Читать книгу The Rolling Stones - Stanley Booth - Страница 14

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Meine Träume hatten während der ganzen Reise hartnäckig an ihrer Taktik festgehalten, Afrika zu negieren, indem sie sich aus­schließlich mit heimatlichen Szenen illustrierten und damit den Ein­druck erweckten, dass sie die Afrikareise nicht eigentlich als etwas Wirkliches, sondern vielmehr als eine symptomatische bzw. sym­bolische Handlung betrachteten, wenn es gestattet ist, die unbe­wussten Vorgänge so weit zu personifizieren. Diese Annahme wurde mir allerdings nahegelegt durch die anscheinend absichtsvolle Beiseiteschiebung auch der eindrucksvollsten äußeren Begebnisse. Nur ein einziges Mal während der ganzen Reise hatte ich von einem Neger geträumt. Sein Gesicht kam mir merkwürdig bekannt vor, aber ich musste lange nachdenken, bis ich herausfinden konnte, wo ich ihm schon einmal begegnet war. Schließlich fiel es mir ein: Es war mein Coiffeur von Chattanooga in Tennessee! Ein amerikani­scher Neger! Im Traum hielt er eine riesige glühende Brennschere gegen meinen Kopf und wollte meine Haare „kinky“ machen, das heißt, er wollte mir Negerhaare andrehen. Ich fühlte schon die schmerzhafte Hitze und erwachte mit einem Angstgefühl.

C. G. Jung: „Erinnerungen, Träume, Gedanken“

anstatt mich wie sonst immer an der Bürotür vorbeizuschleichen, ging ich an diesem Morgen hinein, um Jo Bergman zu sagen, dass ich eine der zahlreichen Limousinen oder einen der Mietwagen brauchte. Sie fragte, wo ich hinwollte, und ich machte auf wichtig und sagte: „Muss ein paar Erledigungen machen.“ Jo sagte, sie müsse sich am Beverley Boulevard ein Haus für Bill Wyman ansehen und ich könne währenddessen einen Wagen benützen, wenn ich sie nur hinfahren und wieder abholen würde. (Jo konnte nicht fahren.) Ich kreuzte also in einem Oldsmobile die Santa Monica hinunter und den Beverley Boulevard hinauf, setzte Jo ab, fuhr zurück zu einem Kopier-Shop auf der Santa Monica und wartete, wobei ich mit den Autoschlüsseln klimperte, was wahrscheinlich nur dazu beitrug, dass die träge wie ein Rind wirkende Matrone in dem Shop noch langsa­mer agierte. Sie arbeitete genauso bedächtig wie die riesige Maschine, die summte und blitzte und schließlich grau gesprenkelte Kopien des Briefes der Stones ausspuckte. Ich zahlte einen Dollar fünfzig dafür, fuhr zum Postamt, schickte das Original per Spezial-Luftpost an die Literaturagentur und eine Kopie heim nach Memphis. Ich ging am Zigarettenstand des blin­den Mannes vorbei hinaus zum Oldsmobile, fuhr den Sunset Strip hin­unter und hielt nach einer Telefonzelle Ausschau. Da ich auf der Straße keine sah, hielt ich gegenüber vom „Playboy Club“, lief wie ein Mann in einer Spionagestory hinein und fragte die Bunny-Lady, die mich begrüßte, ob ich das Telefon benützen dürfte. Es war erst ungefähr elf am Vormittag und keine anderen Kunden waren anwesend, aber sie war in voller Mon­tur – mit den sadomasochistisch hohen Absätzen, ganz in blauem Satin, den Busen hochgeschoben, als wären ihre Brüste zwei giftige Früchte, de­likat aber unberührbar und auf einem Tablett dargeboten, und mit ihren Bunny-Ohren. Ich erzählte ihr, ich arbeite an einer Story für den „Play­boy“ und müsse meine Agentur anrufen. Das klang überzeugend, und als ich das letzte Mal in Hollywood gewesen war, hatte ich tatsächlich für den „Playboy“ gearbeitet. Sie gab mir den Hörer und ging diskret ein paar Schritte auf Abstand, wobei ihr flauschiger weißer Hasenschwanz hüpfte.

