Читать книгу The Rolling Stones - Stanley Booth - Страница 13

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Eines Abends entdeckten wir im Empire, aufgekratzt und verwun­dert, die Ragtime-Musik, die uns drei junge Amerikaner, die bei­den Hedges Brothers und Jacobson, gebracht hatten. Das war, als hätten wir noch immer im neunzehnten Jahrhundert gelebt und uns dann plötzlich mit dem uns anstarrenden und anschreienden zwan­zigsten Jahrhundert konfrontiert gesehen. Wir wurden in unser eigenes, faszinierendes, mit Urwald-Flair behaftetes und monströses Zeitalter katapultiert. Wir waren daran gewöhnt, dass man in den Music-Halls aus Leibeskräften und voller Lebensfreude für uns ge­sungen hatte, aber die synkopierte Raserei dieser drei jungen Ame­rikaner war etwas gänzlich anderes. Vor Schweiß glänzend dräng­ten sie sich dem Publikum förmlich auf, sie forderten uns heraus, dem Rhythmus zu widerstehen, während sie uns Schritt für Schritt in ihren Bann zogen und uns in ein anderes Leben skandierten und trommelten, in dem alles passieren konnte.

J. B. Priestley: „The Edwardians“

„wir reden also mit Brian“, sagte Keith, „und er zieht mit seinem Mädchen und seinem Baby nach London. Mit seinem zweiten Baby; sein erstes war von irgendeinem anderen Mädchen. Er hatte sie verlassen und in Cheltenham wirklich abgewirtschaftet. Er kann da einfach nicht länger bleiben, er sieht schon die Gewehre auf sich gerichtet – also übersiedelt er in die Stadt.“

Alexis Korner erzählt: „Er kam immer an den Wochenenden und ich sagte: ‚Halt durch, Mann, bis du ein wenig Geld beisammen hast und komm dann nach London.‘ Korner, ein Sänger und Gitarrist, war einer der ersten Europäer, der die Musik der amerikanischen Country-Blues-Künstler spielte. Brian begann sich für den Blues zu interessieren und Gitarre zu spielen, nachdem er von der Klarinette zum Altsaxophon ge­wechselt und in einer Band aus Cheltenham namens Ramrods gespielt hatte.

„Ich hatte Brian schon früher kennengelernt“, sagte Korner, „denn während ich mit der Chris Barber Band arbeitete und gelegentliche Kon­zerte spielte, waren wir auch einmal in Cheltenham, und Brian kam nach dem Konzert zu mir und fragte, ob er mich sprechen könnte. So haben wir einander getroffen. Er kam für gewöhnlich an Donnerstagen und Wo­chenenden in den Ealing Club und spielte gelegentlich ein wenig mit. Brian hielt Cheltenham nicht aus. Er hatte einfach einen Horror vor Cheltenham, hielt die restriktive Atmosphäre nicht aus. Er kam nicht mit den Ein­schränkungen klar, die seine Familie seinem Denken und Benehmen auf­erlegte. Darum kam er nach London, bäng, einfach so! Jedes Wochenen­de warnte ich: ‚Um Gottes Willen, Brian, halt noch ein wenig aus, tauch nicht plötzlich in London auf, es ist ein sehr hartes Pflaster.‘ Aber letztlich blieb meine Wochenendquasselei dann doch wirkungslos und Brian kam nach London. Eines Tages sagte er: ‚Ich verlasse Cheltenham, kann ich mich bei euch einquartieren?‘ Er stieg also bei uns ab. Ein paar Nächte schlief er auf dem Boden und dann fand er eine eigene Bleibe und ging bei Whiteley’s, einem Geschäft in Queensway, arbeiten.“

