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Kapitel 8 Ein Tag vor dem Treffen in Watford
Haus der Baronin Tetbury, Hill Street, London

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»Sieh an, mein Fräulein Sohn geruhen, mir auch wieder einmal Gesellschaft zu leisten. Jordan, bitte um ein weiteres Gedeck für den Major.«

Während der jüngste Hausdiener ein erschrockenes Schnaufen hören ließ und der ältere dümmlich grinste, wandte sich der Butler mit stoischer Miene um, um das Gewünschte aus der Vitrine zu nehmen. Harold Westfield musste wider Willen lachen.

»Mutter, du bist schrecklich«, entgegnete er mit einer Offenheit, die ihrer um nichts nachstand, und nahm am Tisch Platz. »Wehe, du wiederholst diese Bezeichnung in der Öffentlichkeit! Es ist mir bewusst, dass dir meine langen Haare nicht zusagen. Doch der Zopf ist praktisch. Glaub mir, im Zelt hat man weder Zeit noch Lust, seine Locken kunstvoll zu frisieren.«

»Sieh dich um, Harold, mein Lieber, siehst du hier irgendwo ein Zelt?« Die Armbänder ihrer Ladyschaft klimperten bei der weit ausholenden Geste. Natürlich wusste der Major, dass seine Mutter recht hatte. Was sie beide hier im Esszimmer des kleinen Stadthauses umgab, war eine Seidentapete in dunklem Erdbeerrot. Dazu duftige Vorhänge mit Blumenranken und in schmales Gold gerahmte Aquarelle, die die einzelnen Blüten der Ranken noch einmal kunstvoll wiedergaben.

»Ich weiß, du bist mit der derzeitigen Mode in der Hauptstadt nicht vertraut, mein Sohn«, setzte die Baronin fort, während sie sich ein Stück Braten auflegte, »aber deine Frisur ist nicht nur unmodern, sie ist auch schrecklich gewöhnlich. Kein Mensch trägt heutzutage noch Zopf. Außer vielleicht ein paar alte Hagestolze, die ihre wenigen dünnen, grauen Federn im Nacken zusammenfassen, um kahle Stellen am Hinterkopf zu verdecken.« Sie hielt inne und blickte interessiert zu Harold hinüber. »Du hast doch dort keine kahlen Stellen, oder etwa doch, mein Lieber?«

Der Major schüttelte schweigend den Kopf und beschloss, sich schnellstmöglich eine eigene Bleibe zu suchen.

»Na, wenn das so ist«, erklärte seine Mutter zufrieden, »dann besuchst du am besten gleich heute den neuen polnischen Barbier in der Albemarle Street. Er wird allgemein sehr gelobt. Wie ich hörte, frequentiert ihn sogar dein Freund Ashbourne.«

»Bei allem Respekt, Mama, das werde ich nicht tun. Danke, Jordan.«

Harold bediente sich von den Speisen, die ihm der Butler in Greifweite gerückt hatte. Dann widmeten sich Mutter und Sohn einige Minuten schweigend dem Lunch.

»Wie du meinst«, nahm ihre Ladyschaft schließlich den Faden wieder auf und ihr leidgeprüfter Sohn wusste, dass sie gleich etwas sagen würde, das all dem widersprach, was er meinte. »Ich hätte nur gern, dass du gut aussiehst, wenn du mich morgen zu Sally Jerseys Picknick begleitest, das ist alles. Ein Picknick im Mai, ich weiß auch nicht, was ich davon halten soll. Ich hoffe, es scheint die Sonne und sie hat an warme Decken gedacht, denn ich habe keine Lust, mir bei diesem Ausflug den Tod zu holen.«

»Ich soll dich wohin begleiten?«, vergewisserte er sich beunruhigt.

