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Kapitel 6 Vier Tage vor dem Treffen in Watford
Millcombe Castle, Landsitz des Marquess of Beaconsfield
ОглавлениеAm nächsten Tag kurz nach dem Frühstück versammelte der junge Marquess nicht nur seine Schwester und die angebliche Tante um den Tisch, sondern bat auch Jack und Marie hinzu. Obwohl so ein Vorgehen höchst ungewöhnlich war, war es nicht das erste Mal, dass sich der Hausbursche und die Köchin mit an den Tisch setzten. Und doch fragte sich Mrs Allington insgeheim, ob sie nicht eigentlich Protest dagegen einlegen müsste. Wo käme denn die noble Gesellschaft hin, würde sie sich mit dem einfachen Volk verbrüdern! Doch Master Sebastian war beinahe erwachsen und immer noch ihr Herr und sie nur die Dienerin. Also schalt sie ihn nur dann, wenn sie es für unumgänglich hielt, und das war hier nicht der Fall.
»Prestwood ist abgereist und Tuckenhay hat das Bett noch nicht verlassen. Ich will die Zeit nutzen, um euch über meine nächsten Pläne zu unterrichten.« Der Marquess schaute in die Runde vertrauter Gesichter, die erwartungsvoll zu ihm aufblickten. Seine Augen blieben an seiner Schwester hängen. »Ich fürchte, du hast mit deinem Verdacht recht, Amabel. Anscheinend trachtet mir unser Vormund tatsächlich nach dem Leben.«
Marie ließ einen erschrockenen Schrei hören und schlug sich gleich darauf die Hand auf den Mund. Sebastian erzählte in kurzen Worten, was sich am Vorabend zugetragen hatte, und schloss mit der Bemerkung: »Prestwood wird in wenigen Tagen zurückkehren und mit ihm diese ominöse Jagdgesellschaft und eine Gemahlin, von deren Existenz wir bisher noch nichts wussten.«
»Sie dürfen auf keinen Fall mit von der Partie sein, wenn die Männer mit Gewehren losziehen, Master Sebastian«, hielt es Mrs Allington für notwendig, das Selbstverständliche auszusprechen.
»Ich denke, ich darf überhaupt nicht mehr hier auf Millcombe Castle sein, wenn die Gesellschaft eintrifft«, berichtigte sie der junge Herr. »Bei so vielen Menschen wird über kurz oder lang irgendjemand die List mit dem gepanschten Whisky aufdecken und dann werden sie mich erst recht wieder bis zum Kragen mit Alkohol abfüllen. Ich wäre schon einmal beinahe die Kellertreppe hinuntergestürzt. Keine Ahnung, welche Fallen man mir als Nächstes stellen wird.«
»Natürlich musst du von hier weg«, rief seine Schwester. Dann runzelte sie die Stirn: »Aber wo willst du hin? Wir kennen doch niemanden, an den du dich wenden könntest.«
»Ach, mach dir um mich keine Sorgen. Ich reite einfach los und werde schon etwas Passendes finden«, antwortete ihr Bruder unbekümmert.
»Sollten Sie nicht doch besser diesen Mr Laurence, den Rechtsanwalt, um Rat fragen?«, meinte die Haushälterin, die den jugendlichen Leichtsinn ihres Herrn nicht teilte. »Vielleicht können Sie ihn ja in einem persönlichen Gespräch doch noch davon überzeugen, Ihnen einen Teil des Erbes vorzustrecken.«
»Wohl kaum.« Sebastian verzog unwillig das Gesicht. »Das hätte er längst getan, wenn er gewollt hätte. Dass sich der Mann so strikt an das Gesetz und Vaters Vorgaben hält, hat allerdings auch etwas Gutes. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass es dadurch Prestwood unmöglich gemacht wird, mein Geld zu verprassen, bevor ich volljährig geworden bin.«
»Umso wichtiger ist es, dass Sie Mr Laurence aufsuchen«, ließ Mrs Allington nicht locker. »Jetzt, da Sie wissen, was für ein Mensch Ihr Onkel ist. Reden Sie mit ihm, erklären Sie ihm die Sachlage.«
Sie hatte so eindringlich gesprochen, dass Sebastian versprach, darüber nachzudenken.