Korner fährt fort: „Mick schickte mir ein Band mit Material, das er mit Keith aufgenommen hatte, Versatzstücke von Bo-Diddley- und Chuck-Berry-Nummern. Entweder habe ich per Brief geantwortet oder wir haben uns telefonisch kurzgeschlossen – jedenfalls kam er bei mir vorbei. Mick war fast von Anfang an in den Club in Ealing involviert, hing herum und wartete darauf, seine drei Songs pro Abend zu singen. Wenn wir Gewinn machten, bekam Mick dreißig Shilling, um nach Dartford zurückzufahren, wenn nicht, dann nicht. Keith war ein sehr stiller Gitarrist, der gelegent­lich mit Mick zusammen aus Dartford kam. Er machte nicht bei jedem Auftritt mit, war aber meistens anwesend. Das lief alles sehr locker ab. Im herkömmlichen Sinn war Mick damals ebensowenig ein guter Sänger, wie er jetzt einer ist – im herkömmlichen Sinn, wie gesagt. Aber seine Persön­lichkeit! Er schien einen Song stets mit voller Stimmkraft anzugehen. Er hatte diese enorme Ausstrahlung – und das ist es, worum es beim Blues geht, mehr als um die technischen Fertigkeiten; er hatte das schon immer. Ich habe noch ein frühes Foto von Mick in einer Weste mit Reißverschluß, mit Hemd und Krawatte und weiter Hose – Mick war sich schon immer absolut sicher, dass er das Richtige tat. Er war sehr kratzbürstig, weil er mit seiner Familie oft Streit hatte. Ich erinnere mich daran, dass mich seine Mutter eines Abends anrief und sagte: ‚Wir hatten immer das Gefühl, Mick sei das am wenigsten talentierte Mitglied der Familie. Glauben Sie wirklich, dass er mit der Musik Karriere machen kann?‘ Ich sagte ihr, dass ich sein Scheitern für geradezu unmöglich hielte. Sie glaubte mir nicht – sie sah nicht ein, wie ich eine solche Aussage machen konnte. Ich nehme an, dass sie das bis zum heutigen Tag nicht kapiert. Ich glaube nicht, dass sie jemals verstehen wird, warum er das ist, was er ist. Man weiß das über jemanden oder man weiß es nicht, und Blutsverwandtschaft hat damit rein gar nichts zu tun. Ich habe niemals irgend jemanden aus Micks Fa­milie kennengelernt. Ich kam irgendwann mal mit Micks Vater ins Ge­spräch, aber es fällt mir sehr schwer, mit Turnlehrern zu reden. Er war Basketballer und ich sah ihn ein- oder zweimal bei Basketballspielen im Fernsehen als Schiedsrichter. Mick verließ Dartford immer mit einem Seufzer der Erleichterung, um sich in jene Umgebung zu begeben, wo er sagen konn­te, was er wollte. Das war seinem Gefühl nach zu Hause nicht möglich.“

Am 19. Mai 1962 erschien in der Musikzeitschrift „Disc“ ein Artikel mit der Überschrift „Sänger steigt bei Korner ein“:

„Ein neunzehnjähriger Rhythm-&-Blues-Sänger aus Dartford namens Mick Jagger hat sich Alexis Korners Gruppe Blues Inc. angeschlossen und wird mit ihr regelmäßig bei den Auftritten am Samstagabend in Ealing und bei den Donnerstags-Sessions im ‚Marquee Jazz Club‘ in London singen. Jagger, der zur Zeit die London School of Economics besucht, spielt auch Mundharmonika.“

„Im Frühsommer“, sagte Keith, „beschloss Brian, eine Band auf die Beine zu stellen. Ich ging also zur Probe in einem Pub namens ‚White Bear‘, gleich beim Leicester Square neben der U-Bahn-Station – und da ist Stu. Das ist der Moment, in dem Stu auf der Bildfläche erscheint.“

Stu – Jan Stewart, ein Boogie-Woogie-Pianist – kommt aus einer schot­tischen Stadt gleich nördlich von England, aus Pittenweem, Fife. „Ich woll­te immer diesen speziellen Pianostil spielen“, sagte Stu, „weil ich immer auf Albert Ammons stand. Die BBC hatte jeden Abend Jazzprogramme und eines Abends vor vielen Jahren öffnete mir das die Ohren. Bis dahin hatte ich angenommen, dass Boogie nur gut für Solopiano wäre, doch es gab da ein Programm, das ‚Chicago Blues‘ hieß. Ich erinnere mich nicht an bestimmte Platten, aber ich kann mich daran erinnern, dass sie diesen gewissen Pianostil mit Gitarren, Mundharmonika und einem Sänger spiel­ten. Als dann eine Kleinanzeige in ,Jazz News‘ erschien, ein Kerl namens Brian Jones wollte eine R&B-Band formieren, traf ich mich mit ihm. Ich werde das niemals vergessen: Er hatte ein Album von Howlin’ Wolf lau­fen und so etwas hatte ich noch nie gehört. Ich dachte nur, jawoll, das isses. Er sagte: ‚Wir werden eine Probe machen.‘“

