Читать книгу The Rolling Stones - Stanley Booth - Страница 15

Оглавление

8

Buddy Bolden entwickelt sich derzeit zu einer epochalen Persön­lichkeit; seine Bedeutung für die Geschichte des Jazz scheint über­wältigend zu sein und um seine Person ranken sich Legenden: Er war ein ganz schöner Halunke und ein ziemlicher Schweinehund, er bezahlte nie seine Musiker, hatte Spaß daran, sein Publikum mit obszönen Couplets zu erfreuen oder zu schockieren, und sein Ta­lent als Instrumentalist hat ihm den Ehrennamen „King“ Bolden eingebracht. Er pflegte sich neben dem offenen Fenster zu postie­ren und wie ein Verrückter in sein Horn zu blasen; man konnte ihn meilenweit über den Fluss hinweg hören und alle in Reichweite wur­den von diesem Trompetenruf wie von einem Magneten angezo­gen und scharten sich um den großartigen Kornettisten. Wir sind Zeugen der Geburt eines modernen Epikers.

Robert Goffin: „Jazz“

„weil das mädchen abgehauen und Brian sehr verärgert ist und weil er aus seiner Bude geschmissen wird, nimmt Mick es auf sich, für Brian eine nette Wohnung zu suchen, wo er leben kann“, sagte Keith. „Mick gelingt es, in Beckenham, auf halbem Weg zwischen London und Dartford, eine Bude für ihn zu organisieren. Eine merkwürdige kleine Wohnung in einer Vorstadtstraße mit lauter Häusern. Brian hatte ein großes Zimmer, das an eines dieser Häuschen angebaut war. Es war ganz gemütlich – bis er eines Tages ein paar Mädchen einlädt, die für ihn kochen sollen, wobei sie die halbe Bude niederbrennen. Er muss aber trotzdem dort wohnen bleiben, obwohl er jetzt ein Loch in der Decke hat, das er mit einem Stück Leinwand vor dem Vermieter zu verstecken versucht. Als ich von daheim abhaute, zog ich los, um mit Brian zusammen zu wohnen. Wir lungerten herum, hörten Musik, spielten den ganzen Tag und lasen ‚Billboard‘, nur um zu sehen, was los war und um mit irgendeiner Realität in Berührung zu bleiben. Wir lasen immer jede Seite, sogar die mit den Jukebox-Einnah­men, wir wussten alles darüber, was in den Charts vorging, absolut alles.“

Und Stu erzählt: „Wir probten noch immer. Wir hatten noch keinen Namen. Damals war es angesagt, einen eigenen Club zu eröffnen. Man fand einen Raum, der als guter Standort geeignet schien – und schon hatte man einen Club. Korner hatte oben in London einen sehr erfolgreichen Club eröffnet – den ‚Marquee Club‘, der immer am Donnerstagabend öff­nete – und er füllte den Schuppen immer. An den Donnerstagabenden brachte die BBC Live-Sendungen mit Jazz. Sie fragten Alexis: ‚Willst du das machen?‘ Das bedeutete, dass er in die BBC-Studios gehen musste. Also fragte er uns: ‚Wollt ihr einen Abend für mich einspringen?‘ Wir sag­ten, klar doch – mussten uns aber erst einmal schnell einen Namen aus­denken, und so kamen wir aus reinster Verzweiflung auf Rolling Stones. Das Marquee war unser erster Job. Als wir anfingen, spielte sonst niemand in England diese Art von Musik. Absolut niemand. Mick und Keith und Brian waren so ziemlich die einzigen im Land, die diese Musik kannten und zu spielen versuchten. Alle anderen waren Jazzmusiker, die versuch­ten, den Blues zu spielen, den sie nicht wirklich kapiert hatten. Und nach­dem sie die Stones erst einmal im ‚Marquee‘ gesehen hatten, waren alle wichtigen Leute der Szene damals hundertprozentig gegen uns und es war ein einziger verdammter Kampf, um überhaupt irgendwie weiterzukom­men. Sie meinten, R&B habe was mit Jazz zu tun und dazu gehörten drei Saxophone. Sie sagten, wie bitte, zwei Gitarren und ein Bassist? Das ist Rock ’n’ Roll, davon wollen wir nichts wissen, das werden wir schon run­termachen können.“