»Wo genau das Picknick stattfindet, weiß ich nicht auswendig. Da muss ich noch einmal nachsehen. In Richmond, wahrscheinlich. Aber das spielt keine Rolle, weil …«

»… ich sicher nicht mit von der Partie sein werde«, vervollständigte er ihren Satz. »Meine Frage zielte nicht auf den Ort ab, Mama, das weißt du genau. Du kannst mich doch nicht einfach in deine Pläne miteinbeziehen, als wäre ich noch ein Knabe in kurzen Hosen.« Er blickte mit erhobener Augenbraue zum Butler hinüber, der daraufhin die Hausdiener aus dem Raum scheuchte, sich selbst diskret zurückzog und die Tür hinter sich schloss. Es bereitete Harold eine gewisse Genugtuung, dass die Autorität, die er offensichtlich ausstrahlte, ihm nicht nur gegenüber Soldaten zum Vorteil gereichte, sondern auch bei der Dienerschaft Eindruck hinterließ. Nur leider nicht bei seiner Mama.

»Clarissa Fairchild wird auch erwartet«, verkündete ihre Ladyschaft eben, gerade so, als würde sie damit einen Trumpf ausspielen, der alles bisher Gesagte ausstach. Während sie ihn erwartungsvoll ansah, nahm sie sich noch etwas Gemüse auf den Teller. Zu ihrem Pech hatte er keine Ahnung, von wem die Rede war.

»Wer soll denn das sein?« Es klang nicht im Geringsten interessiert.

»Das ist die älteste Tochter des Earl of Sutherland. Du musst sie kennenlernen! Ich schwöre dir, sie ist ganz besonders hübsch, ach, was sage ich, sie ist die Schönheit dieser Saison. Außerdem hat sie ganz reizende Manieren. Alle Gecken umschwärmen sie.« Sie unterbrach sich kurz, um nachdenklich hinzuzufügen: »Was natürlich auch an den 12 000 Pfund liegen mag, die sie wert sein soll.«

»Wie schön«, meinte er sarkastisch und säbelte sich noch ein Stück vom Rindfleisch ab. »Meine eigene Mutter hält mich für einen Mitgiftjäger. Jetzt bin ich erst wenige Wochen im Land und schon hast du nichts anderes zu tun, als mich zu verkuppeln.« Er war nicht wirklich erzürnt, eher amüsiert, beschloss jedoch, die Ambitionen der Baronin umgehend im Keim zu ersticken.

»Natürlich habe ich das, Harold, mein Teurer! Was für eine schreckliche Mutter wäre ich, würde ich für meinen einzigen Sohn nicht das Beste wollen? Aber was soll das heißen: Mitgiftjäger? Also wirklich! Was ist denn schlecht daran, wenn eine junge Lady nicht nur Schönheit, sondern auch Geld mit in die Ehe bringt? Wenn die Schönheit vergangen ist, hast du immer noch das Geld.«

»Mama!«, rief er aus.

Als sie nicht antwortete, fürchtete er, allzu schockiert geklungen zu haben. Um das wiedergutzumachen, tätschelte er ihre Hand. »Du hast sicher die besten Absichten, aber …«

»Ach was, Absichten« fuhr sie auf. »Was soll ich denn machen? Du bist nun mal mein einziges Kind. Ich würde ja auch viel lieber eine Tochter unter die Haube bringen, aber wie du weißt, habe ich keine. Also konzentrieren sich meine Bemühungen auf dich. Finde dich damit ab!«

Er lachte auf, weit davon entfernt, ihr diesen Wunsch erfüllen zu wollen. Dass er selbst vorhatte, sich eine Braut zu suchen, musste sie ja nicht wissen. Die würde er sich nämlich ganz allein auserwählen, ohne irgendeinen Druck von irgendjemandem.

»Kann es sein, dass dir langweilig ist?«, erkundigte er sich stattdessen.

Sie plusterte die Backen auf, bereit, ihm zu widersprechen.

