Читать книгу The Rolling Stones - Stanley Booth - Страница 12

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Wenn der Narr auf seiner Torheit beharrte,

so würde er weise.

William Blake: „Die Hochzeit von Himmel und Hölle“

es war nach elf Uhr vormittags, als ich die Halle hinunter und auf den Kühlschrank mit dem frischen Fruchtsalat zukrabbelte und hoffte, dass er die Kopfschmerzen lindern würde, die mir als Souvenir vom Kokainkon­sum der letzten Nacht geblieben waren. David Sandison, der gerade aus dem Büro kam, tauchte schemenhaft vor mir auf und sein Gesicht war traurig wie das eines Bassethundes. Er fragte, ob ich gerade aufgestanden wäre, ich sagte brüsk: „Stimmt“ und hatte es auf den dickflüssigen Apfel­saft, die kalten Erdbeeren, die Ananas- und Orangenspalten abgesehen –könnte sein, dass sie dich zu bestehlen versuchen, aber hungern lassen wür­den sie dich nie. Sandison sagte: „Dann hast du noch nicht von Kerouac gehört.“

„Was ist mit ihm?“

„Er ist tot.“

„Wo hast du das gehört?“ fragte ich, weil man solche Dinge nie glau­ben will.

„Es war heute morgen im Radio. Er ist vergangene Nacht gestorben. Er lebte in Florida. Hast du das gewusst?“

Ich antwortete nicht, weil ich in meinen Gedanken gerade im Bus von Waycross nach Macon, Georgia, fuhr, Lumber City vor uns, und eine Ge­schichte in einem Buch las, das ich aus der Okefenokee-Regionalbibliothek entliehen hatte, da es in Waycross keine Buchhandlung gab, wenn man vom Laden, der Bibeln verkaufte, absieht. In der Geschichte sang ein mexikanisches Mädchen einem jungen Amerikaner jenen Song von Piano Red vor, den wir immer in der Jukebox am See spielten, wo ich mit mei­nen Highschool-Freunden tanzte und Autorennen veranstaltete und Liebe im Auto machte. Noch nie hatte ich eine Story wie diese gelesen. Die Leute darin fuhren schnell und liebten einander in Autos, und das ließ mein Leben mehr wie etwas erscheinen, worüber man liest – oder wie der Song es ausdrückte: „If you can’t boogie, you know I’ll show you how.“ Dann erinnerte ich mich daran, dass die einzige Arbeit, die ich auf Grund eines vorliegenden Vertrages zu erledigen hatte, eine Story für „Esquire“ über Kerouac war. In Erwartung einer Nachricht von den Stones hatte ich die Reise für ein Interview nach Florida aufgeschoben. Der Gedanke kata­pultierte mich in die Gegenwart zurück, wo ich immer noch hungrig auf einer Couch im Wohnzimmer saß. Meine Stimmung hatte sich verändert und ich machte mir ein Schinkensandwich und trank ein Bier.

Mick, Mick und Keith waren eingetroffen. Jagger hielt sich im Büro, dessen Tür geschlossen war, auf, während Keith mit Mick Taylor Tennis spielte und dann im Pool zur Schau stellte, was er „die über sechs Jahre an den Stränden dieser Welt perfektionierte Form“ nannte. Nur sechs Jahre ein Rolling Stone und er sah aus wie hundert. Wie alt hatte Kerouac aus­gesehen? Grimmig beobachtete Sandison Keith beim Schwimmen. Bevor er sich ins Publicity-Spektakel gestürzt hatte, war Sandison Reporter für eine englische Kleinstadtzeitung gewesen. Sowohl sein Körper als auch sein frühzeitig kahl werdender Kopf waren birnenförmig; Kerouac hatte ein den Birnenförmigen unbekanntes Vagabundenleben geführt. Sandison fühlte sich wirklich so, als wäre ihm etwas weggenommen worden. Er er­zählte Keith von Kerouac, und obwohl Keith ihn niemals gelesen hatte, schwamm er ein paar Stöße lang gleichsam ernsthafter.

