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Kapitel 5 Fünf Tage vor dem Treffen in Watford
Millcombe Castle, Landsitz des Marquess of Beaconsfield
Mai 1812

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»Jetzt zier dich doch nicht wie ein spätes Mädchen, Junge, trink!«

Mr Edgar Prestwood war aufgestanden, hinter sein Mündel getreten und drückte ihm nun das Glas so fest gegen die Lippen, dass dessen Kopf nach hinten sank und ihm nichts anderes übrigblieb, als den Mund zu öffnen. Er würgte, als ihm die honigbraune Flüssigkeit die Speiseröhre hinunterrann. Für einen elendslangen Moment fürchtete er schon zu ersticken, doch dann ließ ihn sein Vormund gerade noch so rechtzeitig los, dass er sich aufrichten konnte, bevor er spuckte, hustete und nach Luft rang. Mr Tuckenhay ließ ein wieherndes Lachen hören, das wie seine langen gelben Zähne an ein Pferd erinnerte. Sebastian hatte viel zu viel damit zu tun, wieder zu Atem zu kommen, als dass er ihn beachtet hätte. Er war den Genuss von Alkohol nicht gewöhnt und es wäre ihm nie eingefallen, ein Glas Whisky in einem Zug zu leeren. Nicht einmal dann, wenn man ihn mit Tee gepanscht hatte, so wie es an diesem Abend zum Glück der Fall war.

Was für ein ekelhaftes Zeug! Als er achtzehn wurde, hatten ihm seine Eltern gestattet, bei Tisch das eine oder andere Glas Wein zu trinken, und Vater hatte ihm anschließend auch etwas von seinem geliebten Port gegönnt. Doch Papa wäre nie auf die Idee gekommen, sich so sinnlos zu betrinken, wie es sein Vormund und dessen Freund jeden Abend taten. Und wie sie es auch von ihm verlangten. Der Whisky, den Prestwood in einem Laden in Beaconsfield erstanden hatte, war scharf und von einem so ekelhaften Raucharoma, dass ihm schon übel wurde, wenn er nur daran roch. Dennoch zwang ihn der Onkel, bei seinen Saufgelagen mitzumachen. Während der letzten beiden Monate hatte er darauf bestanden, den Weinkeller weitere Male zu inspizieren, um sicherzugehen, dass sich nicht doch noch eine Flasche Hochprozentiges vor ihm versteckte. Eines Abends war Sebastian so betrunken gewesen, dass er um ein Haar die steile Kellertreppe hinuntergestürzt wäre. Mit mehr Glück als Verstand war es ihm im letzten Augenblick doch noch gelungen, sich an den schmiedeeisernen Handlauf zu klammern. Mrs Allington und Amabel waren außer sich gewesen, als er ihnen am nächsten Morgen kleinlaut davon erzählte.

»Das hat das Scheusal mit voller Absicht getan«, hatte Amabel ausgerufen. »Er will, dass du dir das Genick brichst, damit er sich dein Vermögen und den Titel unter den Nagel reißen kann.«

»Achten Sie auf Ihre Sprache, junge Lady«, folgte die umgehende Rüge der angeblichen Tante. »Es gibt keinen einzigen Grund, der es einer Dame von Stand erlaubt, sich wie ein Stallbursche auszudrücken. Außerdem haben wir keinen Beweis dafür, dass er tatsächlich derart Böses im Schilde führt. Doch natürlich müssen wir wachsam sein und Vorsorge treffen.« Sie war zum Klingelstrang hinübergetreten, um energisch daran zu ziehen. Jack hatte nicht lange auf sich warten lassen.

»Ich habe einen besonderen Auftrag für dich«, hatte Mrs Allington verkündet. »Du wirst eine Karaffe mit schwarzem Tee füllen. Achte darauf, dass er in der Farbe der von Whisky gleicht, und gib auch ein wenig vom Alkohol dazu, damit sich das Getränk nicht am Geruch verrät. Wenn du an den Abenden die Herren bedienst, so füllst du das Glas für Master Sebastian aus dieser Karaffe, während eine zweite mit purem Whisky für die Männer bestimmt ist. Sieh zu, dass man dir nicht auf die Schliche kommt.«

Daraufhin hatte Amabel in die Hände geklatscht und gemeint, Tante Alli sei die Allerbeste. Etwas, dem Sebastian nun vollen Herzens zustimmte, als sich der Hustenreiz gelegt hatte und er wieder frei atmen konnte. Das Gesöff hatte zwar scheußlich geschmeckt, aber zumindest war er Herr seiner Sinne geblieben.

