Читать книгу Die skandalöse Verwechslung - Sophia Farago - Страница 13
Kapitel 9 Ebenfalls einen Tag vor dem Treffen in Watford,
diesmal allerdings im Haus von Mr Oscar Bradford,
Hampstead, nahe London
ОглавлениеNatürlich war es damals, als die Regency Heroes noch in Oxford studierten, auch den Professoren nicht entgangen, dass es da vier junge Männer gab, die das Geschehen an ihrer altehrwürdigen Universität bestimmten. Was sie sagten, war den anderen Studenten Gesetz. Was sie gut fanden, wurde allgemein beklatscht. Und als der schöne Mr Elliot Sandhill-Jones eines Tages mit einer eigenen Halstuchkreation auftauchte, wurde diese rasch Mode. Ja, das ging sogar so weit, dass der Oxford Chronicle eine ausführliche Anleitung zum Knüpfen des Halstuchs im Elliotus-Style abdruckte. Während drei der Freunde von den Lehrkräften bisweilen durchaus kritisch beäugt wurden, waren sich bei Mr Oscar Bradford alle Professoren einig: Das war ein junger Mann ohne Fehl und Tadel. Stets gelassen und Herr seiner Emotionen. Loyal, mit Herzensbildung, kühlem Verstand und untadeligen Manieren, dem nie ein freches (wie bei Harold), ein sarkastisches (wie bei Reginald) oder ein geflunkertes (wie bei Elliot) Wort über die Lippen kam. Hätten die würdigen Herren Oscar jedoch an diesem Nachmittag erlebt, sie hätten die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und die Welt nicht mehr verstanden. Denn Mr Oscar Bradford brüllte.
»Onkel, wie kannst du nur?«, schrie er und sein Blick schien sein Gegenüber durchbohren zu wollen. Am Anfang des Gesprächs hatte er sich noch zusammengerissen und versucht, sein Anliegen ruhig, mit wohlüberlegten Worten und überzeugenden Argumenten vorzubringen. Inzwischen hatte er längst wieder einmal einsehen müssen, dass der Wunsch, seinen Großonkel zur Vernunft zu bringen, ein Ding der Unmöglichkeit war. Während er sich so stark echauffierte, dass ihm die Röte über den Hals kroch und sein Herz rasant pochte, schnippte der alte Earl of Glazebury in aller Seelenruhe ein nicht vorhandenes Staubkorn von seinem über und über mit Rosen bestickten Gehrock. Dann gähnte er ausgiebig, ohne sich die Hand vor den Mund zu halten, zog die Perücke von seinem kahlen Schädel und sagte gelangweilt: »Wie ich das machen konnte? Oh, das war nicht allzu schwierig.« Seine kleinen, mit zahlreichen Fältchen umrahmten Augen blitzten ebenso wach wie intensiv. »Der Spaß, dich zu ärgern, ist viel zu groß, um ihn mir zu versagen.«
Oscar, der schon zu einer Erwiderung hatte ansetzen wollen, hielt inne. Natürlich hatte er längst geahnt, dass ihn sein Onkel immer öfter absichtlich zur Weißglut trieb, doch so offen hatte Glazebury das bisher noch nie ausgesprochen.
»Aber warum?«, brachte er schließlich hervor. »Ich tue doch alles, was du verlangst. Ich habe dich bei mir aufgenommen, als dein Sohn euer Anwesen abgefackelt hat und dabei bedauerlicherweise ums Leben kam. Obwohl du der Bruder unseres Großvaters bist, warst du damals für mich ein völlig Unbekannter. Noch dazu einer, der sich keinen Deut um Emily und mich geschert hat, als unsere Eltern starben.« Trotz der Bedeutungsschwere dieser Worte versuchte er, seiner Stimme einen nicht allzu bitteren Klang zu geben.