Als Keith wieder angezogen war und zurück zum Haus ging, erinner­te ich mich daran, dass ich ihm mitteilen wollte, dass ich den Brief ge­schrieben hatte. „Yeah“, sagte er, „ich werde mit Mick darüber reden“, und versetzte mich damit wieder in eine gedrückte Stimmung. Die Dinge schienen sich nie über diesen Punkt hinaus zu entwickeln, aber ich ging zurück in mein Oz-Zimmer und holte den berühmtberüchtigten Brief. Als ich eine Minute später zurückkam, war Keith weg. Jagger saß mit Jo Berg­man auf einer Couch im Wohnzimmer, besprach Geschäftliches und run­zelte die Stirn. Ich schaute in den Hinterhof, sah niemanden und ging dann nach vorne, wo ich Mick Taylor alleine antraf. Ich sagte nicht: „Wo zum Teufel ist Keith?“, sondern bemerkte leichthin: „Verrücktes Business, lau­ter Leute, die herumrennen.“ Es war der erste Satz, den ich, soweit ich mich erinnern kann, zu Mick Taylor sagte. Er lächelte einfach und mein­te: „Mir sind die Business-Angelegenheiten egal, solange ich mich nicht darum kümmern muss.“ Dann erst fragte ich: „Wo zum Teufel ist Keith?“

„Er ist mit Charlie gerade auf dem Weg ins Studio.“

Ich ging wieder rein und dachte, zur Hölle damit.

Dann blickte Jagger auf, als ich vorbeiging und fragte: „Gibt es da nicht einen Brief, den jemand von mir unterschrieben haben will?“ Jetzt runzelten wir beide die Stirn. Ich zog den Brief hervor und er unterschrieb ihn. Jo stand hinter der Couch und dachte gar nicht daran, nicht über un­sere Köpfe hinweg mitzulesen.

Ich hatte die Namen der Stones in der Reihenfolge aufgeschrieben, in der ich ihre Unterschriften einzusammeln gedachte – Jagger, Richards, Watts, Wyman, Taylor. Denn ich wusste, dass auch die anderen unter­schreiben würden, wenn erst einmal Jagger und Richards unterschrieben hatten. Ich fuhr also mit den beiden Micks am „Whisky-à-Go-Go“ und an der Hollywood High School vorbei zum Sunset Sound Studio, wo sie ihr neues Album fertigstellten. Ich bat Keith, der auf einer Couch vor dem Mischpult rumhing, den Brief zu unterschreiben. Er tat es, aber an der falschen Stelle. „Macht nichts“, meinte ich, und obwohl Mick Taylor am Ende der Liste stand, gab ich ihm das Papier und den Stift, weil er neben Keith saß, und er unterschrieb. Charlie beugte sich über die Mischpultkonsole und unterzeichnete ebenfalls. Damit waren es vier von fünf. Ich ging in einen Büroraum und rief Wyman im Beverly Wilshire an, wo er und Astrid noch immer untergebracht und damit gar nicht glücklich waren. Er sagte, dass er nicht ins Studio, dafür aber gegen halb acht zum Dinner ins Oriole-Haus kommen und dann unterschreiben wolle. „Das wird ja in Ordnung sein, oder?“ fragte er, und ich sagte: „Klar doch.“ Aber ich woll­te den Brief noch heute abend losschicken. Die Tournee würde bald be­ginnen, ich erwartete große Ausgaben und ich wusste instinktiv, dass es endlos dauern würde, einen Vertrag zu bekommen und noch länger, um bezahlt zu werden.

Als ich in den Regieraum des Studios zurückging, brachen Charlie und Mick Taylor gerade auf und ich fuhr mit ihnen zurück zum Oriole-Haus. Wyman und Astrid kamen zum Dinner herüber, weil sie genug davon hat­ten, in Lokalen zu essen, und wir gingen aus, weil wir genug davon hat­ten, daheim zu essen. Es gab nichts, worüber ich mir Sorgen machen musste – außer, dass wir weggehen könnten, bevor Wyman eintreffen würde, also machte ich mir darüber Sorgen. Aber gerade als wir gehen wollten, kamen sie herein und setzten sich zu ihrem Dinner. Ich legte den Brief neben Wymans Teller und bat ihn zu unterschreiben. Er las ihn durch und ließ sich Zeit. Ich hatte schon länger gewartet als mir lieb war. „Genau da“, sagte ich, während ich ihm einen Kugelschreiber gab. Wyman nahm den Brief und fragte: „Es macht dir doch nichts aus, wenn ich ihn lese, oder?“ Ich sagte: „Klar, mach nur, ist ja nur ein Satz, keine große Angelegenheit.“ –„Noch immer in der Defensive“, kommentierte Charlie, aber Bill unter­schrieb, ich steckte den Brief in mein Notizbuch und wir gingen.

