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Kapitel 5

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Als man sich zur vom Herzog vorgegebenen Zeit in der Gaststube wiedertraf, hatten die anderen fünf in der Zwischenzeit ganze Arbeit geleistet. Bertrams Kammerdiener hatte sichergestellt, dass die Kutscher und Wachleute über den Stallungen eine Unterkunft fanden, nachdem sie zuerst die Pferde und die Wagen einigermaßen gut versorgt hatten. Ihr Quartier war zwar erbärmlich, unterschied sich jedoch nicht groß von dem ihrer Herrschaft. Lizzy und Bertram hatten mit vereinten Kräften die Gaststube gefegt und ein paar der Leinentücher, die Agatha vorsorglich in großer Zahl mitgebracht hatte, über die groben Tische gelegt. Die Kerzenstummel in den Leuchtern wurden durch echte Wachskerzen ersetzt, damit sie beim Essen nicht zu all der anderen Unbill auch noch von Ruß eingenebelt werden würden. Die Wirtsleute ließen sich all die Zeit nicht blicken, und die Reisenden konnten nur hoffen, dass sie mit dem Kochen eines halbwegs essbaren Mahls beschäftigt waren.

Agatha und ihre Kammerfrau nahmen sich in der Zwischenzeit die Schlafzimmer vor. Während Hearts die Räume so gut es ging reinigte, löste Agatha Seifenpulver in einem Eimer warmen Wassers auf, den Bertram aus der Küche gebracht hatte. Die Fenster standen all die Zeit sperrangelweit offen.

„Ich denke, es macht keinen Unterschied, ob der Regen durch die geschlossenen Fenster ins Innere dringt oder durch die offenen“, lautete Agathas trockener Kommentar, als ihre Kammerfrau Bedenken äußerte. „Aber so wird wenigstens der Gestank ein wenig erträglicher.“

Trotzdem war sie froh, als der Regen etwas nachließ. Auch das Gewitter hatte sich nach einer halben Stunde verzogen. Agatha warf einen Blick zum Himmel. Sie mussten sich beeilen. Durch die hohen Nadelbäume ringsumher würde das Haus bald in völliger Dunkelheit liegen.

Genau in dem Augenblick, als Agatha nach männlicher Hilfe Ausschau halten wollte, kam Bertrams Kammerdiener zurück. Gemeinsam mit Hearts wurde ihm die Aufgabe übertragen, die Beine der Betten in Blechschüsseln zu stellen, die sich in Agathas schwarzer Holzkiste befunden hatten. Hearts war schwere körperliche Tätigkeiten gewöhnt, und so war die Arbeit im Nu erledigt. Die Betten waren zum Teil so altersschwach und wackelig, dass sie sich knirschend gegen diese ungewöhnliche Behandlung wehrten, doch darauf konnte niemand Rücksicht nehmen. Agatha füllte anschließend die Schüsseln mit Seifenlauge.

„So“, sagte sie zufrieden und wischte sich die Hände trocken, „nun soll es eines dieser lästigen Nagetiere wagen, uns unwillkommenen Besuch abstatten zu wollen. Ich denke, von dieser Seite droht uns keine Gefahr mehr. Damit uns auch keine Flöhe belästigen, werde ich als Nächstes Fallen aufstellen.“

Also nahm sie die restlichen Blechschüsseln, verteilte sie auf den Boden beider Räume und füllte auch diese wieder mit der Lauge.

„Jetzt nur noch schwere Stumpenkerzen in die Mitte“, sagte sie zufrieden, „und fertig sind die Flohfallen.“

Der junge Kammerdiener machte nicht den Eindruck, als sei er von diesem Vorgehen überzeugt.

„Die Flöhe lieben das Licht. Sie werden von den Kerzen angelockt“, erklärte ihm Agatha, „und ertrinken dann im Seifenwasser.“

„Glauben Sie Ihrer Ladyschaft“, bekräftigte Hearts die Worte ihrer Herrin, während sie Leintücher über die aufgeschüttelten Strohsäcke breitete. „Solche Flohfallen haben uns schon in Ägypten gute Dienste geleistet.“

„Genau wie dieses geheimnisvolle Pulver gegen Wanzen hier.“

Agatha hatte sich zur Kiste hinabgebeugt und zog triumphierend eine Streudose aus ihrem Inneren: „Nehmen Sie es und verteilen Sie das Pulver über alle Betten! Seien Sie ruhig großzügig, ich habe noch Nachschub.“

Der Bursche tat, wie ihm geheißen, und rümpfte gleich darauf die Nase: „Das riecht aber scharf, pfui Teufel! Da tränen einem ja die Augen.“