»Ein wenig«, gab sie schließlich zu. »Ewig der gleiche Einheitsbrei an Soireen, Musikgeklimper und Tratsch hinter vorgehaltener Hand. Du glaubst nicht, wie sehr ich mich auf deine Rückkehr gefreut habe. Ich bin stolz auf dich, und dein Vater wäre es auch.«

Harold zog ungläubig eine Augenbraue hoch, enthielt sich jedoch jeden Kommentars.

»Ja, ich weiß, er war dagegen, dass du dir ein Offizierspatent gekauft hast«, räumte sie ein. »Doch es hätte ihn sicher gefreut, dass du als Held zurückgekommen bist. Wie auch immer, jetzt ist er tot und du warst viel zu lange weg.« Nun war sie es, die seine Hand tätschelte. »Lass mir doch die Freude.«

Harold spürte ein unangenehmes Gefühl im Magen. Als erfahrener Offizier erkannte er die Gefahr, in der er sich befand. Er musste dringend eine Aufgabe finden, die Mutters Tage füllte, ohne dass er selbst zum Mittelpunkt all ihrer Bemühungen wurde. Aber zuerst musste er schnellstmöglich hinaus aus dem Esszimmer, am besten überhaupt hinaus aus dem Haus.

»Zu dumm, dass ich mich bereits bei Oscar angekündigt habe«, sagte er nicht ganz wahrheitsgemäß und faltete die Serviette zusammen, um seine Mutter nicht ansehen zu müssen. »Er erwartet mich morgen am frühen Nachmittag. Mit Elliot und Reginald habe ich mich bereits getroffen, es wäre ein Affront, ihn nicht auch zeitnah aufzusuchen. Du wirst dich daher allein mit der Schönheit vergnügen müssen, Mama. Ach ja, und bitte grüße Lady Jersey herzlich von mir.«

Die Baronin kniff die Lippen zusammen und sagte kein Wort. Ihren Sohn hätte es gewundert, wenn das Schweigen lange angehalten hätte, doch das tat es ohnehin nicht. Denn als wenige Augenblicke später der Türklopfer betätigt wurde, kam schon wieder Leben in sie. Sie sprang schneller auf, als er ihr das aufgrund ihrer Leibesfülle zugetraut hätte, und verkündete voll Begeisterung: »Wie schön! Das wird Dr. Foley sein.«

»Dr. Foley?«, wiederholte er, und bei ihm klang es alles andere als erfreut. »Was will denn der alte Kauz hier?«

»Sei doch nicht so unhöflich! Ich habe den Arzt gestern zufällig im Theater getroffen und er hat angeboten, sich deine Wunde anzusehen. Das ist doch äußerst freundlich von ihm. Also mach ein dankbares Gesicht und heiße ihn willkommen. Er kennt dich schließlich schon aus der Zeit, als du dem Schulzimmer noch nicht entwachsen warst.«

»Bereits damals fand ich ihn zum Fürchten«, meinte ihr unverbesserlicher Sohn.

»Dr. Foley, Mylady«, meldete da auch schon der Butler von der Tür her. Ein großgewachsener, älterer Herr mit schlohweißen Haaren und einem ebensolchen Schnurbart trat ein, eine Ledertasche in der Linken.

»Was für eine Freude, Sie so schnell wiederzusehen, Lady Tetbury!« Er verbeugte sich über ihrer Hand.

»Wie nett, dass Sie es einrichten konnten, Doktor.« Sie reichte ihm gnädig zwei Finger. »An meinen Sohn können Sie sich sicher noch erinnern …«

»Aber natürlich«, die beiden Männer verbeugten sich voreinander, »schließlich habe ich den kleinen Racker schon gekannt, als er sich nachts noch in die Laken machte.« Der Arzt lachte laut auf und ihre Ladyschaft stimmte, allein schon um ihren Sohn zu ärgern, in das Lachen ein.