Der nächste Schritt war, Kopien des Briefs anzufertigen und das Ori­ginal an meinen Agenten zu schicken, was ich aber vor morgen nicht würde machen können. Immerhin hatte ich den Brief, er war unterschrieben, be­fand sich in meinem Notizbuch, und das Notizbuch hatte ich in der Hand.

Wir rollten in einer Limousine an teuren Häusern in Straßen vorbei, die nach Vögeln benannt waren.

Das Dinner in einem trendigen Restaurant mit mieser Stimmung war nicht besonders lustig, aber danach trafen wir die anderen Stones im „Whisky-à-Go-Go“, um Chuck Berry zu hören.

Auf dem Strip, an der Ecke, vorbei an den angespannt und abwesend wirkenden Typen, die am Eingang herumhingen, hinein in die Dunkel­heit, ins Land der Träume, wo es heiß und rauchig und dicht bevölkert war – ein großer Schuppen mit einer kleinen, erhöhten Tanzfläche und der aufragenden Bühne in einer Ecke, unbekannte Leute, die nach berühm­ten Leuten Ausschau halten, Berühmtheiten, die sich gegenseitig suchen, und an Tischen in der Ecke die Rolling Stones, die sich nach niemandem umsehen. Ich saß mit Jagger, Keith und Wyman zusammen, eine seltsa­me Kombination. Junge Mädchen, zu zweit oder zu dritt oder gar zu siebt, gingen immer wieder, vielleicht sechsmal, an unserem Tisch vorbei, bevor sie den Mut aufbrachten, um die Autogramme der Stones zu bitten. Die Kellnerinnen umschwebten uns und hatten der Länge nach gefaltete Dollar­noten zwischen ihren Fingern.

Auf der Bühne waren vier weiße Musiker, laut und inkompetent. Eine Lightshow flackerte an zwei Wänden, eine war mit fruchtgeleefarbenen, flüssigen Blasen und sich drehenden Wirbeln und Strudeln bedeckt, während die andere Lachse zeigte, die einen kleinen Wasserfall hinauf­sprangen – ein Clip, der ständig wiederholt wurde und in Filmszenen mit einem japanischen Monster hineingeschnitten war, das vom Himmel kam, um die Erde zu verschlingen. Das Verschlingen von Tokio passte perfekt zum Rest der Action in dem Saal, wo die Leute versuchten, so echt zu sein wie Batman oder Wonder Woman oder eben Zontar, das Ding von der Venus, das dort an der Wand erzitterte.

Aber dann kam ein hagerer schwarzer Mann mit hohen Backenkno­chen und brütendem Blick auf die Bühne, der seine Gitarre so tief hängen hatte wie ein Revolverheld seinen Colt. Er spielte sie mit geradezu obszö­ner Fertigkeit und sogar Keiths Gesicht – das ärgste Image im Raum, das des Indianers, des Piraten, der Hexe, jenes Image, das dem Tod entgegengrinst – verwandelte sich wieder zurück in den englischen Schuljun­gen mit seiner Uniform und Kappe, der zum ersten Mal Chuck Berry hört. Es waren damals einige Jahre vergangen, bevor Keith Chuck Berry leib­haftig zu sehen bekam, da Berry im Gefängnis in Terre Haute, Indiana, einsaß, weil er eine vierzehnjährige indianische Nutte aus den falschen Gründen über die Grenze eines Bundesstaates mitgenommen hatte. Aber Keith und Jagger lernten Berrys Markenzeichen, den Duck Walk (Entengang) aus dem Film „Jazz On A Summer’s Day“, den Keith vierzehnmal sah. Als Chuck Berry später aus dem Gefängnis draußen war und Mick und Keith die Rolling Stones waren, trafen sie ihn, doch er zeigte ihnen, anders als viele ihrer musikalischen Idole, mehrmals die kalte Schulter, so dass sie ihn noch mehr respektierten und versuchten, ihn für die anste­hende Tour zu engagieren.

