Читать книгу Gestalttherapie mit Gruppen - Stefan Hahn - Страница 18
Wir fangen an
ОглавлениеWir fangen mit einer konventionellen Vorstellungsrunde an. Interessant ist hier in diesem Fall zum Beispiel, dass die Art der Vorstellungen ohne Vorgabe der Gruppenleitung uniform ist – ein oft zu beobachtendes Phänomen.
Abb. 1
Als Gruppenleitung könnte ich dann:
• dies zum Fokus meines Interesses – zur Figur – werden lassen und fragen, was den Teilnehmern aufgefallen sei oder
• meine eigene Beobachtung mitteilen und
• zu einer zweiten Vorstellungsrunde einladen, um
• diesen Prozess bewusst zu erleben und/oder
• damit zu experimentieren, diesmal aus dem Rahmen zu fallen.
Bei Teilnehmern mit wenig oder keiner Gruppenerfahrung könnte dies zu angstbesetzt sein und Widerstand provozieren. Stattdessen könnte es so weitergehen:
»Sucht euch einen Partner, der euch interessiert und findet mehr über ihn heraus.« (s. Abb. 2)
Abb. 2
Die untergeschobenen Zitate sind zwar frei erfunden aber meiner Erfahrung nach wirklichkeitsnah. Das wenigste wird davon sofort offen ausgesprochen. Höchstens im Nachhinein, wenn die Gruppenmitglieder eine gute Vertrauensebene aufgebaut haben und diese Erfahrung aus sicherer Vergangenheit laut erinnert werden kann.
Für den Gruppenleiter ist es wichtig, sich über mögliche ausgelöste Prozesse im Klaren zu sein bei einer solchen simplen, anscheinend unverfänglichen Übung, die gemeinhin als Eisbrecher und Aufwärmübung bekannt ist. Man kann sich vielleicht lebhaft vorstellen, wie unbefriedigend die meisten dieser Begegnungen verlaufen werden und welchen Stress es verursacht, diese Unzufriedenheit zu kaschieren.
Nach solch einer Übung herrscht oft eine undefinierbare Anspannung in der Gruppe. Alle schauen dann erwartungsvoll den Gruppenleiter an. Mitunter ruft auch jemand ungeduldig aus: »Wann fangen wir denn endlich an, mir geht es hier zu langsam.«
Die Teilnehmer würden jetzt gerne die Gruppenleitung allein für ihr Unwohlsein in der Gruppe verantwortlich machen. Diese Verantwortung nehme ich nur teilweise an. Stattdessen gilt es, so früh wie möglich die Weichen umzustellen und die Gruppenteilnehmer mit in die Verantwortung zu ziehen:
»Ich habe angefangen, wie möchtest Du anfangen?« oder:
»Wozu brauchst Du ein schnelleres Tempo?«
Die Kultur einer Gestaltgruppe weicht sehr von alltäglichem Verhalten in sozialen Zusammenhängen ab. Ein wichtiger Eckpfeiler ihrer Philosophie ist die Eigenverantwortlichkeit. Die Kunst des Gestaltgruppenleiters besteht meiner Meinung nach darin, Übergangserfahrungen anzubieten, zu pendeln von der Alltagskultur in die Gestaltkultur und wieder zurück.
Zurück zu unserer fiktiven Gruppe. Eine von vielen anderen Möglichkeiten an die vorherige Übung anzuknüpfen, könnte folgende Aufgabe sein: Stellt den Partner in der Gruppe vor, was ihr von ihm erfahren habt.
Abb. 3
Vielleicht würde ich mich in dieser Gruppe zum Abschluss selbst vorstellen, mit etwa folgendem Wortlaut: »Ich fange an, mich ein wenig zu entspannen, da ich euch jetzt alle näher kennen gelernt habe, danke.« Der aktuelle Hintergrund für meine Restanspannung ist in etwa in Abbildung 4 dargestellt.
Abb. 4
Darf ich vorstellen: Der »Herr in Blau« (rechts) ist mein innerer Supervisor. Die Farbe blau steht für mich für ruhige Klarheit (vgl. a. Kapitel »Der innere Supervisor«). Hier lenkt er meine Aufmerksamkeit auf drei wichtige Fragen zu Beginn jeder Gruppe:
1. Was ist meine unmittelbar gefühlsmäßige Reaktion auf die einzelnen Gruppenteilnehmer?
2. Halte ich jeden für diese Gruppe geeignet?
3. Wie gehe ich damit um, wenn ich einen Teilnehmer für die Gruppe ungeeignet halte?
Ob ich jemand spontan mag oder nicht, wird meine Kontaktaufnahme zu diesem Gruppenmitgliedern auf jeden Fall beeinflussen. Anstatt mich zu bemühen, alle gleich zu behandeln und zu mögen, ist es deshalb sinnvoller, immer wieder bewusst meine Sympathien und Antipathien wahrzunehmen.
Versuche ich zum Beispiel auszublenden, wen ich am wenigsten mag, geht wichtige Information im Kontakt verloren und wird der Bewusstheit unzugänglich. Es entstehen Sprachlosigkeit und diffuses Unwohlsein, anstelle von Raum für mögliche Begegnung und Veränderung. Im Kapitel »Übertragung und Gegenübertragung« gehe ich auf diesen Prozess näher ein.
