Читать книгу Die stürmische Braut - Sophia Farago - Страница 12
Kapitel 6
ОглавлениеAls Badwell eine halbe Stunde vor der vereinbarten Zeit bei der Fischerhütte ankam, fiel ihm zuallererst der große Heuhaufen neben dem Weg auf, den ihm sein Kammerdiener bereits angekündigt hatte.
„Der Stallmeister lässt sich dafür entschuldigen“, hatte Rokley gemeint, während er ihm in das grobe Leinenhemd des Schäfers half. „In der Fischerhütte wird ein Teil des Heus gelagert, das man im Winter für die Pferde braucht, das musste nun ins Freie gebracht werden. Man versicherte mir jedoch, dass Sie sich keine Sorgen machen müssen, was das Innere der Hütte betrifft. Sie wurde feinsäuberlich gereinigt und mit Möbeln ausgestattet, genauso, wie Sie es gewünscht haben. Der Schornsteinfeger hat den alten Kamin durchgeputzt, also sollte Sie bereits ein lebhaftes Feuer erwarten, wenn Sie an der Hütte ankommen, Major … Mylord.“
John Rokley war bereits Badwells Kammerdiener gewesen, als dieser das Haus seines Vaters im Streit verließ, und hatte dann als sein Bursche beim Militär gedient. Die gemeinsamen Erlebnisse hatten die beiden zusammengeschweißt und eine tiefe Vertrautheit entstehen lassen. Sein Diener war so sehr daran gewöhnt, seinen Herrn mit Major anzusprechen, dass er auch nach einem knappen Jahr noch manchmal vergaß, dass für den nunmehrigen Viscount die Anrede Mylord angebracht war. Nicht dass Badwell darauf gesteigerten Wert gelegt hätte. Rokley selbst war es, der das tat. Er war stolz darauf, es so weit gebracht zu haben. Kammerdiener eines Viscounts! So hoch war noch kein Mitglied der weitläufigen Rokley-Familie in der Hierarchie einer Dienerschaft geklettert.
„Mach dir keine Gedanken. Ich nehme nicht an, dass das Heu irgendjemanden stören wird“, meinte Badwell. „Im Gegenteil, es unterstreicht doch das Ambiente eines Schäfers, nicht wahr?“
Die beiden hatten sich angegrinst.
„Und außerdem kann ich Heu für mein Pferd gut gebrauchen. Obwohl …“ Er war zum Fenster getreten und hatte einen kritischen Blick gegen den Himmel geworfen. „Ich wünschte, es wäre nicht so stürmisch und kalt. Was soll ich bloß mit Thunderbird anfangen? Ich kann ihn bei diesen Temperaturen unmöglich im Freien stehen lassen.“
Doch auch hier wusste der gute Rokley die Lösung: „Die Fischerhütte ist zum Glück geräumig genug, Mylord. Ich habe die Stallburschen angewiesen, einen Verschlag zu errichten, hinter dem Sie die beiden Pferde einstellen können. Ich nehme an, Ihr … Freund wird ebenfalls nicht zu Fuß an Ihrem Treffpunkt erscheinen.“
Badwells Grinsen hatte sich vertieft: „Nein, das wird … er wohl nicht.“
Gut zu wissen, dass er sich auf Rokleys Diskretion immer und überall verlassen konnte, auch wenn sie in den eigenen vier Wänden des Schlafzimmers manchmal etwas lächerlich anmutete. „Großartig gemacht, Rokley!“
Jetzt, bei seinem Eintreffen an der Hütte, konnte sich der Viscount gleich davon überzeugen, dass wirklich alles großartig vorbereitet war. Der große Heuhaufen wurde zwar vom Wind zerfleddert und die Halme flogen in alle Richtungen, doch es war, wie er es vorausgesehen hatte. Gerade dadurch konnte man sich vorstellen, dass tatsächlich ein Schäfer hier wohnte.
