dass sie ihn nicht zum Gatten nehmen wollte! Er erinnerte sich an jede Einzelheit des fatalen Gesprächs, so gut, als wäre es erst gestern gewesen.
Mit stolzgeschwellter Brust und ohne jeden Zweifel darüber, dass sein Vorhaben zu einem guten Ende führen würde, hatte er vor knapp vier Jahren das Haus ihres Vaters am Londoner Bruton Place betreten. Am Vorabend hatte sie am Ball von Lady Darlington dreimal mit ihm getanzt, und jedes Mitglied der Gesellschaft wusste, dass das nur die bevorstehende Verlobung bedeuten konnte. Die Blicke, die sie ihm dabei zugeworfen hatte, waren so verheißungsvoll gewesen, dass es nichts misszuverstehen gab. Sie hatte sich von ihm sogar zu einer Bank am Rand des Ballsaals führen lassen und mit Freuden das Glas Limonade entgegengenommen, das er ihr reichte. Wenn er sprach, dann schenkte sie ihm ihre volle Aufmerksamkeit, hörte mit leicht geöffneten Lippen zu und fand alles, was er erzählte, bewundernswert. Natürlich war es ihm auch eine diebische Freude gewesen zu sehen, wie der Baron of Glostershire ihr Gespräch vom Rand des Saales aus mit Argusaugen verfolgte und seine Eifersucht kaum zu zügeln wusste. Es war unübersehbar, dass dieser Gentleman ebenfalls ein Auge auf die schöne Lady Babette geworfen hatte. Und immerhin war er ein Baron, ihm also nicht nur im Alter, sondern, da er damals nur der zweite Sohn eines Viscounts war, auch an Stand und Vermögen um vieles voraus. Doch Babette hatte sich ganz offensichtlich für ihn, Justin Rawling, entschieden. Alles sprach dafür, dass sie seinen Antrag annehmen würde, er brauchte ihn ihr nur noch zu stellen. So dachte er damals zumindest, junger Narr, der er war. Als er vorsprach, um bei ihrem Vater und ihr um ihre Hand anzuhalten, erwarteten ihn beide im Salon. Der Blick, den sie einander zuwarfen, hätte ihn vielleicht warnen können, doch er schwebte so sehr in seiner Glückseligkeit und Vorfreude, dass ihm derartige Kleinigkeiten nicht auffielen. Und so gab es nichts, was ihn auf das vorbereitet hätte, was nun in diesem Salon geschah. Kaum hatte er also seinen Heiratsantrag vorgebracht und den beiden seine lauteren Absichten versichert, da waren Vater und Tochter in schallendes Gelächter ausgebrochen.
„Das kann wohl nicht Ihr Ernst sein, junger Freund“, hatte Babettes Papa gemeint und ihm mit der flachen Hand jovial auf den Rücken geschlagen. „Sie sind nichts, Sie haben nichts und Sie werden auch nie jemand sein. Wie vermessen ist es von Ihnen, anzunehmen, dass meine einzige Tochter, das schönste Mädchen dieser Saison, auch nur einen Augenblick in Erwägung ziehen könnte, sich derart wegzuwerfen?“
„Ja, aber …“, hatte sein mutiger Vorstoß gelautet, da er das Gehörte nicht glauben wollte, „Ihre Tochter schien mich zu ermutigen.“ Dann hatte er sich direkt an sie gewandt, in der Hoffnung, dass sie die Worte ihres Vaters korrigieren würde: „Meine liebe Lady Babette. Unsere Gespräche, unsere Tänze. Sie müssen doch gewusst haben, wie sehr ich Sie verehre. Ich habe aus meinen tiefen Gefühlen für Sie niemals einen Hehl gemacht …“
„Mr Rawling, mich dünkt, zu meinem großen Bedauern, dass ich Ihre Intelligenz überschätzt habe“, lautete ihre kühle Abfuhr. „Unsere Tänze dienten allein dem Zweck, den Baron dazu zu bewegen, sich mir zu erklären. Und ich kann zu meiner großen Freude verkünden, dass dies vor zwei Stunden der Fall gewesen ist. Sie dürfen mir gratulieren, Mr Rawling, ich werde in Kürze die Baronesse of Glostershire werden.“
„Aber …“, mit dem Mut des Verzweifelten hatte er einen neuen Vorstoß versuchen wollen, doch eine energische Handbewegung hieß ihn schweigen: „Verstehen Sie doch endlich, Mr Rawling, jedes weitere Wort ist überflüssig. Ich werde eine Baronesse. Glostershire macht mich zu einer der führenden Ladys des Landes. Sie hingegen haben nichts, was mich auch nur im Geringsten an Sie zu fesseln vermag.“
Die letzten Worte hatten sich für immer und ewig in seine Seele eingebrannt. Er hatte sich verbeugt, mit knappen Worten verabschiedet und, so rasch er konnte, das Weite gesucht, nicht sicher, ob er diese Schmach und das tiefe Unglück überleben würde. Nach drei durchwachten Nächten, in denen er vergeblich versucht hatte, seinen Kummer in Alkohol zu ertränken, und die schrecklichsten Rachepläne geschmiedet und wieder verworfen hatte, hatte er einen stattlichen Betrag jenes Vermögens, das ihm seine Mutter hinterlassen hatte, von der Bank abgehoben und sich ein Offizierspatent gekauft. Dass sein Vater den Plan, auf dem Kontinent für König und Vaterland zu kämpfen, nicht im Geringsten gutgeheißen hatte und wütete und tobte, hatte ihm den Abschied noch um einiges leichter gemacht.