»Ich werde morgen nach London zurückkehren«, sagte Prestwood in diesem Augenblick und lehnte sich im Stuhl zurück. Er beanspruchte ganz selbstverständlich den Platz des Familienoberhaupts an der Stirnseite der Tafel, der seit dem Tod des Vaters leer geblieben war.

»Tatsächlich?« Sebastian gratulierte sich zu seiner Selbstbeherrschung. Er hätte am liebsten laut aufgejubelt. Die letzten beiden Monate waren unerträglich gewesen. Prestwood zog die Augenbrauen zusammen, bevor er sich mit einem spöttischen Grinsen erkundigte: »Wirst du mich am Ende gar vermissen, Neffe?«

»Äh«, der Jüngere zermarterte sich das Hirn, was er am besten darauf antworten sollte. »Das Haus wird still sein ohne dich«, sagte er schließlich diplomatisch.

Da lachte der Ältere auf: »Ich lasse euch den guten Tuckenhay hier, damit es nicht gar zu still wird. Außerdem …«

»Was soll denn das heißen, du lässt mich hier?«, fuhr sein Freund auf. Seine Stimme klang verwaschen und er so trotzig wie ein Dreijähriger. »Ich mag nicht bleiben, Edi. Was soll ich denn in dieser Einöde ohne dich? Die haben ja hier nicht einmal ein ordentliches Freudenhaus.«

»Du sollst mich vor allem nicht unterbrechen«, wies ihn Prestwood streng zurecht. »Keinen interessiert, was du willst, Tucky!«

Er sah zu Sebastian hinüber, der steif auf seinem Stuhl saß und den Augenblick herbeisehnte, an dem er endlich in sein Zimmer verschwinden konnte.

»Ich komme bald wieder zurück, also freu dich nicht zu früh.«

Der junge Marquess musste sich eingestehen, dass sein Aufatmen doch nicht so diskret vor sich gegangen war, wie er gehofft hatte. Sein Vormund wandte sich an Jack, der mit unbewegter Miene am Rand des Raums stand. »Du kannst in der Zwischenzeit die Zimmer richten lassen, Bursche. Ich werde ein paar Freunde und meinen Kammerdiener mitbringen. Und wohl auch den Butler, damit endlich Ordnung einkehrt in diese schäbige Bude.«

»Sehr wohl, Sir«, war das Einzige, was Jack antwortete.

»Meine Freunde lieben es, mit mir auf die Jagd zu gehen«, setzte Prestwood fort. »Sie sind leidenschaftliche Schützen und ballern gern durch die Gegend. Die Einöde, wie Tucky es nennt, hat auch etwas Gutes. Hier gibt es bestimmt genug Wild, um ihre Jagdlust zu befriedigen.« Er lachte laut auf und schlug mit der Handfläche auf die Tischplatte. »Ich sage euch, wie ich meine Männer kenne, haben die die Wälder leer gefegt, so schnell können wir gar nicht schauen.«

»Aber«, kam Sebastians umgehender Protest. »Das Wild ist für uns wichtig. Wir schießen nur das, was wir zum Leben brauchen.«

»Jetzt jammert er schon wieder«, mokierte sich sein Onkel. »Sorge lieber dafür, dass alles bereitsteht, wenn ich mit meinen Gästen zurückkomme. Waffen und Pferde bringen wir selbstverständlich mit, es ist ja nichts Anständiges da in diesem Armenhaus. Hilf deinem Burschen, die Zimmer zu richten, und sorge für ausreichenden Vorrat an Speis und Trank.«

»Mit welchem Geld soll ich denn das Gewünschte bezahlen?«, wollte Sebastian wissen. So weit kam es noch, dass er, der zukünftige Marquess, die Dienstmagd für Prestwoods Kumpane spielte. Er würde Jack beauftragen, ein paar Mädchen aus dem Dorf zu holen.

»Ich werde dir die nötigen Mittel genehmigen«, antwortete der Onkel mit großzügiger Geste.

Von meinem eigenen Geld, dachte der Jüngere bitter, für gottverdammte Freunde, die nicht meine sind. Er kniff die Lippen zusammen und schwieg jedoch.

»Wen gedenkst du denn einzuladen?«, wollte Tuckenhay wissen. Offensichtlich hatte er seinen Widerstand aufgegeben, denn er lehnte sich nun neugierig nach vorn. »Doch nicht etwa deinen Bruder Lionel?«

Wieder lachte Mr Prestwood auf: »Aber selbstverständlich, der darf doch bei keiner ordentlichen Schießerei fehlen. Dazu Kenneth und Kurt und wahrscheinlich auch die Steward-Brüder.«

Tuckenhay verdrehte die Augen: »Das kann ja heiter werden.«

Es klang alles andere als das. Gierig nahm er einen weiteren Schluck.

