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Kapitel 7

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Lancroft Abbey, Kent

September 1814

Bertram, mein lieber Sohn!

Endlich herrschte Ruhe im Haus. Die Viscountess of Panswick war als Einzige noch in den unteren Räumen anwesend. Sie hatte sich an ihren Schreibtisch gesetzt und mehrere Kerzen angezündet, um ausreichend Licht zum Schreiben zu haben, denn es gab etwas, worüber das Familienoberhaupt ohne Umschweife in Kenntnis gesetzt werden musste. Was war das doch für ein aufregender Tag gewesen! Was für ein glücklicher Tag für die ganze Familie. Nun gut, er hatte nicht ganz das gewünschte Ergebnis gebracht, aber dafür war ja noch längst nicht aller Tage Abend. Bertram würde sich in jedem Fall freuen. Wo er wohl jetzt sein mochte? Seine weite Reise machte ihr mehr Sorgen, als sie vor ihrer Familie zugeben wollte. London war der entfernteste Ort, den sie je besucht hatte, und allein die Fahrt dorthin hatte ihr jedes Mal Kopfschmerzen und tiefe Übelkeit beschert. Sie wollte gar nicht an die Gasthäuser denken, in denen sie die Nächte hatte verbringen müssen. Die fremden Betten, die vielen Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, mit denen man trotz Extrazimmer in Berührung kam, das ungewohnte Essen. Dabei war sie bloß im geliebten Königreich unterwegs gewesen. Ihr Sohn hingegen durchquerte zahlreiche fremde Länder, deren Namen sie sich nicht einmal alle hatte merken können, bis er endlich in Wien ankommen würde. Er war zahlreichen Gefahren ausgesetzt, die sie sich in Einzelheiten gar nicht ausmalen wollte. An all dem war nur diese Korse Napoleon schuld! Wie an so vielem anderen auch. Gut, dass man ihn im Frühjahr ins Exil auf die Insel Elba hatte schicken können und von ihm nun kein Unheil mehr drohte.

Wenn Dich dieser Brief erreicht, bist Du schon gut in der Hauptstadt des Kaiserreichs eingetroffen. Derryhill riet mir, ihn an die englische Botschaft in Wien zu schicken. Es wird Dich freuen zu hören, dass Deine Schwester Frederica heute einem Mädchen das Leben geschenkt hat. Mutter und Tochter sind wohlauf. Sie wollen das Kind Amelia Louisa Cassandra nennen. Dein Schwager ist außer sich vor Freude, was ich ihm hoch anrechne, denn er könnte ihr ja auch Vorwürfe darüber machen, dass es kein Sohn geworden ist.

Lady Panswick ließ die Feder sinken und blickte gedankenverloren in den nächtlichen Garten hinaus. Was hatte ihr ihre Schwiegermutter nicht alles an den Kopf geworfen, damals, als Frederica geboren wurde! Und dann erst, als mit Penelope kurz darauf ein zweites Mädchen das Licht der Welt erblickte. Lady Panswick schüttelte ganz in Gedanken den Kopf. Wie jung sie damals gewesen war! Ihr Mann war keine große Hilfe gewesen, da er sich lieber hinter Büchern verschanzte, als seiner gestrengen Mutter die Stirn zu bieten. Aber zum Glück wurde vier Jahre später Bertram geboren, der heißersehnte Erbe, und ihre Schwiegermutter hatte endlich Ruhe gegeben. Und nun war dieser Sohn auf dem Kontinent unterwegs, all den Gefahren ausgesetzt, die die Fremde bereithielt.

Pass gut auf Dich auf, hätte sie gern geschrieben, ließ es aber dann bleiben. Bertram würde sich ernsthafte Sorgen machen, wenn sie plötzlich sentimental wurde. Sie war als seine Mutter der stets unverrückbare Felsen in der Brandung. Das war schon zu Lebzeiten seines Vaters so gewesen, und nun nach dessen Tod galt es erst recht.