»In London werde ich allerdings nicht bleiben können«, sagte er dann. »Zum einen, weil ich gehört habe, dass alles viel teurer ist als auf dem Lande, und zum anderen, weil dort sicherlich jede Menge Bekannte unseres Vormunds herumlaufen. Es fehlte mir gerade noch zu meinem Glück, dass man mich erkennt und gegen meinen Willen nach Millcombe Castle zurückschleppt.«
Amabel hatte damit begonnen, die Fransen des Tischtuchs zu Zöpfen zu flechten, um ihren nervösen Händen etwas zu tun zu geben. Nun hielt sie kurz inne: »Unser Geburtstag ist erst am 22. Januar. Es sind noch mehr als acht Monate, bis du volljährig bist und über deinen Besitz verfügen kannst. Wovon willst du bis dahin leben?«
»Ich werde mir wohl eine Arbeit suchen müssen«, erklärte Sebastian. Seine Stimme klang, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit. Marie hingegen ließ den nächsten erschrockenen Laut hören.
»Ja, aber als was denn?«, wollte seine Schwester wissen.
»Fragst du das im Ernst?«, fuhr ihr Bruder auf. »Glaubst du wirklich, ich sei zu nichts nütze? Ich bin jung, ich bin kräftig und ich denke, ich habe seit Vaters Tod mehr als einmal bewiesen, dass ich zupacken kann. Also stell mich nicht hin, als wäre ich nichts als ein verwöhnter, adeliger Taugenichts, der …«
»Ich stell dich als gar nichts hin«, unterbrach ihn Amabel. »Ich mache mir Sorgen.«
»Kinder!«, die Haushälterin erhob die Stimme. »Ein Streit nützt hier niemandem etwas. Wollen Sie, dass Jack Sie begleitet?«
»Ja, freilich tu ich das«, rief der junge Diener aus. »Ich lasse doch Master Seb nicht allein in sein Unglück rennen.«
»Sehr gut«, die Haushälterin nickte zufrieden.
»Das kommt doch gar nicht infrage«, meinte dagegen der Marquess. »Jack, du wirst hier gebraucht. Ich möchte mein Heim dem Vormund und seinen Kumpanen nicht schutzlos überlassen. Du musst, soweit es dir eben möglich ist, nach dem Rechten sehen. Ich werde nur Firefly mitnehmen und dir den Gig und den alten Wallach hierlassen. Damit kannst du weiter deine Besorgungen machen. Außerdem«, er grinste in die Runde, »würde es doch wahrlich seltsam aussehen, wenn ich mich bei einem Bauern verdingen wollte und meinen eigenen Diener mitbrächte.«
»Ganz so schutzlos ist Ihr Heim doch nicht. Immerhin bin ich auch noch da«, wandte Mrs Allington ein, wurde aber durch ein Kopfschütteln ihres Herrn zum Schweigen gebracht.
»Mit Sicherheit nicht, Tante Alli«, lautete dessen Protest. »Ich werde es nicht zulassen, dass meine Schwester und Sie im Haus sind, wenn die Meute hier einfällt. Prestwood hat mir aufgetragen, Sie nach … dorthin zurückzuschicken, wo sie angeblich herkommen. Seine unbekannte Gattin soll die Aufsicht über Amabel übernehmen. Außerdem will er sie mit einem seiner Freunde vermählen.«
Seine Schwester schnappte entsetzt nach Luft. Sebastian legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
»Keine Sorge, du wirst nicht hier sein, wenn die Leute eintreffen.« Er wandte sich wieder an die Haushälterin. »Ich weiß, dass es Sie seit Langem dazu drängt, sich um ihre kranke Schwester zu kümmern, Tante Alli, und ich kann Ihnen gar nicht genug dafür danken, dass Sie uns nicht im Stich gelassen haben. Doch jetzt ist es an der Zeit, dass Sie Ihr Vorhaben in die Tat umsetzen. Hat Ihre Schwester genügend Platz, um auch Amabel bei sich aufzunehmen? Ich wäre beruhigt, wenn ich wüsste, wo sie sich aufhält und wohin ich ihr etwaige Nachrichten schicken kann.«
»Da Prudence in Kürze wegzieht, steht ein Zimmer frei«, überlegte Mrs Allington, die keinen Grund sah, gegen diesen Plan Einwände zu erheben.