»Was ist denn mit diesen Gentlemen?«, erkundigte sich Sebastian alarmiert. »Sie klingen nicht sonderlich erfreut, Mr Tuckenhay.«

Während dieser in seinem vernebelten Verstand nach einer sinnvollen Antwort suchte, ergriff Prestwood das Wort: »Nun, der gute Lionel ist fast so blind wie ein Maulwurf und schießt dennoch gnadenlos auf alles, was sich bewegt«, begann er und fand damit einen Grund für weiteres Gelächter. Dann bemerkte er, dass das Glas in seinen Händen leer war, und blickte sich um: »He, du da! Was stehst du so sinnlos herum? Muss ich etwa selbst dafür sorgen, dass ich nicht auf dem Trockenen sitze?«

Er wollte sich erheben, fiel jedoch, betrunken wie er war, umgehend auf den Stuhl zurück. Jack eilte mit der Karaffe herbei und schenkte ihm nach. Sebastian zog scharf die Luft ein. Das hätte ihm zu seinem Glück gerade noch gefehlt, dass der Onkel zur falschen Karaffe gegriffen und so den Schwindel mit dem gepanschten Whisky aufgedeckt hätte.

»Im letzten Jahr hat Lionel einem Treiber ins Bein geschossen«, erinnerte sich Tuckenhay. »Und im Herbst hat nicht viel gefehlt und er hätte den Duke of Warminster erledigt.«

»Na und? Wäre es um den alten Zausel etwa schade gewesen?«, fragte Prestwood trocken.

Dann lachten die beiden so sehr, dass sie davon Schluckauf bekamen. Tuckenhay klopfte mit der flachen Hand mehrfach auf den Tisch und rief immer wieder, dass sein Freund wahrhaft unvergleichlich sei. Dem konnte Sebastian nur aus ganzem Herzen zustimmen, wenngleich er es nicht als Kompliment meinte. Er bemühte sich, den Mund zumindest zu einem halbwegs amüsierten Grinsen zu verziehen, doch sein Bedürfnis zu fliehen nahm immer größere Ausmaße an. Wenn Amabel mit dem Verdacht, dass ihn der Onkel aus dem Weg räumen wollte, recht hatte, dann war die Jagd dazu bestens geeignet. Es würde wie ein Unfall aussehen. Alle würden den Vorfall betrauern, aber bei so vielen Schützen würde man den wahren Mörder nicht entlarven können und die Untersuchungen würden im Sand verlaufen. Noch dazu, da es sicher genügend Zeugen geben würde, die Stein und Bein schworen, er, Sebastian, hätte sich aus jugendlichem Leichtsinn selbst in Gefahr gebracht. Entschlossen richtete er sich in seinem Stuhl auf.

»Ich spreche mich gegen diese Jagdgesellschaft aus«, sagte er und schob das Kinn vor, als könnte er damit irgendjemanden beeindrucken. »Unsere Tante Alli ist keine Freundin von solchen Belustigungen auf Kosten der Tiere.« Sebastian wünschte sich, es wäre ihm ein triftigerer Grund für seine Weigerung eingefallen.

»Er spricht sich gegen deine Jagdgesellschaft aus«, wiederholte Tuckenhay und sein Lachen war nun so stark, dass er beinahe vom Stuhl gerutscht wäre. »Huhu, hast du das gehört, Edgar?« Er fuchtelte mit seinen großen bleichen Händen in der Luft herum, als würde er einen Geist nachahmen. »Der Grünschnabel hat etwas gegen deinen Plan einzuwenden.«

Sein Getue beunruhigte Sebastian viel weniger als die Tatsache, dass sein Vormund abrupt mit dem Lachen aufgehört hatte und ihn nun mit eiskalten Augen zu durchbohren schien. »Wage es nicht noch einmal, mir zu widersprechen, Junge, oder du wirst die Peitsche zu spüren bekommen. Der seltsamen alten Fuchtel, die ihr eure Tante nennt, kannst du ausrichten, sie möge die Koffer packen. Ihre Dienste werden nicht mehr benötigt. Sie kann zurück nach … wo immer sie auch herkommt. Und nun sorge dafür, dass mir nachgeschenkt wird. Was bist du denn für ein miserabler Gastgeber?«

Jack trat vor und füllte das Glas.

»Meine Schwester braucht eine Anstandsdame«, wandte Sebastian ein.