Und Stu fährt fort: „Wir versuchten es dann jeweils am Dienstagabend in Ealing, und zwei Wochen lang kam keine Menschenseele vorbei, kein einziger kam nach Ealing, um die Rolling Stones zu sehen. Wir versuch­ten es am Dienstagabend im ‚Flamingo‘ und das lief um nichts besser. Das hielt sich nur zwei oder drei Wochen Ich werde das erste Mal im ‚Flamingo‘ nie vergessen. Wir spielten an einem Sonntagnachmittag vor, und das ‚Fla­mingo‘ war ein ziemlich smarter Schuppen. Es war der angesagte Club in der Stadt für modernen Jazz und alle gingen in ihren tollen Anzügen und mit weißen Hemden hin. Ich werde nie vergessen, wie ich zu Keith sagte: ‚Du gehst doch nicht etwa so, wie du aussiehst, ins Flamingo, oder?‘ Er ant­wortete: ‚Na was denn, Stu, ich hab’ eben nur ein Paar verdammter Jeans.‘“

„Der Winter 1962 war hart“, erinnerte sich Keith. „Es ging so weit, dass man seine Hosen mit Klebeband reparierte, einfach Scotch-Tape über die Risse. Wir machten die seltsamste Periode durch, waren völlig ab­gebrannt – und da schneit dieser Kerl herein, dieser eigenartige kleine Typ, der in Brians Nachbarstadt lebte und mit ihm zur Schule gegangen war. Er war ungefähr eins sechzig klein und sehr fett, und er trug dicke Augengläser. Er war Mitglied der Territorial Army, einer Art Bürgerwehr. Die leben alle eine Weile in Zelten, werden dabei patschnass und verkühlen sich und lernen, mit einem Gewehr umzugehen – und zum Schluss krie­gen sie acht Pfund bar auf die Hand. Dieser Typ tanzt also in London an, frisch von den Hügeln, aus seinem Zelt. Er will mit Brian eine tolle Zeit erleben, und Brian nimmt ihn total aus. Es gab nichts, was der Mann für Brian nicht getan hätte. Brian sagte zum Beispiel: ‚Gib mir deinen Man­tel.‘ Es ist eiskalt, der ärgste Winter, aber er gibt Brian seinen Militär-Über­zieher. ‚Gib Keith den Pullover.‘ Also ziehe ich seinen Pullover an. ,Jetzt gehst du zwanzig Meter hinter uns.‘ Und weg sind wir, auf dem Weg zum nächsten Hamburger-Lokal. ‚Ah, bleib besser draußen. Nein, du kannst nicht reinkommen. Gib uns zwei Pfund.‘ Der Kerl bleibt tatsächlich in der Eiseskälte vor der Hamburger-Bude stehen und gibt Brian das Geld für unsere Hamburger. Brian brachte ihn dann dazu, eine neue Gitarre zu kau­fen, eine fabrikneue elektrische Harmony. Er zahlte für alles und nach zwei Wochen hatten wir sein ganzes Geld ausgegeben und sagten ‚Tschüß, Mann!‘ Wir setzen ihn in den Zug und schicken ihn nach Hause. Er war unglaublich gekränkt, aber trotz allem hatten wir ihn in alle Clubs mitge­nommen. Und obwohl es ihm sicher sehr leid tat, dass wir ihn ausplün­derten, kam er später trotzdem wieder nach London, sogar mit noch mehr Geld, und wir nahmen ihn wieder aus. Wir haben ihm schrecklich sadi­stische Dinge angetan, Brian und ich haben dem Kerl wirklich böse mit­gespielt. Es endete damit, dass wir ihn auszogen und versuchten, ihn unter Strom zu setzen. Das war der Abend, an dem er verschwand. Draußen schneite es. Wir kamen zurück in die Bude und er lag in Brians Bett. Brian regte sich aus irgendeinem Grund fürchterlich darüber auf, dass er in sei­nem Bett schlief. Wir hatten viele Kabel herumliegen und Brian griff sich eins: ‚Das ist angeschlossen, Baby, und jetzt bist du dran.‘ Brian rannte ihm mit dem langen Kabel nach, das an einen Verstärker angeschlossen war, Funken flogen, eine wilde Jagd durchs Zimmer, und er rannte schrei­end und nackt die Stiegen hinunter, hinaus auf die Straße, und brüllte: ‚Seht euch vor! Die da oben sind verrückt, die wollen mich mit Strom ums Eck bringen!‘ Irgend jemand brachte ihn eine Stunde später herein, und er war schon blau angelaufen. Am nächsten Tag war der Mann ver­schwunden. Brian hatte dank seiner Großzügigkeit eine neue Gitarre und ein ganzes Set neuer Mundharmonikas und sein Verstärker war repariert. Das passierte übrigens alles in der Edith Grove, als der Typ zum zweiten Mal aufkreuzte, das war in einer Bude, die Mick gefunden hatte. Ich war zunächst nicht dabei, weil ich kein Geld hatte und mir die Miete nicht lei­sten konnte. Brian konnte es sich leisten, weil er arbeitete; Mick konnte es sich leisten, weil er ein Stipendium der Universität hatte. Es waren also Brian, Mick und zwei Typen von der LSE (London School Of Economics) dort, der eine Norweger, der andere kam aus den Midlands. Sie waren die bürgerlichsten Leute, die man je im Leben gesehen hat. Darunter wohnten drei alte Nutten und ganz oben angehende Lehrer. Es war ein dreistöckiges Haus, im zweiten Stock Mick und Brian und diese bei­den Typen, und sofort komme ich mit der unsterblichen Phrase daher: ‚Kann ich in eurer Bude absteigen?‘ Nur um nicht heimgehen zu müssen. Im Grunde verlasse ich also mein Zuhause. Weil ich jetzt aber die ganze Zeit über in der Wohnung bin, fangen die Typen dauernd Streit an, wol­len die Miete nicht zahlen und Brian rausschmeißen, weil er mich dort mitwohnen lässt. Das bringt uns immer ziemlich runter, wenn sie heim­kommen und sich in die Ecke setzen und sehr daneben aussehen, weil in der anderen Ecke drei oder vier Musiker versuchen, ihr Ding zum Lau­fen zu kriegen, während sie studieren wollen.“