»Beaconsfield ist klein, Bruder«, war es aber Amabel, die dies tat. »Es wird nicht ausbleiben, dass ich beim Spazierengehen unserem Vormund oder Mr Tuckenhay über den Weg laufe. Außerdem wird sich meine Anwesenheit in der Stadt herumsprechen.«
Sebastian seufzte. »So leid es mir tut, aber ich fürchte, du wirst dich verstecken und auf Spaziergänge verzichten müssen.« Wieder legte er ihr die Hand auf die Schulter. »Es sind nur mehr acht Monate, meine Liebe, die werden wir doch auch noch überstehen.« Er blickte ihr tief in die Augen und als er sah, dass sie sich mit Tränen füllten, zog er seine Schwester an sich. »Nur mehr acht Monate«, wiederholte er. »Wir haben so viel geschafft. Diese Zeit werden wir auch noch überstehen. Und dann beginnt unser neues Leben.«
Amabel nickte tapfer und gab ihm zum Zeichen ihres Einverständnisses einen Kuss auf die Wange.
»Dann ist ja alles geklärt.« Mrs Allington klatschte in die Hände und durchbrach damit ganz bewusst die bedrückte Stimmung. »Lasst uns nicht länger herumsitzen, sondern unseren Plan in die Tat umsetzen. Jack, pack nur das Nötigste für Master Sebastian in die Satteltaschen. Wobei … hast du Kleidung, die du nicht benötigst? Ich denke, seine Lordschaft wird es einfacher haben, wenn man ihn nicht gleich auf den ersten Blick als eine solche erkennt.«
»Das ist eine brillante Idee, Tante Alli«, rief Sebastian begeistert, um sich dann selbst zur Ordnung zu rufen: »Allerdings kann ich Jack nicht zumuten, mir zuliebe auf etwas zu verzichten …«
»Keine Sorge, Master Seb«, kam auch schon dessen fröhliche Antwort. »Wenn das alles ist, was ich für Sie tun kann, dann mache ich es gern. Ich werde Ihnen auch ein Paar von meinen derben Arbeitshandschuhen einpacken. Glauben Sie mir, die werden Sie brauchen.«
»Was für eine gute Idee«, lobte Mrs Allington, während Sebastian seinem Diener und Freund dankbar auf den Rücken klopfte. Die Haushälterin übernahm in bewährter Manier das Kommando. »Marie, gib deinem Bruder eine paar Flohfallen. Dazu ein Stück Seife und zwei Kerzen für den Notfall. Natürlich auch ein Fläschchen von der Blutwurztinktur. Gib zwei dazu, die wir mitnehmen können.« Nachdem die Dienerin genickt hatte, wandte sie sich wieder an den Hausherrn: »Diese Tinktur können Sie auftragen, wenn Sie sich verletzt haben. Eingenommen wirkt sie Wunder, wenn Ihnen eine ungewohnte Kost zu schaffen macht.«
»Na, da bin ich ja bestens versorgt«, antwortete Sebastian leichthin, um sich seine Rührung nicht anmerken zu lassen.
»Wir haben noch sechs Goldmünzen«, sagte sie dann. »Wie viel gedenken Sie, davon mitzunehmen?« Als sie merkte, dass er ein Veto einlegen wollte, blieb sie hartnäckig. »Sie brauchen etwas zur Sicherheit, mein Junge. Mindestens drei Stück, damit Sie sich ein Zimmer in einem anständigen Gasthaus leisten können, bis sie weit genug von Beaconsfield entfernt sind. Und um sich über Wasser zu halten, sollten Sie nicht sofort einen geeigneten Arbeitsplatz finden. Die dritte wird Ihnen jederzeit den Weg zurück nach Hause ermöglichen. Ich nähe die drei in den Saum Ihres Mantels ein. Denken Sie stets daran, ihn als Kopfkissen zu verwenden, wenn Sie schlafen. So kann Ihnen niemand Ihre eiserne Reserve stehlen.«
»He, was ist los! Wo sind denn alle?«, hörten sie eine barsche Stimme von der Treppe her. Offensichtlich hatte Mr Tuckenhay den Rausch vom Vorabend inzwischen ausgeschlafen. »Ich habe Hunger. Wann bekommt man denn in diesem Haus endlich etwas zu essen, verdammt noch mal?«