»Da hat er recht«, stimmte ihm Tuckenhay zu und die Worte klangen nur mehr wie ein Nuscheln. Dann sackte er nach vorn und sein Kopf knallte auf die Tischplatte, wo er liegen blieb. Umgehend war ein lautes Schnarchen zu hören.

»Bursche!«, befahl Prestwood an Jack gewandt. »Räume die traurige Gestalt hier weg. Er ist kein Anblick, den ich mir zumuten möchte.«

Damit bewies er eindrücklich, dass er nicht nur ein abscheulicher Vormund war, sondern auch ein ebensolcher Freund. Jack warf Sebastian einen Blick zu und fasste, als dieser nickte, dem Betrunkenen unter den Arm.

»Was die Duenna betrifft«, nahm Mr Prestwood den Faden wieder auf, als er mit seinem Mündel allein war, »so gebe ich dir ausnahmsweise recht. Deine Schwester ist zu hübsch, um sich ohne Begleitung aus dem Haus wagen zu dürfen. Ich muss sie schleunigst unter die Haube bringen. Meine Gattin wird auf sie achtgeben. Ich darf nicht vergessen, sie ein paar Tage später nachkommen zu lassen, auch wenn mich das viel von meinem Spaß kosten wird.«

Sebastian brannten so viele Fragen auf der Zunge, dass er gar nicht wusste, womit er beginnen sollte. Er atmete tief durch und erkundigte sich in einem, wie er hoffte, ruhigen Tonfall: »Du beabsichtigst, Amabel unter die Haube zu bringen?«

»Selbstverständlich«, kam die prompte Antwort. »Was denkst du denn, warum ich die dämlichen Steward-Brüder zu meiner Jagdgesellschaft einladen will? Ich kann die beiden nicht ausstehen. Niemand kann sie ausstehen, wenn ich es mir recht überlege. Aber sie stinken vor Geld. Die sind sicher bereit, mir eine angemessene Summe dafür zu bezahlen, dass ich sie einem von ihnen zur Frau gebe. Wer von beiden die Kleine dann nimmt, ist mir herzlich egal.«

Sebastian wurde schlagartig bewusst, dass nicht nur er, sondern auch seine Schwester aus dem Haus sein musste, bevor der Onkel aus London zurückkam.

»Tuckenhay wird auf euch aufpassen. Ich werde ihm befehlen, euch nicht von der Seite zu weichen«, erklärte Prestwood gerade so, als habe er wieder Sebastians Gedanken erraten. »Also kommt mir nicht auf dumme Ideen!«

»Ich wusste nicht, dass du verheiratet bist, Onkel«, hielt es der junge Marquess für ratsamer, das Thema zu wechseln. Vor Tuckenhays Aufsicht fürchtete er sich nicht. Der Mann war schon am Vormittag angesäuselt und jeden Abend sturzbetrunken, der würde seine Pläne nicht durchkreuzen.

»Auf meiner Reise hatte ich das Glück, in Rom die schönste Frau des Kontinents kennenzulernen. Die edle Contessa Amerina di Monteviale.« Prestwood ließ den Namen mit einer großartigen Geste über die Zunge gleiten. »Ich kann dir nicht sagen, was ich mehr an ihr schätze, die großzügige Mitgift oder ihren aufregenden Körper.« Er formte mit den Händen kurvige Konturen in die Luft und lachte spöttisch auf, als er erkannte, dass dem jungen Mann die Röte ins Gesicht stieg. »Aber wahrscheinlich schätze ich es am meisten, dass sie kaum Englisch spricht und mir daher keine Widerworte geben kann.« Er nahm einen weiteren tiefen Schluck aus seinem Glas und schien ganz in Gedanken zu versinken, bevor ein spöttisches Lächeln auf seine Lippen trat. »Ihr Vater dachte doch glatt, ich sei der Marquess of Beaconsfield und nicht nur sein, also dein, Vormund. Es wäre unhöflich gewesen, ihm zu widersprechen, meinst du nicht auch? Außerdem konnte ich nicht zulassen, dass er mir die Zustimmung zur Ehe verweigert, wo ich doch sein Geld brauchte, um auf komfortablem Weg nach Hause zurückzureisen und mir dort ein Haus zu kaufen.«

Von der Halle her war ein lautes Rumpeln zu vernehmen. Für Sebastian war das die Gelegenheit, dem Onkel zu entkommen.

»Jack braucht meine Hilfe«, sagte er und sprang auf. »Allein schafft er es wohl nicht, deinen Freund die Treppe hinaufzuschaffen. Wenn du mich also entschuldigen würdest.«

Er verbeugte sich und eilte aus dem Zimmer.

Die skandalöse Verwechslung

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