Von Anfang an sollten die Teilnehmer einer neuen Gestaltgruppe den ganzheitlichen Ansatz erfahren (Hartmann-Kottek, 2004: 54). Sie erleben so vielleicht zum ersten Mal seit ihrer Kindheit die Reichhaltigkeit und Vielschichtigkeit ihres Daseins.
Die bewusste Miteinbeziehung des Körpers beim Kennenlernen ist hierfür eine Möglichkeit.
Hier ein Vorschlag:
»Nachdem wir jetzt viel miteinander geredet haben, schlage ich einen konventionellen Händedruck zur Begrüßung vor, Reden ist dabei also erlaubt. Vielleicht könnt Ihr Euch noch mal mit Namen vorstellen, oder den des anderen erraten.«
Abb. 5
Hier sind hypothetische Gedanken der Teilnehmer zu lesen, die nur die wenigsten bei einem ersten Treffen spontan preisgeben würden. Je größer die Aufregung und Anspannung, desto weniger wird die Begegnung mit dem jeweiligen Gegenüber wirklich bewusst erlebt.
Obwohl dies eine fiktive Gruppe ist, werden Sie als Leser spontan Sympathien oder Antipathien mit bestimmten Gruppenteilnehmern entwickeln und könnten wahrscheinlich deutlich bestimmen, wem Sie am liebsten die Hand geben würde und wem nicht. Für alle Teilnehmer einer neuen Gruppe wird es ein Anliegen sein, sich auf diese Weise zu orientieren und herauszufinden, wen man mag und wen nicht.
Zunächst zurück zu unserer Gruppe. Da es in der Gestalt um die Förderung der ganzheitlichen Präsenz geht, also um die Konzentration auf das Hier-und-Jetzt im Kontakt, könnten Sie jetzt die Teilnehmer zu folgendem Experiment einladen:
»Gebt diesmal ganz bewusst höchstens drei Teilnehmern die Hand und konzentriert Euch jetzt auf die körperliche Empfindung des Händedrucks.
Was löst es in Euch aus, welche Gefühle oder Gedanken, Bilder oder Impulse?
Beschreibt es so prägnant wie möglich. Macht eine kurze Aussage.
Nehmt Euch Zeit, die Aussage Eures Gegenübers zu hören.«
Anschließend haben die Teilnehmer die Möglichkeit, in der Gruppe wichtige Entdeckungen und Erfahrungen mitzuteilen und gegebenenfalls zu vertiefen. Als Gruppenleiter hätten Sie die Wahl, diese Aussagen aufzugreifen oder einfach so stehen zu lassen. Lassen Sie sie erst mal so stehen, ist damit eine Erfahrungseinheit abgeschlossen, zumindest vorläufig. Je nach Plan bietet sich dann eine natürliche Pause an, in der Sie das Erlebte verdauen können.
Grundsätzlich ist also nichts gegen strukturierte Übungen und stringente Planung besonders zu Beginn einer Gruppe einzuwenden (vgl. im Anhang: »Vorschläge für Experimente und Gruppenaktivitäten«). Sie helfen Ihnen nicht nur, ihre Angst beim Gruppenleiten zu meistern, sondern werden wegen ihrer beruhigenden Wirkung auch von den Gruppenteilnehmern zunächst dankbar aufgegriffen. Es gibt ihnen ein Gefühl von Sicherheit, Überschaubarkeit und man ist von unkontrollierbaren Überraschungen gefeit.
Die strukturierten Übungen dienen dem Sich-Kennenlernen und geben Ihnen als Gruppenleiter wichtige Informationen und Orientierung:
1. In Bezug auf die Teilnehmer: Welche Erwartungen, Bedürfnisse, Befürchtungen, Vorwissen, Erfahrung und Interessen haben sie?
2. In Bezug auf Ihre eigene Befindlichkeit und Einschätzung (was genauso wichtig ist):
– Wie fühlen Sie sich mit den Teilnehmern hier?
– Mit wem bahnt sich ein guter Rapport an?
– Wen erleben Sie als unterstützend und wohlwollend Ihnen gegen über?
– Wen erleben Sie als kritisch, in Konkurrenz gehend, abwertend, in Frage stellend?
– Wen erleben Sie eher als ausweichend, zurückgezogen, reserviert, maskenhaft?
– Wen erleben Sie als schwierig?
– Zu wem fühlen Sie sich hingezogen?
– Mit wem haben Sie hier Gemeinsamkeiten?
– Wer ist Ihnen sehr fremd?
– Gibt es jemanden, den Sie abstoßend finden oder den Sie nicht mö gen?
– Was davon erleben Sie als bedrohlich?
– Fühlen Sie sich von der Gruppe angenommen?
Um diese Fragen als Gruppenleiter beantworten zu können, nutzen Sie möglichst all Ihre Sinne, all Ihre Kontaktfunktionen wie schauen, hören, riechen, sich spüren, usw. (Polster/Polster 1975: 127 ff.).
• Können Sie in der Gruppe gut durchatmen?
• Welche inneren Bilder tauchen auf?
• Wie frei fühlen Sie sich, in der Gruppe zu sprechen,
• sich zu bewegen und gegebenenfalls auch jemanden zu berühren?
• Sind sie gerne in dieser Gruppe?
• Wie ist Ihr Energiepegel?
• Haben Sie einen klaren Fokus?
• Was könnte Ihr nächster Schritt sein?
• Was brauchen Sie von den Gruppenteilnehmern, um diese letzte Frage beantworten zu können?