Читать книгу Die stürmische Braut - Sophia Farago - Страница 14
Kapitel 8
ОглавлениеBadwells Gefühle fuhren Karussell. Eben noch war er sich wie ein kompletter Hanswurst vorgekommen und hatte sich mit zusammengebissenen Zähnen geschworen, sich nie wieder derart zum Narren halten zu lassen, und schon wenige Augenblicke später war Lady Daphne nicht mehr wichtig. Stattdessen war ihm der Schreck in alle Glieder gefahren, als die junge Reiterin im einfachen dunkelblauen Reitmantel zuerst in ungeheurem Tempo auf ihn zugaloppiert war, um dann vor seinen Augen in hohem Bogen vom Pferd zu stürzen. Als Nächstes hatte er befreit aufgeatmet, als er erkannte, dass der Heuhaufen ihren Sturz abgemildert hatte, und schließlich mit gerunzelter Stirn gespannt darauf gewartet, dass sie die Augen aufschlug und das erste Lebenszeichen von sich gab. Er hatte mit Schmerzensschreien gerechnet oder zumindest mit einem lauten Aufstöhnen. Darum war er keinesfalls auf das vorbereitet gewesen, was tatsächlich geschah. Auf diesen seligen Blick, mit dem sie ihn nach dem ersten Augenaufschlagen bedachte, während sie einen fremden Namen murmelte. Zu seinem eigenen Erstaunen war er für einen Moment lang eifersüchtig auf diesen Raphael. Darum verstärkte sich sein Stirnrunzeln.
„Mein Name ist nicht Raphael“, sagte er mit einer Stimme, die unfreundlicher klang, als ihm zumute war. „Vor Ihnen steht vielmehr der …“ Er unterbrach sich, weil ihm bewusst wurde, dass es besser war, ihr nicht zu enthüllen, wer er in Wirklichkeit war. Er hatte nicht die geringste Lust, ihr zu erklären, was ihn in die Kleidung eines Schäfers gebracht hatte. Und noch weniger Lust, vor einer weiteren Frau wie ein Narr dazustehen. Also folgte eine wegwerfende Handbewegung. „… das tut nichts zur Sache. Wer ist Raphael?“ Er dachte an ihren beseelten Blick. „Ihr Geliebter, Miss?“
Vivian war mit einem Schlag hellwach. Wie kam der fremde Mann dazu, so etwas Schamloses von ihr zu denken? Sie setzte sich so ruckartig auf, dass sie gleich darauf wieder stöhnend ins Heu zurücksank und sich mit der Hand an die Stirn griff: „Au weh, mein Kopf. Ich habe ihn wohl ärger angeschlagen, als ich dachte.“
Dann versuchte sie es noch einmal langsamer und sagte, als sie endlich saß, mit all der Würde, die sie in ihrer Situation aufbringen konnte: „Raphael ist keinesfalls mein Geliebter. Was für eine lächerliche Unterstellung! Raphael ist natürlich ein Erzengel.“
Sie warf ihm einen strengen Blick zu, dessen Wirkung dadurch gemildert wurde, dass sie sich abermals aufstöhnend an die Stirn griff, bevor sie fortsetzte: „Aber das können Sie natürlich nicht wissen, Sie … Sie …“
Ihr Blick glitt von seinen dunklen Locken über sein Gesicht, das sie nun entgeistert anstarrte, bis hinunter zu seinen derben Hosenbeinen, die in erstaunlich feinem Schuhwerk steckten. Ja, was war er eigentlich? Ein Knecht? Ein Stallbursche? Ein Bauer? Das waren alles ehrbare Berufe. Jedenfalls nichts, was sie ihm hätte vorwerfen können.
„Ein Erzengel?“, wiederholte er in der Zwischenzeit, und ihr war, als könne er tatsächlich seinen Ohren nicht trauen. „Man vergleicht mich sonst gerne mit … jemandem anderen. Mit einem Erzengel bin ich noch nie verglichen worden.“
Er war so fassungslos, dass sie grinsen musste.