Ich saß auf dem kleinen Bunny-Hocker, rief die Agentur an und er­klärte dem ersten Assistenten, der berühmte Brief sei unterwegs, dass man Schneider wie ein Rudel Haie meiden müsse und dass man den Vertrag fürs Buch in einem neutralen Umschlag an das Oriole-Haus schicken solle. Dann machte ich mich auf den Weg zurück zu dem Haus am Beverly Bou­levard, dessen rote Ziegel, Sträucher und orientalische Teppiche Jo für gut genug für Bill und Astrid hielt. Irgend etwas an diesem Haus wirkte ein wenig düster auf mich, aber das konnte auch nur eine negative Reaktion auf Jo sein, die auf dem Rückweg nach Oriole über ihren nervösen Aus­schlag und ihren Kräuterdoktor redete, während sie eine Zigarette nach der anderen rauchte.

Im Oriole aß ich Sandwiches mit Cheddar-Käse und trank Bier zum Frühstück. Charlie wollte gerade zum Sunset Sound Studio aufbrechen und Sandison ging mit, weil er dort anscheinend einen Reporter vom „Saturday Review“ treffen sollte. Ich schloss mich ihnen an. Eine Limousine brachte uns hin und wir gingen die kleine Allee hinunter und durch die vielen Tore und Türen, die wir alle hinter uns versperrten, in den Kon­trollraum, ein mit Teppichen ausstaffiertes Cockpit, das eine riesige Konso­le mit Hunderten von Lichtern, Knöpfen, Schaltern und Schiebereglern beherbergte. Vor uns war ein großes dunkles Fenster und darüber be­fanden sich gigantische, schräg in Richtung unserer Köpfe montierte Laut­sprecher, aus denen der Sound donnerte.

Keith, der an der Konsole saß, trug eine Lederjacke mit Fransen, wie sie damals gerade in Mode waren. Es war die am schlimmsten aussehende Lederjacke, die mir jemals untergekommen war, das Leder ein ausge­bleichtes Gelb, brüchig und trocken, das Futter ausgerissen. Sein Zahnan­hänger pendelte am Ohr, in der Linken hielt er einen großen gelben Joint und seine Rechte ruhte auf dem roten Knopf, der die klangliche Intensität seiner Gitarre bei der Aufnahme verstärkte. Es gab acht Tonspuren auf dem breiten Band, das durch die Maschine lief, und ein Tontechniker behielt sieben davon im Auge, während Keith sich um seine eigene Spur kümmer­te. Jagger stand in engen blauen Hosen und einem weit ausgeschnittenen, blauen Pullover hinter ihnen, die linke Hand auf der Hüfte, den rechten Ellbogen eng angelegt, die rechte Handfläche nach oben zeigend. In der Hand hielt er einen Joint von der durchschnittlichen Größe des Pimmels eines schwarzen Basketballers, den er nicht wie Joan Crawford oder gar Bette Davis rauchte, sondern wie Thea Bara – mit geschlossenen Augen, gespitzten Lippen, dann mit leicht offenem Mund, während der Rauch sich zwischen seinen dicken, offenen Lippen kräuselte und er sanft saugend inhalierte.

Keith grinste und zeigte dabei seine kaputten Zähne, während sich tiefe Falten um seine Augen legten als sein Gitarren-Lick kam und er den Knopf drehte und es aufschreien ließ. Dabei verstärkte er jedesmal den Schmerz ein bisschen, so wie Betrunkene in den Bars der Jahrhundertwende, die für fünf Cents pro Stromschlag am Knopf einer Elektroschockmaschine dreh­ten. Keith tat das allerdings nur, um unsere Aufmerksamkeit zu erlangen; er erzeugte ein bisschen Hochspannung, um das Bewusstsein auf das zu lenken, was gesagt wurde: „Did you hear about the Midnight Rambler?“ Jaggers Harmonika und Keiths Gitarre – wimmernd und sich windend, einander im Sturzflug umkreisend, völlig auf der Kippe: „Says everybody’s got to go.“