»Warum hätte ich mich um euch scheren sollen?«, fragte der Earl verständnislos und nippte nun am Tee. »Ich kannte euch doch gar nicht. Ihr wart mir nicht wichtiger …«, er schnipste mit Daumen und Zeigefinger in der Luft, »als der kupierte Schwanz meines Hundes.«
»Was für ein schmeichelhafter Vergleich, vielen Dank auch«, fuhr Oscar auf. »Da kannst du ja von Glück reden, dass ich anders gedacht habe. Damals, vor einem guten Jahr, als du vor den rauchenden Ruinen von Glazebury Manor gestanden hast. Dein werter Herr Sohn …«
»… geht dich einen feuchten Kehricht an!« Die Tasse wurde klirrend abgestellt und der schmale Körper des Onkels schnellte nach vorn. Auch seine Stimme war lauter geworden. Schneidender. Er schwieg kurz, biss sich auf die Unterlippe und lehnte sich dann wieder auf dem ausladenden gestreiften Sofa zurück. »Er war nicht ganz klar im Kopf, das mag schon sein. Das ist er schon als Kind nicht gewesen. Da war nichts zu machen. Im Alter wurde er dann immer verrückter.«
»So etwas soll vorkommen«, murmelte Oscar und kniff die Lippen zusammen.
»Wenn du meinst, dass dieser Kommentar originell war«, sagte der Onkel und seine Stimme klang nun wieder provozierend ruhig, »dann lass dir gesagt sein: Nein, das war er nicht. Solch dilettantisch abgefeuerten Pfeile treffen nicht ins Schwarze. Ich weiß, dass du mich nicht ausstehen kannst, mein lieber Großneffe. Aber glaube mir, ich mag dich noch viel weniger. Viel, viel weniger.«
»Aber warum?« Nun klang Oscars Stimme ebenso rat- wie mutlos. »Ich habe dir ohne zu zögern ein sicheres Dach über dem Kopf gegeben. Ich habe all deine Sachen, die den Brand überstanden hatten, hierherbringen und dir in meinem Haus eigene Räume einrichten lassen. Ich habe dich in die Familie aufgenommen. Ich bin dein einzig verbliebener männlicher Verwandter …«
»Ich … ich … ich«, äffte ihn der Ältere nach. »Du, du, du …«, sein knochiger Zeigefinger schnellte bei jedem dieser Dus anklagend in Richtung Oscars Brust. »Du bist vor allem ein elender Erbschleicher!« Er ließ ein glucksendes Kichern hören, als er merkte, dass sich nun auch die Wangen seines Großneffen rot färbten und der junge Mann schwer schluckte. »Aber ich werde dir die Suppe schon noch versalzen«, legte er ein Schäuflein nach. »Ich suche mir eine junge Braut und mache ihr einen Sohn. Dann schaust du schön durch die Finger!«
Oscar seufzte tief.
»Nicht schon wieder die alte Leier«, sagte er dann und klang müde. »Diese Drohung höre ich jetzt schon seit Monaten. Wo ist sie denn, die junge Braut? Wenn dich eine hätte haben wollen, hättest du sie doch schon längst geheiratet.«
Du bist alt, unausstehlich und du hast kein Geld, da wird dir der Titel allein auch nichts nützen, dachte er im Stillen und hoffte, dass er damit recht behielt. In diesem Zusammenhang half ihm sogar die Boshaftigkeit des Alten. Ein liebenswürdiger Greis hätte sicher bessere Chancen bei der Damenwelt und im Kreise ihrer ehrgeizigen Eltern. Aber so einen gehässigen Methusalem wollte sich niemand als Schwiegersohn antun.
»Dreitausend Pfund«, kam Oscar zum eigentlichen Thema zurück. »Wegen einer völlig sinnlosen Wette über sinnlose Regentropfen. Ist dir eigentlich bewusst, dass das Geld für Emilys Debüt bestimmt war? Weißt du, wie traurig sie darüber ist, dass ich mir ihren Aufenthalt in London dieses und wahrscheinlich auch nächstes Jahr nicht leisten kann?«
Der Versuch, an das Herz des Großonkels zu appellieren, schlug fehl. »Soll sie doch froh sein. Vielleicht findet der König ja in der Zwischenzeit seinen Verstand wieder, und dann kann sie ihren Knicks vor dem richtigen Herrscher machen und nicht vor seinem ausgefressenen Sohn, der das Vermögen verschleudert, als wären es«, er grinste verschlagen, »sinnlose Regentropfen.«
Oscar verzog das Gesicht, schnaufte unwillig und beschloss, sich von ihm nicht noch weiter provozieren zu lassen.