Als Berry mit seiner Punkband nun schlampig „Sweet Little Sixteen“ spielte und nicht einmal die richtigen Akkordwechsel draufhatte, aber von Zeit zu Zeit in den Breaks ein Funke der Magie seiner Gitarre aufblitzte, beugte sich Keith, wieder der Schuljunge, der enge Hosen unter seinen weiten trug, über den Tisch zu Wyman hinüber. Denn auch Wyman hatte, wenn er zu Tanzveranstaltungen gegangen war, zwei Paar Hosen getra­gen, eine weite über einer engen, da sie ihn mit engen Hosen nicht hin­einließen. Keith sagte zu Wyman: „Viel macht er ja nicht und diese Band ist so mies, aber ab und zu – wow!“

Wyman, ein kleiner Mann mit dem Gesicht eines lustigen Wasser­speiers, hatte nicht einfach nur ein Groupie-Imperium, sondern vielmehr das Groupie-Imperium schlechthin gegründet. „Es ging von Bill aus“, sagte Keith. „Er vögelte Tausende. Und er hielt alles in seinem Tagebuch fest.“ Tatsächlich hörte er bei 278 zu zählen auf. Jedenfalls lächelte Wyman und sagte mit breitem Akzent, während er Berry beobachtete, der sich von nichts, nicht einmal dem Gefängnis, davon hatte abhalten lassen, über sechzehnjährige Mädchen zu singen: „Yeah, er ’s’ großartig, gell …“

Nach Berrys Set verließen wir das „Whisky“, und unser Abgang war schnell und dramatisch wie alle unsere Ankünfte und Abfahrten, und alle starrten auf die Stones, als wir abrauschten und in die Limou­sinen am Straßenrand stiegen. Wir rollten in vier Autoladungen den Superhighway hinunter in Richtung des „Corral“, eines Nachtclubs im Topanga Canyon, um Gram Parons und die Flying Burrito Brothers zu hören.

Auf den vielen Meilen des Highways unterhielten wir uns – die Watts, Bill und Astrid, zwei oder drei andere – über Musik; Shirley, die alten Rock ’n’ Roll liebt, war in gehobener Stimmung, weil sie Chuck Berry ge­sehen hatte. Da bekamen wir es zum ersten Mal auf dieser Tournee mit „Wymans Schwäche“ zu tun. Bill bat den Fahrer, an einer Tankstelle zu halten, er müsse aufs Örtchen, und wir fuhren und fuhren, doch nirgends war was offen, und Bill sagte wieder: „Hey, wir müssen irgendwo halten, ich muss aufs Örtchen.“ Und der Fahrer meinte: „Scheint nichts offen zu haben.“ – „Na, dann bleiben Sie halt bei einer Tankstelle stehen, die nicht offen hat“, sagte Bill, „nur lassen Sie mich aus dem Auto raus!“ Und Charlie erinnerte ihn daran, dass „du es warst, der uns schon einmal in solche Schwierigkeiten gebracht hat“.

Das war am 18. März 1965 gewesen, der letzten Nacht der fünften Rol­ling-Stones-Tournee durch England. Die Tour hatte zwei Wochen gedau­ert, vierzehn aufeinanderfolgende Abende mit je zwei Auftritten in Kinos. Sie war nicht besonders ereignisreich gewesen. Drei Shows wurden für ein Live-Album mitgeschnitten. Im „Palace“ in Manchester fiel ein Mädchen fünfzehn Fuß tief von den oberen Rängen in die Parkettsitze. Der Sturz fiel kaum auf, da 150 schreiende Mädchen die Bühne stürmten, als Mick „Pain In My Heart“ sang. Das Mädchen lief den Ordnern, die sie zu einer Ambulanz bringen wollten, davon und wurde später noch immer „Mick, Mick“ schreiend vor der Bühnentür gesehen. In Sunderland, wo die Sto­nes im „Odeon“ spielten, wollten Fans das Wasser, mit dem sie sich die Haare gewaschen hatten, kaufen, und jemand verkaufte ihre Zigaretten­stummel für einen Penny das Stück. In Sheffield wollte ein erwachsener Mann ein Autogramm von Charlie und zog ihn, während er spielte, von seinem Hocker. Im „Trocadero“ in Leicester fiel ein anderes Mädchen von den oberen Rängen und verlor seine Vorderzähne. „Wir hatten Angst“, sagte Mick später. „Man weiß, wie so was Mode macht. Es kann dann leicht damit enden, dass sich die Leute in Massen von den Balkonen stür­zen und jemand dabei umkommt.“

Im „Rochester Odeon“, das ihnen als eines der schlechtesten Theater in England in Erinnerung blieb, wollte der Aufpasser an der Bühnentür wegen ihres Aussehens nicht glauben, dass die Stones die Show bestritten und weigerte sich, sie einzulassen. Keith stieß ihn um und so kamen sie trotzdem rein und auf die Bühne. Im „Odeon“ in Sunderland sprang ein Mädchen, während Charlie „Little Red Rooster“ ansagte, auf Micks Rücken. Er trug sie sanft und völlig gelassen zum Bühnenrand und setzte sie ab.