Wir hatten all die Türen und Tore zum Studio abgeschlossen, waren aber nicht wegen dem Dope im Studio eingesperrt, sondern weil die Sto­nes keine Arbeitsgenehmigung hatten und amerikanische Studios eigent­lich nicht benützen durften. Sie machten es illegal und hatten großen Spaß daran. Nach der Hälfte des Songs – „the one you never seen before“ – kamen zwei Männer in den Kontrollraum. Der eine trug einen Seiden­anzug, der blau und grün schillerte wie Autolack, hatte eine Zigarre im trägen Maul und glänzendes schwarzes Haar; das war Pete Bennett, der sagte: „Ich bin der beste Typ, den du auf der Welt haben kannst, um deine Platte für dich zu pushen.“ Der zweite Mann war, in Hush Puppies und einem gelben T-Shirt, der legendäre Allan Klein. Obwohl erst in seinen Dreißigern, sah er alt und grau und ein wenig wie Jack Ruby mit Krebs aus, und mir wurde klar, dass er meine Pläne für ein Buch nur deshalb nicht wie einen Käfer unter seinen Hush Puppies zerquetscht hatte, weil er bis jetzt noch nicht dazu gekommen war. Ich hatte Angst, dass er mich bemerken und auf mich treten würde und glitt schnell um die Konsole herum, um mich auf der Couch niederzulassen und mein Gesicht in einem Magazin zu vergraben. Ich las ein Interview mit Phil Spector, der mit einundzwanzig als erster Teenager-Millionär des Rock ’n’ Roll berühmt wurde. In diesem Interview machte Spector fast jeden im Musikbusiness einschließlich der Mafia lächerlich, sagte über Allen Klein aber nur: „Ich glaube nicht, dass er ein sehr guter Kerl ist.“ Ich kauerte mich tiefer in das Kunstleder. Der Song steigerte sich zu einem irren Höhepunkt, einer auf Wellen von Harmonika und Gitarre reitenden Botschaft der Angst – schnel­ler und schneller, atemlos, rasend. Und ich fragte mich, was zum Teufel ich mit diesen verrückten englischen Käuzen hier tat und was sie eigent­lich taten, dass sie dafür Allen Klein brauchten, der immerhin selbst Phil Spector Respekt einflößte. Sogar Spector – ein Mann mit so vielen Leib­wächtern und Zäunen und so viel kugelsicherem Glas, dass er sich über die Stones lustig machte, weil sie verhaftet wurden – schien vor diesem untersetzten, missmutig dreinschauenden Buchhalter in seinem ausge­buchteten gelben T-Shirt Angst zu haben. Was mir aber den größten Schrecken einjagte, war das Wissen, dass ich, was auch immer sie vorhat­ten, davon erfahren musste. Ob Klein mir mein Buch oder mein Geld neh­men oder ob er mich umbringen lassen würde – ich musste versuchen, in der Nähe zu bleiben, um die Geschehnisse zu verfolgen. Ich musste das für Christopher tun, aber auch, weil ich Brian gemocht hatte und ihn gerne besser gekannt hätte. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass irgend etwas passieren würde, das ich nicht versäumen durfte. Der Song klang in einem Dialog aus peinigenden kleinen Vogelschreien zwischen Harmonika und Gitarre aus; Mick und Keith loteten die Poesie der letzten atemlosen Mo­mente des Ritts der Messerklinge aus und Mick krächzte mit einer Stim­me wie jemand, der versichern will, er sei nicht der Würger von Boston.