Keith weiter: „Wir waren damals völlig blank, Brian hatte viele Jobs, die er immer wieder sehr schnell los war. Er wurde beim Stehlen erwischt, aber sie ließen ihn zum Glück laufen. Brian war immer sehr gut darin, sich rauszuwinden, wenn er in der Patsche saß. Er beschwatzte den Geschäftsführer, bis der sagte: ‚Yeah, wir verstehen, deine Frau hat dich ver­lassen.‘ Das hat er immer behauptet, oder dass seine Großmutter gestor­ben sei und was ihm sonst noch einfiel. Brian hielt uns damals alle zu­sammen. Mick ging noch immer zur Schule. Ich suchte halbherzig einen Job. Eines morgens ging ich deshalb weg, und als ich am Abend zurück­kam, spielte Brian Mundharmonika. Er stand oben auf der Treppe und sagte: ‚Hör dir das an: Wuuuhwuuuh!‘ Er spielte diese bluesigen Töne. ‚Ich hab’ gelernt, wie man es macht. Ich hab’s herausgefunden.‘ In nur einem Tag. Wir probten zwei oder dreimal die Woche, hatten keine Auf­tritte, weil wir uns nicht trauten. Dick Taylor spielte noch immer mit uns, jetzt am Bass. Wir suchten nach einem Schlagzeuger. Charlie trat mit Alexis Korner auf. Wir konnten ihn uns nicht leisten. Wir nahmen einen Schlagzeuger namens Tony Chapman auf. Ein schrecklicher Drummer, immer im Gegentakt. Dann beschloss Dick Taylor, an eine andere Kunst­schule in London überzuwechseln. Stu ließ sich aus was für einem Grund auch immer mit uns mittreiben. Brian verdiente gerade mal genug, um uns vor dem Hinauswurf aus der Wohnung zu bewahren, und es war Win­ter, der schlimmste Winter seit Menschengedenken. Brian und ich saßen am Gasofen und fragten uns, wo wir den nächsten Shilling herbekom­men sollten, um das Feuer in Gang zu halten. Wir sammelten Bierflaschen und holten uns das Pfand in den Pubs, drei Shilling pro Flasche. Wenn wir wussten, dass irgendwo eine Party stieg, gingen wir in die Wohnung und sagten: ‚Hallo, wie nett, wir werden aufräumen helfen.‘ Wir stahlen die leeren Flaschen und was wir an Essbarem in der Küche fanden und machten uns aus dem Staub. Das wurde alles immer mehr daneben: Wir waren so fertig, dass wir sogar vor Taschendiebstahl nicht zurückschreck­ten, und das war dann eigentlich auch der Grund dafür, dass die beiden LSE-Typen ausgezogen sind. Sie machten sich davon und wir kriegten einen anderen Typ als deren Nachmieter, der eine kurze Erwähnung wert ist, weil er genauso fürchterlich abstoßend war wie Brian und ich damals und auch, weil er sich Phelge nannte. Das war nur ein Spitzname, aber er bestand darauf, Phelge genannt zu werden.“

