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Kapitel 8

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Vor den Toren Wiens

September 1814

Die letzte Reisewoche verging ohne besondere Vorkommnisse. Als sie nach dem Zwischenfall bei der Regentonne in die Kutsche gestiegen waren, hatte sich Agatha höchst unwohl gefühlt. Sie war befangen und wusste nicht, wie sie dem Herzog am besten begegnen sollte. Sie hätte viel darum gegeben, zumindest einer Menschenseele von den beiden Küssen erzählen zu können und dem Wirrwarr der Gefühle, die sie in ihr ausgelöst hatten. Doch es war niemand da. Bertram war als Mann dafür höchst ungeeignet, Lizzy war zu jung und es war auch kein Thema, das man mit einer Kammerfrau besprach, mochte sie einem noch so vertraut sein. Ja, nicht einmal an den gewissen Stern hatte sie sich wenden können. Wie hätte sie Edward denn erklären sollen, dass der Duke of Landmark etwas in ihr auslöste, was sie in seinen Armen niemals verspürt hatte? Etwas, für das es in ihrem Wortschatz nicht einmal eine Bezeichnung gab?

Wie sich schnell herausstellte, beliebte der Herzog so zu tun, als hätte es die beiden Küsse nicht gegeben. Und so waren sie schon bald in die nächste Meinungsverschiedenheit verwickelt, und die spöttischen Bemerkungen flogen hin und her wie eh und je. Hätte man Bertram gefragt, ob er nach der Übernachtung im verwanzten Gasthaus einen Unterschied im Benehmen seiner beiden Reisegefährten feststellte, so hätte er nur genervt die Augen gerollt und entschieden den Kopf geschüttelt.

Doch Agatha erkannte im weiteren Verlauf der Reise dann doch einen kleinen Unterschied. Sobald sie einen Gasthof betraten, ließ Landmark sie viel freier schalten und walten, bisweilen unterstützte er sogar ausdrücklich ihre Anweisungen und hatte wohl auch Walterton den Befehl gegeben, sich ihren Aufträgen nicht länger zu widersetzen. Für all das war sie ihm natürlich dankbar, und doch blieben die Gefühle, die Agatha für den Duke empfand, gemischt. Was nicht hieß, dass sie ihn nicht gern noch einmal geküsst hätte, wie sie sich unumwunden eingestand, wenn sie am Abend in einem der fremden Betten nicht einschlafen konnte. Sie zumindest würde dafür nicht über ihren Schatten springen müssen. Er jedoch machte keinerlei Anstalten, ihre Nähe zu suchen oder es darauf anzulegen, mit ihr allein zu sein.

Sie erreichten die Vororte von Wien an einem sonnigen Septembernachmittag, wo sie zum Mittagessen im Gasthaus Zur Kaiserkrone in unmittelbarer Nähe des Schlosses Schönbrunn einkehrten. Der Herzog von Landmark hatte bereits von London aus mit Lord Charles Steward Kontakt aufgenommen. Er war der Halbbruder des englischen Außenministers Lord Castlereagh und weilte seit einiger Zeit in Wien, wo er in Kürze die Leitung der Botschaft übernehmen sollte. Steward hatte ihm versprochen, sich um ein geeignetes Quartier für ihn und seine Begleitung umzusehen, und er hatte den Wirt der Kaiserkrone als respektabel genug eingeschätzt, um dort für den Duke die nötigen Informationen und Dokumente zu hinterlegen. Außerdem war das Gasthaus ein geeigneter Ort, um auf die beiden anderen Kutschen zu warten, die im Allgemeinen ein langsameres Tempo anschlugen, weil sie nicht so gut gefedert und so modern ausgestattet waren wie das Gefährt, in dem der Duke persönlich reiste. Es würde schwierig genug sein, sich in der fremden Stadt zurechtzufinden, da war es besser, wenn alle drei Wagen zusammenblieben. Der dritte Grund, warum man in der Kaiserkrone Halt machte, war der, dass, wie der Herzog erklärte, es nie gut war, ein Abenteuer hungrig in Angriff zu nehmen. Und ein Abenteuer würde ihr Aufenthalt in Wien allemal werden.

Das Gasthaus entpuppte sich als ein ebenerdiger, lang gezogener Bau, der in einem intensiven Gelbton gestrichen war und von dem sich die grünen Fensterläden malerisch abhoben. Bertram wurde vorgeschickt, seine Sprachkenntnisse unter Beweis zu stellen und einen Extraraum für die kleine Gesellschaft zu mieten. Er kam mit der überraschenden Nachricht zur Kutsche zurück, dass man aufgrund des schönen Wetters in einem sogenannten Gastgarten zu speisen habe.