»Ich kann es nur noch einmal wiederholen, Onkel. Halte dich mit dem Schuldenmachen zurück und verzichte auf unsinnige Wetten. Wenn du es nicht schon mir zuliebe machst, tu es für Emily.«
Für einen kurzen Moment hatte es den Anschein, als hätte er nun doch einen Nerv bei seinem Großonkel getroffen. Zumindest murmelte er irgendetwas vor sich hin, was sich mit gutem Willen als Einlenken interpretieren ließ. Oscar, erfreut darüber, dass ihm dies gelungen war, hielt es für angebracht, noch eine Bemerkung nachzulegen: »Stell dir vor, meine kleine Schwester überlegt sogar, was sie dazu beitragen könnte, um unsere angespannte finanzielle Situation zu verbessern.«
»Braves Mädel«, sagte der Alte und in seinen Augen leuchtete es wieder boshaft. »Warum soll sie auch immer auf der faulen Haut liegen und sich die Locken kämmen? Arbeit hat noch nie jemandem geschadet.«
Nach dieser Ungeheuerlichkeit machte sein Großneffe auf der Stelle kehrt, verließ das Wohnzimmer des Onkels und schlug die Tür hinter sich zu. Niemand verlangte von einer Dame von Stand, dass sie sich die Hände schmutzig machte. Ja, mehr noch, niemand erlaubte es ihr, sich der Idee auch nur zu nähern. Das wusste der Alte nur zu gut. Oscar war so wütend, dass ihm nichts anderes zu seiner Beruhigung einfiel, als ohne Aufschub zu den Stallungen zu eilen, um sein Pferd satteln zu lassen. Ein gestreckter Galopp über Wiesen und Felder würde ihn hoffentlich auf andere Gedanken bringen.
Als er über den bekiesten Weg zu den Stallungen hinter dem Haus eilte, hörte er die Hufe zweier Pferde, die sich ihm näherten. Er fuhr herum und sah einen Phaeton durch das schmiedeeiserne Einfahrtstor hereinkommen. Es bedurfte keines zweiten Blicks, um zu erkennen, dass es sich dabei um seinen eigenen Sportwagen handelte. Auf dem Kutschbock thronte niemand anderes als seine Schwester, die das Paar Grauer, das er erst kürzlich auf Reginalds Anraten günstig aus einem Nachlass erworben hatte, mit beeindruckend sicherer Hand lenkte. Nach dem unerfreulichen Vormittag im White’s Club, wo er die Wettschulden seines Onkels beglichen hatte und sich Spott, Hohn und gute Ratschläge der anwesenden Gentlemen hatte anhören müssen, und dem noch unerfreulicheren Nachmittag im Wohnzimmer des störrischen Earls war Oscar nicht in der Stimmung, die Kutschierkünste seiner Schwester anzuerkennen.
»Bist du von allen guten Geistern verlassen?«, rief er stattdessen. »Wie kommst du denn auf die Idee, dir meinen Wagen auszuleihen, ohne mich vorher zu fragen?«
»Dir auch einen schönen Nachmittag, mein lieber Bruder.« Emily grinste vom Kutschbock zu ihm hinunter. Sie hatte Oscar noch nie ernsthaft verärgert erlebt und war weit davon entfernt zu erahnen, dass er dabei war, die Nerven zu verlieren. »Um deine Frage zu beantworten: Ich hatte es eilig. Außerdem warst du mit Lancelot in London, also wusste ich, dass du deinen Wagen nicht so schnell brauchen würdest. Gratuliere übrigens zum Kauf der beiden Grauen. Ashbourne hat nicht zu viel versprochen, sie sind formidable Renner.«
Mit einem gekonnten Satz sprang sie vom Kutschbock. Schon eilten die beiden Stallburschen herbei, um Tiere und Phaeton zu versorgen. Oscar konnte sich selbst nicht erklären, warum ihn die Tatsache gar so erzürnte, dass sich seine Schwester den Wagen ohne sein Wissen geliehen hatte. Vielleicht machte sich nach dem Gespräch mit dem Onkel das immer stärker werdende Gefühl in ihm breit, in seinem eigenen Haus nichts mehr zu gelten.
»Ich will nicht, dass du mit meinem Phaeton fährst«, forderte er mit einem harten Zug um den Mund. »Nein, mehr noch, ich verbiete es dir.«
Emily, die zu ihm hingetreten war, um sich bei ihm einzuhängen, verharrte im Schritt. »Warum, wenn ich fragen darf? Welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?«
»Ich will nicht, dass sich die Leute hinter deinem Rücken das Maul zerreißen. Es macht keinen guten Eindruck, wenn eine junge Lady selbst durchs Dorf kutschiert«, sagte er und die Worte klangen selbst in seinen Ohren wenig überzeugend. Also wunderte er sich nicht, dass der Widerspruch auf dem Fuße folgte.