Der Name Nanker Phelge tauchte auf den ersten Platten der Stones als Autor der Eigenkompositionen auf – er war eine Kreation von Brian, wie sich Keith erinnert. „Dieser Typ, der sich Phelge nannte, durchlebte damals gerade eine unglaubliche Phase, durch die aber jeder von uns ir­gendwie durchging. Mick beispielsweise hatte seine erste vulgäre Periode: Er lief in einem Hausmantel aus blauem Leinen herum und fuchtelte mit den Händen herum. Ungefähr sechs Monate lang spielte er richtiggehend eine Tunte von der King’s Road und Brian und ich haben ihn total ver­arscht. Mick fuhr auf diesen Spleen ab, während sich Phelge darin gefiel, die abstoßendste Person überhaupt darzustellen, die jemals existiert hat. Im wahrsten Sinn des Wortes. Du kamst in die Bude – und da stand er oben auf dem Treppenabsatz, völlig nackt bis auf seine total verdreckte Unterhose, die er allerdings auf dem Kopf trug, und er bespuckte dich. Das war nichts, worüber man sich hätte ärgern müssen, man brach ein­fach vor Lachen zusammen. Voller Spucke brach man lachend zusammen. Und die Behausung verkam total. Ungefähr sechs Monate lang benützten wir die Küche, um darin zu proben, weil es kalt war, und so wurde sie langsam völlig verdreckt und begann zu stinken. Deshalb verbarrikadier­ten wir die Türen, schlossen sie ab, die Küche war fortan tabu. Ich nahm damals gern Bänder auf, hatte ein Tonbandgerät und jede Menge Spulen im Schlafzimmer. Das war interessant, denn ich hatte ein Mikrophon im Spülkasten des Klos installiert und ans Tonbandgerät angeschlossen. Des­halb hatte ich jede Menge Bänder von Leuten, die aufs Klo gingen. Wenn man das Spülgeräusch eines WCs mit einer billigen Tonbandmaschine auf­nimmt, dann klingt das wie Applaus. Brian und ich dachten uns deshalb eine verrückte Show aus: Jedesmal wenn jemand aufs Klo ging, schaltete ich das Gerät ein, ging dann zur Klotür und klopfte. Und dann sagte der Insasse: ‚Besetzt, wart’ eine Minute.‘ Und ich verwickelte ihn durch die Tür hindurch in eine Konversation, auf die am Ende der Applaus folgte. Mit solchen Sachen haben wir uns damals beschäftigt. Richtig häuslich.“