Der Viscount ging rund um die Hütte und rieb die kalten Hände aneinander. Wie gut, dass der Rauch, der aus dem Schornstein kam, einladende Wärme im Inneren versprach. Er trat an eine der kleinen, blank geputzten Fensterscheiben heran und lugte in den Raum. Ein kleiner Tisch war für zwei Personen üppig gedeckt, doch man hatte auf Damast verzichtet und ein grobes Leinentuch über die Tischplatte gebreitet. Das derbe Geschirr hatte er im Haus noch nie gesehen und die klobigen Gläser erst recht nicht. Hoffentlich hatte man das Stilechte nicht so weit getrieben, auf billige Talgkerzen zurückzugreifen, ging es ihm durch den Kopf. Der Ruß und vor allem auch der Gestank würden die Freuden des Abends doch allzu sehr schmälern. Apropos Freuden des Abends: Badwell grinste zufrieden, als er die ausladende Chaiselongue an der gegenüberliegenden Seite des Raumes wahrnahm. Sie war mit Kissen, weichen Decken und Fellen belegt und würde zwei Personen ausreichend Platz bieten. Allerdings nur, wenn sich die beiden körperlich sehr nahe kamen. Und davon ging er aus. Ein Windstoß fuhr durch sein dunkles Haar und wehte ihm den breiten Schäferhut vom Kopf. Mit ein paar eiligen Schritten hatte er ihn eingeholt. Nun hielt ihn aber nichts mehr in der kalten, freien Natur. In den letzten Tagen war es schon mild und sonnig gewesen, heute jedoch bewies der Winter eindringlich, dass er noch nicht bereit war, dem Frühling kampflos Platz zu machen.
Die Tür quietschte in den Angeln, als er den Raum betrat. Als Erstes kam er in den Verschlag, von dem Rokley gesprochen hatte. Er führte sein Pferd hinein und rieb es mit Heu, das noch dort lagerte, trocken. Dann ging er in die eigentliche Fischerstube weiter. Die Diener hatten sogar einen großen, alten Spiegel aufgehängt. Er war zwar an manchen Stellen blind, aber es war doch ein kluger Schachzug, um den kleinen Raum etwas größer erscheinen zu lassen. Badwell blieb stehen, um seine Kleidung zu überprüfen, und wieder trat ein zufriedenes Grinsen in sein Gesicht. Er fühlte sich für das bevorstehende Abenteuer bestens gerüstet. Wenn er nicht wie ein wahrer Schäfer aussah, wer sonst? Die Kleidung war genau im richtigen Ausmaß unperfekt, sodass alles echt wirkte. Was die braune Kniebundhose aus grobem Tweed in der Taille zu weit war, war sie in der Länge zu kurz. Das Hemd war grob, die derbe braune Jacke mit den drei großen Knöpfen praktisch. Da er sich nicht dazu hatte durchringen können, in die löchrigen Schuhe zu steigen, die man vom wirklichen Schäfer ausgeliehen hatte, trug er seine ältesten Reitstiefel. Er konnte nur hoffen, dass dies der schönen Lady Daphne nicht auffiel und sie dennoch seine Verkleidung für stilecht hielt.
Wie ihr Schäferinnenkleid wohl aussehen mochte? Tief dekolletiert oder eher züchtig hochgeschlossen? Er spürte, wie nun doch seine Aufregung wuchs. Er fuhr mit dem Zeigefinger in seinen Kragen, um ihn zu lockern. Ihm war warm geworden, geradezu heiß. Und das lag nicht allein an dem Feuer, das im gemauerten Kamin der Hütte loderte.
Er hatte noch nie eine Mätresse gehabt, die eine Vorliebe für Kostüme und Rollenspiele besaß. Was für eine willkommene Abwechslung im trägen Fluss seines Alltags! Eines Alltags, der seit Monaten aus nichts als Müßiggang, Kartenspiel, wilden Ausritten, diversen amourösen Abenteuern und Alkohol bestand – also aus all dem, was sein Vater gehasst hatte. Und aus den immer wiederkehrenden, nervtötenden Ermahnungen seiner Freunde. Er spürte, wie das zufriedene Lächeln aus seinem Gesicht zu verschwinden drohte, und beeilte sich, sich wieder auf die kommenden Freuden zu konzentrieren. Lady Mildenhall war ausgesprochen schön. Und sie verstand es zu flirten. Allein die Blicke, die sie ihm bei der Soiree vor drei Tagen zugeworfen hatte! Oh ja, die Erinnerung daran brachte das Lächeln der Vorfreude in seine Gesichtszüge zurück. Daphne hätte er wohl auch begehrt, wäre sie nicht die neue Gattin des besten Freundes seines verstorbenen Vaters gewesen. Dass sie es jedoch war, setzte seinem Vorhaben die Krone auf. Oh ja, Vater, sieh nur, du hast keine Macht mehr über mich!, dachte er und ballte die Fäuste. Ich bin jetzt mein eigener Herr. Ich kann tun und lassen, was mir beliebt. Und das ist genau das Gegenteil dessen, was du von mir verlangen würdest.
Doch halt, was war das? Hörte er Pferdegetrappel? Mit einem Satz war er bei der Tür, um seine Geliebte willkommen zu heißen.