»Ich fahre doch schon seit Jahren zu Clara hinüber. Du hast mir selbst das Kutschieren beigebracht und bisher auch nie etwas dagegen einzuwenden gehabt.«
Clara war Emilys beste Freundin. Sie war zwei Jahre älter und hatte im vorigen Jahr Baron Helmsbury geheiratet, dessen Anwesen am anderen Ende von Hampstead auf einem bewaldeten Hügel lag. Dort lebte sie mit ihrem Mann, der kleinen Tochter und ihrem fünfzehnjährigen Schwager Timothy, der sich bei einem Reitunfall als Kind beide Beine so unglücklich gebrochen hatte, dass er sich nun nur mehr beschwerlich mit zwei Stöcken fortbewegen konnte. Oscar kannte die Familie, er mochte sie alle und konnte Lady Clara gar nicht genug dafür danken, dass sie Emily als Anstandsdame zur Verfügung stand, wann immer sie dafür gebraucht wurde. Also hatte er in Wahrheit auch nicht den geringsten Grund, sich darüber aufzuregen, dass seine Schwester die Helmsburys mehrmals die Woche besuchte.
»Du nimmst in Zukunft wieder den Gig«, befahl er mürrisch.
Emily runzelte die Stirn. »Aber warum denn? Mit dem alten Wagen und nur einem Pferd brauche ich doch mehr als doppelt so lange.«
Oscar wusste, dass sie recht hatte. Außerdem: Wenn er den Phaeton tagelang nicht benötigte, war es gut, wenn die Tiere trotzdem bewegt wurden. Andererseits hatte er keine Lust, wieder einmal der zu sein, der nachgab. »Du kannst dir jedes weitere Wort sparen. Mein Entschluss steht fest«, sagte er daher. »Hände weg von meinem Wagen!«
»Ich verstehe einfach nicht, was …«, startete Emily einen neuerlichen Versuch.
»Du rührst ihn nur mehr an, wenn ich es dir ausdrücklich erlaube.« Er trat einen Schritt zurück. »Versprichst du mir das?«
Seine Schwester schnaufte unwillig, sah jedoch offensichtlich ein, dass dies das größte Zugeständnis war, das sie in dieser Sache erreichen konnte, und murmelte: »Na gut, wenn du denn so unbedingt darauf bestehst. Ich verspreche es hiermit hoch und feierlich!«
Oscar nickte. Dann standen sie sich einige Augenblicke schweigend gegenüber und keiner wusste so recht, was er sagen sollte. Seit dem Tod der Eltern waren sie ein eingeschworenes Team. Ihre unausgesprochene Devise hieß: Wir beide gegen den Rest der Welt! Was in der Realität meist bedeutete: Wir beide gegen die Eskapaden unseres Großonkels. Sie waren es nicht gewöhnt, miteinander zu streiten.
»Schade, dass du so schlechte Laune hast, ich wollte dich eigentlich mit einer erfreulichen Nachricht überraschen«, war sie es, die die angespannte Stille durchbrach. »Doch du bist offensichtlich auf dem Weg zum Stall. Willst du ausreiten?«
Ja, das war sein Plan gewesen, allerdings hatte sich die Lust dazu in den letzten Minuten verabschiedet.
»Nicht, wenn du mich mit einer guten Nachricht überraschen willst. Glaub mir, ich kann heute wahrlich etwas Erfreuliches gebrauchen. Was hältst du davon, wenn wir uns ins Wohnzimmer setzen und du mir alles erzählst? Mir scheint, die Köchin hat eine Schokorolle gebacken. Zumindest schwebt ein Hauch von Zimt durchs ganze Haus.«
Sie wusste nur zu gut, dass seine Worte ein Friedensangebot waren, lachte befreit auf und hängte sich bei ihm ein. »Das ist eine großartige Idee, mein lieber Bruder«, sagte sie und lächelte zu ihm hinauf.