Man versuchte ohne echte Hoffnung, mit der Band durchzustarten. Die Beatles brachten gerade ihre erste Platte heraus; die Beatlemania flammte auf. „Und wir waren echt niedergeschlagen“, erzählt Keith. „Wir durften zusehen, wie immer mehr Bands einen Plattenvertrag bekamen. Auch Alexis Korner bekam einen, worauf er den ‚Marquee Club‘ abgab – und wer springt für ihn ein? Genau, die Rolling Stones. Für immerhin gerade genug Geld, um zu überleben. Wir brauchen jetzt aber wirklich einen Bassisten. Ich weiß nicht mehr genau, was mit Dick Taylor passiert ist. Ich glaube, wir haben ihn rausgeworfen, denn wir waren damals sehr rücksichtslos. Keiner konnte ihn hören, weil er eine mistige Anlage und anscheinend auch keine Chance hatte, irgendwas Besseres zu bekommen. Alle anderen hatten sich irgendwie brauchbare große Verstärker organi­siert. Es ging darum, wieviel man verdiente und warum man mit einem Typ teilen sollte, den man ohnehin nicht hören konnte. Wir gaben also eine Annonce auf, um einen Bassisten zu suchen. Der Schlagzeuger, den wir hatten, sagte: ‚Ich kenne einen Bassisten, der einen eigenen Verstär­ker hat, dazu riesige Lautsprecher und einen Vox 130 in Reserve.‘ Der Vox 130 war damals der größte Verstärker auf dem Markt und der beste. Und der Mann hatte so ein Ding in Reserve – fantastisch.“ Also betrat Wil­liam Perks, der Sohn eines Maurers aus Penge im Südosten von London, die Szene. „Und er war unglaublich. Ein richtiger Londoner ‚Ernie‘ mit Pomade im Haar, einer Hose mit Elf-Inch-Stulpen und riesigen blauen Wildlederschuhen mit Gummisohlen.“

Bill Perks, der sich später Wyman nannte, lernte die Stones im „Weatherby Arms“, einem Pub in der King’s Road in Chelsea, kennen. „Bill kam dorthin“, erzählte Stu, „und sie waren in einer ihrer komischen Stim­mungen und gaben sich nicht einmal Mühe, mit ihm zu reden, so dass Bill nicht wusste, was los war. Sie lebten ja zusammen in Edith Grave und, was mich betrifft, ähm, ich hatte wegen der verrückten Sachen, die dort pas­sierten, Schiss hinzugehen. Manchmal hielt ich sie für völlig verrückt. Wenn Leute die ganze Zeit zusammenleben, entwickeln sie ihre eigene Sprache und man kann sich niemals sicher sein, ob man zu ihnen durchdringt oder ob sie wirklich meinen, was sie sagen oder ob sie einen nur die ganze ver­fluchte Zeit über auslachen. Bill war also kein bisschen beeindruckt.“

Bill, geboren am 24. Oktober 1935 und damit ein paar Jahre älter als die anderen Stones, hatte gemeinsam mit seinen Brüdern und Schwestern (jeweils zwei) eine solide musikalische Ausbildung genossen. Mit vierzehn konnte er Klarinette, Klavier und Orgel spielen. „Er war sehr gut“, sagte sein Vater. „Er stand sogar auf der Liste für den Job als Organist in unse­rer Kirchengemeinde.“ Mr. Perks sen., der „nur zum Spaß“ in den Pubs der Nachbarschaft Akkordeon spielte, erklärte seinen Kindern, dass sie, „wenn sie ein Instrument erlernten, nie in Geldnöten sein würden“. Aber obwohl Bills Eltern beide arbeiteten, musste er mit sechzehn die Beckenham Grammar School verlassen und einen Job annehmen. Bill wurde einberu­fen und begann Gitarre zu spielen, während er als Angehöriger der Royal Air Force in Deutschland stationiert war, wo er in der Registratur arbeitete.

Nach seinem Militärdienst fand Bill einen Job in einer Firma für Ma­schinenbau in Lewisham. Als er die Stones traf, war er schon eineinhalb Jahre verheiratet und hatte einen einjährigen Sohn, Stephen. Bill arbeite­te in der Maschinenbaufirma und spielte mit einer Rock ’n’ Roll-Band na­mens The Cliftons. „Wir hatten einen Schlagzeuger und drei Gitarristen“, erinnerte sich Bill. „Einer spielte Rhythmus, einer Solo, und ich stimmte die obersten beiden Saiten meiner Gitarre um sieben Halbtöne tiefer und spielte Bass im Stil von Chuck Berry. Wir kamen damit so halbwegs durch, aber als wir dann Gruppen mit echten Bässen hörten, wussten wir, dass da was faul war. Wir kauften also einem Kumpel eine Bassgitarre ab, stutzten sie uns zurecht, machten das ganze Metallzeug weg, wodurch sie sehr leicht und einfach zu spielen wurde. Ich verwende sie manchmal noch immer.“ Die Cliftons spielten auf Hochzeiten und bei Tanzveranstaltungen in Jugendclubs und machten „dafür, dass wir nicht so besonders gut waren, gar kein schlechtes Geld“.