„Der Vergleich stimmt sicher nur äußerlich“, sagte sie fröhlich. Und während er sich noch fragte, ob diese Worte als Kompliment gemeint waren, sprach sie auch schon weiter: „Wenn Sie sich bei mir vorstellen, so wie es sich gehört, werde ich Sie künftig mit Ihrem richtigen Namen ansprechen. Obwohl unsere Bekanntschaft nicht von langer Dauer sein wird, da ich meinen Ritt dringend fortsetzen muss.“
Ein eisiger Windstoß ließ das Heu rund um sie aufwirbeln. Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht und zupfte sich dabei ein paar Gräser aus den Locken. „Und jetzt wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie mir aufhelfen würden.“
Sie streckte ihm die Hände entgegen.
Er tat wie ihm geheißen und zog sie mit beiden Armen in die Höhe. Da er nicht damit gerechnet hatte, dass sie so leicht war, war sein Schwung etwas zu stark ausgefallen und sie landete mit einem Satz an seiner breiten Brust. Darüber erschrak er wohl selbst am meisten, denn er ließ sie abrupt los. Sie begann zu taumeln, er hielt sie an den Schultern fest.
„Ist Ihnen nicht gut, Miss?“
Sie sah ihm offen ins Gesicht, so als wollte sie seine Züge genauestens studieren.
„Sie sehen wirklich aus wie Raphael“, sagte sie schließlich fasziniert. „Egal, welchen Namen Ihnen Ihre Eltern tatsächlich gegeben haben, ich werde Sie weiterhin Raphael nennen.“
Dann befreite sie sich aus seinem Griff und begann vorsichtig damit, ihre Arme zu bewegen. Sie ließ die Handgelenke kreisen, wackelte mit den Fingern und hob die Schultern. Dann begann sie die Beine nach vorne und hinten zu schwingen. Er sah ihr amüsiert zu, sagte jedoch keinen Ton. Ihr Aufseufzen kam aus vollem Herzen: „Ich scheine zum Glück tatsächlich unverletzt geblieben zu sein. Deine Anwesenheit hat mir ganz offensichtlich Glück gebracht, Erzengel Raphael.“
„Erzengel Raphael“, hörte sie ihn wiederholen, und es klang wieder so, als könnte er seinen Ohren nicht trauen. Das Lächeln auf seinen Lippen vertiefte sich.
Sie spürte, wie Tränen der Erleichterung in ihre Augen schossen. Rasch wischte sie sie weg und war sich selbst nicht sicher, ob sie das tat, weil sie sich vor dem Burschen keine Blöße geben wollte, oder ob sie fürchtete, die Tränen könnten an ihren Wangen festfrieren. Schnell ging sie ein paar Schritte zur Seite und stöhnte nun doch wieder schmerzerfüllt auf.
„Können Sie mein Pferd zu mir bringen?“, fragte sie und deutete auf ihre Stute, die zurückgetrottet war und begonnen hatte, sich am anderen Ende des großen Heuhaufens zu verköstigen. „Mir tut jede Bewegung weh, und doch muss ich mich beeilen, von hier wegzukommen.“
Sie sah den Mann bittend an, er sah prüfend zurück.
„Ich muss wirklich unbedingt das Crown and Feathers erreichen, und zwar so schnell wie möglich“, gab sie ihren Worten den nötigen Nachdruck. „Ich werde dort erwartet und außerdem sterbe ich sonst vor Hunger.“
Sie zuckte zusammen, als eine Windböe sie erfasste und ihr abermals das Haar wie Peitschenhiebe ins Gesicht wehte. Badwell, der sich eben überlegt hatte, wie er die junge Frau, die ihn Raphael nannte, wohl selbst am liebsten nennen würde, hielt in seinen Gedanken inne. „Das Crown and Feathers?“, wiederholte er ungläubig. „Sie meinen doch wohl nicht etwa die Poststation in Marlborough?“
Sie versuchte, ihr Haar hinter die Ohren zu schieben. Vergeblich, der Wind war stärker.