Kurz darauf saßen sie in trauter Zweisamkeit im gemütlichen Wohnzimmer. Die Gemälde von Mutter und Vater schienen wohlwollend auf die kleine Sitzgruppe herabzublicken. Am runden Tischchen stand die schwere silberne Kanne auf einem ebenfalls silbernen Stövchen. In den mit zarten, grünen Ranken verzierten Tassen dampfte der Tee. Oscar hatte recht gehabt. Vor ihnen stand eine Schokorolle. Sie war mit geschlagener Sahne und einer Prise Zimt gefüllt, den ersten Erdbeeren aus dem Glashaus verziert und sah absolut köstlich aus. In einvernehmlichem Schweigen verzehrten sie genüsslich die ersten Bissen.
»Nun spann mich nicht länger auf die Folter«, forderte er und machte mit der Kuchengabel eine auffordernde Handbewegung. »Was ist das für eine erfreuliche Nachricht? Sag nicht, dass Clara bereits wieder Nachwuchs erwartet.«
Er lächelte zu seiner Schwester hinüber, glücklich darüber, dass ihr Streit nur von kurzer Dauer gewesen war. Nie und nimmer wollte er zulassen, dass sein Ärger auf den vermaledeiten Onkel auch noch einen Keil zwischen sie beide trieb.
»Ihr Baby ist doch erst ein halbes Jahr alt«, fuhr Emily auf. »Nein, mit den Helmsburys hat meine Nachricht nichts zu tun. Oder, na ja, höchstens indirekt«, begann sie und strahlte derart stolz zu ihm hinüber, dass ihm ganz warm ums Herz wurde. »Ich denke, ich habe die Lösung für unsere schlimmsten finanziellen Probleme gefunden.«
Die Wärme, die er eben noch verspürt hatte, machte blitzschnell einer bangen Kälte Platz. Instinktiv wusste er, dass ihm nicht gefallen würde, was er als Nächstes zu hören bekam.
»Tatsächlich?« Oscar stellte den Teller mit dem Kuchen ab. Ihm war der Appetit vergangen.
»Wir wissen beide, dass die einzige Möglichkeit, die einer jungen Lady offensteht, um zu Geld zu kommen, eine Vermählung ist«, erklärte Emily und übertraf damit die schlimmsten Befürchtungen. »Genau das habe ich vor.«
»Du planst, dich zu vermählen?«, vergewisserte er sich, bemüht, sich den Sturm der Emotionen, der in ihm aufzog, nicht anmerken zu lassen. »Wer ist denn der Glückliche? Ich hatte ja keine Ahnung, dass du in Liebe zu einem jungen Mann entflammt bist.«
Ihr Lächeln wurde zu einem Glucksen. »Und ich wusste nicht, dass du so ein Romantiker bist, Bruderherz.« Ein kleines Quäntchen Spott war unüberhörbar. »Hast du denn noch nichts von der Tatsache gehört, dass man in unseren Kreisen höchst selten aus Liebe heiratet? Es ist die Vernunft oder, besser gesagt, meist das Geld, das Paare dazu bringt, eine lebenslange Verbindung einzugehen.«
Er legte ihr die Hand auf den Unterarm und drückte ihn leicht. »Das gilt nicht für dich. Meine kleine Schwester heiratet aus Liebe, dafür werde ich sorgen.«
Das Lächeln verschwand aus ihren Zügen und machte kurz einem sehnsuchtsvollen Blick Platz. Dann atmete sie tief durch, setzte sich gerade auf und erklärte tapfer: »Die Liebe kann mit den Jahren wachsen.«
Das ungute Gefühl in Oscars Brust verstärkte sich.
»Sie kann wachsen«, gab er zu, »aber sie muss nicht. Schau dir doch nur die Paare in Onkels Bekanntenkreis an. Wie sie sich zanken oder kaltherzig nebeneinanderher leben. So kannst du dir doch deine Zukunft nicht wünschen. Du bist noch jung, Emily. Du solltest erst eine unbeschwerte Saison in London verbringen, bevor du überhaupt daran denkst, dich zu vermählen.«
»Glaub mir, das wollte ich, aber dafür haben wir ja jetzt bekanntlich kein Geld«, sagte sie und ihre Stimme klang bitter. Oscar verfluchte seinen Onkel innerlich ein weiteres Mal.