Bill verwendete einen Teil des Geldes für den Ankauf jener Anlage, die die Stones so bewunderten. „Sie mochten nicht mich, sie mochten meinen Verstärker“, sagte Bill. „Ihre beiden Verstärker waren völlig hin­über – aber genau das klang eigentlich großartig, nur wussten wir das da­mals noch nicht. Ihre Musik gefiel mir allerdings nicht besonders. Ich hatte harten Rock gespielt, Buddy Holly, Jerry Lee Lewis, und die langsamen Blues-Stücke erschienen mir sehr langweilig.“

Aber Stu „kam mit Bill wirklich gut aus, und da ich derjenige war, der ihn jeden Abend heimbrachte, gelang es mir, ihn gewissermaßen zum Blei­ben zu überreden“.

„Es stellte sich auch heraus“, sagte Keith, „dass er wirklich spielen konn­te. Zunächst ging das Zusammenspiel noch ziemlich daneben, aber lang­sam begann er sehr natürliche, sehr swingende Basslinien zu spielen. Aber es war nichts Dauerhaftes, er spielte mit uns, kam zu den Proben – aber dann konnte er manchmal die Auftritte nicht machen, weil er verheiratet war und ein Kind hatte und arbeiten musste. Es war also irgendwie eine ziemlich wacklige Angelegenheit. Stu verschaffte uns in einem Pub, dem ‚Red Lion‘ in Sutton, einen regelmäßigen Auftritt. Wir spielten in West-London, Eel Pie Island. Es waren fast immer die gleichen Leute, die uns folgten, wohin wir auch gingen, die ersten Stones-Fans. In die Clubs passten jeweils ein paar Leute. Die Zeiten wurden rosiger, wir spielten so un­gefähr fünfmal die Woche und kamen auf fünfzig Pfund. Es ließ sich recht gut an. Brian schaute sich wegen Plattenaufnahmen um. Wir wussten, dass wegen dem Beatles-Ding keine Zeit zu verlieren war, wenn wir auf Platte wollten, was unser eigentliches Ziel war. Jeder Musiker will Platten machen, ich weiß auch nicht warum. Das hat nichts mit der Kohle zu tun – ich glaube, sie wollen nur sehen, was sie für die Nachwelt hinterlassen können. In London hatten wir jedenfalls ständig was am Laufen und wir taten uns mit unserem ersten Manager zusammen. Es handelte sich um Giorgio Gomelsky, dem der ‚Picadilly Jazz Club‘ gehörte – ein fürchterliches Lokal, wo kaum jemand hinging, aber wir spielten ein paarmal dort. Bei einem dieser Auftritte beschlossen wir, unseren Schlagzeuger rauszu­schmeißen und Charlie der Band, in der er spielte, abspenstig zu machen. Immerhin waren wir nun in der Lage, ihm zwanzig Pfund die Woche an­zubieten.“

Charlie Watts, der Sohn eines Eisenbahners, wurde in London am 2. Juni 1941 geboren. „Meine Großeltern zogen aus London weg, bevor ich geboren wurde, als mein Vater zum ersten Mal heiratete. Sie lebten in der Nähe von Wembley. Wir übersiedelten nach Wembley, als ich unge­fähr sieben war. Es war dort ziemlich ausgestorben: Es gab Parks, wo zwan­zig Jahre vorher Farmland gewesen war. Ich kann mich erinnern, dass es in Wembley noch eine Farm gab, als ich ein Kind war, ein riesiges Anwe­sen. Ich besuchte in Wembley die Vorschule. Man geht dann in eine Secondary Modern School für eine gewöhnliche Ausbildung, die ich auch hatte. Wir waren vierzig in der Klasse. Ich spezialisierte mich auf Kunst, denn sonst hätte ich den ganzen Tag nur Fußball gespielt. Das wäre alles gewesen, wofür ich gelebt hätte – und Kricket.“