Da saß ich nun im verrückten Los Angeles der Endsechziger auf die­ser Naugahyde-Couch und aus den Lautsprechern dröhnten derart arge Sounds, derart niederträchtige menschliche Seufzer und Schreie, wie sie noch nie auf einer Platte so bedrohlich geklungen hatten. Sie waren nicht neu, sondern fast so alt wie die Zeit. Ich hatte dergleichen Klänge schon als kleiner Junge auf dem Land in Süd-Georgia gehört: Wenn ich im Bett lag, lauschte ich den Tieren, die weit entfernt im Wald schrien. Ich hörte die Klänge, die die schwarzen Waldarbeiter produzierten, wenn sie das ab­hielten, was sie einen Gottesdienst nannten, weit entfernt in den Wäldern, die ganze Nacht Trommeln wie der Herzschlag der dunklen sumpfigen Wälder, boom-dada boom-dada. Und ich hatte jene Geräusche gehört, die ich nicht identifizieren konnte – die wirklich angsteinflößenden. Ich war nicht mehr so verängstigt gewesen, seit ich als Junge dünn und weiß und zerbrechlich im dunklen Bett gelegen hatte, ein Geräusch in der Nacht aus­machte, es verlor, wieder darauf wartete, ein sanft seufzendes Geräusch, das weit entfernt brüllendes Vieh hätte sein oder vom Wind hätte herrühren können, der durch die Spitzen der langmadeligen Kiefern strich. Aber im Grunde klang das immer wie ein menschliches Atmen direkt hin­ter dem rostigen Fliegengitter meines Schlafzimmerfensters, wie das leise Ausatmen eines Mannes, der ganz ruhig dastand, nur beobachtete, war­tete. Ich liebte die Wälder, aber jahrelang lag ich nächtens wach und fürch­tete mich vor diesem Geräusch. Als ich alt genug für ein Gewehr war, hörte ich manchmal dieses Geräusch, den Wind, den entfernten Tierschrei, das vorsichtige Atmen im Dunkeln, und ich lag so lange still, wie ich es aushielt, nahm dann mein Gewehr und schlich aus dem finsteren Haus, weckte niemanden auf und schaute draußen nach, tief geduckt, durch den offenen Mund atmend, um das schreckliche, verräterische Geräusch nicht selbst zu erzeugen. Es war genau dieses gleiche Gefühl, das ich jetzt hatte, als diese Sounds, diese furchtbaren Klagelaute der Gitarre und der Mund­harmonika sich hochschraubten und vermischten. Das Gefühl rührte zum Teil von der Musik her und zum Teil von der Anwesenheit des Mannes hinter meinem Rücken – nämlich Klein, den sie in den Sümpfen einen Vollblut-Juden nennen würden, ein Mann von großer und für mich fast unberechenbarer Macht, ein Mann, der mich nicht kannte und dem ich völlig egal war. Ich wusste bis jetzt nicht, wie gut oder wie böse die Stones waren, aber vor Klein hatte ich schlicht und einfach Angst. Denn sogar obwohl ich einen Brief der Stones hatte, ein magisches Stück Papier, war da noch immer die Tour, dieser Spießrutenlauf, den ich absolvieren musste, und ich ahnte, dass ein Mann wie Klein mich stoppen konnte, wann immer er sich die Mühe machen wollte. Aber als ich zwölf war und fast zu Tode erschreckt in der Dunkelheit draußen vor dem Haus meines Großvaters stand, war ich noch immer ruhig und bereit, um zu tun, was zu tun war. Wäre da plötzlich einer der Männer vor mir aufgetaucht, mit denen mein Großvater arbeitete und die ich so sehr liebte, deren Stimmen und Aus­sehen, deren gelbe Augäpfel und sanft gewölbte, schwarze Muskeln, wäre er von giftigem Whiskey in ein wahnsinniges, todbringendes Tier ver­wandelt – ich hätte in all meiner schrecklichen Angst ruhig und gefasst genug bleiben können, um ihn zu erschießen. Ich blieb also auch im Stu­dio in all meiner schrecklichen Angst ruhig und gefasst, fühlte die Ver­rücktheit der Stones, des wahnsinnigen Keith, und wusste, dass das, was die Stones machten, für einen von ihnen bereits tödlich ausgegangen war.

Sandison kam mit einem Mädchen herein – ich hatte nicht bemerkt, dass er weggegangen war. Sie setzten sich neben mich auf die Couch. Sie trug Bluejeans und hatte ein Notizbuch bei sich. Die Musik war so laut, dass es ausgeschlossen war, sich vorzustellen. Ich sprach ihr ins Ohr: „Du musst vom ‚Saturday Review‘ sein.“

„Ja“, schrie sie zurück. Ich las von ihren Lippen: „Wer bist du?“

Das gab mir Gelegenheit, etwas anderes zu tun, als mich zu fürchten. „Der Okefenokee Kid“, sagte ich.