Am letzten Abend der Tournee, am 18. März, waren die Stones nach zwei Shows im „ABC Theater“ in Romford in Micks Daimler nach Lon­don unterwegs. Bevor er daheim ankam, musste Wyman austreten. Roadmanager Jan Stewart beschrieb die Situation folgendermaßen: „Wenn man den ganzen Abend in der Garderobe sitzt und Coca-Cola trinkt, dann für ungefähr dreißig Minuten auf die Bühne geht und wie ein Idiot her­umhüpft, die Gitarre fallen lässt, um im verdammt kalten Wetter nach draußen zum Auto zu rennen – dann ist man gerade bereit für einen schnellen Piss.“

Mick bog mit dem großen schwarzen Wagen in eine Francis-Tank­stelle in Romford Road, Forest Gate, Ost-London ein. Es war ungefähr eine halbe Stunde vor Mitternacht. Laut dem Tankwart, dem einundvier­zigjährigen Charles Keeley, stieg „ein zottiges Monster, das dunkle Gläser trug“ aus dem Auto und fragte: „Wo können wir hier pissen?“ Keeley sagte Wyman, die öffentliche Toilette sei wegen Reparaturarbeiten ge­schlossen, was eine Lüge war, und verweigerte ihm den Zutritt zur Per­sonaltoilette. Wymans Benehmen schien Keeley „nicht natürlich oder nor­mal“. „Er rannte auf dem Vorplatz hin und her, nahm seine dunkle Bril­le ab und tanzte.“ Dann „kamen acht oder neun Jungs und Mädels aus dem Auto“. Mr. Keeley „witterte Schwierigkeiten“ und sagte dem Fahrer des Wagens, Mick Jagger, er solle dafür sorgen, dass sie verschwinden. Jag­ger schob ihn zur Seite und sagte: „Wir werden hier irgendwo pissen, Mann.“ Diesen Satz nahmen die anderen auf, die ihn in Form eines „sanf­ten Singsangs“ wiederholten. Einer tanzte dazu. Dann ging Wyman auf die Straße und urinierte an eine Garage. Mick Jagger und Brian Jones taten es ihm gleich. Nach Mr. Keeleys Augenzeugenbericht „schien das bei man­chen Leuten keinen Anstoß zu erregen. Sie gingen sogar hin und baten um Autogramme.“ Ein Kunde aber sagte den Stones, er fände ihr Beneh­men „geschmacklos“. Daraufhin begannen die Stones „herumzuschreien und zu brüllen“. Der Zwischenfall endete damit, dass der Daimler weg­fuhr, während seine Insassen „eine wohlbekannte Geste mit zwei Fingern“ machten.

Mr. Keeley schrieb sich das Kennzeichen des Wagens auf. Der Kunde, der gegen die Stones gewettert hatte, war ein gewisser Eric Lavender, zwei­undzwanzig Jahre alt und Leiter eines Gemeinde-Jugendzentrums in Fo­rest Gate. „Wenn die Polizei nichts unternimmt, dann werde ich die Sache selbst in die Hand nehmen“, sagte der aufgebrachte Lavender.