Hearts lachte auf: „Seien Sie doch nicht so empfindlich! Was glauben Sie, wie Ihnen die Augen erst tränen würden, wenn sie von Bissen übersät aufwachten?“

Die Stimmung beim Abendessen war alles andere als fröhlich. Da es keinen Extraraum gab, belegten der Duke, Agatha, Bertram und Lizzy einen der Tische, die Kammerdiener einen zweiten und die Kutscher und Wachleute einen dritten. Offensichtlich hatte das Gewitter andere Gäste ferngehalten. In Anwesenheit des Herzogs wagte niemand zu sprechen und dieser hatte offensichtlich auch keine Lust dazu. Agatha bemerkte irritiert, dass er ihr zuerst einen prüfenden Blick zuwarf und gerade, als sie dachte, er würde etwas sagen, damit begann, auf das Essen zu starren und schweigend die ersten Bissen zu sich zu nehmen. Es gab eine Art Schmalzgebäck, das aussah wie eine Schuhsohle, das aber, wie Agatha zugeben musste, durchaus annehmbar schmeckte. Dazu wurde wieder das säuerliche Kraut serviert, das man in diesen Landen anscheinend besonders liebte. Schließlich stellte die Wirtin mit einem Wortschwall einen Topf auf den Tisch der Herrschaften. Da die beiden anderen Tische leer ausgingen, nahm Agatha an, dass es sich um etwas Besonderes handelte. Sie beugte sich interessiert vor und zuckte wieder zurück. Das, was da im verbeulten Geschirr vor sich hin dampfte, roch ungewohnt, war cremeweiß und erinnerte entfernt an Fleisch. Es war aber nichts, was sie schon einmal irgendwo gesehen hatte.

„Das is a Euter“, sagte die Wirtin, strahlte in die Runde, wischte sich ihre feuchten Hände an der schmutzigen Schürze ab und verschwand wieder in der Küche.

Bertram, der vorsorglich seine Deutschbücher mit in die Gaststube genommen hatte, versuchte eine Übersetzung für diese Worte zu finden. Doch vergeblich. Um sich vor seinem Vorgesetzten keine Blöße zu geben, schnitt er ein Stück davon ab, steckte es in den Mund und begann daran zu kauen. Es war so zäh und schmeckte derart seltsam, dass er es am liebsten wieder ausgespuckt hätte. Unter den prüfenden Augen seines Dienstherrn wagte er es jedoch nicht und kaute tapfer weiter.

Der Wirt kam, um die groben Gläser aus einer dickbauchigen Flasche zu füllen. Agatha zeigte auf die Schüssel und zuckte mit den Schultern, um zu verdeutlichen, dass sie wissen wollte, was sich darin befand. Der Wirt beachtete sie nicht. Zum Erstaunen aller war es dann Lizzy, die das Wort ergriff:

„Was ist das?“, fragte sie auf Deutsch.

„A Euter!“, wiederholte der Mann die Worte seiner Frau. Und als er merkte, dass er nicht verstanden wurde, machte er melkende Bewegungen und rief „Muh!“.

Alle rissen die Augen auf, und schlagartig hatte keiner mehr Lust, zuzugreifen. Der arme Bertram versuchte den Bissen mit Wein hinunterzuspülen, doch dieser war derart sauer, dass er seine Lage auch nicht wirklich verbesserte.

Der weitere Abend verlief auch nicht erfreulicher. Es begann damit, dass sich der Kammerdiener des Herzogs vehement weigerte, das Pulver gegen Wanzen auf dem Bett seines Herrn auszubringen. Er hatte es bereits, wie bei den anderen Übernachtungen auch, mit Parfum eingesprüht und war sich sicher, dass dies das Ungeziefer mindestens ebenso gut fernhalten würde. Agatha war müde, von der unruhigen Fahrt in der Kutsche tat ihr jeder Knochen weh. Sie hatte Stunden an Aufräumarbeiten hinter sich und unzählige Flohfallen aufgestellt. Daher wollte sie nur noch in ihr eigenes Lager schlüpfen und hatte keine Lust auf eine Diskussion mit einem uneinsichtigen Dienstboten.

„Dann mache ich es eben selbst“, entschied sie kurzerhand und hatte bereits die Türklinke der Kammer ergriffen. „Einen Augenblick Geduld, Duke“, sagte sie über die Schulter zurück. „Es dauert nicht lange.“

„Unterstehen Sie sich!“, rief da der Kammerdiener und sprang in ihren Weg. Er hätte sie wohl ohne zu zögern zur Seite gerempelt, hätte Agatha nicht vor Schreck bereits selbst die Klinke wieder losgelassen. Zuerst sahen sich die beiden feindselig an, dann ruckten ihre Köpfe wie auf Kommando zum Herzog hinüber, der regungslos auf der obersten Treppenstufe stand.