Sie blickte mich an, als wäre ich verrückt, und immerhin hatte ich ge­rade darüber nachgedacht, es zu werden. Dann fragte sie Sandison, wer ich sei, und er antwortete ihr wie aus der Pistole geschossen, sprach dabei meinen Namen so laut aus, dass ich ihn trotz der Musik verstand. Wenn ich ihn hörte, konnte Klein ihn dann auch hören? Wenn er ihn hörte, würde er ihn erkennen? Wenn ich mehr über Klein gewusst hätte, wären meine Sorgen noch größer gewesen. Aber er hatte nichts gehört; als ich mich umblickte, ging er gerade mit Mick hinaus. Sie begaben sich ins Studio und ließen die Tür offen; aus der Vorhalle fiel Licht in den Raum mit der hohen Decke und beleuchtete Mick auf der Klavierbank schwach, während Klein verkehrt herum auf einem Klappsessel saß. Mit einer Hand­bewegung tat Mick etwas ab, das Klein gesagt hatte. So mächtig Klein auch war – dieser dürre, geckenhafte Engländer konnte ihn sich vom Leibe hal­ten, konnte ihm die Tour verweigern und damit auch noch durchkommen. Es genügte fast, um mir Angst vor Mick einzujagen, vor den Stones.

Als sie zu reden aufhörten, ging Klein weg und mit ihm Pete Bennett, und Jagger kam in den Kontrollraum zurück. Die Bänder standen im Mo­ment gerade still und Sandison stellte Mick die Reporterin vom „Saturday Review“ vor. Sie sah schläfrig aus, von Micks Anwesenheit hypnoti­siert wie ein Hühnchen von der Schlange. Dann fiel ihr etwas ein. „Oh!“ – sie hob ihren Beutel aus Teppichstoff auf und entnahm ihm ein Büschel von Marihuana-Spitzen. „Ich habe dir ein paar Blumen mitgebracht.“

„Oh, dankeschön“, sagte Mick, nahm die Sprosse und warf sie auf die Couch. „Das ist sehr nett.“

Sandison sprach mit Mick. Der lachte ohne erkennbaren Grund kurz und schallend auf und deutete im Zeitlupentempo einen Schlag gegen die linke Titte des Mädchens an. Schwerfällig gelang es ihr zu reagieren; als seine Hand knapp ihre Brust verfehlte, retournierte sie den Schlag auf die gleiche Art und Weise. Aber das Ziel blieb ungewiss, da sie ihm ja nicht gut in die Eier hauen konnte und es andererseits witzlos war, ihm auf die flache Brust zu schlagen. Außerdem ging ihr anscheinend mitten in dieser Aktion deren tatsächliche Bedeutung auf – sie revanchierte sich für einen spielerischen Schlag, den Mick Jagger gegen eine ihrer Titten geführt hatte. Damit war ihre Titte berühmter geworden, als sie es jemals erwartet hatte – und das war nicht etwa bescheuert von ihr, denn er war wirklich ein Star, die Kraft seiner Autorität war im Raum spürbar. Da hielt ihre Hand mitten in der Luft inne, öffnete sich und flatterte wie ein angeschossener Vogel an ihre Seite zurück.

Mick ließ sie in einem Sessel neben dem Mischpult Platz nehmen und forderte sie auf, ihm Fragen zu stellen. Sie begann niedliche „Saturday-Review“-Fragen an ihn zu richten und er gab freundliche, kurze Antworten. Al Steckler kam mit den Bildern für die Konzertprogrammhefte, zeigte sie Mick und fragte: „Was ist mit Text?“

„Ich weiß nicht“, sagte Mick, „Keith, wie wär’s mit einem Text?“

„Yeah“, sagte Keith, „etwas Kurzes – vielleicht kriegen wir Sam dazu, etwas zu machen.“

„Hey“, sagte Mick, während er mich anschaute. „Du bist doch ein Schriftsteller.“

„Was … was … in Ordnung, was wollt ihr?“

„Etwas für das Programm“, sagte Mick. „Nicht sehr lang. Etwas Un­beschwertes.“

„Wie lang, Al?“

„Hundertachtzig Wörter.“

„Was? Wie kommst du darauf?“

Al zuckte die Schultern. „Das ist lang genug.“

„Du weißt schon“, sagte Mick. „Etwas Unbeschwertes.“

„Ich brauche es sobald wie möglich“, sagte Al.