Der Polizei erzählten die Stones eine andere und viel kürzere Ge­schichte. Wyman sagte unter Eid aus, er fluche niemals und habe Mr. Keeley lediglich gefragt: „Dürfte ich bitte die Toilette benützen?“ Nachdem man sie abgewiesen habe, seien sie ins Auto gestiegen und weggefahren. Mick stritt ebenfalls jegliches beleidigende Benehmen ab und betonte, er habe in der Schule, der Universität und auch seither niemals geflucht. Brian sagte, er sei nicht die Sorte Mensch, die andere beleidige – „ich lasse mich leicht in Verlegenheit bringen“. Das Gericht schlug sich auf die Seite der Herren Keeley und Lavender und die Stones mussten fünfzehn Guineas Gerichtskosten zahlen – trotz Wymans wehklagender Aussage: „Ich leide an einer Blasenschwäche.“

Während wir die kalifornische Küste hinunterrollten, in dieser ver­gnüglichen, dieser vergnügungssuchenden Nacht vor einer Tournee, die befremdlicher als alle vorherigen sein sollte, erzählte Bill diese Story. Und in seiner Erinnerung gewann sie geradezu heroische Proportionen: „… ich geh’ also hinter die Tankstelle und hab’ mein gutes Stück grad draußen, als dieser Kerl kommt und seine gottverdammte Taschenlampe schwenkt und schreit: ‚Da! da! da!‘“

„Wahrscheinlich brauchte er eine Taschenlampe, um es zu sehen“, sagte Shirley trocken.

Wir fanden eine Tankstelle, und während wir auf Bill warteten, verloren wir die anderen Limousinen. Keiner von uns wusste, wo das „Corral“ war, am wenigsten der Fahrer, also rasten wir den Highway hin­unter und hielten nach einer Fährte Ausschau. Ging es nicht da unten an der Abzweigung nach rechts? Nein, da ist geschlossen. Aber dann: Da war es, zur Linken, eine kleine Wirtschaft an der Straße mit einem Fassungs­vermögen von ungefähr zweihundert Leuten, mit Tischen und einer klei­nen Tanzfläche und randvoll mit Spießern und Angehörigen der Rock ’n’ Roll Society von Los Angeles. Bruce Johnson von den Beach Boys war ebenso anwesend wie die jungen Ladies Miss Christine und Miss Mercy, Mitglieder der bei Frank Zappas Bizarre Records unter Vertrag stehen­den Band G.T.O.’s, was soviel wie „Girls Together Outrageously“ oder „Orally“ oder sonstwas, das mit O beginnt, bedeutete. Miss Mercy war dunkel und lasziv, eine Wahrsagerin mit schwarz umrandeten Augen, vie­len Armreifen, Ringen und Schals – Miss Christine war graziös und blond, in einem langen, roten Kleid mit jungfräulicher Spitze am Busen, eine kalifornische Magnolienblüte. Miteinander tanzend schwebten sie wie eine einzige Person vor uns und rote, gelbe und blaue Jukeboxlichter über­schwemmten den Raum als Gram sang: „I made her the image of me“.

Wir saßen an einem langen Tisch, die Stones-Gang und ihre Freunde und Frauen, tranken unzählige Krüge Bier, jauchzten und schrien, während die Burritos „Lucille“ und alte Songs von Boudleaux Bryant spielten, und feierten eine echte, laute Rock ’n’ Roll-Party. Es war fast sechs Jahre her, seit die Stones in englischen Clubs gespielt hatten, wo der Schweiß als Kon­denswasser von den Wänden tropfte und die Leute sich von den Dach­balken schwangen. Sie waren froh, als sie aufhörten, in Clubs zu arbeiten und zu größeren Veranstaltungsorten übergingen, vermissten die Clubs aber später genauso, wie sie das Spielen während der fast drei Jahre seit ihren Drogenverhaftungen vermissten.

Jetzt, mitten in den Vorbereitungen für die Rückkehr auf die Straße, tat es gut, im „Corral“ zu sein und die verschiedenen Typen – die Mo­torradstiefel, Adlertätowierungen, lesbischen Phantastinnen, weißen eng­lischen Nigger, Beach Boys und Georgia-Jungs – durch die Musik fried­lich vereint zu sehen. Die Nacht schien wie im Traum zu vergehen – in der einen Minute sangen wir noch alle mit und in der nächsten war schon Sperrstunde und wir gingen raus. Wir dösten auf dem Heimweg und als wir ankamen, trank ich ein Glas Rohmilch und ging zu Bett. Mein Notiz­buch mit dem Brief lag unter meinem Kopfkissen. Ich war zwar schon fast ohnmächtig, aber vor dem Einschlafen lese ich immer noch ein wenig. Ich hatte Kerouac wieder gelesen, um mich auf den Besuch bei ihm vorzube­reiten, und ich öffnete das Buch an der Stelle, an der ich zu lesen aufge­hört hatte.

The Rolling Stones

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