Als er ins Freie trat, empfing ihn ein Windstoß, der so stark war, dass er ihm die Holztür aus der Hand riss, die krachend an den Türrahmen schlug, um sich gleich darauf wieder sperrangelweit zu öffnen. Es hatte leicht zu schneien begonnen und der eisige Wind fuhr ihm durch die Haare und fegte ihm abermals den Schäferhut vom Kopf. Von Ferne war ein Donnergrollen zu vernehmen, das das Herannahen eines Gewitters verkündete.
„Brr, ist das kalt hier“, sagte er mehr zu sich als zu dem Fremden, der hoch aufgerichtet auf einem edlen Rappen saß. Er schlug die Arme vor der Brust zusammen – einerseits froh über die derbe Tweedjacke, die den eisigen Wind von seinem Oberkörper abhielt, andererseits beschämt, da der Fremde in seinem tannengrünen Samtjackett um so vieles eleganter aussah als er. Und das, obwohl das Emblem der Mildenhalls auf seiner Brusttasche ihn als einen Bediensteten des Earls auswies.
„Hallo, du da, Bursche“, hörte er ihn nun auch schon ausrufen. „Hör auf, Maulaffen feilzuhalten, und tritt näher!“
Ohne nachzudenken, tat Badwell wie ihm geheißen, hin- und hergerissen zwischen der diebischen Freude, dass seine Verkleidung so echt war, dass sie den Diener in die Irre geführt hatte, und dem Ärger über den Tonfall, mit dem dieser ihn ansprach.
„Man hat mir diese Nachricht für dich mitgegeben. Bist du des Lesens mächtig, oder möchtest du, dass ich dir den Inhalt zu Gehör bringe?“
Ein Schreiben? In Badwells Kopf überschlugen sich die Gedanken. Hieß das, dass ihn die schöne Countess informierte, dass sie sich verspätete? Hieß das gar, dass sie ihn versetzte? Was war geschehen? War Mildenhall überraschend nach Hause gekommen? Was auch immer es war, es war nicht für die Augen und Ohren des Dieners bestimmt.
„Gib mir das Schreiben, ich lese selbst!“, forderte er daher und hob seine Rechte, um den Brief in Empfang zu nehmen.
Das Büttenpapier fühlte sich in seinen vor Kälte erstarrten Fingern glatt und seidig an. Ihm war, als würde ihn ein Hauch von Veilchenduft umwehen. Badwell brach das Siegel, wandte sich ab und ging zur Hütte zurück. Zum einen hoffte er, dass dort der Wind etwas schwächer wehen würde, zum anderen wollte er dem Diener keine Möglichkeit geben, ihm über die Schulter zu blicken. Das hatte dieser aber offensichtlich ohnehin nicht vor. Ohne auf Badwells Reaktion zu warten, wendete er das Pferd und galoppierte dorthin zurück, von wo er gekommen war.
Überrascht drehte sich der Viscount um und schüttelte den Kopf. Was war denn das für ein seltsames Benehmen? Er war es nicht gewöhnt, dass man ihm einfach den Rücken kehrte, ohne auf seine Anweisungen zu warten. Mit klammen Fingern faltete er den Briefbogen auf.
Wer mit dem Herzen einer Frau ein böses Spiel treibt,
dem sind Spott und Häme gewiss!,
stand darauf zu lesen. Sonst nichts. Keine Erklärung, keine Unterschrift.
Badwell ließ den Bogen sinken und runzelte die Stirn. Dass das Schreiben von Lady Daphne stammte, schien ihm sicher. Der Diener, der es ihm überreicht hatte, hatte schließlich eine Livree mit dem Wappen der Mildenhalls getragen. Doch er verstand den Sinn der Worte nicht. Wie kam Ihre Ladyschaft bloß auf den Gedanken, er hätte mit ihrem Herzen ein böses Spiel getrieben? Sie war es doch gewesen, die ihm schöne Augen gemacht hatte. Ihre Blicke waren doch eine stete Ermutigung gewesen. Er begehrte sie tatsächlich und hatte keinen Augenblick vor, ihrem Herzen Schaden zuzufügen. Badwell schüttelte abermals den Kopf und ging dann, ganz in Gedanken, einige Schritte, um den Hut des Schäfers wieder aufzuheben. Dabei erfasste ihn plötzlich ein ungutes Gefühl. Daphnes Worte konnten nur eines bedeuten: Sie hatte nicht nur sein Begehren gespürt, sondern erkannt, dass es für ihn besonders reizvoll war, die Frau des allerbesten Freundes seines Vaters zu verführen. Ganz in Gedanken schüttelte er den Kopf. Das konnte doch nicht sein. Sie kannten sich doch erst seit wenigen Tagen. Nicht lange genug, als dass sie seine Motive hätte durchschauen können. Hatte ihr am Ende jemand einen Hinweis gegeben? Was, wenn dieser Jemand auch Daphnes Gemahl einen Hinweis gegeben hatte? Im Grunde seines Herzens hatte er keine Lust auf einen Streit unter Nachbarn. Und auf ein Duell im Morgengrauen schon einmal gar nicht. Er erinnerte sich daran, dass der alte Mildenhall ein Meister mit den Pistolen sein sollte. Egal, was Badwell seinen Freunden gegenüber auch gesagt hatte, das waren keine beruhigenden Aussichten.