Charlie erzählt: „Mit vierzehn oder fünfzehn begann ich zu spielen. Wir hatten keine Band, aber einen Chor, bei dem allerdings niemand gern mitsang. Den Musiklehrer verstand eh keiner. Glücklicherweise waren meine Eltern einsichtig genug, mir ein Schlagzeug zu kaufen. Ich hatte mir selbst ein Banjo gekauft, den Hals abgenommen und begonnen, es als Trommel zu spielen. Ich begann Banjo zu lernen und es ging mir bald auf die Nerven, ich mochte es nicht. Nach vier Wochen hatte ich den Hals schon abmontiert. Und ich spielte mit Drahtbürsten auf Zeitungen. Meine Eltern kauften mir ein Anfängerschlagzeug, wie es jeder Drummer nur zu gut kennt. Aber man muss diese Dinger haben, weil man sonst nie die an­deren schätzen lernt. Ich verkaufte Platten, um mir größere Becken und alles, was halt gerade modern war, besorgen zu können. Ich warf mit dem Geld für meine Ausrüstung um mich. Daheim übte ich die ganze Zeit zu Jazzplatten – Rock ’n’ Roll hörte ich mir erst an, als mich die Rolling Sto­nes auf den Geschmack gebracht hatten. Ich mochte Jimmy Reed und Bo Diddley, und von denen ging ich weiter, und dann kam ich langsam da­hinter, wie gut die frühen Elvis-Platten waren. Als ich etwas älter war, spielte ich regelmäßig auf Hochzeiten, aber später arbeitete ich dann tags­über. Ich war ein sogenannter Designer. Das heißt, ich machte den lieben langen Tag Beschriftungen, drei Jahre lang. Für einen Typ, der sich damit den Lebensunterhalt verdiente, und ich war sein Lehrling. Nach dieser dreijährigen Lehre wollte ich, da ich jüdisch bin, mehr Geld und bin also zu einer größeren Firma gegangen, die mich nach Dänemark geschickt hat. Genaugenommen war das eine Gaunerei, weil ich dort hinging und bezahlt wurde, aber nicht arbeitete, denn keiner wusste, was ich eigentlich tun sollte. Ich hätte besser nach New York gehen sollen, denn das war da­mals mein großes Ziel. Statt dessen ging ich nach Dänemark. Aber ich bin froh, dass ich es tat. Ich habe dort sofort mit einer Band gespielt, obwohl ich kein Schlagzeug hatte und mir dauernd eins ausborgen musste.“

Im „Troubadour“ hatte Charlie vorher Alexis Korner getroffen. „Dann ging ich weg, und als ich zurückkam, gründete er gerade eine neue Band. Er wollte mich dabeihaben, also sagte ich okay. Drei von uns überlebten die ersten Proben, genauer die ersten sechs Monate. Sie wurden alle meine Freunde. Weil es nicht ums Geld ging. Man hat nie was verdient, keiner von uns. Einmal haben wir uns den ganzen Weg nach Birmingham angetan und fünf Shilling dafür bekommen. Die Zeit verging und ich stieg bei jener Band aus, kündigte meinen Job, war arbeitslos. Ich spielte manchmal mit einer anderen Band, Blues By Five, und dann stieg ich bei den Stones ein.“

William Perks, der sich mit Bill Wyman den Namen eines Freundes von der Air Force als Bühnennamen zulegte, meinte: „Wenn uns ein Club nahm, kamen wir an und bauten unsere Verstärker auf. Die anderen hat­ten Pullover, Lederjacken und Jeans an, ich hingegen kam in der Kleidung, die ich zur Arbeit angehabt hatte. Der Manager pflegte zu sagen: ‚Ihr müsst scharf aussehen, nur noch zehn Minuten bis zum Auftritt, zieht euch lie­ber um.‘ Wir antworteten dann immer, dass wir so auftreten wollten, wie wir waren, was in der Regel die Bemerkung nach sich zog: ‚Sehr lustig, los jetzt, zieht euch um.‘ Wir hatten drei geklaute Metallhocker dabei und mit Mick vorne und Charlie im Hintergrund setzten wir uns einfach hin, Brian, Keith und ich, und begannen zu spielen, als würden wir gerade pro­ben. Jeder hatte ein Bier bei seinem Hocker, und wenn wir mit einer Num­mer fertig waren, tranken wir was und zündeten uns Zigaretten an. Die Gäste konnten es nicht glauben. Sie hörten zu tanzen auf, stellten sich um die Bühne herum, starrten uns an und wussten nicht, was sie davon hal­ten sollten. Der Manager sagte dann in der Regel: ‚Na gut, packt euer Zeug und in fünf Minuten seid ihr verschwunden oder ihr habt meine Jungs am Hals.‘“