»Das ist zum Glück geraume Zeit her«, sagte Harold düster. »Nichts, worüber wir uns heutzutage noch unterhalten müssten.«

»Nein, natürlich nicht, mein Lieber«, stimmte ihre Ladyschaft zu, trat zu ihm hin und kniff ihn in die Wange. »Jetzt bist du ja schon so erwachsen.«

Während der sich abermals schwor, sich so schnell wie möglich ein eigenes Haus zu suchen, wechselte der Arzt zu seinem Glück das Thema: »Wie dem auch sei – willkommen in England, mein lieber Major. Ihre Mutter ist voller Sorge über Ihre Verletzung. Darum will ich mir die Wunde gern ansehen. Mein Terminkalender ist zwar prall gefüllt, doch unsere tapferen Offiziere haben bei mir Vorrang.«

Ja, wenn sie genug Geld haben, deine Dienste zu bezahlen, du eingebildeter Affe, dachte der Major bissig, hielt es aber für ratsamer, diese Überlegung nicht laut auszusprechen. »Ich danke Ihnen«, brachte er stattdessen zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Wenn Sie mir bitte auf mein Zimmer folgen wollen. Mutter, du entschuldigst uns?«

Wie sich bald herausstellte, sollte der Aufenthalt von Dr. Foley nur von kurzer Dauer sein. Die Baronin hatte eben das Esszimmer verlassen und wollte ihr Schlafgemach aufsuchen, um sich nach dem Mahl zu einem kleinen Schönheitsschlaf zurückzuziehen, als er ihr bereits wieder auf der Treppe entgegenkam.

»Bei allem Respekt – mir scheint, das Ausland hat aus Ihrem Sohn einen undankbaren, von sich eingenommenen Schnösel gemacht«, erklärte der Arzt und seine sonst so bleichen Wangen waren vor Empörung gerötet. »Sie verzeihen mir hoffentlich meine Offenheit, Lady Tetbury.«

Ihre Ladyschaft verzieh nicht. Mochte sie es für ihr gutes Recht halten, ihren Sohn zu kritisieren, so hieß das nicht, dass sie das auch anderen gestattete. Also hob sie eine Augenbraue und fragte: »Wie meinen?«

Da erkannte der Arzt, dass er Gefahr lief, eine seiner wichtigsten Patientinnen zu erzürnen, und hielt es für ratsam, das Thema zu wechseln.

»Wie dem auch sei, sprechen wir lieber über etwas Erfreulicheres. Hatte ich schon erwähnt, dass ich mich zu den Vertrauten des Leibarztes seiner königlichen Majestät, unseres geliebten Prinzregenten, zählen darf? Vor ein paar Tagen hatte ich wieder einmal die Ehre, mit ihm zu konferieren. Es wird Sie freuen zu hören, dass er ein neues Mittel gegen Korpulenz gefunden hat. Frisches Meerwasser gemischt mit warmer Milch soll wahre Wunder wirken. Da habe ich natürlich sofort an Sie gedacht.«

Jetzt blies ihre Ladyschaft erst recht empört die Backen auf. »Gegen Korpulenz?«, wiederholte sie, alles andere als angetan von diesen Worten. »Also, Dr. Foley, ich muss schon sehr bitten!«

»Gern geschehen, Mylady«, antwortete er, von seiner eigenen Wichtigkeit viel zu stark beeindruckt, als dass ihm ihre Entrüstung aufgefallen wäre. »Ich werde mir erlauben, gleich morgen meinen Assistenten mit einem Fläschchen vorbeizuschicken. Das Meerwasser habe ich persönlich abgefüllt, als ich in Brighton war, um dem werten Kollegen einen Besuch abzustatten. Da Sie meine Dienste schon so viele Jahre treu in Anspruch nehmen, überlasse ich es Ihnen zu einem vorzüglichen Preis.«

Sein Blick zeigte deutlich, wie stolz er über die eigene Großzügigkeit war.

»Gehen Sie mir aus den Augen«, war alles, was der Baronin dazu einfiel.

Der Butler tauchte wie aus dem Nichts auf und reichte ihm wortlos Hut und Umhang.

Die skandalöse Verwechslung

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