„Das kann doch unmöglich Ihr Ernst sein“, sagte der Herzog irritiert, „wir wollen doch hier kein Picknick veranstalten.“ Dann warf er durch den offenen Schlag der Kutsche einen prüfenden Blick auf den wolkenlosen Himmel. „Außerdem ist der strahlende Sonnenschein Lady Agathas zartem Teint nicht zumutbar, und wir haben verabsäumt, Sonnenschirme mitzunehmen.“

Natürlich wusste er längst, dass seine Reisebegleiterin nichts mehr hasste, als als schwach und schutzbedürftig dazustehen, und sie machte ihm auch gleich die Freude, empört nach Luft zu schnappen.

„Meinem Teint? Machen Sie sich bloß um meinen Teint keine Sorgen!“, rief sie aus, um gleich darauf zu fordern: „Geben Sie es doch einfach zu, wenn Sie es unter Ihrer Würde erachten, im Freien zu speisen, und nehmen Sie mich nicht als Vorwand für …“ Sie unterbrach sich, weil ihr Cousin ihr auffordernd die Hand entgegenstreckte.

„Darf ich dir aus der Kutsche helfen, liebe Cousine?“ Es klang eher wie ein Befehl.

Da saßen sie dann, im Schatten großer Apfelbäume, an rohen Holztischen, auf die rot-weiß karierte Tischdecken gebreitet waren. Agatha kannte die Sitte, unter freiem Himmel zu speisen, von ihrer Reise nach Florenz, und sie scheute sich nicht, darauf hinzuweisen, während der Duke eine Reihe von Bedenken äußerte. Lizzy bewunderte die bunten Schmetterlinge, die um ihren Tisch tanzten, und war begeistert.

„Was derf’s denn sein?“, fragte die Wirtin, nachdem sie mit einem Geschirrtuch einige Brotkrümel vom Tisch geschlagen hatte. „S’Backhenderl warat frisch! Mit Erdäpfel- und Vogerlsalat.“

Agatha wunderte sich nicht, dass sie nichts verstand, doch auch die Köpfe der beiden anderen drehten sich ruckartig in Richtung Bertram. Dieser riss die Augen auf und zuckte ratlos mit den Schultern.

„Oder möchtens lieber einen Tafelspitz mit einem Erdäpfelschmarrn?“, fuhr die Wirtin unbeirrt fort. „Ein Beuschl von gestern müsste auch noch da sein.“

Als sie aufmunternd in die Runde blickte, merkte sie allerdings, dass die Gäste kein Wort verstanden hatten, und dann geschah etwas, womit Agatha nicht gerechnet hatte: Die Wirtin wiederholte ihr Angebot auf Französisch.

Dafür hätte Agatha sie am liebsten umarmt. Wenn eine einfache Wirtin sich in dieser Sprache zurechtfand, dann hieß das doch, dass auch andere Österreicher französisch sprachen. Vielleicht würde die Verständigung in Wien doch nicht ganz so schwierig werden, wie sie befürchtet hatte.

Sie bemerkte, dass der Duke begonnen hatte, die französischen Worte für sie ins Englische zu übersetzen. Sie waren sich schnell einig, das besonders angepriesene Backhuhn zu versuchen. Auch der Salat klang interessant und war sicher eine angenehme Abwechslung zu dem sauren Kraut, das man ihnen in den letzten Wochen ständig aufgetischt hatte. Der Herzog gab der Wirtin die Bestellung bekannt, und als die Frau sich zum Gehen wandte, rief ihr Agatha auf Französisch hinterher, dass sie auch gerne etwas zu trinken hätte.

„Wie bitte?“, fuhr der Duke auf. „Sprechen Sie etwa französisch?“

„Ach ja richtig“, sagte die Wirtin, die diensteifrig zurückgekehrt war, „einen Apfelsaft vielleicht, oder einen Grünen Veltliner?“

Sie bestellten Wein für die Herren und Saft für die Damen.

„Wie kommt es, dass Sie französisch sprechen?“, ließ der Duke nicht locker, als die Wirtin Röcke schwingend zum nächsten Tisch weitergeeilt war.