„Diese Probe war eine Niederlage“, sagte Keith. „Wir spielten mit Stu, Brian, einem Gitarristen namens Geoff und mit einem Sänger und Harmonikaspieler, den wir ‚Walk On‘ nannten, weil das der einzige Song war, den er konnte. Er hatte fettige rötliche Haare. Diese zwei Typen mochten mich nicht, weil sie der Meinung waren, dass ich Rock ’n’ Roll spielte, was ich auch tat. Aber sie mochten es halt einfach nicht. Stu mochte es, weil es swingt, und Brian gefiel es. Er wusste nicht, was er tun sollte – ob er mich rauswerfen und es mit diesen Typen versuchen sollte oder ob er die beiden rausschmeißen und dann wieder nur eine halbe Band haben soll­te. Noch dachte keiner auch nur im Entferntesten daran, tatsächlich vor Publikum zu spielen. Alle waren noch immer sehr darauf aus, miteinan­der zu spielen, nur um zu versuchen, etwas auf die Beine zu stellen. Brian arbeitete. Er hatte ’nen Job in einem Plattengeschäft; aus einem anderen war er geflogen, weil er das eine oder andere hatte mitgehen lassen. Er be­schloss, die beiden Kerle loszuwerden, was mir nur recht war, während ich inzwischen Mick dazu überredete, zur Probe zu kommen. Die bestritten nun Stu, ich, Mick, Brian und Dick Taylor am Bass, es gab keinen Schlag­zeuger – Piano, zwei Gitarren, Harmonika und Bass. Mick begann, Har­monika zu lernen. Unsere Proben hatten wir in einem anderen Pub, im ‚Bricklayer’s Arms‘ in der Berwick Street. Das machte echt Spaß. Wahr­scheinlich war es schrecklich, aber es swingte und wir hatten eine tolle Zeit. Die meisten Pubs im Westend haben oben oder hinten einen Raum, den sie an jedermann für fünf Shilling die Stunde oder fünfzehn Shilling pro Abend vermieten. Nur ein Raum, vielleicht mit einem Klavier drin, aber sonst nichts – nackte Bodenbretter und ein Klavier. Schachteln voll­er leerer Flaschen. Das war im Grunde genommen für den Rest des Som­mers unser Zuhause. Wir probten zweimal die Woche, hatten keine Auf­tritte. Wenn ich mich nicht irre, traten zu dieser Zeit die ersten Fans auf den Plan. Ich verließ in dieser Periode die Kunstschule. Einmal versuchte ich, mit meiner schmalen Mappe einen Job zu bekommen und wurde von dem gleichen Typen, der später das Cover für ‚Let It Bleed‘ entwarf, prompt abgewiesen. Mick sang währenddessen, um ein wenig Geld zu ver­dienen und weil es ihm Spaß machte, noch immer mit Korner. Brian lebte mit Pat und seinem Kind in einem sehr verfallenen Keller, wo Schimmel und Schwämme aus den Wänden wuchsen. Und irgendwann in diesem Sommer passierte dann etwas wirklich Seltsames. Eines Abends wollte Mick, der einen Auftritt mit Korner gehabt hatte, Brian besuchen, wenn ich mich recht erinnere. Aber es war nur Brians Lady da. Mick war sehr betrunken und trieb es mit ihr … Das löste einen Schock aus; Brian war zuerst fürchterlich gekränkt und das Mädchen suchte das Weite. Aber letztlich kamen Mick und Brian dadurch einander sehr nahe, weil sie diesen emotionalen Aufruhr durchmachen mussten und sich dabei wirklich auf­einander einließen … Das hat also gewissermaßen das Zusammen­gehörigkeitsgefühl gestärkt. Mick engagierte sich noch immer sehr stark in der Schule und die Musik war für ihn nur ein fesselndes Hobby. Nie­mand nahm die Musik ernst – außer Brian, der es todernst meinte.“

Nach Brians Tod ging Alexis Korners Frau zu Whiteley’s, Brians er­stem Arbeitgeber in London, und schlug vor, eine Gedenktafel anzubrin­gen. „Die Leute reagierten völlig schockiert“, erzählt Korner. „Sie meinte, an Häusern, in denen berühmte Männer gelebt haben, werden Gedenk­tafeln angebracht mit Inschriften wie ‚Charles Dickens 1806‘. Sie sah nicht ein, warum man nicht auch in der Elektroabteilung eine Tafel anbringen sollte, die besagte, dass Brian Jones 1962 hier gearbeitet hat. Sie konnte sich keinen Grund vorstellen, warum man das nicht tun sollte.“

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