»Also heraus mit der Sprache«, forderte er und zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln. »Wer ist der junge Mann, den du zwar nicht liebst, der dir aber dennoch den Kopf so weit verdreht hat, dass du bereit bis, eine Heirat mit ihm in Erwägung zu ziehen?«
»Ich ziehe nicht nur in Erwägung, lieber Bruder«, lautete die Antwort, »ich habe bereits seinen Antrag angenommen. Er hat mir auch nicht den Kopf verdreht, sondern wir haben ganz in Ruhe das Für und Wider einer solchen Verbindung abgewogen.«
»Habt ihr das?«, erkundigte er sich halb spöttisch, halb entsetzt. »So etwas Herzerwärmendes habe ich ja noch nie gehört. Also, raus mit der Sprache, wer ist der junge Gentleman, mit dem …«
»Oscar, spar dir deine Ironie«, forderte sie streng. »Was ich tue, tue ich doch auch dir zuliebe. Ich kann nicht länger mitansehen, wie Onkel Horatio dich quält und all deine Ersparnisse zum Fenster hinauswirft. Ich habe gehört, wie du Ashbourne gegenüber erwähnt hast, dass unsere Ländereien im Jahr nicht so viel einbringen, wie der Earl in manchen Quartalen ausgibt. Wir brauchen eine andere Geldquelle.«
»Aha«, sagte er, erschüttert darüber, dass es so weit gekommen war, dass sie seine Sorgen zu den ihren machte. »Der junge Mann ist also die Geldquelle?«
Emily nickte und schüttelte gleich darauf den Kopf. »Das mit der Geldquelle stimmt. Das kann ich frei heraus bestätigen, da Matthew weiß, warum ich ihn zum Gatten nehmen will. Aber er ist nicht so jung, wie du denkst.«
»Das wird ja immer besser!«, rief er aus. »Meine Schwester beabsichtigt, einen Greis zu heiraten. Hat dieser Matthew auch einen Nachnamen?«
»Shildon. Sein Name ist Matthew Roderick Shildon. Zum Greis fehlen ihm noch etliche Jahre«, sagte sie trotzig. »Er ist erst fünfundvierzig.«
Oscar schnappte nach Luft. »Erst fünfundvierzig?«, rief er aus. »Erst fünfundvierzig!« Er konnte es nicht glauben. »Du bist zwanzig, Emily. Der Mann ist fünfundzwanzig Jahre älter als du.«
»Ich weiß«, sagte sie ruhig. »Aber das ändert nichts an meiner Entscheidung.«
Noch nie war Oscar so froh darüber gewesen, dass seine Schwester ganze acht Jahre jünger war als er. Nicht auszudenken, wenn sie schon volljährig gewesen wäre und er ihrem verrückten Plan keinen Riegel mehr hätte vorschieben können. Er beschloss, zuerst alle Einzelheiten zu erfahren, bevor er sie daran erinnerte.
»Also, wer ist der Mann? Wo habt ihr euch kennengelernt? Mir scheint, dass ich den Namen Shildon schon einmal gehört habe. Ich komme allerdings so schnell nicht darauf, in welchem Zusammenhang.«
»Natürlich hast du den Namen schon gehört, Oscar, ich bitte dich! Matthew arbeitet seit Langem als Tims Hauslehrer.«
»Als Tims …« Ihr Bruder sah sie mit großen Augen an. »Als Hauslehrer des armen Timothy?«, vergewisserte er sich, sprang auf und begann, im Zimmer im Kreis zu gehen. »Du willst einen Hauslehrer zum Mann nehmen?«
»Ja, das will ich und das werde ich.« Ihr Tonfall hatte an Trotz zugenommen. »Ich ahnte nicht, wie groß dein Standesdünkel ist.«
»Mein Standesdünkel?«, wiederholte er auch diese Aussage. Dann blieb er stehen und starrte zu ihr hinunter. Hatte Emily den Verstand verloren? Was hatte es denn mit Standesdünkel zu tun, wenn er nicht zuließ, dass seine einzige Schwester einen Bediensteten heiratete?
»Und wie soll der Hauslehrer unsere Finanzen retten?«, fragte er und nahm seine Wanderung wieder auf. All das, was er da zu hören bekam, ergab doch keinen Sinn.
»Wenn du dich beruhigst, erzähle ich dir die ganze Geschichte. Kannst du dich bitte wieder setzen? Es macht mich nervös, wenn du wie ein wildes Tier vor mir auf und ab tigerst.«
Das macht sie nervös?, dachte er und nahm gehorsam wieder Platz. An eine Heirat mit einem Hauslehrer zu denken, das sollte sie nervös machen.
