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Kapitel 4 Eine Woche vor dem Treffen in Watford
In den Räumen des ehrwürdigen White’s Club, London

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Während also die Geschwister Cavendish seit der Ankunft des Vormunds ihrer Zukunft mit bangem Herzen entgegenblickten und sich einer der Heroes, nämlich Major Harold Westfield, langsam wieder an das Leben in London gewöhnte, standen zwei weitere Heroes einem ganz anderen Problem gegenüber. Dieses war keineswegs neu und lautete: Wie schützen wir unseren Freund Oscar vor seinem verrückten Onkel?

»Glazebury, so eine Narretei können doch nicht einmal Sie ernst meinen.« Der ehrenwerte Mr Reginald Ashbourne hatte sich durch die ständig anwachsende Gruppe von Schaulustigen und Sensationsgierigen durchgekämpft und stand nun in deren erster Reihe. Der alte Earl hatte einen Stuhl erklommen und blickte siegessicher in die Runde. Ashbournes Vorwurf nahm er nicht einmal mit dem Zucken einer Augenbraue zur Kenntnis. Natürlich wusste dieser, dass es ihm nicht zustand, den Älteren öffentlich zu kritisieren. Irgendwann einmal, sobald der Cousin seines verstorbenen Vaters das Zeitliche gesegnet hatte, würde er ein Duke sein und im Rang über Glazebury stehen. Doch bis dahin war er nichts als ein simpler Mr Ashbourne und als solcher einem Earl gegenüber verpflichtet, den Mund zu halten. Noch dazu, da Glazebury mehr als doppelt so alt war wie er. Das hatte ihn allerdings noch nie davon abgehalten, das Wort zu ergreifen, wenn ihm der Sinn danach stand. Im Augenblick stand ihm der Sinn sogar sehr danach. Die kleine Gestalt des Earls sah auf einem wackeligen Stuhl noch grotesker aus als sonst. Wer bitte, so fragte sich Ashbourne, trägt heutzutage noch Perücke? Dichte, gepuderte graue Locken, die ihm bis zu den Schultern fielen, als lebten sie noch im achtzehnten Jahrhundert. Dazu trug er einen taillierten weinroten Samtmantel, der in seiner Jugend modern gewesen sein mochte und nun an den Ellbogen deutliche Spuren von Abnutzungen aufwies. Mit den sandfarbenen Kniebundhosen hätte er schnurstracks zu einer Audienz beim Prinzregenten gehen können, da der Hof weiterhin solche Beinkleider vorschrieb. Wären da nicht die geringelten Strümpfe in bunten Farben gewesen, die … die … Reginald überlegte, wo sie passend hätten sein können, allein es fiel ihm kein Anlass ein.

»Ihre Einsätze, meine Herren!« Die zittrige Stimme des Earls überschlug sich fast vor Aufregung. Seine faltige, mit Altersflecken übersäte Hand wedelte exaltiert mit einem weißen Spitzentaschentuch durch die Luft. »Simmons, das Wettbuch!«

»Liegt selbstverständlich längst bereit, Eure Lordschaft«, meldete der Zeremonienmeister, der an seinem gewohnten Tisch an der Seite des Raums Platz genommen hatte. Alle Köpfe fuhren zu ihm herum. »Wie ist der genaue Wortlaut Ihrer Wette, Lord Glazebury?«

Die Köpfe wandten sich wieder dem Earl zu.

Reginald trat nahe an den Stuhl heran und flüsterte: »Noch können Sie zurück, Glazebury, Herrgott noch mal. Kommen Sie da runter!« Er streckte dem alten Herrn auffordernd die Hand entgegen.

»Pfoten weg!«, befahl dieser und wedelte nun so intensiv mit dem Taschentuch, als wollte er ein lästiges Insekt verscheuchen. Die älteren Clubmitglieder lachten auf, die jüngeren blickten auf ihre Schuhspitzen. Mit Ashbourne, der für seine scharfe Zunge bekannt war, wollte es sich keiner verscherzen. Reginald beachtete weder die einen noch die anderen. Ohne nachzudenken, erfasste er das Handgelenk des alten Mannes. Es war eiskalt und so schmal, dass seine Fingerspitzen dabei auf den eigenen Handballen stießen. »Ich bedaure, aber ich kann es nicht zulassen, dass Sie aus Jux und Tollerei auch noch Oscars letzte Ersparnisse verschleudern. Steigen Sie von diesem Stuhl und …«

Er hielt mitten im Satz inne, da der Earl gackernd zu lachen begonnen hatte. Es war kein amüsiertes, nein, es war ein höhnisches Lachen. Ashbourne zog scharf die Luft ein. Wie hatte ihm bloß der dumme Fehler unterlaufen können, Oscar zu erwähnen? Er wusste doch, dass der Alte nichts lieber tat, als seinen Neffen und Erben zu quälen. Um die Situation nicht noch zu verschlimmern, hob er die Hände, so als würde er sich ergeben, und trat einige Schritte zurück. Sofort wurde er von anderen Clubmitgliedern weggedrängt, die gebannt zum Earl hinaufblickten und keines seiner Worte versäumen wollten.