„Mein Vater war ebenfalls Diplomat.“ Agatha freute sich, dass sie ihn wieder einmal aus der Fassung gebracht hatte. Selenruhig griff sie zur Serviette, um sie auf ihrem Schoß auszubreiten. „Er legte Wert darauf, dass seine Töchter die Sprache der Diplomatie von klein auf lernen, daher hatten wir eine französische Gouvernante.“

„Ich habe mir Sorgen gemacht, wie Sie sich in Wien verständigen wollen“, fuhr er auf. „Jetzt erfahre ich so nebenbei, dass Sie des Französischen mächtig sind. Der Sprache, die, wenn man Lord Steward glauben darf, hierzulande viele Leute sprechen. Warum haben Sie diese Tatsache bisher nicht erwähnt?“

„Sie haben mich nie danach gefragt“, antwortete Agatha trocken.

„Wie hätte ich nach etwas fragen sollen, was ich nicht einmal ahnen konnte?“, erwiderte er ebenso trocken.

Bertram kniff die Lippen zusammen. Konnte er nicht einmal in Ruhe zu Mittag essen? Nein, das konnte er wohl nicht, wie Agathas nächste Worte bewiesen.

„Natürlich ahnten Sie nichts dergleichen, Duke“, sagte sie in gleichbleibend freundlichem Tonfall. „Wie Sie bereits mehrmals die Güte hatten, uns zu versichern, halten Sie überhaupt wenig von meinen geistigen Fähigkeiten. Wieso sollten Sie sich also die Mühe machen, neue herauszufinden?“

„Bitte sehr!“

Zu Bertrams Glück beendete die Wirtin das Streitgespräch, indem sie vier Krüge auf den Tisch knallte und fröhlich „Wohl bekomm’s!“ rief.

Bertram nutzte diese Unterbrechung: „Soll ich mich beim Wirt nach den Dokumenten erkundigen, Duke? Dabei könnte ich auch Ausschau nach den anderen Kutschen halten.“

Als der Herzog nickte, suchte er schnell das Weite und kam erst wieder an den Tisch zurück, als das Essen serviert wurde. Er setzte sich und verkündete zwei gute Nachrichten. Zum einen waren die beiden Kutschen eingetroffen und die Dienerschaft wurde in einem anderen Teil des Gartens verköstigt. Und zum anderen waren die Dokumente wie vereinbart abgegeben worden. Er legte sie neben seinen Herrn auf den Tisch. Dann widmete man sich in bestem Einvernehmen dem Mahl. Nachdem sie zuerst etwas unsicher auf die goldgelb gebackenen Hühnerteile in einem Schüsselchen gestarrt und nicht gewusst hatten, wie man sie am besten verzehren sollte, hatten sie sich einfach am Nebentisch orientiert. Dort saß eine ebenfalls vornehme Familie, die ohne zu zögern mit den Händen zugriff. Also taten sie es ihr gleich.

„Schani, Wasser!“, rief die aufmerksame Wirtin, als sie mit ihrem köstlichen Mahl fertig waren, und ein kleiner Bursche in einer grünen Weste eilte mit einer Schüssel heran, in der sie sich die Hände waschen konnten, und ließ ein Handtuch im Kreis gehen.

Dann griff der Herzog zum Briefumschlag, um ihm mehrere Bögen Papier und einen großen Haustorschlüssel zu entnehmen.

„Wir werden im Zentrum der Stadt wohnen“, informierte er die anderen, nach dem er die ersten Zeilen überflogen hatte. „Am sogenannten Hohen Markt.“ Er reichte einen Stadtplan an Bertram weiter. „Ein gewisser Edler von Braunberg hatte die Freundlichkeit, mit seiner Familie zu Verwandten aufs Land zu ziehen. Er überlässt uns sein Haus samt Dienerschaft.“

Der Duke blickte in die Runde. „Wahrscheinlich kostet das die Botschaft einen ordentlichen Batzen Geld. Lassen Sie uns hoffen, dass unsere Unterkunft diesen wert sein wird.“ Er beugte sich wieder über das Schreiben. „Ah, Panswick, hier steht, dass bereits morgen die erste Sitzung in der Botschaft stattfinden wird, um die kommenden Verhandlungen vorzubereiten. Das erste offizielle Ereignis des Kongresses ist ein Feuerwerk, das für den 29. September geplant ist.“

Er faltete das Papier zusammen. „Ich denke, es ist alles Nötige arrangiert, lassen Sie uns das Abenteuer beginnen!“

Küsse am Wiener Kongress

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