„Sie sind schon wach?“ Eine verschlafene Stimme vom Bett her holte ihn in die Gegenwart zurück.
Badwell presste die Lippen aufeinander. Verdammt, dachte er, warum musste ich mir auch diese alte Geschichte wieder in Erinnerung rufen? Ich hätte das Zimmer längst verlassen können, wenn ich nicht so lange getrödelt hätte.
Mit energischem Griff zog er den ersten Stiefel über seine muskulöse Wade. Dann den zweiten. Er schwieg. Was sagte man denn auch am besten in so einer Situation?
„Wollen Sie mich denn schon verlassen, Geliebter?“, hörte er sie fragen.
Jetzt konnte sich Badwell ein lautes Aufstöhnen nicht verkneifen. Wie hatte sie ihn genannt? Geliebter? Wie um alles in der Welt kam sie bloß auf die Idee, ihn so zu bezeichnen? Das klang in seinen Ohren viel zu intim, völlig unangebracht nach dem kurzen, lieblosen Beisammensein. Er wandte sich zu ihr um, noch immer zögernd, wie er sich am besten aus der Affäre ziehen sollte. Warum bloß kamen ihm die Worte, die er ihr eigentlich hatte entgegenschleudern wollen, nicht über die Lippen? Warum bloß hatte er plötzlich Skrupel?
Babette hatte sich aufgesetzt und blickte ihm, in großen, bestickten Kissen lehnend, erwartungsvoll entgegen.
Badwell seufzte erneut. Hatte sie den verbitterten Zug um den Mund immer schon gehabt?, fragte er sich im Stillen. Was nur hatte er an diesem Gesicht einst so anziehend gefunden? Wie hatte er nur glauben können, ohne diese Frau nicht leben zu können? Ganz in Gedanken versunken, beugte er sich vor, um ihr eine blonde Locke aus dem Gesicht zu streichen.
Sie fing die Hand ab und zog sie an ihre Lippen.
„Oh, mein Geliebter“, flüsterte sie abermals, ließ ein gurrendes Lachen hören und begann dann seinen Handrücken mit kleinen, schmatzenden Küssen zu bedecken.
Er riss die Hand weg und beeilte sich, sie hinter seinem Rücken am Reitrock abzuwischen und sie dort dann zur Sicherheit auch zu belassen. Ihre Liebesbezeugungen waren ihm in höchstem Maße unangenehm. Sie war eine fremde Frau. Eine fremde Frau, die er nicht mehr im Geringsten begehrenswert fand. Ja, im Gegenteil, sie interessierte ihn so wenig, dass sogar die Rachegelüste, die in den letzten Jahren seine ständigen Begleiter gewesen waren, vollkommen verschwunden waren.
Er stand auf und bewegte sich langsam auf die Zimmertür zu, ohne sie auch nur einen Moment aus den Augen zu lassen. Wie er gefürchtet hatte, kam nun Leben in Ihre Ladyschaft. Der schmeichelnde, gurrende Tonfall verschwand und machte der Stimmlage einer Frau Platz, die es gewöhnt war, zu befehlen und das zu bekommen, was ihren Wünschen entsprach.
„Sie bleiben sofort stehen, Sir, und sagen endlich etwas. Ihr feiges Schweigen ist fehl am Platze. Sie werden doch nicht annehmen, dass ich Sie so einfach davonschleichen lasse. Ich werde meinem Gemahl erst in ein paar Tage nach London folgen. Es gibt nichts, was uns beide daran hindern sollte, diese Zeit miteinander zu verbringen. Meine Dienerschaft ist diskret und mir sehr gewogen, wie ich Ihnen versichern möchte.“
„Wie angenehm für Sie, Mylady“, lautete seine Erwiderung, und er merkte selbst, wie sarkastisch sie klang. Rasch schlüpfte er in seinen Reitrock und steckte die Halsbinde in die Brusttasche. Er wollte keine Zeit damit verschwenden, sie stilgerecht zu binden.
Ihre Rechte schlug mit der Faust auf die Bettdecke, sodass einige Federn in alle Richtungen stoben: „Ich verbiete Ihnen, zu gehen!“ Ihre Wangen hatten einen gefährlichen Rotton angenommen.
„Und dennoch gedenke ich genau dies zu tun“, antwortete er kühl, ging zur Zimmertür und ergriff die Klinke. Dann drehte er sich noch einmal um und sagte doch den Satz, dessentwegen er das Wagnis des Ehebruchs überhaupt auf sich genommen hatte: „Sie haben nichts, was mich auch nur im Geringsten an Sie zu fesseln vermag.“
Dann öffnete er die Tür.
„Sie sind ein … ein … Teufel!“, schrie sie ihm nach.
Er hörte die Worte, doch sie interessierten ihn nicht mehr. Seine Mission war erfüllt. Und die Bezeichnung Teufel? Die hörte er heute nicht zum ersten Mal. Wahrlich nicht.