»Ich werde auf zwei Regentropfen an der Scheibe unseres neuen Rundbogenfensters hier zeigen«, verkündete der alte Mann und deutete auf die Nische, in der man vor immerhin nun auch schon fünf Jahren besagtes Fenster eingebaut hatte. »Dabei wette ich um dreitausend Pfund auf den Tropfen, der den Fensterrahmen schneller erreicht.«

Dreitausend Pfund! Ashbourne griff sich an die Stirn. Das war ein Vermögen! Seinen eigenen Butler entlohnte er mit ganzen dreihundertachtzig Pfund im Jahr, und das war so großzügig bemessen, dass der Mann sich einiges für den Ruhestand zur Seite legen konnte. Der vermaledeite Wetteinsatz betrug fast neunmal so viel. Lebhaftes Stimmengewirr setzte ein. Man debattierte lautstark darüber, wie hoch die Chancen standen, dass der Earl seine Wette gewinnen konnte. Die Meinungen darüber hielten sich in etwa die Waage. Reginald hatte nicht die geringste Lust, sich an den Spekulationen zu beteiligen. Wozu er allerdings große Lust hatte, war, dem unwürdigen Schauspiel den Rücken zu kehren und den Club zu verlassen. Dazu kam seine angeborene Ungeduld, die es kaum ertrug, abzuwarten, bis alle Angebote in das dicke, ledergebundene Buch eingetragen waren. Allerdings war er dann doch zu neugierig, um abzuwarten, bis ihm am nächsten Tag erst das Ergebnis zugetragen würde. Erfahren würde er es, das stand außer Zweifel. Die Aktionen des skurrilen Earls of Glazebury pflegten stets in kürzester Zeit die Runde zu machen. Also blieb er neben der Tür stehen, drehte sich um und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Zu seinem Erstaunen war es sein Cousin und Freund Elliot Sandhill-Jones, der sich soeben über das Wettbuch beugte und die Feder über die Seite gleiten ließ. Er kniff die Augen zu einem engen Spalt zusammen und wartete, bis dieser mit seinem typisch lässigen Gang quer durch den Raum auf ihn zugeschlendert kam.

»Was meinst du, Reginald?«, fragte er im Näherkommen und grinste. »Sollen wir nach Hampstead hinausfahren, sobald dieses Spektakel hier vorüber ist, um Oscar über die Wette und deren Ergebnis zu informieren? Oder gönnen wir ihm noch eine Nacht ruhigen Schlafs?«

Er stellte sich neben seinen Cousin und blickte nun mit ihm zur Menschenschlange hinüber, die vor dem Wettbuch anstand. Im Unterschied zu Ashbourne, der sich stets in Schwarz kleidete und den Vorgaben der Mode keine Beachtung schenkte, war Elliot das Musterbeispiel eines Londoner Stutzers. Faltenlose biskuitgelbe Pantalons, die mit einem Steg unter der Fußsohle straff gehalten wurden, ein makelloser blauer Frack, der ihm auf den Leib geschnitten war, der blütenweiße Kragen so hoch, dass er Mühe hatte, den Kopf zu wenden, das Halstuch unter der bestickten Weste kunstvoll geknüpft. Die Mütter der beiden waren adelige Zwillingsschwestern aus dem Königreich Neapel gewesen. Ihnen verdankten sie die dunklen Augen und die fast schwarzen Haare, womit sich die äußere Ähnlichkeit jedoch schon wieder erschöpfte. Während Ashbourne mit seinem kantigen Kinn, schmalen Lippen und wachsamen Blicken unter schweren Augenlidern viele seiner Zeitgenossen einschüchterte und es in der gesellschaftlichen Welt der Oberflächlichkeiten kaum jemanden gab, der seine Nähe suchte, war Elliot deren Zentrum. Er schien stets fröhlich zu sein, wusste charmant zu plaudern und erfreute die Damenwelt, egal ob jung oder alt, mit den blumigsten Komplimenten, die er allesamt ernst zu meinen schien. Vor allem aber war er schön. So schön, dass man es ihm lächelnd verzieh, wenn sich in seine Komplimente auch ganz unverblümte Frechheiten schmuggelten. So schön, dass der Schneider seine Schuldscheine akzeptierte, obwohl er wusste, dass er vergeblich auf deren Begleichung warten würde. Wenn der schöne Mr Sandhill-Jones einen neuen Rock trug, dann stand am nächsten Tag die Tür zu seinem Atelier nicht still. Alle wollten den Versuch unternehmen, an dessen gutes Aussehen zumindest ein Stück weit heranzureichen. Dass er auch noch den Titel eines Barons erben würde, hätte ihn zu einem der besten Fänge auf dem Heiratsmarkt machen müssen. Wäre da nicht die Tatsache gewesen, dass er ständig in Geldverlegenheiten war, sich selten siegreich vom Spieltisch erhob und auch der Tod seines Vaters keine Besserung der finanziellen Situation erwarten ließ.

»Was, verdammt noch mal, hattest du beim Wettbuch verloren, Elliot?«, erkundigte sich Reginald anstelle einer Antwort.

»Kein Grund, die Lippen zusammenzukneifen, mein Bester«, lautete die fröhliche Erwiderung. »Ich habe gegen den Earl gewettet. Sollte er verlieren, kann ich Oscar zumindest mit einem Teil der Summe aushelfen.«

Ein prüfender Blick unter schweren Lidern streifte ihn von der Seite. »Das ist ein netter Zug von dir, alle Achtung. Ich dachte, du hättest dein letztes Geld für diesen Monat gestern am Spieltisch gelassen?«

»Das habe ich auch, Cousin. Sollte ich also verlieren, bräuchte Ossi zwar nicht für die Wettschulden des alten Earls aufzukommen, dafür müsste er mir mit etwas Geld aushelfen.«

»Großartig!«, lautete der sarkastische Kommentar. »Wie man es dreht und wendet, unser armer Oscar ist wieder einmal der Leidtragende.«

»Ich werde ihm den Betrag natürlich zurückerstatten«, verkündete Elliot und lachte laut auf, als Reginald eine Augenbraue hob. Sie wussten beide, dass dies nie der Fall sein würde.

Die skandalöse Verwechslung

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