Lady Panswick nahm die Brille ab, ließ sie zwischen Daumen und Zeigefinger baumeln und seufzte. Sie war jetzt siebenundvierzig Jahre alt und wurde langsam müde. Manchmal, aber wirklich nur manchmal, da beneidete sie ihre Töchter. Frederica hatte es mit Derryhill gut getroffen. Nicht nur, weil er mit seinem Vermögen Lancroft Abbey vor dem Untergang bewahrt hatte und schon allein dadurch ein wahrer Segen für die gesamte Familie war. Er war auch ein patenter Bursche, humorvoll und klug, und liebte ihre Älteste von ganzem Herzen. Das sah man an seinem Blick, in jeder kleinen Geste und auch daran, wie er ihr in den letzten Monaten beigestanden hatte. Die Hebamme hatte Frederica zu einem ruhigen Leben auf dem Lande geraten und der Earl hatte leichten Herzens, wie es schien, auf Annehmlichkeiten und Vergnügungen der Hauptstadt verzichtet und war bei ihr auf Lancroft Abbey geblieben. Es war eine schöne Zeit gewesen, wie sich die Viscountess jetzt bewusst wurde. Eine Zeit, die in Kürze zu Ende gehen würde. Wie still würde es werden, wenn die drei nach London oder auf den Landsitz des Earls zurückkehrten? Dann würde sie wieder einsam und allein sein.

Natürlich, ihre Zweitälteste Penelope lebte in der Nachbarschaft. Sie hatte jedoch mit ihrem Landgut White Rose Hill, ihrem Gatten und den vielen Schafen mehr als genug zu tun. Wahrscheinlich würde es zudem nicht mehr lange dauern, bis auch sie guter Hoffnung war.

Vivian und ihr Gatte, der Viscount of Badwell, lebten in London und schmiedeten Pläne für die Schule, die sie errichten wollten. So sehr sie ihre jüngste Tochter liebte, so froh war sie darüber, sie nicht ständig um sich zu haben. Man wusste nie, was Vivian als Nächstes ausheckte. Die vielen Diskussionen und stürmischen Streitgespräche waren auf die Dauer doch recht ermüdend. Blieb nur noch Agatha. Ihre Nichte, die ihr so lange Zeit eine treue Gefährtin gewesen war, reiste ebenfalls nach Wien, und niemand wusste, wann sie zurückkommen würde. Lady Panswick setzte die Brille wieder auf und tauchte die Feder in das Tintenfass.

Grüß mir Agatha, schrieb sie etwas unvermittelt. Ich hoffe, es geht ihr gut und sie findet an der Rolle als Gouvernante für das herzogliche Kind Gefallen.

Sie ließ die Feder wieder sinken. Man hatte ihr gesagt, Agatha sei auch als Gastgeberin und Begleiterin des Herzogs vorgesehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie man das bewerkstelligen wollte, ohne den Leuten Anlass zu Getratsche zu geben. Aber gut, sie war kaum je aus Tunbridge Wells hinausgekommen. Was wusste sie über Sitten und Gebräuche in fernen Landen? Vielleicht war man ja dort aufgeschlossener, was Auftritte eines unverheirateten Mannes und einer Witwe auf gesellschaftlichem Parkett betraf.

Für Dich wird sich die Anwesenheit Deiner Cousine auch als Segen erweisen. Sie hat so viel Interessantes zu erzählen. Ich kann mir vorstellen, dass dadurch die weite Reise auf das Angenehmste verkürzt wurde.

Die Viscountess überlegte. Welche Ratschläge und Ermahnungen konnte sie ihrem älteren Sohn am besten noch mit auf den Weg geben? Er war vor Kurzem einundzwanzig und damit großjährig geworden, er würde sich allzu viele Einmischungen in sein Leben verbieten.

Nachträglich unsere besten Wünsche zu Deinem Geburtstag, mein Sohn. Mit deiner Großjährigkeit steht Dir nun das Geld zu, dass Dir Deine Urgroßmutter vermacht hat. Du bist nicht nur der Vormundschaft Deines Schwagers entwachsen, sondern auch unabhängig von dessen finanziellen Zuwendungen. Geh klug mit Deiner neu gewonnenen Freiheit um.

Sie hielt wieder inne. Der Briefbogen war nun schon fast vollständig beschrieben und sie war zu sparsam, um einen neuen zu beginnen. Eines musste sie allerdings noch unbedingt loswerden: Sicher wird Wien eine Vielzahl an Verlockungen weiblicher Natur für dich bereithalten, mein Lieber. Handle nicht unüberlegt, und ich bitte dich inständig, bedenke stets, welche Verbindung man von einem Viscount erwartet. Erwähle Dir daher auf keinen Fall eine Ausländerin zur Frau. Mag sie noch so hübsch und anziehend sein.

Dann strich sie das Wort bitte durch und ersetzte es durch ermahne, bevor sie zum Siegelwachs griff und den Briefbogen verschloss.

Küsse am Wiener Kongress

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