„Genau die“, bestätigte sie etwas ungeduldig. „Sie sind sicher ortskundig. Wie weit ist es noch bis dorthin? Wenn ich mich beeile, dann erreiche ich mein Ziel doch in weniger als einer halben Stunde?“
Die letzten Worte klangen hoffnungsvoll, und sie wünschte sich so sehr, er würde sie bestätigen. Doch er holte sie umgehend auf den Boden der Tatsachen zurück.
„Wir sind hier in Avebury, Miss. Da brauchen Sie sicher noch gute zwei Stunden. Was wollen Sie denn überhaupt im Crown and Feathers? Das ist mit Sicherheit nicht der richtige Ort für eine alleinreisende …“
Er unterbrach sich abrupt. Doch das fiel ihr nicht auf, denn sie war zu sehr damit beschäftigt, die unerfreuliche Nachricht zu verdauen. Seine Gesichtszüge erhellten sich, so als habe ihn eine plötzliche Erkenntnis getroffen.
„Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wie es wohl kommt, dass Sie allein unterwegs sind, denn das ist wahrlich nichts, was ein junges Ding in Ihrem Alter tun sollte. Doch nun ist es mir klar geworden. Sie suchen eine neue Stelle, habe ich recht, Miss? Was sind Sie denn? Schankmädchen?“ Er warf ihr einen prüfenden Blick zu und schüttelte dann den Kopf. „Nein, das glaube ich nicht. Dafür sind Sie zu wenig … also … nun, ich glaube es nicht. Sie haben auch zu viel Selbstbewusstsein und Bildung, um eine Küchenmagd zu sein. Also können Sie nur ein Hausmädchen sein, stimmt’s? Oder vielleicht doch eher eine Gouvernante?“
Er sah an ihr hinunter, musterte ihren einfachen Reitmantel und nickte, als er seinen Eindruck offensichtlich bestätigt sah.
„Wie kommen Sie denn …“, wollte Vivian im ersten Impuls widersprechen. Dann fiel ihr wieder ein, dass es besser war, ihre wahre Identität zu verschweigen. Der Mann sah zwar vertrauenerweckend aus. Aber wer wusste denn, was er tun würde, wenn er erst begriff, dass ihm die Schwester eines wahrhaftigen Viscounts gegenüberstand? Er war jung, und wenn sie seine Kleidung betrachtete, dann hatte er offensichtlich wenig Geld. Miss Fellows hatte sie vor jungen Männern gewarnt, denn sie waren nur auf den eigenen Vorteil bedacht. Das galt sicher nicht nur für adelige Kreise. Was, wenn der Stallbursche hier Mama zu erpressen versuchte, indem er drohte, den Skandal, dass sie allein durch die Gegend ritt, publik zu machen? Oder wenn er sich gar an ihren Vormund und Schwager, den reichen Earl of Derryhill, wandte? Vivian spürte, wie sie errötete. Das durfte nie und nimmer geschehen.
„Wie sind Sie mir nur auf die Schliche gekommen?“, erkundigte sie sich daher, so als hätte er mit seiner Vermutung ins Schwarze getroffen.
Badwell war nicht entgangen, dass sie errötet war und ihre Stimme für einen Moment jedes Selbstbewusstsein verloren hatte. Ein kleines, zufriedenes Lächeln schlich sich auf seine Lippen.
„Ich wusste doch, dass ich recht habe. Doch nun bin ich tatsächlich neugierig geworden. Was ist denn das für eine Stelle, für die Sie vorsprechen wollen?“
Er schien ernsthaft an ihrer Antwort interessiert zu sein und strich ihr dabei mit einer schnellen Bewegung das Haar hinter die Ohren, das ihr der Wind wieder ins Gesicht geweht hatte. Diese Geste kam so unerwartet und war so rasch vorüber, dass Vivian sie nicht als unangenehm oder gar die Grenzen verletzend empfand. Was war das bloß für ein seltsamer Stallbursche? So ganz anders als die Stallburschen, die sie bisher kennengelernt hatte. Eigentlich, wenn sie es recht bedachte, war er anders als alle Männer, die sie bisher kennengelernt hatte. Das waren allerdings nicht viele gewesen.