»Danke« würdigte sie sein Hinsetzen. »Also hör mir bitte zu. Mr Shildons Vater gehören zwei Schiffe, die Gewürze und feine Seide von irgendwo auf der Welt hierher auf die Insel bringen. Er hat das Unternehmen bereits von seinem Vater, Matthews Großvater, übernommen und es in den letzten Jahren zu großem Reichtum gebracht.«
»Das freut mich für ihn«, sagte ihr Bruder, weit davon entfernt, in ihre Begeisterung einzustimmen. »Dennoch ist sein Sohn ein einfacher Hauslehrer.«
»Aber doch nur, weil er einen älteren Bruder hat, der das Geschäft übernehmen wird. Matthew ist ein Gelehrter, Oscar. Er hat die beste Schulbildung genossen und bereitet Tim auf Eton vor. Claras Mann ist dort selbst zur Schule gegangen und hat nun endlich erreicht, dass man seinen Bruder aufnehmen wird. Damit sind Matthews Dienste ab kommendem Januar nicht mehr gefragt.« Sie lächelte, bevor sie fortfuhr: »Weißt du, was das Beste ist? Matthew hat mir versprochen, dass wir im nächsten Frühjahr gemeinsam nach London gehen werden und ich mein Debüt geben kann. Ist das nicht großartig? Du brauchst dafür keinen Penny zu bezahlen.«
Jetzt strahlte sie so freudig zu ihm hinüber, dass es Oscar einen Stich im Herzen gab, ihre Euphorie dämpfen zu müssen.
»Als Frau eines Hauslehrers stehen dir dort dann sicher alle Türen offen«, kommentierte er dennoch mit unüberhörbarer Ironie. »Ich kann Lady Jersey direkt sagen hören: Sie ist die Schwiegertochter eines Kaufmanns. Da schicke ich ihr doch gleich zwei Karten für Almack’s.«
»Oh«, war alles, was Emily hervorbrachte. Es war offensichtlich, dass sie nicht daran gedacht hatte, dass sie durch die Heirat mit einem simplen Mr Shildon vor den verschlossenen Türen der Gesellschaft stehen würde. Daran würde auch der Reichtum ihres Schwiegervaters nichts ändern.
»Tut mir leid, Emily«, sagte Oscar und drückte ihr abermals den Unterarm. »Ich weiß, du meintest es gut, aber dein Plan hat schwerwiegende Mängel. Was ich auch noch nicht verstanden habe: Wie genau sollte uns denn deine Heirat finanziell weiterhelfen, wenn dein … also Mr Shildon gar nicht der Erbe ist?«
»Matthews Bruder strebt nach einem gesellschaftlichen Aufstieg«, erklärte sie und klang nun lange nicht mehr so überzeugt wie am Beginn ihrer Erzählung. »Wir haben es schwarz auf weiß, dass er bereit ist, mir … also uns … für fünf Jahre eine monatliche Apanage von tausend Pfund zukommen zu lassen, wenn ich Matthew heirate und er sich Schwager eines zukünftigen Earls nennen kann. Und …«
Sie hielt inne und wandte ihren Blick zum Fenster.
»Und?«, fragte er auch schon. »Da gibt es noch etwas, was er für sein Geld haben möchte? Was kann er denn noch wollen, als sich die Verwandtschaft zum Hochadel zu erkaufen?«
»Er dachte … er meinte … er hoffte …«, begann sie zu stottern. Dann atmete sie tief durch und zwang sich, die nächsten Worte laut auszusprechen. »Er will die Freundschaft mit den Heroes.«
Oscar, der stolz darauf war, mit welch ruhigem Blut er sich die Ungeheuerlichkeiten angehört hatte, die ihm seine Schwester als glorreiche Idee zu verkaufen versuchte, verlor nun zum zweiten Mal an diesem Tag seine Gelassenheit.
»Ja, ist denn der Mann von allen guten Geistern verlassen? Wir vier Heroes sind Freunde fürs Leben, Emily. Unsere Freundschaft ist über viele Jahre gewachsen, durch gemeinsame Erlebnisse, die uns immer fester zusammengeschweißt haben. Da kann man sich nicht einfach einkaufen wie … wie …« Er suchte nach den richtigen Worten, fand sie jedoch nicht. Denn es gab nichts, was der adeligen Gesellschaft vorbehalten war, wohin sich ein Kaufmann hätte einkaufen können. Und schon gar nicht in diese Runde.