Bill fuhr fort: „Wir hörten so ungefähr um zwei in der Früh zu spie­len auf und ich musste um sechs aus dem Bett, um zur Arbeit zu gehen. Mein Durchschnitt waren drei Stunden Schlaf und die meiste Zeit wusste ich nicht so recht, wo ich war. Aber ich musste weitermachen, weil ich Stephen hatte. Am Ende musste ich trotzdem eine Entscheidung treffen – denn man stellte mich in der Arbeit vor die Alternative, meine Haare zu schnei­den oder zu gehen. Ich hatte schon vor meinem Einstieg bei den Stones langes Haar gehabt, aber jetzt war es länger denn je. Es kam mir so blöd­sinnig vor: Alle – die Leute bei der Arbeit, meine Freunde, meine Eltern, meine Frau – sagten, ich solle lieber meinen Job behalten und nicht mit den Stones gehen. Später, als wir erfolgreich waren, hieß es dann: ‚Siehst du, ich hab’ gewusst, du schaffst es.‘“

Glyn Johns, damals Cheftechniker der I. B. C. Studios in London, sagte: „Als ich sie zum ersten Mal traf, hatte ich Derartiges noch nie ge­sehen.“ Johns verhalf den Stones im Januar 1963 zu einer Aufnahmeses­sion. „Ich erinnere mich, dass ich sie für die erste Session zu I. B. C. brach­te und Angst hatte, sie dem Studiobesitzer George Clouston vorzustellen. Wenn ich mir jetzt ihre Fotos von damals anschaue, sehen sie so zahm und harmlos aus, dass ich es nicht in Zusammenhang bringen kann mit dem Eindruck, den sie auf die Leute machten. Es war einfach ihr Auftreten, ihre Kleidung, ihr Haar – ihre ganze Einstellung offenbarte sich unver­züglich, sobald man sie spielen sah. Es war einfach ein totaler Furz auf die Gesellschaft, auf alles und jeden.“

„Am Anfang der Stones war Brian das Obermonster“, erzählte Alexis Korner. „Er hatte ein unglaublich aggressives Auftreten. Sein Haar war damals schon ziemlich lang und er hatte dauernd einen Schmollmund, gepaart mit boshaften Seitenblicken, wobei er die meiste Zeit unglaublich wolllüstig aussah. Er sprang immer mit seinem Tamburin nach vorne, um es dir ins Gesicht zu donnern, während er dich gleichzeitig höhnisch an­lächelte. Die Aggression hatte einen enormen Einfluss. Brian konnte aber auch ein sehr empfindsamer Musiker sein und langsamen Blues außerge­wöhnlich gut spielen. Doch am meisten ist er mir wegen seiner aggressi­ven Art in Erinnerung geblieben. Brian erreichte mit seiner extremen Ag­gressivität, was er erreichen wollte. Und diese Aggressivität war wirklich eine extreme Herausforderung – wenn er auf der Bühne war und spielte, reizte er jeden Mann im Raum dazu, ihm eine zu verpassen. Das war echt und einfach das Gefühl, das man bekam. Am Anfang verkörperte Brian das aggressive Image der Stones viel mehr als Mick.“

„Aber es war immer Mick, der es mit den Leuten aufnahm“, sagte Stu. „Als uns ,Jazz News‘ jede Woche verarschte und es schien, als druckten sie die Ankündigungen der Stones absichtlich falsch, war es Mick, der in die Redaktion ging und Klartext redete.“

„Auf der Bühne jedoch“, sagte Alexis, „war es Brian, der die Typen dazu reizte, dass sie ihn vermöbeln wollten. Er machte mit voller Absicht die Freundin von irgend jemand an und wenn der dann ungemütlich wurde, knallte er ihm ein Tamburin ins Gesicht.“

„Brian hätte ein paarmal umgebracht werden können“, sagte Stu.

The Rolling Stones

Подняться наверх