Sie sah ihn lächeln, als er weitersprach. „Ich nehme an, Sie sind tatsächlich eine Gouvernante. Ihre schlichte, dunkle Kleidung weist darauf hin. Will Sie der Wirt für den eigenen Nachwuchs in den Dienst stellen? Oder macht eine feine Lady in der Poststation halt, um Sie zu begutachten?“
Vivian lächelte zurück. Es machte ihr zunehmend Spaß, sich so frei mit einem Fremden zu unterhalten. Doch ihre Füße in den dünnen Lederstiefeln drohten einzufrieren und der Magen begann heftig zu revoltieren. Sie musste dringend in eine wärmende Stube und sehnte sich nach nichts mehr als einem Teller heißer Suppe, bevor sie erschöpft in ein Federbett fallen wollte. Um das zu erreichen, gab es allerdings zwei Fragen zu klären. Nämlich die, wo sie sie sich befand, und die, wie sie auf schnellstem Wege zur ersehnten Poststation kommen konnte.
„Avebury?“, wiederholte sie daher, ohne auf seine letzte Frage einzugehen. „Wieso sind wir denn hier in Avebury?“ Es war ihr, als würde ihr das volle Ausmaß seiner Worte erst jetzt klar werden. Sie fröstelte und blickte erwartungsvoll zu ihm auf. „Sagen Sie schon“, forderte sie, als er nicht sofort antwortete, „wieso bin ich in Avebury? Das liegt doch gar nicht auf meinem Weg von Bath nach Marlborough.“
„Keine Antwort ist auch eine Antwort“, sagte er, grinste wissend und fuhr dann gleich fort: „Ich nehme an, Sie sind in Beckhampton in nördliche Richtung abgebogen, anstatt weiter in Richtung Osten zu reiten. Damit haben Sie einen ziemlichen Umweg gemacht. Von hier sind es, wie gesagt, noch etwa zwei Stunden bis Marlborough.“ Er warf einen skeptischen Blick zum Himmel. „Ich halte es für ausgeschlossen, dass Sie da heute noch hinkommen. Sie sehen ja selbst, die Dunkelheit bricht bereits herein, und das scheußliche Wetter lässt zudem keinen schnellen Ritt zu.“
Sie sah ihn erschrocken an: „Ich muss aber dorthin! Unbedingt!“
Um dann, als er langsam den Kopf schüttelte, darauf zu bestehen: „Sie haben kein Recht, mich aufzuhalten! Ich muss nach Marlborough. Heute noch! Ich muss! Ich muss!“
Er sah sie zuerst durchdringend an und wandte sich dann, ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen, um, ging zu ihrem Pferd hinüber und ergriff die Zügel. Sie hatte mit Widerspruch gerechnet. Ja, wenn sie ehrlich war, hatte sie auf Widerspruch gehofft. Es dämmerte bereits stark, ihr war kalt, sie war hungrig und müde. Sie wollte nichts weniger, als bei diesem Schneeregen weiterzureiten. Doch sie hätte gern jemanden gehabt, der ihr die Entscheidung abgenommen hätte. Dem sie die Schuld in die Schuhe schieben konnte, wenn sie nicht wie vereinbart am selben Abend im Crown and Feathers eintreffen würde. Es war ein Wahnsinn, dies auch nur zu versuchen, das wusste sie selbst nur zu gut.
Inzwischen war er mit dem Pferd an ihrer Seite, bereit, ihr in den Sattel zu helfen.
„Sie haben nicht zufällig einen Bissen zu essen für mich?“, erkundigte sie sich kleinlaut.