Der Viscount of Panswick hielt wieder einmal die Luft an – wahrlich nicht das erste, aber auch nicht das letzte Mal auf dieser Reise. Lizzy musterte die Gesichtszüge ihres Vaters und sagte, wie meist, keinen Ton. Falls Agatha erwartet hatte, dass ihr der Duke im Kampf gegen Walterton zu Hilfe kommen würde, so wurde sie durch seine nächsten Worte bitter enttäuscht.

„Hören Sie doch einfach auf, Ihre Fähigkeiten zu überschätzen und sich damit in den Vordergrund zu spielen, Lady Alverston“, sagte er. „Das bin ich so leid. Kommen Sie, Walterton, ich bin müde und möchte schlafen.“

Mit diesen Worten ging er an seiner völlig verdatterten Reisegefährtin vorbei. Seinem Kammerdiener entfuhr ein höchst zufriedenes „Ha!“. Er warf Agatha einen triumphierenden Blick zu und beeilte sich dann, die Tür zur Kammer zu öffnen.

Eine Stunde später lagen sie alle in ihren Betten. Während ein gleichmäßiges Schnarchen der Beweis dafür war, dass Hearts keine Mühe gehabt hatte, trotz des unbequemen Lagers sofort einzuschlafen, wälzte sich Agatha unruhig von einer Seite auf die andere. Die Kerzen in den Flohfallen auf dem Boden tauchten den Raum in ein fahles Licht. Das Rascheln hinter den Vorhängen zeugte davon, dass es ihnen wohl doch nicht gelungen war, alle vierbeinigen Bewohner aus dem Raum zu vertreiben. Von draußen schlug der Wind die Zweige eines Baumes gegen die Fensterscheiben.

Wie hatte sie nur so dumm sein können, sich vom Herzog von Landmark beeindrucken zu lassen? Er war doch nichts anderes als ein arroganter, selbstgefälliger, durch und durch widerwärtiger, von sich eingenommener, illoyaler, unmöglicher … Agatha überlegte … ärgerlicher, ihre Nerven strapazierender … – hatte sie ekelhaft bereits gedacht? Sie seufzte.

„Schlafen Sie schon, Lady Agatha?“, wisperte da Lizzy vom Nachbarbett her.

Ihre Ladyschaft wandte sich ihr zu. „Nein, meine Liebe“, flüsterte sie zurück. „Es ist doch recht heiß und stickig im Zimmer.“

Auf diese Bemerkung ging ihr Schützling nicht ein.

„Seien Sie bitte nicht allzu betrübt über Papas Worte“, sagte sie stattdessen. „Er hätte sie vor dem schrecklichen Walterton nicht so behandeln dürfen und ich bin sicher, dass ihm das inzwischen bewusst ist und er es bereut.“

Agatha seufzte abermals. Sie wünschte sich, die Dreizehnjährige hätte recht.

„Mach dir keine Gedanken“, beeilte sie sich zu sagen. „Alles ist gut. Es gibt nichts, worüber du dir Sorgen machen müsstest.“

„Darf ich offen sprechen?“, fragte das Mädchen weiter und setzte, als sie Agatha im fahlen Licht der Kerzen nicken sah, fort: „Ich denke, dass Papa aus Kränkung so gehandelt hat. Er hätte Ihnen zuliebe auf die Kammer verzichtet, damit Sie es bequem haben, Lady Agatha. Ihnen zuliebe hätte er sogar das Zimmer mit zwei Kammerdienern geteilt. Ich glaube nicht, dass auch nur irgendeiner der anderen Herzöge im ganzen Königreich zu so einem Opfer bereit gewesen wäre.“

Agatha wurde mit Schrecken bewusst, dass Lizzy recht hatte.

„Doch Sie haben diese Großzügigkeit nicht zu schätzen gewusst“, setzte das Mädchen da auch schon fort. „Mehr noch, Sie haben Papa vor der Dienerschaft abgekanzelt. Das wollte ich zur Ehrenrettung meines Vaters sagen. Ich hoffe, Sie sind mir nicht böse.“

Diese Worte musste Ihre Ladyschaft erst einmal verdauen. Manchmal benahm sie sich tatsächlich wie eine Axt im Wald, gestand sie sich schweren Herzens ein, und übertrieb wohl ihr Streben nach Unabhängigkeit.

„Ich bin dir nicht böse“, flüsterte sie schließlich in Richtung Nebenbett. „Danke, dass du mich darauf hingewiesen hast.“

Aber da war Lizzy schon eingeschlafen.

Küsse am Wiener Kongress

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