Ich dachte mir, es wäre wahrscheinlich am besten, gleich heimzugehen und mit dem Schreiben anzufangen. Da Sandison sowieso gerade gehen wollte, schloss ich mich ihm an. Beim Studio waren keine Autos, aber wir rechneten damit, auf dem Sunset ein Taxi zu kriegen. Sobald wir draußen und die Türen hinter uns verschlossen waren, gab es natürlich – das war Los Angeles – keine Taxis. Wir gingen zu Fuß los und dachten an jedem Häuserblock, jetzt müssten wir ein Taxi finden. Zwei Taxen fuhren vorbei, sie hatten gerade eine Fuhre. Dann kam gar keins mehr, aber das machte mir nichts aus, denn es war ein Vergnügen, auf dem Sunset dem Sonnen­untergang entgegenzuspazieren. Es gab da alle möglichen Hinweisschil­der, eine Maschine, die fünfzig Cents nahm und dir einen Stadtplan mit den Häusern der Hollywood-Stars in die heiße Hand drückte und nur einen Schritt weiter eine weitere Maschine, die die „L. A. Times“ verkaufte, deren Schlagzeile lautete: „I WANT HELP, SAYS ZODIAC KILLER“. Wir gingen an Ralph’s Pioneer House vorbei, dem Vienna Hofbrau, an „Father Payton’s Kreuzzug für das Familiengebet“ und an einem Mann, der im Gehen die Zeitung las (I want help!). Auf seinem Rücken trug er eine batteriebetriebene Maschine mit einer Gesichtsmaske, die er sich über Mund und Nase gestülpt hatte und die es ihm erlaubte, gereinigte Luft zu atmen. Auf der anderen Straßenseite war das „Apocalypse“, ein auf por­nographische Bücher und Utensilien spezialisiertes Geschäft. Sandison „war noch nie in einem amerikanischen Pornoladen“ gewesen, also ging ich mit ihm hinein. Kamasutra-Öl, vibrierende Plastik-Dildos, aufblas­bare Vaginen, Poster von Männern, Jungen, Frauen, Mädchen und ver­schiedenen Tieren, einzeln und in diversen Kombinationen. Die Bücher waren genauso vielfältig: Hot Snatch, Pedophilia, The Story of O, alle Arten von Porno für alle Geschmäcker. Als wir das Geschäft verließen, waren die Bücher in meinem Bewusstsein zu einem einzigen, riesigen Band ver­schmolzen mit dem Titel Die Rückkehr des Sohnes des Fluches der Rache der Riesenvaginen.

Die Nacht brach herein, Lichter flammten auf, Autos umschwirrten uns und die Abgase füllten unsere Lungen. Wir fanden im tödlich ro­mantischen Nebel ein Taxi und schafften es zurück nach Oriole.

Während ich im Haus umherwanderte und versuchte, high genug zu werden, um 180 Wörter zu schreiben, packte mich Steckler am Bizeps, strahlte mich mit seinen babyblauen Augen an und sagte: „Bitte.“ Ich er­klärte ihm, er solle mich gefälligst in Ruhe lassen, wenn er seinen ver­dammten Text haben wolle. Ich ging zurück ins Schlafzimmer und ver­suchte zu schreiben. Vor ein paar Minuten war ich mit Sandison und sei­ner Freundin Sharon von United Press International im Büro gewesen und sie hatte mir erzählt, dass Kerouacs Totenwache seit zwei Uhr nach­mittags im Gange war. Er würde morgen begraben werden. Sandison hatte Passagen aus dem Porno vorgelesen, den er gekauft hatte, und als ich jetzt auf der Wizard-of-Oz-Bettdecke saß, fielen mir nur Phrasen ein wie „Keiths stolze Brustwarzen versteiften sich“. Ich hatte eine Idee im Hinter­kopf, bestimmte Wörter blitzten immer wieder auf: Stones, Apocalypse, I want help, aber das war alles zu heavy, gar nicht unbeschwert. Schließ­lich sagte ich Steckler, dass es über die Stones mit 180 Wörtern nichts Neues zu sagen gäbe.

„Ist schon gut“, meinte er. „Ich war nie der Meinung, dass es irgend­welche Wörter braucht.“

The Rolling Stones

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