Na, wenn schon, dachte er trotzig. Ich bin jung, ich bin reaktionsschnell, ich bin kriegserfahren. Gegen den alten Knacker gewinne ich allemal jeden Zweikampf.
Er verbat sich jeden Zweifel darüber und las, wohl auch um sich von diesen Gedanken abzulenken, das Schreiben noch einmal durch. Was meinte sie bloß mit Spott und Häme? Er blickte an sich hinunter. Meinte sie, dass er sich hier an einem eisig kalten Frühlingsnachmittag in der Kleidung eines Schäfers lächerlich machte? Dass er dastand, in der abgetragenen Hose, die ihm zu kurz, und einer Jacke, die ihm vorne und hinten zu klein war? Vor einer Hütte, die aufwendig für ein Stelldichein vorbereitet worden war, das offensichtlich nie stattfinden würde? Oder hatte sie Schlimmeres im Sinn?
So sehr er sich auch das Hirn zermarterte, er konnte sich Lady Daphnes Verhalten nicht erklären. Sie hatte doch nicht den geringsten Grund, ihm zu zürnen. Was hatte er ihr getan, dass sie ihn so rüde abblitzen ließ? Er spürte, wie sich seine Unsicherheit in Ärger verwandelte, Ärger in Wut. Wie kam sie dazu, ihn für solch undurchschaubare Spielchen zu missbrauchen? Warum traf er nur immer wieder auf Frauen, die ihn für irgendwelche Schachzüge ausnutzten? Badwell ballte seine Hände zu Fäusten. Das wird mir nie wieder passieren, schwor er sich. Nie wieder!
Das Einzige, was er tun konnte, war zu versuchen, das Feuer im Kamin zum Erlöschen zu bringen und nach Hause zu reiten, bevor sich die Dunkelheit ganz über das Land gelegt haben würde. Gebe Gott, dass ihn niemand in diesem Aufzug zu Gesicht bekam, der ihm mit einem Mal nur noch kindisch und lächerlich erschien. Wütend riss er Lady Daphnes Schreiben in viele kleine Stücke und übergab sie dem Wind. Mit Genugtuung sah er zu, wie die kleinen Schnipsel in alle Richtungen davongetragen wurden.
Da, was war das? Hörte er etwa wieder Hufgetrappel? Kam der Diener zurück, um ihm eine weitere unangenehme Botschaft zu übermitteln? Hatte es sich Lady Daphne anders überlegt und würde doch zum vereinbarten Treffen erscheinen? Hatte gar ihr Gatte Wind davon bekommen und war nun mit einer Jagdflinte bewaffnet auf dem Weg, um sich grausam an ihm zu rächen? Badwell spürte, wie ihm die Kälte nun auch über den Rücken kroch. Wenn er nicht bald ins Warme kam, dann würde ihn eine starke Erkältung heimsuchen, die ihn in den nächsten Tagen ans Bett fesselte. Und doch war er zu neugierig, wer sich da in so hohem Tempo der Fischerhütte näherte, dass er stehen blieb, anstatt sich schleunigst in diese zurückzuziehen. Er zuckte zusammen, als es direkt über ihm laut zu donnern begann. Ein markerschütternder Schrei war zu hören. Schon kam eine braune Stute in sein Blickfeld. Sie galoppierte, als sei der Teufel hinter ihr her. Das Mädchen in einem einfachen dunkelblauen Samtumhang hielt sich nur mit Mühe im Sattel. Der Reithut, den sie mit Sicherheit aufgehabt haben mochte, war nirgends mehr zu sehen. Ihre kastanienbraunen Locken wehten im eisigen Wind. Dann scheute das Pferd, blieb abrupt stehen und warf seine Reiterin in hohem Bogen ab. Mitten hinein in den riesigen Heuhaufen.