»Nie und nimmer käme ich auf die Idee, meine Freunde dadurch zu beleidigen, dass ich ihnen so einen Vorschlag unterbreite, nur um meinen Geldsack zu füllen.«
»Aber, hör zu …«, startete sie den tapferen Versuch eines weiteren Widerspruchs.
Er hatte schon zu viel gehört, um sie ausreden lassen zu wollen.
»Nein«, bestimmte er daher, »jetzt hörst du mir einmal zu. Ich schätze es, dass du mir helfen willst, Emily, aber das tust du nicht, indem du einen unpassenden Mann in die Familie bringst. Im Gegenteil, damit würdest du dir und auch mir nur neue Sorgen bereiten, auf die wir gut verzichten können. Verstehst du das?« Er unterbrach sich und sah seine Schwester erwartungsvoll an. Für einen kurzen Moment hatte es den Anschein, als würde sie ihm recht geben wollen. Doch Oscar wäre nicht Oscar gewesen, hätte er zum richtigen Zeitpunkt geschwiegen. »Außerdem bist du zum Glück noch nicht volljährig und ich verbiete dir die Heirat.«
Emily schnappte nach Luft: »Du verbietest … also, das ist zu arg. Du bist doch nicht mein Vater!«
»Nein, aber ich bin dein Vormund«, erinnerte er sie. »Für morgen Vormittag habe ich leider schon einen anderen Termin vereinbart, aber am Nachmittag wird mich mein erster Weg in das Haus deiner Freundin Clara bringen. Dort werde ich sowohl mit dem Baron als auch mit diesem Hauslehrer ein ernstes Wort sprechen und dessen Ambitionen, sich in die bessere Gesellschaft zu mogeln, ein für alle Mal im Keim ersticken.«
»Das wirst du nicht wagen!«, rief sie empört.
»Und ob ich das werde!«, trumpfte er auf. »Glaube mir, es gibt nichts, was mich davon abhalten könnte.«
Sie sprang auf, die Wangen vor Zorn gerötet. »Wenn du mich vor meinen Freunden bloßstellst, Oscar, dann werde ich mit Matthew durchbrennen. Das schwöre ich dir! Wenn ich ihm erst einmal vor dem Schmied in Gretna Green mein Jawort gegeben habe, dann kannst auch du nichts mehr gegen die Ehe ausrichten. Vormund hin oder her.«
»Das wird ja immer besser!«, rief er aus und stand seiner Schwester in punkto Lautstärke um nichts nach. »Jetzt sind wir gedanklich also schon in Schottland. Wie tief willst du denn noch sinken? Denkst du wirklich, die noble Gesellschaft wird dich auch nur eines Blickes würdigen, wenn du diesen Schritt gegangen bist? Dann kannst du dich nicht nur nicht in London blicken lassen, dann wird dich sogar der Adel von Hampstead schneiden und ich könnte nichts dagegen unternehmen.«
»So, du würdest mich also eiskalt im Regen stehen lassen?«, fuhr sie ihn an. »Nach allem, was ich bereit bin, für dich auf meine Schultern zu nehmen? Wie undankbar du doch bist! Man könnte fast annehmen, ich spräche mit Onkel Glazebury.«
Zornesrot im Gesicht stürmte sie zur Tür. Der Vorwurf war zu absurd, um Oscar ernsthaft zu treffen. Andererseits gefiel ihm die Situation ganz und gar nicht.
»Emily!«, rief er ihr nach, wieder um einen ruhigen Tonfall bemüht. »Komm zurück, setz dich zu mir. Lass dir erklären …«
»O nein, du hast mir bereits genug erklärt, Bruderherz.« Nun war sie es, die zu Spott und Ironie griff. »Ich weiß jetzt, was ich von dir zu erwarten habe. Und glaub mir eins: Ich werde Matthew das Jawort geben. Aber du siehst von all seinem Vermögen keinen lumpigen Penny.«
Nach diesen harschen Worten funkelte sie ihn noch einmal böse an, machte kehrt, verließ den Raum und warf nun ihrerseits die Tür hinter sich zu.